4. Advent 2013
ev. Predigttext | kath. 1. Lesung | kath. 2. Lesung | kath. Evangelium |
Jes 52, 7-10 | Jes 7, 10-14 | Röm 1, 1-7 | Mt 1, 18-24 |
Nachhaltig predigen – das setzt Predigten voraus, die in der versammelten Gemeinde Nachhall finden und auf sie zu gesprochen werden. Solche Predigten erreichen ihre Hörer/innen in ihren religiösen Erfahrungen, Sehnsüchten und Motivationen. Auch da gilt: Nur was (sich) selbst erneuert, das hält nach. Ich konzentriere meine Predigtanregungen darum auf die jesajanischen Texte, den evangelischen Perikopen- und den ersten katholischen Lesetext: Ich meine, ihnen liegen Bewegungen zugrunde, die aus sich heraus Nachhaltigkeit kommentieren und motivieren. Sie liegen mit ihren Themen und Bildern zugleich so nahe beieinander, dass sie sich wechselseitig bereichern. Die neutestamentlichen Lesetexte bleiben aber in Sicht: Das berühmte Verheißungswort aus Jes 7,14 hallt in Mt 1,23 als Erfüllungswort wider. Ein ähnlicher Bezug schwingt am Beginn des Römerbriefes mit, wenn mit der davididischen Abkunft Jesu Christi Ton und Thema gesetzt wird.
Stellung im Kirchenjahr: Botschaften, Visionen, Berufungen, Verheißungen: Zeiten-Wende-Zeichen beschäftigen alle vier Texte zum 4. Advent. Diese Zeichen treffen auf den kirchenjahreszeitlich prominenten Ort und sprechen in die populärkulturell sinnensatte Erwartungssituation: noch zwei Tage bis zum Heiligen Abend, mit Anforderungen ans Organisationsgeschick, mit Hoffnungen fürs Familienfest, mit möglicher Furcht vor dem Alleinsein, mit Freude und Frust in der Erwartung von Beschenken und Empfangen. Dass dieser Sonntag kein gottesdienstlicher ‚Publikumsmagnet’ ist, sollte gerade Anlass geben, die Art dieser großen Erwartung zu thematisieren, aber (auch um der Texte willen) nicht dazu verführen, sie einfach zu entwerten. Eine entsprechende liturgische Ausformung der ‚Hochspannungszeit‘, dieser Zeit gespannter Vorbereitung für eine neue Zeit, bietet ein Sprungbrett dafür, sich als Gemeinde in Gottes Zeit und Zeichen verwickeln zu lassen.
EKD Reihe VI: Jes 52, 7-10 – Schon gut. Oder: Wie wird es werden?
Exegetische Beobachtungen: Jerusalem liegt in Trümmern (V. 9). Aber: Boten sind unterwegs, die der Stadt umfassende Wiederbelebung (Frieden, Gutes, Heil, V. 7) ansagen. Restitution der Stadt und Rückkehr Gottes als König sind zwei Seiten einer Medaille (V. 8). Der Trost bleibt nicht auf Exilanten, nicht auf die Erlösung Jerusalems und die Wiedereinsetzung des Kultes beschränkt, sondern gibt allen Völkern ein Zeichen (V. 10).
Die mutmaßlichen historischen Hintergründe (Zerstörung, Exil und Restauration Jerusalems) sind in der Perikope zu Symbolen deuterojesajanischer Theologie geronnen: Menschen luden Schuld auf sich. Zerstörung hat stattgefunden. Weder die soziale, politische oder ökologische Umwelt blieb davon verschont. Gott war dabei nicht nur Zuschauer, sondern mit im Spiel.
Impulse für nachhaltige Predigt: Es ist schon alles da, Friede und Heil, Ruhm und Fröhlichkeit, Offenbarung und universale Einsicht. Wie passt dazu, noch ganz in Erwartung zu sein und zu bleiben? Wie passt das zur allgegenwärtigen Lebensgefährdung, zum Lebensverbrauch?
Ein Blickwechsel macht aus dem Frage- ein Ausrufezeichen: Die Vision von der Rückkehr Gottes als Trost für die Trümmer plakatiert die Größe der Erwartung! Das Botenwort führt die überwältigende Wünschbarkeit des Wandels vor! Gott gibt sich selbst in die Zukunft! Nicht die Sorge um das Morgen wird heraufbeschworen, sondern ein Bild vom Übermorgen wird vorher-gesehen. Nicht die Konsequenzen der Zerstörung, sondern ihre Überwindung motiviert neues Tun. Gottes- und Lebensfeindlichkeit zu übersehen, das wäre naiv. Aber: Im Angesicht dieser Realität über sie hinaus zu sehen, die Trümmer Trümmer zu nennen, ohne sie aus dem Leben Gottes herauszuhalten, das kann die Adventspredigt ermöglichen.
