Erntedankfest / 19. Sonntag nach Trinitatis / 27. Sonntag im Jahreskreis
ev. Predigttext | kath. 1. Lesung | kath. 2. Lesung | kath. Evangelium |
19. So.: Eph 4, 22-32 Erntedank: 2 Kor 9, 6-15 |
Hab 1, 2-3; 2, 2-4 | 2 Tim 1, 6-8.13-14 | Lk 17, 5-10 |
1. Stellung im Kirchenjahr
Das Erntedankfest ist eines der markanten Feste im Kirchenjahr. Sozusagen das ‚Nachhaltigkeits-Fest’ überhaupt, wenn es so eines geben mag.
Traditionell steht im Vordergrund der Dank für die Gaben der Ernte und damit verbunden der Dank an den, der diese Gaben wachsen lässt. Deutlich muss freilich sein, dass im städtischen Kontext beim Durchschnitt der Bevölkerung bzw. der Gottesdienstbesucher das Thema nicht mehr so deutlich vor Augen steht wie vor einem ländlichen Hintergrund. Einerseits widerspricht das von der Werbung und bestimmten Produkten vermittelte Bild von Nahrungsmittelproduktion vielem, was in Landwirtschaft passiert, andererseits ist mittlerweile hinlänglich klar, dass nur noch wenige Menschen einen unmittelbaren Bezug zum Wachsen und Gedeihen von Lebens-Gütern haben.
„Wir pflügen und wir streuen den Samen auf das Land, doch Wachstum und Gedeihen steht in des Himmels Hand.“, so beginnt ein „Klassiker“ der Lieder zum Erntedank (EG 508).
Doch wer von uns Menschen des 21. Jahrhunderts hat diese Erfahrung jemals schon gemacht: wir pflügen und wir streuen?
Was zu Zeiten des Dichters Matthias Claudius noch für viele Menschen selbstverständlich war, ist heute weit weg vom Alltag der Menschen. Selbst in der Landwirtschaft ist die Aussaat ein hoch technisierter Vorgang – von Hand gestreut wird der Samen schon lange nicht mehr – außer im Gemüsegarten und Blumenbeet. In Kinderbibeln oder auf Bildern wie dem bekannten Gemälde des Vincent van Gogh begegnet uns der Sämann noch, der mit der Hand den Samen ausstreut. Bei vielen ruft dieses Bild Vorstellungen eines idyllischen Landlebens hervor, das es heute so nicht mehr gibt – und eigentlich auch nie gegeben hat.
Wer das Feld pflügt und den Samen aussät - und dann angewiesen ist auf das Wechselspiel von Sonne und Regen, der weiß, dass es nicht selbstverständlich ist, dass wir Tag für Tag genug zum Essen und zum Leben haben. Der Dank für die gute Ernte, für genug Mittel zum Leben – Lebensmittel – das ist ein wichtiger Moment im Leben der Gemeinschaft. Es geht gerade im Blick auf die Gegenwart und Zukunft der Versammelten aber nicht nur um einmaligen Dank, sondern um eine Lebenshaltung, die vom Dank geprägt ist.
In den letzten Jahren ist sicher vielerorts in die Predigtanregungen bzw. Predigten der Gedanke der ökologischen Bewahrung der Schöpfung gerückt. Hier gerät dann oft in Vergessenheit, dass diese Bewahrung nicht an uns Menschen allein liegt, sondern – um wieder auf den Anfang zurückzukommen – an dem, der alles zunächst wachsen lässt.
Alleinverantwortung nein, aber Verantwortung durchaus ja.
2. Texte des Sonntags
Der evang. Predigttext in 2. Kor. 9 ist speziell dem Erntedanktag zugeordnet und steht auf den zweiten Blick auch in engem Bezug zu diesen Gedankengängen, obwohl man auf den ersten Blick meinen möchte, eine Kollektensammlung der Antike habe mit dem modernen Erntedankfest und dem Thema Nachhaltigkeit zu tun (s. dazu unten).
Die katholischen Lesungen des 27. Sonntags im Jahreskreis in Hab 1f sowie 2. Tim 1 und das kath. Evangelium in Lk 17 stellen sich demgegenüber eher quer und können von daher auch nicht explizit einbezogen werden.
3. Exegetische Überlegungen zu 2. Kor 9
Kapitel 9 stellt innerhalb des komplexen 2. Korintherbriefs die zweite Erwähnung und Ausführung der Kollekte dar. Es handelt sich hierbei um die Kollekte, die der Apostel Paulus im Anschluss an die Beschlüsse des Aposteldekrets in den Gemeinden Mazedoniens gesammelt hat.
