1. Sonntag nach Trinitatis / 12. Sonntag im Jahreskreis (22.06.14)

1. Sonntag nach Trinitatis / 12. Sonntag im Jahreskreis

 

ev. Predigttext kath. 1. Lesung kath. 2. Lesung kath. Evangelium
5 Mose 6, 4-9 Jer 20, 10-13 Röm 5, 12-15 Mt 10, 26-33

Das „Sh'ma“ Israel als Predigttext! Trotz der späten und summarischen Schreibweise des sog. „Deuteronomiums“, handelt es sich hier sicherlich um ältere Überlieferung, ja – wenn man die ganze Geschichte Israels im Blick hat – geradezu um den Gründungs-Text der jüdischen Religionsgemeinschaft.  Damit wird hier ein Kerntext vorgestellt, natürlich neben der Wiederholung der zehn Gebote (in 5.Mose 5) und der Geschichts-Erinnerung bei der Darbringung der Erstlingsfrüchte (vgl. 5.Mose 26). Bis heute sind diese legendären Worte oder Sprach-Kapseln kennzeichnend für den frommen Juden und seinen Hauseingang. Wie auch 5.Mose 10,12 geht es hier um ungeteilte Hingabe an den einen Gott, dem zu begegnen die ganze jüdische Geschichte und Religion prägen. SEINER stets eingedenk zu sein, das wird hier als bundesgemäße Grundhaltung des Frommen vorgestellt. Diese „Einseitigkeit“ ist heute eher schwer vermittelbar und plausibel zu machen. Unsere Zeit – ich denke dabei auch an die Gemeinde-Wirklichkeit – ist eher gekennzeichnet durch Kick's und Ablenkungen, durch Reizüberflutung und Zerstreuungen, leider auch bei „Kirchenleuten“ durch eine eigene Art von Oberflächlichkeit. Der Text jedoch erinnert daran, dass hinter allem und jedem eine Wirklichkeit steckt, letztlich eine Wahrheit zu beherzigen sei, alles mit allem verbunden ist und darum keine „Teilwahrheiten“ letzte Gültigkeit beanspruchen können. Man muss den Leitbegriff der „Nachhaltigkeit“ hier nicht vorsätzlich einführen, er entspricht m.E. der hier umschriebenen Grundhaltung. Die Not unserer Zeit ist demgegenüber, dass sich Teilwahrheiten verselbständigen, die faktische Entwicklung bestimmen und damit  letztlich die Lebens-Grundlagen gefährden. Das gilt global – alle „Systeme“, alle Religionen übergreifend. Die „Ökonomisierung“ scheint das letzte Wort zu haben. Kabarettistisch gewendet: Die einzige Welt-Religion, die heute noch faktisch bestimmend und vital ist, ist der „Profitismus“, wohlweislich mit „i“ geschrieben. Der Predigttext erinnert vor diesem Hintergrund an die letztlich gültige, einzige Wahrheit, den alles übergreifenden Grundanspruch, die Basis allen geistlichen und natürlichen Lebens: mit heutigem Wort an die „Nachhaltigkeit“!

 

Jer  20, 10-13

Der Kontext dieser 1.Lesung ist letztlich die – das Buch Jeremia durchziehende – „Belastung“ durch das Prophetenamt. Jeremia findet sich in einer Art Verfolgungs-Situation vor, gleicht damit dem historischen Jesus Jahrhunderte später, gegen den seine Gegner auch verwendbare Vorwürfe und Anklage-Gründe gezielt suchen, weil er so gar nicht ins „Schema“ passt. Unangenehm berührt – bei allem Verständnis – ist man, wie sehr der Prophet seinen Gegnern Unglück an den Hals wünscht und darin meint, Gott auf seiner Seite zu haben. Natürlich stellt sich da die Theodizee-Frage, ob solch ein Gottesbild noch zeitgemäß ist. Spätestens nach Auschwitz sollte mit dem ohnmächtigen, den menschlichen, auch prophetischen Erwartungen eben nicht entsprechenden Gott gerechnet werden. Doch wir “reden uns leicht“, unangefochten wie wir in den Regel sind. Noch schauerlicher, wie „unsere“ Bischöfe und Kirchenleitungen im sog. Dritten Reich meinten, ihr Fähnchen nach dem genehmen, öffentlichen Wind hängen zu können. Nur ganz wenige begriffen sich und die damalige Zeit als „Widerständler“, auch als rundum Angefeindete und Gefährdete.  Angenehm wiederum berührt, dass mit dieser Lesung in Jeremia jemand auftritt, der über einen inneren Wahrheits-Kompass zu verfügen scheint, der ihm erst die Feinde und das Auflauern rundum einträgt. Verglichen damit haben es sich unsere Kirchenleitungen anno dazumal (zu) „leicht“ gemacht. Verglichen damit ist heute die Versuchung groß, sich nur noch Teilwahrheiten auf die Fahne zu schreiben. Letztlich stellt diese Lesung die gut jeremianische Frage, wofür wir eigentlich leben, damit letztlich die Sinnfrage. Auch und nicht zuletzt in unseren bürgerlichen Berufen. Da darf kaum jemand überlegen, was er oder sie mit ihrem Arbeiten eigentlich in Gang halten. Die „Nachhaltigkeit“ kann es kaum sein. Die neutestamentliche Fortschreibung liegt nahe: die Nachfolgeberufungen Jesu, das Herausgerufen werden aus bis dahin fraglosen Zuständen – auch heute. So aktuell, so modern ist diese Lesung.

