16. Sonntag nach Trinitatis / 24. Sonntag im Jahreskreis
ev. Predigttext | kath. 1. Lesung | kath. 2. Lesung | kath. Evangelium |
Apg 12, 1-11 | Jes 50, 5-9a | Jak 2, 14-18 | Mk 8, 27-35 |
In ökumenischer Eintracht greifen die evangelische und katholische Leseordnung an diesem Sonntag das Thema der Nachfolge Christi auf, die das Hören und Reden, Handeln und Leiden der Christen umschließt:
- die alttestamentliche Lesung folgert vom Hören des Wortes Gottes auf den Gehorsam gegenüber Gott;
- das Evangelium schreitet von der Leidensankündigung Jesu zur Deutung der Nachfolge als Kreuzweg;
- der Predigttext aus der Apostelgeschichte erzählt vom konkreten Kreuz und Leid der ersten Christen;
- der Jakobusbrief schließlich stellt den unbedingten Zusammenhang von Glauben und Handeln dar.
Jesaja 50, 5-9a
Die erste Lesung aus dem zweiten Jesajabuch ist ein Ausschnitt aus dem dritten Gottesknechtslied. Um dem Zusammenhang des Textes gerecht zu werden, nehme ich auch die Verse 4 und 9b zur Auslegung hinzu. In der Ich-Form beschreibt der namentlich nicht näher genannte Knecht Gottes, welche Gaben ihm verliehen, welche Aufgaben ihm gestellt sind: eine sprechende Jünger-Zunge zur Stärkung der Müden und Mutlosen sowie ein offenes Jünger-Ohr zum Wahrnehmen und Verstehen. Diese Gaben stellt er selbstlos in den Dienst Gottes und hält sie wehrlos seinen Gegnern entgegen. Deren Angriffe explodieren in heftiger Gewalt: Schläge in den Rücken, Raufen gegen den Kopf, Schmach und Speichel für die Seele.
Doch der Gottesknecht hält das aus, vorerst zumindest, und lässt die physische wie psychische Gewalt über sich ergehen. Ohne es zu ahnen, wird er damit ein Vorläufer Jesu, der seine Jünger lehren wird, Böses nicht mit Bösem zu vergelten, sondern dem Schläger auch die andere Wange hinzuhalten. Mit im wahrsten Sinne des Wortes versteinerter Miene erträgt der leidende Gottesknecht das ihm zugefügte Unrecht und hat sogar noch die Courage, seine Gegner zum Vergleich herauszufordern, wer im Recht ist und wer nicht. Wille und Kraft zum Widerstand sind aber keine naive Trotzreaktion, sondern wurzeln in der festen Gewissheit der Nähe und Hilfe Gottes. Dieser Gott steht den Bedrängten bei und schafft den Rechtlosen Gerechtigkeit.
Schon lange deuten Christen die Gottesknechtslieder auf Christus hin, sein Leiden und Sterben bis zum Kreuz sehen sie vorgezeichnet in der Erniedrigung des namenlosen Dieners. Und sie schöpfen aus seinen Worten Kraft, wenn sie wegen ihrer Jünger-Zunge und Jünger-Tat selbst in Bedrängnis geraten, wegen ihres Christusglaubens gemieden und geschmäht, verjagt oder verhaftet werden. Mag die Verfolgung von Christen im christlichen Abendland aktuell kein Thema (mehr) sein, in vielen Ländern Afrikas, Asiens und des Nahen Ostens ist sie das sehr wohl und wird immer bedrohlicher. Da ist auch meine Jünger-Zunge zu Protest und Trost gefordert, Solidarität statt Ignoranz zu zeigen und Fürbitte um Frieden und Gerechtigkeit zu halten.
Vor 75 Jahren trieben die Nazis den Theologen und Schriftsteller Jochen Klepper und seine Familie in den Freitod. Nach Berufsverbot, Ausschluss aus der Wehrmacht und gescheiterter Flucht drohte der Familie wegen der jüdischen Herkunft der Ehefrau Johanna die Deportation in die Vernichtungslager; dieser kamen sie durch den letzten eigenen Schritt zuvor. So hat Jochen Klepper hautnah erlitten, was er vier Jahre zuvor in dem bekannten Lied zu Jesaja 50 „Er weckt mich alle Morgen“ (EG 452) geschrieben hat: ER will, dass ich mich füge. Ich gehe nicht zurück. Hab nur in ihm Genüge, in seinem Wort mein Glück. Ich werde nicht zuschanden, wenn ich nur ihn vernehm. Gott löst mich aus den Banden, Gott macht mich ihm genehm“.
