ev. Predigttext | kath. 1. Lesung | kath. 2. Lesung | kath. Evangelium |
Mi 4,1-5(7b) | 1 Kön 17, 10-16 | Hebr 9, 24-28 | Mk 12, 38-44 |
Der Autor betrachtet den ev. Predigttext und den kath Evangeliumstext. Dabei könnten die Impulse zu Micha 4 als »Framing« für die Interpretation des Evangeliumstextes betrachtet werden.
Micha 4, 1 – 5,7
Mit dem drittletzten Sonntag des Kirchenjahres nähern wir uns dem Volkstrauertag und dem Ewigkeitssonntag. Der Predigttext aus dem Buch des Propheten Micha wurde erst zuletzt in die Ordnung der Predigttexte aufgenommen und für diesen Sonntag vorgesehen, vorher war er in der Perikopenordnung nicht enthalten. Das scheint und heute fragwürdig, wegen seiner Friedensvision und seiner Brisanz. Schließlich hatte dieser Text Auswirkungen auf die Prophetie im Alten Testament. Hatte das Michabuch teils direkte Auswirkungen auf das Neue Testament, auf die Verkündigung Jesu. Der Slogan „Schwerter zu Pflugscharen“ fand seinen Weg bis in die Friedensbewegungen des 20. Jahrhunderts, wurde seit 1980 als Zitat zum Symbol der staatsunabhängigen Abrüstungsinitiativen der DDR und später von den Friedensinitiativen des Westens übernommen. Allseits bekannt ist die Bronzeplastik des russischen Künstlers Jewgeni Wiktorowitsch Wutschetitsch, die der UNO 1959 von der Sowjetunion als Zeichen der Bereitschaft zu friedlicher Koexistenz geschenkt wurde und im Garten von deren Hauptgebäude in New York aufgestellt ist. Auslegern sei der synoptische Vergleich mit Texten aus der Prophetie Israels empfohlen, auf die umgekehrte Formulierung in Joel 4, 1.9 – 12 im Zusammenhang des Aufrufs zum Heiligen Krieg sei hingewiesen (dort wird gefordert, aus Pflugscharen Schwerter, und aus Sicheln Spieße zu machen).
Die Vision des Predigttextes bezieht sich auf die „Letzten Tage“ und ist kein politisches Statement des Propheten. Spätere Generationen haben darin aber auch eine Vision für eine bessere Welt gesehen, haben an die Möglichkeit geglaubt, dass Menschen und Völker in Frieden miteinander leben können, bis hin zum Gebot der Feindesliebe Jesu, verbunden mit der Vision des Himmelreiches bzw. des Reiches Gottes, das bereits im Leben und Zusammenleben der Christen beginnt. Christlicher Glaube fordert in seinen Ursprüngen Pazifismus, das Zurückstecken im Fall von Konflikten, um Frieden zu ermöglichen, als einen Beweis des Glaubens. Die Wirkungsgeschichte der Predigtperikope scheint eindeutig, man denke an die Bergpredigt Jesu und an die Aufrufe von Mohandas Karamchand Gandhi zum gewaltfreien Widerstand, verbunden mit großer Leidensbereitschaft der Demonstrierenden (Salzmarsch) bis hin zu Bereitschaft, den eigenen Tod, das Getötetwerden in Kauf zu nehmen, um Frieden durchzusetzen.
