Rogate / 6. Sonntag der Osterzeit / 5. Sonntag nach Ostern (01.05.16)

Rogate / 6. Sonntag der Osterzeit / 5. Sonntag nach Ostern


ev. Predigttext kath. 1. Lesung kath. 2. Lesung kath. Evangelium
1 Tim 2, 1-6a Apg 15, 1-2.22-29 Offb 21, 10-14.22-23 Joh 14, 23-29

Vor allem: Beten für einen nachhaltigen Frieden (Schalom)

Zum Text 1. Tim. 2, 1-6a

Mit dem Anspruch der Autorität des Apostels Paulus schreibt der Verfasser einen Brief (2. Jhdt. n.Chr.) an dessen engsten Mitarbeiter Timotheus und gibt Instruktionen für die Ordnung und das Leben in der Gemein­de (Ephesus?). Angesichts der unerfüllten Naherwartung richtet sich die Gemeinde - trotz aller Spannungen mit der römischen Herrschaft - im gesellschaftlichen Gefüge ein, durchaus auch unter Übernahme rechtli­cher, monarchistisch-hierarchischer Elemente der umgebenden Welt. Martin Dibelius nennt es ein „bürgerli­ches Christentum“.

Kirchenjahr und Predigtsituation

Der Sonntag Rogate, noch im Osterfestkreis, bietet die Chance, nach den Sonntagen Jubilate und Kantate die Hoffnung auf den Sieg des von Gott geschenkten neuen Lebens in den Alltag des Einzelnen, in das Le­ben der Gemeinde in der Welt zu übersetzen, verdichtet in der Gebetspraxis des gemeinsamen Lebens.

'Da hilft nur noch Beten', so begegnet oft eine Haltung empfundener Hilflosigkeit angesichts der bedrohlichen Nachrichten unserer Tage (Terror, Flüchtlingselend, Krisen und Gewalt). Andersherum gibt es die hoffnungs­lose Feststellung, dass alle Gebete doch nichts genützt haben, oder auch, dass Beten überhaupt lächerlich sei, man vielmehr etwas tun, den entscheidenden Knoten des unerträglichen Leidens (auch bei uns, den Zu­schauern) durchschlagen müsse. Allzu oft entlädt sich dies – auf allen Seiten – in kriegerischer und terroristi­scher Gewalt und deren Billigung (Mythos erlösender Gewalt, Walter Wink), verbunden mit hegemonialen, religiösen, ethnischen und wirtschaftlichen Ansprüchen oder einem Konglomerat aus alledem. Die grauen­vollen Folgen sehen wir täglich.

Das Gebet kann dazu missbraucht werden, sich von der als bedrohlich und krisenhaft wahrgenommenen Welt abzuschließen, damals wie heute. Die Schule des Gebetes ('nicht wir belehren Gott im Gebet, Er be­lehrt uns', Luther) kann aber genauso für die Welt öffnen, sie ins Gebet nehmen und dabei uns erkennen las­sen, aus welcher Freiheit und Hoffnung wir leben und so in der Welt wirken können, „dass allen Menschen geholfen werde“.

In dieser Zeit des Kirchenjahres liegen oft die Konfirmationen. So besteht die Chance, für die KonfirmandIn­nen (mit entsprechendem unterrichtlichen Vorlauf) im Nachdenken über das Gebet, insbesondere auch die Fürbitte, sowohl den tragenden Grund des Lebens als auch Perspektiven der Hoffnung in dieser unüber­sichtlichen Welt mit ihren Zwängen sichtbar werden zu lassen; am Leben und Sterben des „Mittlers“, „der sich selbst gegeben hat als Lösegeld“ für unsere Freiheit, kann dies verdeutlicht werden. - Eltern, Paten, die Konfirmationsgemeinde, sie alle können so - auf vielleicht unerwartete Weise - die Verbindung zwischen christlichem Glauben und Alltag neu wahrnehmen.