Markus 8, 27-35
Das bekannte Sonntagsevangelium wirft die Frage auf, die schon so viele Menschen bewegt und erregt hat: Wer ist Jesus und wie sind wir mit ihm dran? Wer ist dieser Wanderprediger aus Nazareth, der ohne theologische und rhetorische Ausbildung Menschen durch sein Wort und Leben begeistert? Der Brot und Wein, Zeit und Leben mit Ausgegrenzten und Zukurzgekommenen teilt, der Kranke gesund macht, Hungernde speist, gar Tote auferweckt: wer ist ER? Die Mainstream-Antworten damals und heute ähneln sich - Bußprediger, Wunderheiler, Magier oder Prophet - und gehen doch am Ziel vorbei. „Du bist Christus!“ antwortet Petrus schließlich. Du, der Gesalbte, der Messias, der von Gott versprochene Retter und König des Friedens.
Auf dieses Highlight der Erkenntnis folgt der tiefe Absturz in der Ansage des nahen Endes. Jesus wird leiden, stöhnen und schreien, sterben und begraben werden. Das reicht! Petrus geht dazwischen und achtet nicht mehr auf die Worte von der Auferstehung. Er will nicht hören, sehen, wahrhaben, was unabänderlich auf seinen Freund und Meister zukommt. Eben nicht der Jubel der Massen, das Abklatschen der Fans, das Schulterklopfen der Freunde, sondern Auspfeifen und Buhrufen, Fallstricke und Verleumdungen, ein falscher Prozess und ein Ende mit Schrecken. Verworfen werden und aussortiert sein, unbrauchbar sein und weggeworfen werden - das werden die Stationen des Kreuzweges Jesu sein, vom Leben in den Tod.
Dieser Weg wird kein leichter sein und er steht auch denen bevor, die sich mit Christus auf den Weg zu den Menschen machen. In Auslegung dieser Schriftstelle hat der evangelische Theologe und Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer 1937 den Lebensstil in der Spur Christi in seiner Schrift „Nachfolge“ (München, 11. Auflage 1976, S. 61 ff.) eindrücklich beschrieben. „Selbstverleugnung kann niemals aufgehen in einer noch so großen Fülle einzelner Akte der Selbstzermarterung oder asketischen Übungen. … Selbstverleugnung heißt, nur Christus kennen, nicht mehr sich selbst, nur noch ihn sehen, der vorangeht, und nicht mehr den Weg, der uns zu schwer ist. Selbstverleugnung sagt wiederum nur: Er geht voran, halte dich fest an ihn. … Kreuz ist nicht Ungemach und schweres Schicksal, sondern es ist das Leiden, das uns aus der Bindung an Jesus Christus allein erwächst. Kreuz ist nicht zufälliges, sondern notwendiges Leiden. Kreuz ist nicht an die natürliche Existenz gebundenes Leiden, sondern an das Christsein gebundenes Leiden.“ (a.a.O., S. 63f.)
Dieses Leiden um Christi willen ist den Christen in Westeuropa seit langer Zeit erspart geblieben und darum weithin fremd geworden. Trotz fortschreitender Säkularisierung und zunehmendem Bedeutungsverlust der Kirchen muss hierzulande niemand wegen des Christseins willen um Leib und Leben fürchten. In Afrika und Asien jedoch und vor allem in der arabisch-muslimischen Welt erleiden Christinnen und Christen wegen ihres Glaubens zunehmend Beleidigung und Bedrängung, Unrecht und Unwahrheit, Verlust und Verfolgung. Solidarität und Fürbitte, Petitionen gegen Menschenrechtsverletzungen und Bittgottesdienste sind das Mindeste, was wir für unsere Geschwister unter dem Kreuz der Nachfolge tun können und sollen.
Apostelgeschichte 12,1-11
Den Kreuzweg der Christen mit Verfolgung, Leid und Tod thematisiert auch der dritte Bibeltext dieses Sonntags, in dem Lukas nach der Steinigung des Stephanus (Apg. 7, 54 ff) und einer ersten Verfolgung der Jerusalemer Urgemeinde (Apg. 8, 1ff.) nun von der Hinrichtung des Jakobus und Gefangennahme des Petrus berichtet. Zwar liegt der Schwerpunkt der Geschichte auf der zweiten Hälfte ab V. 6 und fokussiert die wunderbare Befreiung des Petrus aus dem Gefängnis, dennoch schildern die ersten Verse eindrücklich die bedrückende Lage der ersten Christengemeinde in Jerusalem. Nach der ersten Begeisterung für den neuen Glauben an den gekreuzigten und auferstandenen Christus hat sich der Wind offenbar nachhaltig gedreht, wenden sich Meinung und Vorbehalte nun gegen die christliche Gemeinde.
