6. Sonntag nach Trinitatis / 14. Sonntag im Jahreskreis (03.07.16)

6. Sonntag nach Trinitatis / 14. Sonntag im Jahreskreis


ev. Predigttext kath. 1. Lesung kath. 2. Lesung kath. Evangelium
Röm 6, 3-8 (9-11) Jes 66, 10-14c Gal 6, 14-18 Lk 10, 1-12.17-20

Vorbemerkung

Ich habe mich entschieden, die folgenden drei Texte zu besprechen. Der Lesungstext Jesaja 66,10-14c  (unbedingt im Zusammenhang des gesamten Kapitels) würde eine ausführliche, feinmaschige und  kritische Diskussion erfordern, die den Rahmen dieser Veröffentlichung sprengt. Deshalb verzichte ich hier auf eine Besprechung.
Die Texte handeln von der Befreiung und der Freiheit eines Christenmenschen:

  • der Befreiung von Sünde und Zwängen,
  • der Befreiung zu eigener Würde und der Freiheit, die Würde der anderen zu achten,
  •  der Freiheit zur Verantwortung, zu Frieden und Versöhnung

Röm. 6, 3-11

Der Sünde gestorben – leben für Gerechtigkeit

Mit den bösen Worten: „Du bist für mich gestorben!“ wurde schon so manche Beziehung beendet. Hier ist es umgekehrt „Für dich bin ich gestorben!“ sollen die Christen zur Sünde sagen. Sie sollen alle Brücken zu ihr abbrechen und aufbrechen in das Land jenseits von Tod und Auferstehung Christi. Durch die Zugehörigkeit zu Christus - so Paulus – ist man der Sünde gestorben. Die Sünde hat also kein Recht mehr an uns. Sie kann keine Forderungen mehr an uns stellen. Wir können ein völlig neues und unbelastetes Leben anfangen. Wir wechseln in einen neuen Herrschaftsbereich, wir wandern sozusagen aus dem Land der Sünde aus in das Land der Gerechtigkeit Gottes.

Das Land der Gerechtigkeit Gottes ist überall

Solche oder ähnliche Gedanken haben bis heute Menschen dazu gebracht, tatsächlich alles hinter sich zu lassen und sich auf den ungewissen Weg in ein neues, fremdes Land zu machen – auf der Suche nach Gerechtigkeit, Frieden, Sicherheit, Freiheit, Leben. Paulus zufolge müssen wir hierfür nicht umziehen. Das Land der Gerechtigkeit Gottes ist global. Es ist überall, wo Menschen diese Gerechtigkeit leben. Es ist überall, wo alle Geschöpfe Gottes diese Gerechtigkeit erfahren. Dies erfordert Mut zur Veränderung ; und daran hapert es. Dies erfordert die Bereitschaft, auch unbequeme Wege zu gehen. Auch daran hapert es.

Komfort im Land der Sünde

Und so heizen wir immer noch das Klima auf, zerstören wir immer noch Lebensräume, vergiften wir immer noch Wasser, Erde und Luft. Es ist ja so bequem im alten Land der Sünde. Da weiß man, was man hat: Kaufen und Verbrauchen bis der Müllmann kommt: Elektrogeräte, Unterhaltungselektronik, Möbel, Klamotten, Schuhe, Autos... - immer das Neuste, immer das Schickeste – falls man nicht zu denen gehört, die von den übrigen Brocken der Konsumgesellschaft leben müssen.  Es bräuchte drei Erden, wenn alle Menschen auf unserem Verschwendungsniveau leben würden. Unser ökologischer Fußabdruck ist viel zu hoch. Wir müssen unseren Ressourcenverbrauch drastisch senken – in Deutschland um ca.  70 % !

Miteinander teilen

Völlig unbelastet neu anfangen im Land der Gerechtigkeit, in in dem Teilen (auch und gerade  mit denen, die nichts haben) noch eine Herzensangelegenheit ist und kein Geschäft oder Kalkül oder eine Funktion bei Facebook – das wäre schön. In der Feier des Abendmahls können wir dies erspüren. Daher an dieser Stelle – als Materialbaustein – ein Dankgebet:

An Deinem Tisch, guter Gott, hast Du uns gelehrt, zu leben.
Brot und Wein sind Gaben Deiner Schöpfung, die uns erhält und trägt.
Brot und Wein sind Zeichen der Liebe, die Jesus Christus und vorgelebt hat.
Brot und Wein sind Zeichen Deines Leben spendenden, stärkenden Geistes.
So wie wir Brot und Wein an Deinem Tisch geteilt haben,
können wir auch alles andere miteinander teilen:
Die Luft zum Atmen, die Güter der Erde,
unsere Zeit, unsere Sorgen, unser Glück,
unseren Glauben, Liebe und Zärtlichkeit.
Bleibe bei uns mit Deinem Geist,
der Herzen verwandelt und alles Leben miteinander verbindet.
Amen

Gal. 6, (11-13) 14-18

Die alten Zwänge gelten nicht mehr

Der katholische Lesungstext knüpft thematisch an den evangelischen Predigttext an:

In der Auseinandersetzung mit Teilen der christlichen Gemeinde lehnt Paulus die Beschneidung als Voraussetzung der Mitgliedschaft in der christlichen Gemeinde nach dem Vorbild der jüdischen Mutterreligion kategorisch ab. Sein Argument: In Christus ist jeder eine neue Kreatur. Er lebt ein neues Leben, in dem die alten Zwänge und Wertigkeiten nicht mehr gelten z.B. der Zwang zur Beschneidung und deren religiöse Bewertung.