Beobachtungen zum Text

Auffällig ist die Häufung des Wortes 'alle'. Da mahnt Paulus Timotheus und die Gemeinde, vor allen Dingen zuerst zu bitten und zu beten, Fürbitte und Danksagung zu tun, und zwar für alle Menschen, die Regieren­den und alle, die Macht haben, eingeschlossen. Der tiefere Glaubensgrund für diese Ermahnung des Paulus ist, dass Gott alle Menschen retten will durch die Erkenntnis der Wahrheit. Und diese Wahrheit der Liebe Gottes hat einen Namen, den Namen Jesus Christus, der in der Konsequenz seines Weges gewaltloser Lie­be zu allen Menschen auch vor dem letzten Schritt nicht zurückgeschreckt ist; sein Weg zum Kreuz als Lö­segeld für alle, zur Freiheit aus Lieblosigkeit, aus dem Druck und den Ängsten der Gottlosigkeit.

„Wie Jesus Christus Gottes Zuspruch der Vergebung aller unserer Sünden ist, so und mit gleichem Ernst ist er auch Gottes kräftiger Anspruch auf unser ganzes Leben; durch ihn widerfährt uns frohe Befreiung aus den gottlosen Bindungen dieser Welt zu freiem, dankbarem Dienst an seinen Geschöpfen.“ (aus Barmen 2)

Grenzen werden so geöffnet, die Menschen setzen, Feindbilder außer Kraft gesetzt, Unterdrückung und Ausbeutung, die Plünderung der Lebensgrundlagen überwunden, alle, die ganze Schöpfung soll die Wahr­heit der Liebe Gottes erkennen können.

Das zweite Auffällige am Predigttext ist der politische Bezug des Gebetes. Im angemahnten Gebet für alle Menschen sind besonders die Könige und alle Obrigkeit, die Herrscher und alle die Macht haben, genannt. Gegenüber einer Tradition, das Gebet und auch den Glauben überhaupt als Sache des Einzelnen anzuse­hen ('Ich habe meinen Glauben'), ihn vom gesellschaftlichen Leben und der Politik abzutrennen, weitet der Verfasser mit seiner Aufforderung zum Gebet für alle den Horizont. Obrigkeit, Regierungen, die Mächtigen in Wirtschaft und Gesellschaft brauchen die Fürbitte, denn sie sind in besonderem Maße gefährdet, ihre Macht für höchst eigennüt­zige Zwecke zu missbrauchen und so Gottes Willen für alle Menschen zuwiderzuhandeln. Das Gebet für die Mächtigen ist so zum einen Ausdruck des Glaubens an Gottes Liebe zu allen Menschen, zum andern ist es der erste Schritt in die eigene politische Verantwortung, die aus dem Glauben folgt. Die Kirche, die Gemeinde „erinnert an Gottes Reich, an Gottes Gebot und Gerechtigkeit und damit an die Verantwortung der Regierenden und Regierten. Sie vertraut und gehorcht der Kraft des Wortes, durch das Gott alle Dinge trägt.“ (aus Barmen 5)

Mögliche Konkretionen

„Bitte, Gebet, Fürbitte und Danksagung für alle Menschen...“
„Gott will, dass allen Menschen geholfen werde...“

Je nach den örtlichen Gegebenheiten in der Gemeinde können hier ganz unterschiedliche Gruppen von Menschen in den Blick genommen, die vertrauten Gemeindekreise und Gewohnheiten überschritten werden:

  • die Flüchtlinge in der Nachbarschaft (Orte der Begegnung, Begleitung, Patenschaften, Sprachkurse, Gottesdienst „Für Fremde danken“, Kooperation mit und Inpflichtnahme der Kommune)
  • die der Gemeinde entschwundenen diakonischen Arbeitsfelder wahrnehmen und den Menschen in Armut Türen in die Gemeinde öffnen (Tafel, gemeinsamer Mittagstisch, gezielte Kinder- und Jugend­angebote, Familienangebote), der Umgang miteinander von verschiedenen Gruppen/Richtungen in der Gemeinde
  • über die erprobten ökumenischen Kontakte hinaus gemeinsam die vielfältig vorhandenen antiislami­schen Haltungen überwinden und interreligiöse Beziehungen aufbauen bzw. solche Erfahrungen im gemeindlichen Leben wachsen lassen (s. z.B. Charta Oecumenica 2003, „Ein gemeinsames Wort zwischen euch und uns“ von 138 muslimischen Gelehrten 2007)