Auf diesem Hintergrund mag die Predigtperikope aus dem Buch des Propheten Micha vielleicht der brisanteste Text sein, der im Kirchenjahr zu predigen ist, angesichts der gegenwärtigen Entwicklungen auf dem Hintergrund der beiden Kriege, die zur Zeit der Abfassung dieser Abhandlung geführt werden, in der Ukraine und im Gazastreifen. Überall finden wir gespaltene Gesellschaften, in denen sich Menschen und Meinungen kompromisslos gegenüber zu stehen scheinen, auch in Israel, auch in der Ukraine. Dabei sind nicht nur die Gesellschaften gespalten, sondern auch die Christenheit, etwa in Deutschland. Auf der einen Seite fordern die Repräsentanten von Staat und Kirche immer mehr Waffenlieferungen an die Ukraine, mit einer Argumentation, die von Seiten der Verantwortlichen mit nachvollziehbaren Argumenten vertreten werden, auf der anderen Seite ist der Ruf zu Friedensverhandlungen zu hören, etwa seitens des Papstes oder einiger Politiker unter den Sozialdemokraten, die auf das Leid der Opfer des Krieges und deren Angehörigen hinweisen, was von der Gegenseite öffentlichkeitswirksam mit Empörung und polemischen Reaktionen aufgenommen wird. Während beispielsweise die Mehrheit der Deutschen laut Umfrage der Papst- Aussage zustimmt, widersprechen andere; eine Bundestagsabgeordnete äußerte, dass sie sich als Katholikin dafür schäme. Insgesamt scheint die Möglichkeit eines Konsenses innerhalb von Staat und Kirche nicht in Sicht, da sich die Lager verhärten und eine gemeinsame Positionsbestimmung, auch innerhalb der regierenden Koalition, außer Reichweite scheint. Erinnert sei an das grundsätzlich gut nachvollziehbare Votieren des früheren deutschen Außenministers Joschka Fischers, der der Grundaussage seiner damals friedensbewegten Partei „Nie wieder Krieg“ auf dem Außerordentlichen Parteitag am 13. Mai 1999 im Zusammenhang des Krieges im Kosovo „Nie wieder Auschwitz“ entgegenstellte, um seine Position zu behaupten.
Wer am drittletzten Sonntag des Kirchenjahres über die Micha- Perikope predigt, findet sich auch angesichts des Wochenspruchs „Siehe, jetzt ist die Zeit der Gnade, siehe, jetzt ist der Tag des Heils“ (2. Korinther 6,2b) herausgefordert, Position zu beziehen. Die Perikope als endzeitliche Friedensvision stehen zu lassen, ohne auf die weltweiten Konflikte unserer Zeit einzugehen, schiene angesichts des Anspruchs des christlichen Glaubens, am Friedensreich Gottes mitzuwirken, unverantwortlich. Es obliegt dabei dem Prediger, seine eigene Positionsbestimmung auf der Grundlage des Evangeliums zu formulieren, vielleicht verbunden mit Fragen und Fragezeichen. Zur Zeit der Abfassung dieser Betrachtung ist es völlig offen, wie sich die Konflikte bis zum späten Herbst entwickeln werden, wenn schließlich über diese Perikope gepredigt wird. Welche Position die vielleicht richtigere, dem Frieden und dem Weltfrieden dienlichere sein wird, kann erst im Rückblick erfolgen.
Markus 12, 28b - 34
Die Predigtperikope stellt den Höhepunkt der Jesusgeschichte nach Markus dar. Hier erörtern Jesus Christus und ein unbekannter Schriftgelehrter die Frage nach dem höchsten Gebot und kommen zu einem Konsens, hier schließt der Teil des öffentlichen Wirkens Jesu ab, gefolgt von den Episoden, die sein Leiden, Sterben und seine Auferstehung beschreiben, unterbrochen nur von der Endzeitrede. Der Predigttext passt zum drittletzten Sonntag des Kirchenjahres, dem 32. Sonntag im Jahreskreis, an dem die Christenheit vor der nahen Adventszeit über die letzten Dinge nachdenkt, rechtzeitig vor dem Ende des Jahreskreises zu einem Abschluss findet, zu einer Zusammenfassung; einem Resümee. Alles bisher im Evangelium Gesagte mündet im Doppelgebot der Liebe, das im Judentum schon vorgegeben war, Jesus zitiert aus der Überlieferung seines Volkes. Der Weg, das Heil Gottes zu finden, besteht in der Liebe zu Gott, der Liebe zum Nächsten, der ultimativen Hingabe. Diese ultimative Hingabe wird in den Episoden, die jetzt noch folgen, exemplarisch ausgeführt. Zunächst anhand von zwei unbekannten Frauen, die diese umfassende liebende Hingabe zeigen: der Witwe, die die beiden Scherflein gibt, insgesamt nur einem Pfennig, heute einem halben Eurocent. An sich ein lächerlich geringer Betrag, aber in den Augen Jesu ist es ein Wunder. Denn diese Witwe gibt alles, was sie geben kann, alles, was sie besitzt. In der Erzählung kommt es nicht auf ihre Person an; die Witwe selbst bleibt unbekannt. Wir kennen ihren Namen nicht, wissen nicht, wie alt sie ist. Und ob sie vielleicht Kinder hat. Welchen Beruf ihr Ehemann einst ausgeübt hatte. Das alles ist hier unwichtig. Das Einzige, was wir von ihr wissen, ist ihre Bereitschaft, alles zu opfern, ist ihre Hingabe. Der Betrag ist bestimmt, wie üblich, für den Tempel. Dem Ort, wo Gott im Glauben des Volkes wohnt, wo Heiligkeit und Anbetung sich verdichten. Gott lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von ganzem Gemüt? Die Witwe tut es, ist ein Vorbild für die späteren Hörer und Leser des Markusevangeliums, für die ganze Christenheit. Sofort danach folgt eine weitere Episode, in der eine andere Frau diese Liebe zeigt, bereit ist, alles zu geben- alles zu verschwenden, was sie geben kann, das kostbare Salböl. Während die öffentliche Wirkung Jesu mit dem Scherflein der Witwe endet, beginnt sein Martyrium mit der Salbung in Betanien. Beide Frauen zeichnen vor, was Jesus im Anschluss tun wird: Nämlich durch sein bereitwilliges Opfer selbst auch diese ultimative Liebe zu zeigen, die Liebe zum Nächsten, ja, zu denen, die verloren sind, den Sündern, denen, die es in den Augen der breiten Gesellschaft seiner Zeit nicht wert sind, dass ihrer gedacht wird. Alle drei zeigen, die arme Witwe, die Frau in Betanien und Jesus Christus selbst, was es bedeutet, das höchste Gebot zu erfüllen, voll und ganz. … Und wir?
