3. Adventsonntag (15.12.13)

WĂŒstenerfahrung

3. Advent 2013

Im Letzten gehalten: Der Mehrwert jĂŒdisch-christlicher Glaubenshoffnung 

ev. Predigttext kath. 1. Lesung kath. 2. Lesung kath. Evangelium
Offb 3, 1-6 Jes 35, 1-6a.10 Jak 5, 7-10 Mt 11, 2-11

 

WĂŒstenerfahrungDer Verfasser betrachtet zwei Predigtperikopen der katholischen Leseordnung. Als Stichworte zur Nachhaltigkeit bietet er an: Die Zukunft beginnt im konkreten Moment, ist abhĂ€ngig von unserer Deutung und hoffnungsvollen Lebenseinstellung und steht im Zeichen des erlösenden Eschatons. Der Sinn des Lebens kann durch unertrĂ€gliche UmstĂ€nde zutiefst in Frage gestellt werden, kann sich in diesen aber auch konkretisieren und verdichten. Die Nachhaltigkeit einer hoffend-glaubenden Haltung zeigt sich nicht (nur) im blĂŒhenden Land, sondern bewĂ€hrt sich zuweilen in den WĂŒstenerfahrungen des Lebens. Dabei lĂ€sst sich die frohe Botschaft im Letzten nicht aufhalten.

 

Stellung im Kirchenjahr

Dieser Sonntag liegt in der Zeit zwischen Advent und Weihnachten. Die ausgelegten Texte stehen quer zur vorweihnachtlichen Freude der genau datierten Erwartung und begreifen Glaubenshoffnung grundsÀtzlich.

 

Jesaja 35, 1-6a.10

Exegetische Hinweise

Das vorliegende Kapitel aus dem biblischen Buch Jesaja schließt die lange Reihe der so genannten „Wehe-Rufe“ des Propheten, die sich seit Kapitel 28 erstreckten, ab. Den Schlussakkord jedoch bildet der hoffnungsvolle Ausblick auf „Wiederherstellung“ des gottgewollten Heilszustandes. Dieser tiefe Kontrast bildet den literarischen Hintergrund der heutigen Lesung.

 

Predigtlinien

Wasser und Leben inmitten der WĂŒste? Hoffnung auf Hoffung ohne allen Grund auf Hoffnung? In seinem Buch „Trotzdem Ja zum Leben sagen: Ein Psychologe erlebt das Konzentrationslager“ beschrieb der Jude Viktor Frankl nicht nur seine Erfahrungen in Konzentrationslagern der Nationalsozialisten, sondern er schilderte in einer unter die Haut gehenden Art und Weise die Auswirkungen, sich physisch und psychisch bis zum Letzten ausgeliefert zu fĂŒhlen. Diesen unermesslich großen seelischen Druck, so seine Beobachtung als Psychologe, lebten die HĂ€ftlinge auf verschiedene Weise aus. Da waren jene, die sich in der ihnen ĂŒbertragenen Rolle des Kapos sicherer fĂŒhlten und die BrutalitĂ€t der Bewacher annahmen – und oft noch steigerten. Dort erlebte Frankl eine VerstĂ€rkung des Miteinanders, bei anderen Mitinhaftierten eine innere Isolierung mit einhergehender AggressivitĂ€t im sozialen Umgang. Am deutlichsten prĂ€gte ihn selbst aber die Beobachtung, dass unter unvorstellbar inhumanen Bedingungen der Drang des Menschen nicht gĂ€nzlich versiegen muss, an Hoffnung zu glauben und an einen letzten Sinn im Leben. Wie bei Soldaten im Krieg, die sich am Bild ihrer Geliebten oder Frau - buchstĂ€blich - festhielten und die Zeit durchstehen konnten, so malt Frankl sich selbst immer wieder in ganz konkreten Bildern die Zeit nach der Haft aus – unbekĂŒmmert von der noch so geringen Wahrscheinlichkeit, diese ĂŒberhaupt jemals zu erleben. Dieses Verlagern seiner Vorstellungen in das Morgen gibt ihm Kraft und Mut – und verhindert letztlich, dass er an der Hoffnungslosigkeit zu Grunde geht.

