Invokavit / 1. Fastensonntag (10.03.19)

Invokavit / 1. Fastensonntag


ev. Predigttext kath. 1. Lesung kath. 2. Lesung kath. Evangelium
Hebr 4, 14-16 Dtn 26, 4-10 Röm 10, 8-13 Lk 4, 1-13

Stellung im Kirchenjahr

Der Schriftlesungen des Sonntags erzĂ€hlen von Wegen, die in die Freiheit fĂŒhren. Dtn bietet einen RĂŒckblick voll Dankbarkeit fĂŒr die Befreiung aus Gefangenschaft und in ein neues Leben hinein, Röm reflektiert die Chancen, die sich dem bieten, der sich Jesus anschliesst. All diese Wege beinhalten Erfahrungen Ă€ußerer und innerer WĂŒsten, Erfahrung, wie sie Jesus selber macht, Erfahrungen, wie sie auch uns nicht erspart bleiben. Am Montag, den 11., jĂ€hrt sich zum zehnten Mal der Amoklauf an der Albertville-Realschule in Winnenden, am 17. MĂ€rz vor 60 Jahren flĂŒchtet der Dalai-Lama nach Indien.

Exegetische Anmerkungen und BezĂŒge zur Nachhaltigkeit

Dtn 26,4-10

Das Glaubensbekenntnis, das seinen Sitz im Leben in einem Erntedank-Gottesdienst hatte, wie er in den letzten Jahrzehnten der Königszeit (7. Jh.) gefeiert wurde, erinnert an die Entstehung des Volkes in einer Situation der Bedeutungs- und Rechtlosigkeit, Unsicherheit und Sklaverei (von „guter“ Arbeit keine Spur). Zugleich unterstreicht es, dass das von Gott zugesprochene Land kein Schlaraffenland ist, in dem man sich nach Lust und Laune bedienen kann, denn was Gott gibt, gibt er allen. Es gehört einem nicht als Privateigentum, sondern muss mit den anderen geteilt werden, Eigentum ist und bleibt sozialpflichtig.

Röm 10,8-13

Die VorgĂ€nge, von denen Paulus schreibt,glauben, bekennen und anrufen, frei werden, sind Ereignisse, die sich zunĂ€chst und zuerst im Inneren des Menschen abspielen. Doch sind sie immer wieder bewirkt durch Ă€ußere UmstĂ€nde, besonders in Zeiten von Sehnsucht und Schmerz, und drĂ€ngen hinaus ins konkrete, politische Handeln, damit Gerechtigkeit, Heil, Wohlergehen allen zu Teil werden, unabhĂ€ngig von Herkunft und Tradition.

Lk 4,1-13

Die Perikope, Scharnier zwischen der Taufe Jesu und seinem öffentlichen Wirken, bindet Jesus in die Geschichte Gottes mit seinem Volk ein, das in der WĂŒste ebenfalls auf verschiedene Weise erprobt wurde. Das GegenĂŒber Jesu ist der Diabolos, der durcheinanderwirft, mit Halbwahrheiten operiert und zu verwirren sucht. Er scheitert, aber nur „fĂŒr eine gewisse Zeit“ lĂ€sst er von Jesus ab; Versuchungen – so Lk wendet man selten fĂŒr immer ab. GegenĂŒber Mt verĂ€ndert Lk, bei dem jeder Hinweis auf einen Berg fehlt, zudemdie Reihenfolge der letzten beiden Versuchungen: politische Macht ist heilsgeschichtlich dem Sturz von der Tempelzinne nachzuordnen.

Predigtskizze

Als Ausgangspunkt einer Predigt eignen sich WĂŒstenerfahrungen, Zeiten des Entzugs oder der Entziehung, die Menschen auferlegt werden oder die Menschen – gerade in der Vorbereitung auf Ostern – sich selber auferlegen. Nolens volens können diese Erfahrungen dazu fĂŒhren, neu oder wieder einmal zu erkennen, was ich denn wirklich brauche, was denn fĂŒr mich genug ist, worauf es denn im Leben ankommt. Der Entzug mĂŒndet so in die je nachdem schmerzliche oder erfreuliche, auf jeden Fall aber klĂ€rende und belebende Erkenntnis, wo ich denn stehe und wo ich denn eigentlich stehen mĂŒsste. Karl Rahner hat in diesem Zusammenhang davon gesprochen, dass das In-sich-Gehen die unbequemste Art der Fortbewegung sei.