Wo es Friedens-, Eine-Welt oder Umwelt-Gruppen gibt mit evtl. Partnerschaften bzw. Projekten, können ent­sprechende Engagements aufgenommen und/oder verstärkt werden:

  • Beteiligung an der friedensethischen Diskussion („Richte unsere Füße auf den Weg des Frie­dens“ Beschluss der badischen Landeskirche, Rüstungsexporte, Beteiligung an der jährlichen Ökumeni­schen Friedensdekade)
  • fairer Handel und die Eine Welt, Ernährung und nachhaltiger Konsum (Materialien bei Brot für die Welt), kleinbäuerliche oder großindustrielle Landwirtschaft, Schöpfungsgerechtigkeit und Umwelt­schutz, Wirtschaften für das Leben, ethisches Investment
  • Klimawandel und ökofaire Beschaffung, Erd-Charta, Zusammenarbeit mit Umweltorganisatio­nen, Enzyklika “Laudato Si - über die Sorge für das gemeinsame Haus”

 

Der Tröster, der Heilige Geist – die nachhaltige Gegenwart Gottes

Gedankensplitter zum Text Joh. 14, 23-29

Unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit stelle ich die Verse 26 und 27 ins Zentrum der Betrachtung, wie Gottes Nähe, der Heilige Geist bleibt, tröstet, stärkt und erinnert an die Liebe und den Frieden Christi.

Beim Sonntag Rogate geht es genauso um unsere Gebets-, unsere Glaubensnot. Auch Paulus weiß darum und tröstet wie Jesus in seiner Abschiedsrede: "der Geist Gottes selbst vertritt uns mit unaussprechlichem Seuf­zen" (Rö 8, 26).

Gottes Friede, verankert im noachitischen Bund mit der gesamten Schöpfung (Gen. 8+9), im Bundesschluss mit Israel, in der Verheißung eines umfassenden Friedens (Schalom) (z.B. Jes. 11), uns zugesagt seit der Geburt Jesu, erfahren in der Begegnung mit Jesus Christus, dieser Friede Gottes, der alle menschliche Ver­nunft übersteigt, wird uns durch den Heiligen Geist immer wieder neu in Erinnerung gerufen, wird entfaltet in sei­ner aktuellen Bedeutung, überprüft daran, wie Jesus aus diesem Frieden gelebt, was er dazu gelehrt hat.

Der Friede Christi ist zugesagt, nicht sogenannte humanitäre Interventionen, die geopolitische und wirt­schaftliche Interessen oft nur verschleiern, nicht Waffen für den Frieden, nicht die Verwechslung von Sicher­heit und Frieden, die 'unseren' Frieden, sprich: unseren Lebensstil mit Abschottung,  Ressourcenplünderung und Klimawandel, mit wirtschaftlicher Ausbeutung und Flüchtlingsnot sichert.

Der Heilige Geist ist nicht nur Tröster, er lehrt also auch, schärft die Gewissen in der Unterscheidung zwi­schen dem Frieden, „wie die Welt gibt“, und dem Frieden Gottes, wie ihn Jesus Christus gelebt und gebracht hat und der unter der Verheißung seiner Wiederkunft und damit der Vollendung steht.

Im Blick auf mögliche Konkretionen verweise ich auf die Anregungen zum vorigen Text.

Dr. R. Schmeer

Literaturhinweis:

Walter Wink „Verwandlung der Mächte. Eine Theologie der Gewaltfreiheit“ die deutsche Übersetzung von „The Powers that Be“ (1999), der Summe seiner Powers-Trilogie, in der er seine Vorstellung einer aktiven Gewaltlosigkeit als den dritten Weg zwischen Passivität und Gewalteinsatz erläutert, den Jesus gelehrt und gelebt habe, Regensburg 2014