Wie die Gefangenen in den vielen Lagern der Nationalsozialisten oder auch heute noch zum Beispiel in nordkoreanischen Konzentrationslagern sitzt auch das biblische Volk Gottes fest, eingeschlossen in babylonischer Gefangenschaft. Und der Prophet bleibt, wie Viktor Frankls Überlebensstrategie, nicht bei der gegenwĂ€rtigen Situation stehen – mag es fĂŒr viele Menschen auch noch so unglaubwĂŒrdig (gewesen) sein. Jesaja malt die farbigsten Bilder von einem Land voller Freuden und ohne Sorgen. Lyrische VerdrĂ€ngungsstrategie, die manche Menschen vielleicht sentimental ergreift, jedoch keine reale VerĂ€nderung bewirken kann?

 

„Hoffnung gegen allen Grund auf Hoffnung“, so hatte es der ebenfalls jĂŒdische Philosoph Ernst Bloch auf den Punkt gebracht. Dabei war es ihm um etwas GrundsĂ€tzliches gegangen: um die Hoffnung als Grundlage fĂŒr eine „VerĂ€nderung im Sinne der Verbesserung eines gegenwĂ€rtigen Zustandes“ (Brockhaus). Denn (nur) so lange Menschen hoffen, haben/sehen sie (noch) die Möglichkeit, dass sich ZustĂ€nde verĂ€ndern können. Bloch hat daher geraten: Es kommt darauf an, das Hoffen immer wieder neu zu lernen. Was fĂŒr Menschen in aussichtslosen Lebenssituationen wie ein zynischer Wunsch wirken kann, kann ganzheitlich betrachtet umso wichtiger sein – und ihr FĂŒhlen, Denken und Verhalten neuronal nachhaltig kodieren. Positives Denken ist eben doch mehr als bloßes Denken. Und die jĂŒdisch-christliche Glaubensgemeinschaft als Hoffnungsgemeinschaft in der VerkĂŒndigung immer wieder ins Wort und in die Pflicht zu nehmen, ein grundsĂ€tzlich nachhaltiger Auftrag.

 

 

Mt 11, 2-11

Exegetische Hinweise

Die vorliegende Passage - und inhaltliche Herausforderung - fĂ€llt in den Abschnitt von Kapitel 9 bis 13 des MatthĂ€usevangeliums, den Meinrad Limbeck ĂŒberschreibt mit: „Ach, dass doch mein Volk auf mich hörte
!“ (Ps 81,14) – WĂŒssten wir, was wir eigentlich wollten, unsere Zeit könnte besser aussehen.“ In der Komposition der Verfasser vorgelagert war die klare Botschaft „Das Himmelreich ist da!“ (Kapitel 4 bis 12), nachgelagert die Folgerung „Der Same ist gesĂ€t!“ (Kapitel 13 bis 16)

    

Predigtlinien

 

Die inhaltliche Linie der oben gedeuteten Bibelstelle setzt sich im Evangelium fort: die Frage nach dem Sinn des Lebens und damit nach dem Sinn des aktuellen Tun und Lassens. „Einsames Fragen treibt mit mir Spott“, beschrieb Dietrich Bonhoeffer seine Situation in Haft. – Das GefĂ€ngnis, das Lager, die Gefangenschaft eines ganzen Volkes: Bilder fĂŒr den immer möglichen Zustand im Leben, aus dem Gleichgewicht zu geraten. „Wer bin ich? Bin ich das, was andere von mir sagen, oder das, was ich selbst (noch) von mir weiß?“, bringt es der inhaftierte Bonhoeffer ins Wort. Fragen, die ihn ins Scheitern fĂŒhren – oder die ihn am letzten Verzweifeln hindern?