Der 2. Korintherbrief zeugt bekanntlich von den Auseinandersetzungen des Apostels über die Legitimität seines Apostolats mit der Gemeinde in Korinth. Sie finden ihren literarischen Niederschlag vor allem in Kap 10–13, dem Verteidigungsbrief des paulinischen Apostolats gegenüber den falschen Aposteln. Der 2 Kor wurde offensichtlich durch einen Bearbeiter redigiert und in seine jetzige Form gebracht. Dabei wurde der versöhnliche Teil nach der Aussprache mit der Gemeinde (und dem Wirken des Paulusmitarbeiters Titus?) als erster Briefteil vorangestellt in Kap. 1–7 (andere Forscher sehen in diesem Teil die Vorbereitung des Versöhnungsbesuchs), auch um einen Ausgangspunkt für die Ausführungen über die Kollekte zuschaffen. Das vorliegende Kapitel 9 wird wohl ein ursprünglich selbständiger Brief des Paulus zu diesem Thema gewesen sein. Im Vordergrund steht hier das große Thema Dank, das eingebunden ist in einen theologisch-zyklischen Aufbau:
„Die Dynamik des gesamten Geschehens drängt in einer kreisförmigen Bewegung zu ihrem Ursprungsort zurück … Von Gott ist Gnade, Charis, übergeströmt auf die Korinther; diese geschenkte Fülle hat sich in ihr Helfen hinein ausgewirkt, die Adressaten richten ihren überströmenden Dank, ihre Eucharistie, an Gott, und das führt letztlich dazu, dass Segen auf den missionarischen Unternehmungen des Paulus ruht.“ (H.-J. Klauck, 2. Korintherbrief, Würzburg 1988, 75 , NEB 8)
4. Nachhaltigkeit: Theologische Impulse
Die Nachhaltigkeit für die christliche Gemeinschaft ist das, was hinter der Sammlung dieser Kollekte unter den heidenchristlichen Gemeinden Griechenlands für die judenchristliche Gemeinde in Jerusalem steht: Nachhaltigkeit ergibt sich theologisch und ekklesiologisch dadurch, dass aus dem Segen Gottes heraus den Gemeinden immer neu Segen gegeben wird, dieser wirkt sich in den Gemeinden derart aus, dass wiederum Segen wirkt und führt so zu Lob und Dank an Gott als grundsätzlicher Lebenshaltung. Geben – Segen – Dank, das sind die für die christliche Gemeinde grundlegenden und kennzeichnenden Lebens-Mittel. Es gibt nicht eines ohne das andere. Alles, was ist, geht aus, von dem der gibt, Gott selbst, und kehrt im Dank zu ihm zurück.
Wichtig sind in diesem Zusammenhang die paulinischen Begriffe aus V. 12, die im Griechischen die Wörter Diakonia, Leiturgia und das Verb ‚überfließen, weiterwirken’ (persiseuso) in einen Zusammenhang stellen, der deutlich macht, dass die Leistungen der christlichen Gemeinde untereinander auch im Blick auf den Gottesdienst, also auch die gottesdienstliche Feier am Erntedanktag (!), Leistungen im Sinne Gottes („Gottes-Dienst“) sind. Nachhaltigkeit hat also nicht nur den bekannten ökologischen Aspekt, für den am Erntedanktag keine weiteren Anregungen gegeben werden müssen, weil sie auf der Hand liegen. Nachhaltigkeit erstreckt sich auch auf die Liturgie. Wenn der Begriff des Überfliessens und Weiterwirkens aufgenommen wird, können daraus auch kybernetische Überlegungen abgeleitet werden:
Weiterwirken und überfließen können die Gaben nur, wenn nicht nur mit der Kollekte nachhaltig umgegangen wird, sondern vor allem auch mit denen, die die Kollekte sammeln, d.h. aber übertragen mit allen, die in den Kirchengemeinden mitarbeiten und ihren Dienst tun, hauptamtlich oder ehrenamtlich.
Dazu könnte man das Bild eines Brunnens verwenden, bei dem das Wasser von einer Schale in die nächste überfließt (s.u. Drei-Schalen-Brunnen). Wenn das Wasser aus der obersten Schale zu schnell ausgegossen wird, dann bleibt nichts mehr zum ‚Überfließen’ in die nächsten Schalen übrig, das Wasser ist ‚er-schöpft’, der Überfluss des Segens kommt zum erliegen. Statt Nachhaltigkeit herrscht Einmaligkeit.
Der zyklische Grundgedanke des Predigttextes bietet von daher die Möglichkeit, den Fluss des Segens und des Dankes an diesem Erntedankfest einmal nicht nur in Richtung Ökologie und Bewahrung der Schöpfung auszuführen, sondern auch im Blick auf die Liturgie, also die Nachhaltigkeit des gottesdienstlichen Feierns und im Blick auf die Kybernetik, also die nachhaltige Leitung und Bewahrung der Gemeinde und ihrer Mitarbeiter.
Ute Schorn