König Herodes - gemeint ist Julius Agrippa I., Enkel Herodes‘ des Großen - greift sich mit dem Zebedaiden Jakobus einen der ersten Jesusjünger überhaupt. Mit der willkürlichen, ohne Gerichtsverfahren legitimierten Exekution statuiert er ein brutales Exempel an dem prominenten Opfer und wartet gespannt die Reaktion der Bevölkerung ab. Als sich kein Sturm der Entrüstung erhebt, sondern im Gegenteil die Hinrichtung auf beifällige Zustimmung stößt, gilt es, den Kopf der Christenschar mundtot und unschädlich zu machen. So wird Petrus, gleichfalls ohne Haftbefehl und richterliche Anordnung, aufgespürt und festgenommen, abgeführt und weggesperrt. Nach menschlichem Ermessen muss er nun mit dem Schlimmsten rechnen.
Diese Situation von Bedrängung und Verfolgung, unrechtmäßiger Verhaftung und willkürlicher Hinrichtung durchleiden gegenwärtig viele Christen in der globalen Ökumene. Von Ägypten bis Indonesien, in Nigeria und Pakistan sind Kirchen und Gemeinden oftmals macht- und wehrlos dem Hass anderer Religionen wie dem Unrecht des Staates ausgeliefert. Schwache National- oder Regionalregierungen können oder wollen das verbriefte Menschenrecht auf freie Meinungsäußerung und ungestörte Glaubensausübung nicht durchsetzen, verschanzen sich hinter Mehrheitsmeinungen und gehen verdeckt oder offensiv gegen Christengemeinden vor. Auch wenn es viele Menschen im sicheren Deutschland nicht glauben wollen, ist die Christenheit aktuell die weltweit am meisten verfolgte Religion. Das sollte Kirchen und Gemeinden aufrütteln, zu treuer Fürbitte bewegen und politischer Solidarität motivieren mit dem Ziel der Freiheit für alle Religionen.
Damit soll das von Lukas berichtete Wunder der Befreiung des Petrus nicht an den Rand gedrängt, sondern im Gegenteil gedeutet werden als das nicht vorhersehbare Eingreifen des lebendigen Gottes, der Bewahrung und Rettung aus höchster Todesnot gegen menschliche Übermacht schaffen und schenken kann. Die detailreiche Schilderung setzt ganz auf die unerwartete Epiphanie des himmlischen Boten und das Heilshandeln Gottes, betont aber auch das anhaltende Gebet als die einzig verbleibende Aktivität der Gemeinde. Ungläubiges Staunen erfasst am guten Ende den befreiten Petrus wie die versammelte Gemeinde und motoviert zur weiteren Verkündigung des Evangeliums als der guten Nachricht von Befreiung und Erlösung.
Jakobus 2, 14-18
Wie eng Glauben und Handeln, Gottes- und Nächstenliebe in der Bibel zusammen gedacht werden und aufeinander bezogen sind, geht aus den Versen des Jakobusbriefes deutlich hervor. Ein „No-go“ ist nach seinen Worten der auf sich selbst bezogene Christusglaube, der nur die eigene Seligkeit (wörtlich: Rettung) sucht und an den Bedürfnissen der (Glaubens-) Geschwister vorbeisieht bzw. diese mit frommen Worten abspeist. Das Tun der Gerechtigkeit und Barmherzigkeit (sh. Matthäus 25, 35 ff und Lukas 10, 25 ff.) erwächst nicht nur aus der lebendigen Christusbeziehung, sondern dient auch als Erweis und Beleg des Glaubens gemäß der in Kap. 1, 22 beschrieben Maxime: Seid aber Täter des Wortes und nicht Hörer allein.
Zwar hat Martin Luther den Jakobusbrief ob seines Beharrens auf der Notwendigkeit guter Werke als „stroherne Epistel“ bezeichnet und fast ans Ende des Neuen Testamentes verbannt, doch spätestens seit der Theologischen Erklärung von Barmen 1934 ist sich die protestantische Theologie darin einig, dass christliche Ethik und Dogmatik, Glauben und Handeln nicht auseinander zu dividieren sind. „Wie Jesus Christus Gottes Zuspruch der Vergebung aller unserer Sünden ist, so und mit gleichem Ernst ist er auch Gottes kräftiger Anspruch auf unser ganzes Leben; durch ihn widerfährt uns frohe Befreiung aus den gottlosen Bindungen dieser Welt zu freiem, dankbarem Dienst an seinen Geschöpfen.“ (2. These der Barmer Erklärung)
Martin Ahlhaus, Kierspe-Rönsahl