Dafür kommt es nicht darauf an, zu sagen, „dass alles gut wird“, sondern sichtbar zu machen, „wie gut es wird“. Drei mögliche Gedankenexperimente passen dazu: 1. Was lässt sich in der Trümmerlandschaft und im Blick auf das eigene Versagen erst entdecken, wenn die hochgespannte Erwartung neues Licht wirft? 2. Welche Lebensgrundlagen, welches Sozialwesen klingen in der jesajanischen Vision des hymnisch besungenen Übermorgen an – und welche verlieren mit dem Blickwechsel ihre Relevanz? 3. Wie hängt das zusammen, die Hoffnung, dass Gott ‚zu uns‘ kommt, und der revolutionäre Blick darauf, dass Gott nicht ‚nur zu uns‘ kommt?
Eine ‚nachhaltige Predigt‘, die solche Fragen erkundet, spielt mit den eingeschliffenen Vorzeichen von Verzicht und Gewinn. Angebote zur plastischen Ausmalung dieser Neusortierung bietet der Text reichlich: Auf gedrängtem Raum kommen unzählige Akteure und Perspektiven zur Geltung. Details laden zur Entdeckung ein – von den Füßen der Boten über Stimmen und Augen bis hin zu beredten Trümmern. Die Verse spielen mit dem Verhältnis zwischen Ankündigung und Wandel, mit bereits und zukünftig Sichtbaren. Verben springen ins Auge: Da wird gepredigt, gerufen, gesehen, gerühmt und getröstet. Lokales und Weltbewegendes, Einmaliges und Überzeitliches ist im Spiel. Konkretes, ja provinzielles Kommen Gottes wird ausgemalt, das Macht über alle und alles in sich birgt. Der Prophet ist kein nüchterner Ansager, sondern ein findiger Ausmaler.
Ich rege an, diese Vielfalt mit den Bild- und Erfahrungswelten der jahreszeitlich präsenten Erwartung zu verschmelzen: Welche Erwartungsbilder stehen uns als Gemeinde vor Augen? (Ich denke etwa an Ahnungen von gutem Leben, die eine Adventsfeier inszeniert.) Wie wirken die erfreulichen, realistischen, illusorischen, beängstigenden oder auch desillusionierten Bilder vom Kommenden? (Ich denke etwa an den eifrigen Traum der Kinder, im Krippenspiel einen Engel zu spielen.) Welche dieser Bilder lassen uns sehen, „wie gut es wird“ – und wie wirkt sich das auf unsere Vorbereitung, auf unseren Umgang miteinander und mit Schöpfungsgaben aus? (Ich denke etwa daran, dass manch ‚kitschige‘ Weihnachtswerbebotschaft nicht mehr konsum-, sonder beziehungsfördernd wirkt, sobald ihr Sehnsuchtskern als eschatologisches Bild ‚ausgepackt‘ wird.)
Kath. Lesejahr A, 1. Lesung: Jes 7,10-14 – Gewusst, was kommt!
Exegetische Beobachtungen: Der (proto‑)jesajanische Text spielt auf der kleineren, historisch detailreicheren Bühne der Bedrohungslage, die für Juda im 8. Jahrhundert entsteht. Die Verse stellen klare Verhältnisse und äußerlich legitim erscheinende Erwartungen theologisch auf den Kopf. Dafür rekurrieren sie auf traditionsgeschichtliche Vorlagen. Vor allem aber setzen sie eine verblüffende Rezeptionsgeschichte in Gang.
Die Verse vor der Perikope (Vv. 3-9) erleichtern die Einordnung. Jesaja richtet prophetisches Tagesgeschäft aus, rät König Ahas und beruhigt ihn: Der syrisch-israelitische Angriff werde nicht von Erfolg gekrönt sein. Für außenpolitische Maßstäbe womöglich nicht restlos überzeugend versucht sich Jesaja mit dem Trost, ein Gegner (das ‚Nordreich‘) werde ohnehin in 65 Jahren verschwinden. Mit seiner berühmten Mahnung verleiht er seinen Worten Nachdruck: „Glaubt ihr nicht, so bleibt ihr nicht“ (V. 9). In dieser Stimmung nimmt die Unterredung mit Ahas Fahrt auf: Gott selbst redet (V. 10). Textlich ist und bleibt dunkel: Warum spricht Gott hier direkt, sonst via Prophetenamt? Historisch und sachlich bleibt unklar: Wessen Geburt durch wen wird verheißen? Meint es die Verheißung gut oder schlecht mit Ahas, Gefährdung seiner Macht oder Vollendung der Dynastie?