 

Röm  5, 12-15

Hier werden in gewisser Weise Adam und Christus in eins gesetzt. Das ist dem Paulus sein gutes Recht. Die Frage ist nur, ob er damit eine Sicht vertritt, der heute mit Grund widersprochen werden muss. Kaum jemand wird sich noch als Nachbeter der „Erb-Sünden“-Lehre verstehen. Da steht unser neuzeitliches Freiheits-Bewusstsein dagegen. Zu Recht gehen wir im Namen der Selbstbestimmung und der individuellen Existenz und Verantwortung davon aus, dass man Sünde nicht „erben“ kann. Damit ist dem Denkmodell des Apostels (und wahrscheinlich seiner Zeit) entschieden zu widersprechen. Doch worin liegt dann die bzw. eine bleibende Relevanz dieser Lesung? Man „muss“ sie nicht finden. Dennoch stellt sich die Frage, ob wir – frei von der Erb-Sünden-Lehre – nicht dennoch unseren neuzeitlichen Geschehens-Zusammenhang auch als einen letztlich „verhängnisvollen“ sehen können, ja eventuell müssen. Gerade in unserer „Angepasstheit“ kann sich Ungehorsam gegen Gottes (Schöpfer-)Willen zeigen. Zu fragen wäre also, ob wir faktisch doch wieder „adamitisch“ leben: Der in Christus angebotenen „Gnade“ nicht trauen, sie nicht als die letzte verbindliche Wirklichkeit sehen, aus dieser Gnade gerade nicht leben. Und damit den „Verhängnis-Zusammenhang“ faktisch, wenn auch „neuzeitlich“, wieder aufleben lassen. Die Gnade nicht der alles und auch uns bestimmende Leitstern ist. Weil sie, die „leistungs-los“ angebotene, so wenig in unsere leistungs-orientierte Zeit passen will. Wer wird schon nach ihr fragen oder sein Leben nach ihr ausrichten, wo sie sich so wenig „rechnet“. Dabei – darin ist Paulus wieder zuzustimmen – stellt sie die letzte Grundlage für alles menschliche und zeitliche Leben dar. Recht verstanden: „nachhaltig“ eben.

 

Mt  10, 26-33

Ein zwiespältiges Evangelium! Positiv ist: Christliche Erfahrung mag intim und eher „im Finstern“ gemacht werden, dennoch ist sie von Hause aus stets auf Öffentlichkeit, auf Einmischung, auf „Klartext“ angelegt. Dafür spricht der Evangelien-Text Mut zu, ja eine eigene Art von Stolz und Selbstbewusstsein sogar: „Ihr seid besser als viele Sperlinge“ (10,31b). Verbunden damit eine große Geborgenheits-Zusage: Der Gott, der sich selbst um kleine Sperlinge kümmert, der wird auch euch nie und nirgends alleine lassen. Darum: „fürchtet euch nicht!“ (10,28 & 31). In der damaligen Jünger-, in der späteren Verfolgungs-Zeit ein notwendiger Zuspruch. Zugleich, und das ist heute eher schwierig vermittelbar, schleicht sich doch wieder angst-machend die Furcht vor dem „Verderber“ ein, ja vor der Hölle bzw. vor den unkalkulierbaren Folgen des „Verleugnens“. So plausibel das klingt, es ist doch wieder die Mischung aus „Zuckerbrot und Peitsche“, im Laufe der Kirchengeschichte oft missbraucht und zum Zuchtinstrument pervertiert. Im sog. Dritten Reich (vor lauter Furcht?) sind Christen und Kirchen ihrer Zeit das deutliche, widersprechende Zeugnis leider schuldig geblieben. Bequemlichkeit heute hat dieselben Folgen. Man kann darunter leiden, dass die Kirchen in der öffentlichen Debatte so gut wie keine Rolle mehr spielen. Jedenfalls ist das nicht  besonders „evangelisch“. Angesichts der heute weltweiten und geradezu globalen Fragen erst recht nicht.  Dabei hat vielleicht keine Zeit es nötiger gehabt, an letzte, relevante Werte und Orientierungen erinnert zu werden. Gut, den ermutigenden Aspekt dieses Evangeliums sich zu eigen zu machen und die eigene Überzeugung buchstäblich zu „riskieren“. Ermutigt durch matthäische Jesus-Überlieferung, letztlich aber sehr selbst-gewiss und selbst-bestimmt! Nicht blindlings – aber frei von falschem Kalkül.

Dr. Rainer Hennig