11. Sonntag nach Trinitatis / 19. Sonntag im Jahreskreis
ev. Predigttext | kath. 1. Lesung | kath. 2. Lesung | kath. Evangelium |
Eph 2, 4-10 | Weish 18, 6-9 | Hebr 11, 1-2.8-19 | Lk 12, 32-48 |
Der Charakter des Sonntags
„Gott widersteht den Hochmütigen, aber den Demütigen gibt er Gnade.“ Der Wochenspruch für den 11. Sonntag nach Trinitatis aus 1. Petrus 5,5b zeigt an, worum es an diesem Sonntag geht: um das Gnadenhandeln Gottes an Mensch und Welt.
Ganz ähnlich auch die Hinführung zum 19. Sonntag im Jahreskreis nach der Leseordnung C im Schott-Messbuch: „Wach sein heißt wissen, was geschieht, und bereit sein für das, was kommt; in Treue der Gegenwart dienen, im Glauben die Zukunft wagen. Wenn die Herde schläft, muss der Hirt wachen, um die Gefahr abzuwehren, aber auch um die Zeichen der Hoffnung zu sehen, um Wege in die Zukunft zu suchen.“
Vertrauen auf Gott, der selbstkritische Blick auf das eigene Handeln und mutige Schritte in die Zukunft stehen im Mittelpunkt des Sonntags und seiner Lesungen.
Neue Wege in die Zukunft wagen: Leben aus der Gnade und nachhaltiges Handeln
Die Menschheit, so kritisiert Papst Franziskus in seiner Umwelt-Enzyklika „Laudato Si“, handle so, als sei sie „Besitzer und Herrscher“ der Natur. Das Wohl der Mitgeschöpfe werde auf diese Weise technologischem Fortschritt und wirtschaftlichem Erfolg untergeordnet. Franziskus ruft daher zur Umkehr und zu einem neuen Lebensstil auf, der von Respekt vor den Mitgeschöpfen geprägt ist und dem Leitmotiv der Mäßigung und nicht des Wachstums folgt.
Eingespielte Lebensgewohnheiten zu verändern ist schwer, Mäßigung –auch im individuellen Konsum – wird von vielen als Einschränkung von Lebensqualität verstanden. Die Lesungen des heutigen Sonntags geben in unterschiedlicher Weise Gelegenheit, über den Hochmut einer Wachstumsgesellschaft nachzudenken, mit wachem Auge wahrzunehmen, welche Folgen unser gegenwärtiges Leben und Wirtschaften hat und mutig nach Alternativen zu suchen.
Umkehr und Neuanfang, auch wenn sie mit Verzicht verbunden zu sein scheinen, sind möglich, wo Menschen auf Gott und seine Gnade und Führung vertrauen!
Die Texte im Einzelnen
Eph 2,4-10
Die Worte sind an die heidenchristliche Gemeinde in Ephesus gerichtet. Der Apostel macht deutlich, dass Gottes Gnade und Barmherzigkeit in Christus Jesus allen Menschen gilt, egal ob sie vor ihrer Taufe die Gebote des Ersten Bundes befolgt haben oder nicht. Der Glaube, so betont er, ist allein Gottes Gabe, die er allein aus Gnade und Barmherzigkeit schenkt.
Die Werke der Menschen haben für den Weg zum Glauben keine Bedeutung. Bemerkenswert ist die klare Unterscheidung von Werk Gottes und Werk der Menschen im Schlussteil des Textes: Der Glaube ist Gottes Werk allein, aber dieses Geschenk der Gnade richtet sich an Menschen, die ebenso Gottes Werk sind. Das erinnert an die ältere der beiden Schöpfungserzählungen „Denn du bist Erde und sollst zu Erde werden“ (1. Mose/Gen 3,19). Wir sind Geschöpfe unter Mitgeschöpfen, „Leben, das leben will, inmitten von Leben, das auch leben will“, die der Arzt und Theologe Albert Schweitzer es formuliert.