Impulse für nachhaltige Predigt: Ach, wenn wir bloß wüssten, was kommt – einerseits. Andererseits: Prognostische Instrumente versprechen heute strategischen Gewinn von nie dagewesener Präzision. Das reicht von der Demoskopie bis zu Modellierungen des Klimawandels. Was wir davon wissen, ändert die Lage gravierend – ohne dass wir die Zuverlässigkeit der Vorhersage mit Sicherheit einschätzen können und ohne dass wir uns deshalb schon geändert hätten. Prophetie rückt dieses menschheitsgeschichtlich unveränderte Paradox vor das Angesicht Gottes. Die Adventspredigt gibt deshalb Gelegenheit, per Rückschau auf Vorhersagen unsere Erwartungen neu zu Gehör zu bringen. Eine Predigt zur jesajanischen Zukunftsschau für Ahas gibt Anlass, über den (notwendigen) Streit um die Verlässlichkeit von Prognosen hinaus zu gelangen und im Wissen-Wollen mehr als nur (allzu) Menschliches zu entdecken.
Der schnelle Takt des Textes bietet sich dazu an, zumindest zeitweilig (etwa: erzählerisch) für die Predigt adaptiert zu werden, mit Umschwüngen, Sprecherwechseln, Bildern. Es fällt nicht schwer (und ist homiletisch dankbar), den Dialog zwischen Gott/Jesaja und König (Vv. 10-13) burlesk auszumalen: So fromm kann einer sein (oder scheinen?) wollen, dass er am Willen Gottes schnurstracks vorbeisieht: JHWH ermuntert den König zur Zeichenforderung. Der lehnt ab, womöglich aus lauter Zukunftswissensscheu. Jesaja reagiert genervt und kündet vom Zeichen, dem Kind Immanuel.
Der Text fasziniert. Je nach Zukunftsansage, die sich für die Gemeinde im Angesicht Gottes nahe legt, lädt er zu Akzentuierungen ein:
- Der (Kirchen‑)Jahreszeit mangelt es nicht an opulenten Zukunftszeichen – naturgemäß „äußerlich“. Zeitgleich ist der der Ruf zu mehr „Innerlichkeit“ (oder: „Ernsthaftigkeit“) nicht nur Teil des gesellschaftlichen Rituals, sondern auch manch ritualisierten kirchlichen Appells. Diese klare Verteilung durchbricht eine Prophetie, die Zukunft ganz konkret – zeichenhaft – als Sache Gottes reklamiert. Vielleicht ergibt sich mit dieser Brille auch eine differenzierte Beurteilung des gesellschaftlichen Geschehens im Hochadvent, zwischen Zukunftshunger und Zukunftsangst?
- Die Zeichenansage ist strittig. So einfach das Zeichen (eine junge Frau gebiert ein Kind), so offen bleibt seine Bedeutung. Dennoch besteht in einer Hinsicht kein Zweifel: König Ahas muss das „Gott-mit-uns“ eher als „Gott-sei-bei-uns“ hören. Das ist eine potenziell erschütternde Dimension, die der adventlichen Erwartung nicht erspart werden muss. Sie führt näher an unsere prekären, gefährdeten Wirklichkeiten heran: Gegen Zukunftswissensscheu erheben Gott, Prophet und Text Einspruch.
- Im Kontext des christlichen Gottesdienstes verschiebt sich (mit Mt 1,23) die Konzentration: von Gottes Zeichen für einen König auf die neue Realität Gottes mit und für uns, von der Ankündigung des Zeichens auf den Rückblick, auf die Erfüllung der Ankündigung. Homiletische Chancen liegen darin, die Verschiebung, den Ortswechsel, die Über-Tragung des Motivs augen- und sinnenfällig zu machen: Christliche Existenz schöpft aus Verheißung und Erfüllung. Menschliche Taten, die das berücksichtigen, sind „vor-sichtig“ im eigentlichen Sinn des Wortes.
Die Warnung aus Jes 7,9 („Glaubt ihr nicht, so bleibt ihr nicht“) lässt sich mit diesen Akzenten zur impliziten Frage wenden: Bleiben wir? Auch darin hallen Themen des Textes wider: Prophetie ist keine Prognostik. Prognostisches Wissen um drohende Gefahren sperrt die Gefahr nicht aus. Der Wunsch, nichts zu sehen, in der Erwartung, Gott werde es schon richten, ermüdet selbst Gott. Was nach-hält, das verbindet Gestern und Morgen. Das unspektakulär-überzeitliche Bild (eine junge Frau wird ein Kind gebären) beflügelt darum Phantasien von unzweifelhafter Kraft – ist das nicht Hoffnungszeichen und Wunder zugleich?
(Dr. Peter Meyer, Langen)