2. Sonntag nach Trinitatis / 10. Sonntag im Jahreskreis (10.6.18)

2. Sonntag nach Trinitatis / 10. Sonntag im Jahreskreis

ev. Predigttext kath. 1. Lesung kath. 2. Lesung kath. Evangelium
1 Kor 14, 1-3. 20-25 Gen 3, 9-15 2 Kor 4, 13 - 5, 1 Mk 3, 20-35

Die Autorin betrachtet zuerst eingehend den Predigttext der EKD Reihe. Sie hebt die paulinischen Kriterien für einen nachhaltigen Gemeindeaufbau heraus:Eine Glaubenspraxis soll für alle verständlich und auseinandersetzbar sein. Diese Grundsätze können ebenso für eine ökologische Bewegung angewendet werden.Die Autorin fügt Denkanstösse und Beispiele an, die in einer Predigt entfaltet werden könnten. Die katholischen Lesungen und das Evangelium werden kürzer betrachtet, fügen sich aber inhaltlich an die Ausführungen zum ersten Text an.

1 Kor 14, 1-3. 20-25

Einordnung des Textes

Paulus steht bei der Ekklesia in Korinth vor einer grossen Herausforderung: Die Vielzahl spiritueller Begabungen ist zum Problem geworden. Die Gemeindeglieder überbieten sich offenbar mit ihren Fähigkeiten und zeigen sie demonstrativ. Das erweckt einerseits eine Stimmung der Konkurrenz; anderseits schliesst es auch jene Leute aus, welche die inspirierte Rede („Zungenrede“) oder andere spirituelle Handlungen schlicht nicht verstehen. Paulus begrüsst die verschiedenen Charismen durchaus, oder akzeptiert sie zumindest, wie er auch im Bild des Leibes (12, 12-27) darstellt. Doch in spirituellen, selbstdarstellerischen Performances sieht er die Einheit und Entwicklung der messianischen Ekklesia gefährdet, die aus Juden und Nichtjüdinnen aufgebaut werden soll.

In unserem Text bringt Paulus Argumente, der prophetischen Rede Vorrang zu geben. Seine Argumente: Diese baut auf, ermutigt und tröstet. Sie ist keine Ich-bezogene Gabe wie die ekstatischen Gaben, die vor allem denjenigen nützen, die sie praktizieren. Er sorgt sich darum, dass Aussenstehende, die dazu stossen könnten, vom Gestammel und von ekstatisch zuckenden Leibern abgestossen werden könnten. Um solche Spaltungen und Kluften zu vermeiden, ist es ihm wichtig, dass die Reden einen Inhalt haben, der für alle verständlich ist und mit dem man sich auseinandersetzen kann.

Aspekte der Nachhaltigkeit

Was Paulus mit der messianischen Ekklesia anstrebt, ist nachhaltiger Gemeindeaufbau, der auf dem Grundsatz der Solidarität beruht. „Esoterische“ Praktiken schliessen per definitionem andere Menschen aus und schaffen spirituelle Klassengemeinschaften von mehr oder weniger Eingeweihten und Erleuchteten. Das widerspricht dem Grundsatz der Liebe bzw. der Solidarität, die Paulus als das höchste aller Güter betrachtet (1 Kor 13,13).

Denkimpulse für kircheninterne Prozesse

  • Wie steht es damit bei Gruppierungen innerhalb der eigenen Gemeinde? Gibt es solche, die sich als die Insider/innen betrachten und dies andere spüren lassen? Gibt es solche, die sich als die Rechtgläubigen demonstrieren und andere damit brüskieren?
  • Betrachten Sie Ihre Anlässe und Gruppen mit den Augen von Menschen, die einfach mal in Ihrer Gemeindevorbeischauen möchten. Wirken die Abläufe und Gewohnheiten für solche einladend oder eher abweisend?
  • Gibt es ein Gefälle, was informelle Macht anbelangt? Bekommen bestimmte Mitarbeiter/innen schneller an Informationen als andere? Behalten bestimmte Menschen wichtige Kenntnisse zurück?