Unbequem wird diese Bewegung – darauf wĂ€re in Bezug auf das Evangelium abzuheben, durch die Versuchungen, denen der Einzelne ausgesetzt ist und die in der RĂŒckbindung auf Gottes Gebot gemeistert werden können, die aber doch wieder kehren können. Sie sind im wahrsten Sinn des Wortes diabolisch, weil sie sich dem Versuch, eine gerechte, gute und heilsame Ordnung herstellen zu wollen, entgegenstellen, um wieder ins Durcheinander, Chaos zurĂŒckzudrĂ€ngen. Das gilt sowohl fĂŒr die innere Befindlichkeit, unser Streben nach AufgerĂ€umtheit, als auch unser zwischenmenschliches, politisches Handeln, das nach Gerechtigkeit, Freiheit und Ganzheit strebt.

Dass unser Inneres mit dem Äußeren intrinsisch verbunden ist und verbunden bleiben muss, dass die Geordnetheit im Inneren ins politische Engagement zu Gunsten des guten Leben fĂŒr alle drĂ€ngt, das macht Paulus deutlich, vielleicht auch aus seinen eigenen WĂŒsten- und Entzugserfahren heraus. Eine Episode aus seinem Leben und welche Handlungsimpulse er daraus zog, könnte deshalb die Predigt gut beschliessen.

Beispiele zur Umsetzung und weitere Kontexte

1. Der Tod am Brot allein (Dtn,Röm,Lk)

Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, er stirbt sogar am Brot allein, einen allgegenwĂ€rtigen, schrecklichen Tod, den Tod am Brot allein, den Tod der VerstĂŒmmelung, den Tod des Erstickens, den Tod aller Beziehungen. Den Tod, bei dem wir noch eine Weile weitervegetieren können, weil die Maschine noch lĂ€uft, den furchtbaren Tod der Beziehungslosigkeit: Wir atmen noch, konsumieren weiter, wir scheiden aus, wir erledigen, wir produzieren, wir reden noch vor uns hin und leben doch nicht. In dem StĂŒck „GlĂŒckliche Tage“ von Samuel Beckett sehen wir Winnie, eine Frau von 50 Jahren. Im ersten Akt ist sie bis zur Taille im Sand vergraben, aber sie redet noch, sie putzt sich die ZĂ€hne, sie kramt in ihrer Tasche, sie bedauert ihren Mann. Im zweiten Akt ist sie bis zum Hals vergraben, sie kann den Kopf nicht mehr bewegen, aber das Gerede, das sich selber bestĂ€tigt und sich selber ernst nimmt, fließt weiter
 Das ist eine Art Tod, so sieht die Hölle aus: Im Sand vergraben, unfĂ€hig die eigene Lage zu Ă€ndern, alleingelassen, aber ohne Schmerzen, glĂŒckliche Tage, Sonnenaufgang und Sonnenuntergang, das ist die Hölle.

Dorothee Sölle, Die Hinreise. Zur religiösen Erfahrung (1975). Stuttgart: Klett, S. 101.

2. Der Mensch ist nicht Gott (Dtn, Röm. Lk)

Im Jahr 2000 interviewte der Kölner Journalist Thomas Gehringer den Schauspieler Peter Sodann, bekannt als Tatort-Kommissar Ehrlicher:

G.: Wollten Sie niemals aus der DDR fliehen?
S.: Das hatte ich nie im Sinn. Ich wollte den Kommunismus aufbauen, und das ist auch heute noch meine Idee.
G.: Sie sind immer noch Kommunist?
S.: Wenn man so will, ja. Aber gemeint ist nicht der Kommunismus, den die SED wollte. Wir haben uns damals „betende Kommunisten“ genannt.
G.: Was meinten Sie damit?
S.: Die Kommunisten wollen das Gottesreich auf Erden, aber das funktioniert nicht. Es gibt Dinge, die wir nicht können, weil wir eben nicht Gott sind. Also mĂŒssen wir auch demĂŒtig sein.