 

Auch Johannes sitzt - im heutigen Evangelium - fest, „eingelocht“. Er sitzt fest, und wird sich daher ebenso hinterfragen wie der evangelische Theologe und Pfarrer: War es richtig, fĂŒr diesen Jesus buchstĂ€blich in die WĂŒste zu ziehen? Wohin hat es ihn gefĂŒhrt? Von Dietrich Bonhoeffer ist bekannt, dass ihn die Situation zu einem außerordentlich konzentrierten Theologen hat werden lassen. Damit kann freilich kein einziger Tag in Haft gerechtfertigt werden. Doch der Kontext bestimmt fortan sein Denken, sein Theologisieren, seinen Glauben. Wenn er am Ende der oben angeschnittenen Zeilen resĂŒmieren kann: „Wer bin ich? Einsames Fragen treibt mit mir Spott. Wer ich auch bin: Du kennst mich, dein bin ich, mein Gott!“, dann ist dies keine Flucht in die Frömmigkeit, weil alles andere vergebens und sinnlos geworden ist. Ergreifend christozentrisch - auch und besonders fĂŒr den katholischen Theologen - ist fortan die Bonhoeffersche Theologie: Christus leidet in ihm und er leidet mit Christus. Diese Haltung bringt den Gefangenen dazu, sein Schicksal - ohne Billigung des ihm zugrunde liegenden Unrechts - im Letzten anzunehmen und der Verzweiflung zu widerstehen. Ebenso findet der TĂ€ufer in Haft den Ausweg in Christus: „Bist Du es, der kommen soll?“, lĂ€sst er Jesus fragen. Und seine JĂŒngerinnen und JĂŒnger kommen und berichten Johannes die gleichen Bilder, wie sie von Jesaja gezeichnet worden waren: Dieser, der gekommen ist, hat den Menschen die Blindheit genommen, die Krankheiten vertrieben, ihnen das rechte Gehör verschafft – und vor allem den Armen WertschĂ€tzung und Anerkennung. Das, was Johannes angestoßen hat, geht weiter. Der Befehl eines Ă€ngstlichen Tyrannen kann die Verwirklichung des Reiches Gottes nicht aufhalten. Gottes Plan mit dieser Welt lĂ€sst sich von Unmenschlichkeit und Bösartigkeit nicht unterdrĂŒcken. Was fĂŒr eine große Perspektive fĂŒr alle, die heute leiden mĂŒssen und das Licht nach dem Tunnel (noch) nicht sehen!

 

„Warum zwingst du mich, Herr, diese WĂŒste zu durchqueren? Ich quĂ€le mich inmitten der Dornen. Nur eines Zeichens bedarf es von dir, dass die WĂŒste sich wandelt, dass der blonde Sand und der Horizont und der große, stille Wind nichts Fremdes mehr sind und nichts ZufĂ€lliges, sondern ein weites Reich, durch das hindurch ich dich erkenne“, hat Antoine de Saint ExupĂ©ry gebetet. Zwar ging es ihm in seiner Bitte an Gott um VerĂ€nderung seiner existentiellen Krisenerfahrung, doch ist ebenso - wie bei Dietrich Bonhoeffer und bei Johannes dem TĂ€ufer - die VerĂ€nderung des Blicks, der Haltung, der Einstellung erkennbar. WĂŒstenerfahrungen stellen vieles, das vorher Bedeutung hatte, in Frage – und geben anderem einen Wert, das zuvor unbedeutsam war oder dem nicht der ihm gebĂŒhrende Platz im Leben zukam. Sie als von Gott gehaltene - und mit ausgehaltene - Zeiten immer wieder sehen zu können, gehört wohl zu den grĂ¶ĂŸten Herausforderungen nachhaltigen Glaubens.

Dr. Thomas Hanstein, Ulm

Quellen:

Eberhard Bethge, Dietrich Bonhoeffer. Theologe – Christ – Zeitgenosse, MĂŒnchen 1986

Viktor E. Frankl, 
 trotzdem Ja zum Leben sagen. Ein Psychologe erlebt das Konzentrationslager, 42012

Meinrad Limbeck, Das MatthÀusevangelium (Stuttgarter Kleiner Kommentar NT 1), Stuttgart 71986

Erich Zenger u.a., Einleitung in das Alte Testament (StudienbĂŒcher Theologie Bd 1,1) Stuttgart 1995

http://www.advent-exerzitien-online.de/2_di.htm