Impulse für gesellschaftliche Prozesse

  • Auch ökologisches Bewusstsein kann zu einer Haltung der Überlegenheit führen, welche nicht mehr verhandelbar ist. Wer sich mit einer Aura „not guilty“ umhüllt, weil er oder sie z.B. vegan oder autofrei lebt, kann damit auf andere auch herablassend und abweisend wirken. Wie die prophetische Rede bei Paulus sollte auch diese Lebenspraxis aufbauen, ermutigen und trösten. Sie sollte freundlich ansteckend sein, die eigene Lebenspraxis kritisch zu überprüfen oder an Aktionen mitzumachen. Menschen, die sich für Frieden, Ökologie oder für Tiere engagieren, ecken auch an, erleben Grenzen des Machbaren oder müssen Rückfälle in Kauf nehmen. Impuls: Wo können stark engagierte Menschen auftanken und sich „trösten“ lassen? Wie finden Tierschützer/innen Trost, welche z.B. als Animals Angels Tiertransporte begleiten und vom Erlebten belastet sind?[1]
  • Das Prinzip der Solidarität ist auch da fern, wo ökologisches Bewusstsein nur noch ein privates Life-Style-Produkt ist. Die paulinischen Kriterien sind hier besonders wichtig: Eine Gemeinschaft, die den Anspruch hat, sich solidarisch aufzubauen, braucht Strukturen und eine Organisation, die über das Individuum hinausreichen. Hier können Kriterien diskutiert und umgesetzt werden.

Gen 3, 9-15

Die göttlichen Strafverordnungen zeigen den Ist-Zustand der Welt: Täuschung, Trennung, Hierarchie und Mühsal. In alles ist die Vergänglichkeit hineingewoben. In der Trennung zwischen Mann und Frau, Mensch und Tier, Mensch und Boden, Mensch und Gott wurzelt die Sehnsucht nach der verlorenen Einheit.Der Mensch aber macht die Kluft noch grösser, indem er andern die Schuld am Leiden zuweist. Sich über andere zu erheben, sie zu beherrschen und auszubeuten ist ein weiterer hoffnungsloserVersuch, die Angst vor der eigenen Vergänglichkeit und Ohnmacht zu besänftigen.

Impuls

Der englische Philosoph Francis Bacon (1561 -1626), einer der Gründungsväter der modernen Naturwissenschaft, markiert mit seiner Aussage, dass die Natur auf die Folter zu spannen sei, damit sie ihre Geheimnisse preisgebe, den Kulminationspunkt dieser Entwicklung. In welchen Bereichen finden wir diese Haltung heute? Wodurch und warum entsteht der Riss zwischen Mensch und Natur heute? Findet der Mensch zum grossen Schalom zurück, wenn er diesen Zwiespalt von Sehnsucht und Angst erkenntund überwindet?

Mk 3,20-35

In schmerzhafter Klarheit weist Jesus auf die Kluften und Risse in privatem wie staatlichem Leben hin. Gerade er, der von einem klaren Geist geführt ist, wird dämonisiert („Beelzebul“, „unreiner Geist“). Engagierte Tier– und Naturschützer/innen oder Friedensaktivist/innen erleben die spaltendeKraft oft deutlich: Sie werden angefeindet, für Spinner erklärt oder erleben Sanktionen.

Impuls

Die Friedensbewegung in Israel hat einen schweren Stand. Die Anzahl Soldat/innen, die aus ihrem belastenden Dienst in besetzten palästinensischem Gebiet erzählen, wächst.[2] Dennoch werden sie von vielen als Staatsfeinde und Nestbeschmutzer angesehen und auch von der eigenen Familie verstossen.

Indem Jesus seine Herkunftsfamilie zurückweist, macht er deutlich, dass Blutsbanden kein wesentliches Kriterium sind, wenn es um die messianische Gemeinschaft geht: Nur wer ihm auf dem Weg des Gottesreichs auf Erden folgt und das grosse Schalom sucht, gehört dazu.

2 Kor 4, 13 – 5

Strukturen in einer Gemeinschaft sind solidarisch, wenn sie von allen als sinnvoll, hoffnungsvoll und befreiend erfahren werden („denselben Geist des Glaubens“). Ökologische Lebenspraxis als individuelles Life-Style-Produktist wie Flugsand. „Ewig“ bzw. solide aufgebaut wird sie dort, wo Menschen sie von innen her als beseelend begreifenund viele sich damit vernetzen. Dieses Netz ist in einem gewissen Sinne unsichtbar.

Beispiel

In Bauernbetrieben, die das Tierwohl ins Zentrum stellen, wird die Kluft zwischen Tier und Mensch kleiner. Das Wohlsein der Tiere während ihrer kurzen Lebenszeit macht auch die Menschen glücklicher. Jedoch muss sich dies für den Bauernbetrieb auch vermarkten lassen. Gefragt sind die Konsument/innen, diese in wachsender Anzahl zu unterstützen, wenn sie denn nicht ganz auf Fleisch und tierische Produkte verzichten wollen.[3] Erst so kann ein starkes und wachsendes Netz entstehen, das die Entfremdung des Menschen zum Tier, aber auch zum eigenen Menschsein, etwas kleiner macht.

Sara Kocher, Zürich