Kölner Stadt-Anzeiger Nr. 146 vom 27.6.2000, Köln: DuMont, S. 31.

3. Ohne Wasser kein Brot, keine Ernte, kein Erntedank (Dtn)

Brot fĂŒr die Welt und der Entwicklungsdienst der Anglikanischen Kirche Kenias engagieren sich gemeinsam fĂŒr die Wasserversorgung von Menschen in kleinen Dörfern. Ziel ist es, Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten. Es werden Zement zum Bau von WasserbehĂ€ltern und Kunststoffrohre zur VerfĂŒgung gestellt. Mit diesem Material und einer Beratung durch den Entwicklungsdienst werden die Menschen selbst aktiv, um an ihren Wohnorten eine bessere Versorgung mit Wasser zu erreichen. Es konnten bereits ĂŒber 2000 mittellose Familien in fĂŒnf Landkreisen erreicht werden, die unter den Folgen des Klimawandels zu leiden haben.

Die Wasserknappheit trifft vor allem die LÀnder Afrikas, Asiens und Lateinamerikas. Dort sind viele arme Menschen vom stÀdtischen Versorgungsnetz abgekoppelt. Noch schlimmer ist die Situation in lÀndlichen Regionen: Das knappe Wasser muss dort oft von weit entfernten Quellen geholt werden. Die kleinbÀuerliche Landwirtschaft leidet unter der Wasserkrise, und die ErnÀhrungssicherheit ist gefÀhrdet.

Mehr Infos unter https://www.brot-fuer-die-welt.de/projekte/kenia-wasser/ und http://adskenya.org/rccs/16-programmes.html

4. Gerechtigkeit, Mission und Imperialismus (Röm, Lk)

Im Rahmen eines Forschungsprojektes untersucht Frank G.C. Sauer, Mitarbeiter an der Kath.-Theol. FakultĂ€t der UniversitĂ€t Wien die Auswirkungen des PhĂ€nomens Migration auf das VerstĂ€ndnis und die Praxis von Mission in den anglikanischen Kirchen hat. Das ist, schreibt Sauer, „u. a. verbunden mit der Frage nach der Gerechtigkeit, wenn man beispielsweise den Zusammenhang zwischen Mission und Imperialismus betrachtet. Dieser hat auch aktuell noch Auswirkungen in den Konflikten der anglikanischen Gemeinschaft. Wie kann gerechtes Handeln in diesem Kontext gedacht werden? Die MISSIO DEI und der Begriff der Versöhnung sind dabei zentrale Orientierungspunkte im anglikanischen SelbstverstĂ€ndnis. In diesem Beitrag geht es mir darum, MISSIO DEI als zentrale Perspektive christlichen Handelns in Bezug auf Gerechtigkeit zu denken. Die anglikanische Gemeinde in Wien ist hier als Migrant(inn)engemeinde besonders interessant, weil sie sowohl Minderheit ist als auch den Anspruch hat, sich als Kirche fĂŒr die Benachteiligten einzusetzen.“

Aus: Sauer, Frank:Gerechtigkeit im Kontext der Mission Gottes. BeitrĂ€ge der anglikanischen Kirchengemeinde Christ Church in Wien zu einem Zusammenleben in Gerechtigkeit (2015), MĂŒnchen: Grin.

Joachim Feldes, Dannstadt-Schauernheim

 

Lit.:Braulik, Georg: Studien zu Buch und Sprache des Deuteronomiums (2016), Stuttgart : Kath. Bibelwerk, 2016

Köster, Peter: Das Lukas-Evangelium : Orientierung am Weg Jesu ; eine geistliche Auslegung auf fachexegetischer Grundlage (2017), St. Ottilien : EOS.

Theißen, Gerd: Der Römerbrief : Rechenschaft eines Reformators (2016), Göttingen [u.a.] : Vandenhoeck& Ruprecht