Wenn das Werk dieser Mitgeschöpfe sich gegen das Leben der Mitgeschöpfe richtet, dann dient dies sicher nicht dem Ruhm des Schöpfers, dann zeigt sich darin nicht der „überschwängliche Reichtum seiner Gnade“.
Für den Menschen, der sich im Glauben als Werk Gottes erkennt, haben die eigenen Werke daher schließlich doch Bedeutung: Leben im Glauben, das bedeutet die guten Werke Gottes umzusetzen, die Gott und zu denen uns Gott zuvor bereitet hat, wie der Apostel sagt. Hier ist Platz für Franziskus‘ Ruf zur Umkehr zu einem neuen, respektvollen Lebensstil!
Weisheit 18,6-9
Ich würde die Lesung bereits mit Vers 5 beginnen lassen, damit deutlich wird, dass es sich hierbei um das Exodus-Geschehen handelt. Nüchtern betrachtet, werden hier schreckliche Ereignisse erzählt: Zunächst töten die Ägypter die männlichen Kinder der israelischen Zwangsarbeiter, dann vernichtet Gott selbst die Kinder und schließlich auch das Heer der Ägypter.
Aus einer Perspektive der Nachhaltigkeit sind folgende Aspekte von Interesse:
1) Für die Isrealiten stellt sich die Situation in Ägypten als völlig perspektivlos dar. Wer gegen das System der Zwangsarbeit aufbegehrt hat mit Strafe und mit noch härterer Arbeit zu rechnen. Die Menschen müssen das nach dem ersten Aufbegehren von Mose und Aaron unsanft erfahren (vgl. 2. Mose/Ex 5). Es sind zunächst wenige, die nicht bereit sind, sich mit dem status quo abzufinden – business as usual zu betreiben – und nach Veränderung streben. Doch ihre Hoffnung ist ansteckend, ihr Vertrauen wird belohnt.
2) Dem Pharao und seinen Amtsleuten, ja auch dem ganzen Volk wird nach all den Aufständen immer mehr vor Augen gestanden haben, dass das bestehende System nicht mehr lange aufrecht zu erhalten ist. Doch trotz aller Unruhe sind sie nicht bereit, die Privilegien aufzugeben, die sie durch dieses Unrechtssystem haben. Die Berichte über die neun ersten Plagen (2. Mose/Ex 7-10) lassen sich durchaus auch als ökologische Katastrophen lesen, die durch dieses Unrechtssystem hervorgebracht werden.
Es braucht die Eskalation bis zum Letzten, damit die Ägypter den Systemwechsel vollziehen und die Zwangsarbeiter ziehen lassen. Und auch diese Bereitschaft ist zunächst nicht von Dauer: Sobald die akute Bedrohung vorbei ist und Israeliten aus dem Blick sind, bereut der Pharao sein Handeln und schickt das Heer hinterher – das alte System begehrt noch einmal auf, bevor es im Schilfmeer versinkt.
3) Ein Aspekt, der in den Versen aus dem Weisheitsbuch deutlicher zum Tragen kommt als in der Exodus-Erzählung selbst: Obwohl sie bereits am Systemwechsel – oder hier: am Ausbruch aus dem Unterdrückungssystem – arbeiteten, hatten die Israeliten „an denselben Gütern und denselben Gefahren teil“ wie die Ägypter. Ein neuer Lebensstil, eine neue Art und Weise des Wirtschaftens entstehen nur selten in einem revolutionären Akt, sie bereiten sich vor – in kleinen Gemeinschaften, in Think-Tanks, in Urban Gardening Projekten, Repair-Cafés in nachbarschaftlicher Hilfe…
Hebr 11,1-2.8-19
Aufbrechen, das Unmögliche Wagen – diese Aspekte ziehen sich wie ein Leitmotiv durch die „Wolke von Zeugen“, die das elfte Kapitel des Hebräerbriefs als Väter und Mütter des Glaubens benennt.