Traditionen – lebensachtend oder lebensverachtend?

Es gibt heute unter liberalen Juden viele, die die Beschneidung von Kindern (also ohne deren Einverständnis) entschieden ablehnen. Es gibt in allen Religionen und gesellschaftlichen Ideologien  Strömungen, in denen durch religiöse bzw. gesellschaftliche Vorschriften und deren Kontrolle Macht über andere gewonnen werden soll. Es geht daher im Folgenden nicht darum, eine bestimmte Religion gegenüber anderen generell abzuwerten. Es geht vielmehr darum, religiöse Traditionen – auch unsere eigenen – dahingehend zu bewerten, ob sie Mensch, Kreatur und Leben nicht nur in der Theorie sondern auch in der Praxis achten. Tun sie dies nicht, gehören sie bestenfalls ins Museum.

Beispiele

Zu diesen Traditionen gehört eindeutig die Genitalverstümmelung von Mädchen und Frauen, die mit aller Konsequenz weltweit bekämpft werden muss. Dazu gehört die Praxis patriarchalischer Gesellschaften und Milieus, Frauen  bestimmte Kleidung oder Frisuren aufzuzwingen. Ein Gesprächspartner aus der evangelikalen Ecke fand das übrigens „nicht schlimm“ ! Dazu gehört meiner Meinung nach auch das  betäubungslose Schächten. Dazu gehört nach meiner Ansicht auch der Ausschluss von Frauen und nicht zölibatär lebenden Männern vom Priesteramt.

Solche Dinge haben sich im übrigen längst von der Religion gelöst und tauchen säkular verwandelt wieder auf. Wenn jemand dazugehören möchte, dann muss er/ sie so manches tun mit sich und seinem Körper: Tattoos, Piercing, bestimmte Klamotten, Fankleidung, Frisuren, Nerd-Brillen und Nerd-Bärte, Botox, Schmiss.  Auf der  Webseite einer Bank sehe ich ein Gruppenfoto der Auszubildenden – eingekleidet wie Novizen des heiligen Ordens der Banker. Schlimm daran sind nicht die Dinge und Praktiken selbst (solange sie nur einem selbst betreffen) – die sind Geschmackssache. Schlimm ist der offene oder subtile Druck, der ausgeübt wird: „Nur wenn du.....dann darfst du zu uns gehören.“

Befreit zur Verantwortung

Als neue Kreatur sind wir frei, aber nicht frei von Verantwortung. Im Gegenteil: Wir sind befreit, Verantwortung zu übernehmen für das Leben und die Würde aller Kreaturen.

Lukas 9, 51-62

Jesu Reaktion auf Zurückweisung

Auf dem Weg nach Jerusalem durchqueren Jesus und seine Jünger das Gebiet der Samaritaner.  Als die Bewohner eines samaritanischen Dorfes ihnen die Gastfreundschaft verweigern, sind Jakobus und Johannes zornig und wollen „Feuer vom Himmel“ ( vgl. 2.Kön. 1, 10.12 ) über sie wünschen. Jesus weist sie zurecht und geht.

Gewalt – die Enkelin der Angst

Verschiedene Länder, verschiedene  Religionsgemeinschaften, gegenseitiges Misstrauen, Empfindlichkeiten, Gekränktheiten, Drohungen, Verwünschungen, Gewalt liegt in der Luft. Aus dem gleichen Grund wird heute weltweit tatsächlich und handgreiflich viel Gewalt ausgeübt: z.B. im nahen Osten, in Afrika, in Indien, in Indonesien – und manchmal mitten in Europa – z.B. wenn junge Muslime sich und ihren Propheten von Karikaturisten beleidigt sehen oder Neonazis türkischstämmige Mitbürger ermorden. Verschiedenheit, (scheinbare und tatsächliche) Fremdheit macht vielen Menschen Angst;  Angst gebiert Hass; und Hass gebiert Gewalt. Deshalb  erschießt in den USA ein Weißer farbiger Christen in ihrer Kirche. Deshalb  zünden sunnitische Muslime schiitische Moscheen an, schießen Palästinenser Raketen auf jüdische Siedlungen, riegelt Israel den Gaza-Streifen ab.

Jesus verhindert die Gewaltexplosion, indem er einfach weitergeht. Wir erfahren nicht, ob er gekränkt ist oder beleidigt. Es scheint keine Rolle zu spielen. Vielleicht ist dies das Entscheidende: Solche Befindlichkeiten dürfen auch für uns keine Rolle spielen, dürfen nicht als Rechtfertigung von Gewalt dienen – nicht im Umgang zwischen Menschen, nicht im Umgang zwischen Staaten oder Organisationen.

Dies ist zumindest ein erster Schritt auf dem langen Weg zu Frieden und Versöhnung.

Heike Krebs