In allen drei Themenfeldern des Konziliaren Prozess „Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung“ engagieren sich Christinnen und Christen zum Teil seit vielen Jahren für eine „bessere“, lebenswertere Welt. Rückschläge können sie alle aufzählen – egal, ob sie sich für weltweite Gerechtigkeit, den Frieden oder einen respektvollen Umgang mit den Mitgeschöpfen engagieren. Ihr Engagement ist gegründet in dem Glauben an einen neuen Himmel und eine neue Erde nach Gottes Verheißung (2. Petr 3,13). Die biblischen Bilder, die von dieser zukünftigen Welt sprechen, sind stets geprägt von einem friedvollen, gerechten Miteinander aller Kreatur. Der Glaube daran, dass letztendlich Gott selbst es ist, der diese Zukunft verheißen hat und auch heraufführen will, lässt Christinnen und Christen an dieser Zuversicht festhalten – trotz aller Widerstände und Rückschläge.
Lk 12,32-48
Die vorgeschlagene Lesung umfasst mehrere Jesus-Logien (v.32, v.33f, v.35ff), wobei sich um das letzte Logion noch erläuternde Passagen (v.39f, v.41ff) legen. Verbindendes Motiv ist die Vorbereitung der Gemeinde auf das kommende Reich.
Indem die Leseordnung mit v.32 einsetzt, markiert sie die Perspektive, unter der sie die folgenden Verse verstanden wissen will: Der Blick in die Zukunft soll von der Hoffnung und Zuversicht des Reiches Gottes geprägt sein, Furcht vor der Zukunft ist der christlichen Berufung nicht angemessen!
Vertrauen und die Zuversicht, dass Gott die Zukunft der Welt in der Hand hält, sollten daher auch hier die Auslegung bestimmen. Unter dieser Dominante des Vertrauens und der Zuversicht können die Unsicherheiten ausgehalten werden, die sich mit dem Blick in die Zukunft verbinden: Wann und wie kommt das Reich Gottes – das würden die Jünger immer wieder gerne wissen. Jesus verweigert regelmäßig eine klare Antwort auf diese Frage und mahnt stattdessen zur Wachsamkeit. „Kann es überhaupt noch gelingen, den Klimawandel zu begrenzen?“, „Was geschieht, wenn die Erderwärmung über die 2,5 Grad hinaus geht?“ – diese Fragen treiben heute viele um, die sich mit den Herausforderungen des Klimawandels beschäftigen. Die Tatsache, dass es auch hier keine verlässlichen Antworten, sondern nur Plausibilitäts-Szenarien und Prognosen gibt, verleitet viele dazu, an den eingeübten Handlungs- und Lebensweisen festzuhalten.
Die Predigt kann hier einen deutlichen Kontrapunkt setzen: „Wie die Jünger nicht wussten, wann und wie das Reich Gottes anbricht (und ob sie das dann noch erleben), so wissen auch wir heute nicht mit letzter Sicherheit, ob wir den Klimawandeln noch angemessen begrenzen können. Das ist aber keine Entschuldigung, um sorglos weiter so zu leben wie bisher. Jesu Ruf zur Wachsamkeit gilt vielmehr auch heute: Seid wachsam und tut alles, was in eurer Macht steht, um Verantwortung zu übernehmen und am Ende Rechenschaft zu geben!“
Der Dialog zwischen Jesus und Petrus über den klugen Verwalter kann dann dazu dienen, die Verantwortung heute näher zu definieren. Im Verhältnis zwischen Mensch und Mitwelt ruft das Bild des Verwalters ja unmittelbar das Bild des Menschen als Statthalter Gottes auf Erden in Erinnerung (1. Mose/Gen 1,27f): Wenn der Mensch als Ebenbild Gottes über die anderen Geschöpfe herrschen soll, dann ist dieser Herrschaftsauftrag ganz analog zu verstehen wie das Handeln des treuen und klugen Verwalters, der in Abwesenheit seines Herren dennoch verantwortlich mit den Knechten und Mägden umgeht.
Liedvorschlag: Herr, die Erde ist gesegnet, Ev. Gesangbuch Nr. 512
Dr. Wolfgang Schürger, München