Wir mögen uns manchmal im Vergleich zu denen, die diese Hingabe zeigen, wie der reiche Jüngling fühlen, den Markus vorher schon in seinem Evangelium im 10. Kapitel (Mk 10, 17 – 27) beschreibt. Er möchte den Anspruch des Glaubens erfüllen, wird aber angesichts der Konsequenzen, die Jesus ihm darlegt, traurig und geht betrübt davon, weil er viele Güter hat. Dabei hatte Jesus ihm anfangs lediglich gesagt, dass er die Gebote erfüllen solle. Das hatte er getan, kann aber den nächsten Schritt nicht tun, um Vollkommenheit zu erlangen.
Für die Christenheit gilt der Grundaufruf Jesu, umzukehren. Buße zu tun. Oder, wie der Bibelübersetzer Fritz Tillmann Jesu Aufruf überträgt: Ändert euren Sinn, denn das Himmelreich ist nahe. Diesen Aufruf hören wir – im synoptischen Überblick – als Jesus vom Teufel versucht wurde und nach der 40tägigen Fastenzeit in der Wüste zu den Menschen zurückkehrt. Als er die ersten Menschen trifft, erfolgt der Aufruf zur Umkehr (zur Änderung des Sinnes). Gleiches hatte auch schon Johannes in seiner Predigt gesagt und schließlich ist es die Botschaft, die die Jünger den Menschen bringen sollen, denen sie begegnen (Matthäus 10,7). Und auch hier, im Predigttext, ist davon die Rede, als Jesus abschließend zum Schriftgelehrten sagt: „Du bist nicht fern vom Reich Gottes“. Oder sollten wir die gleiche Aussage nicht positiv formulieren: „Du bist nahe dran am Reich Gottes“.
Es geht hier um das richtige Handeln, darum, die richtigen Entscheidungen zu treffen, dem Glauben Taten folgen zu lassen, als Juden und als Christen unserem Glauben entsprechend zu leben und die täglichen Entscheidungen auf der Grundlage des Doppelgebotes der Liebe zu treffen, uns täglich erneut ein eigenes Urteil zu bilden („Ändert euren Sinn“), wirksam sein. Darin sind uns die Witwe aus der Predigtperikope, die Frau in Bethanien und Jesus Christus Vorbilder, die das Doppelgebot der Liebe mit aller Konsequenz in die Praxis umgesetzt haben, dem Ruf Gottes folgend, gleichsam ihrer Berufung folgend. Wir alle kennen andere Beispiele von Christen (und auch von Menschen, die keine Christen waren), die sich selbst, ihren Lebensentwurf, ihr Leben geopfert haben, indem sie ihrer Berufung gefolgt sind, mit aller Konsequenz. Für die Christenheit sind sie Vorbilder, sind Ausnahmen, sind Märtyrer, sind Heilige. Auch dann, wenn die Mehrzahl der Christen weltweit ein wohlgeordnetes, bürgerliches Leben führt, gilt für sie alle (wie auch für die Juden), das Doppelgebot der Liebe. Es bleibt den Gottesdienstbesuchern schließlich die Überlegung, wo sie denn selbst ansetzen können, mit der Umsetzung ihres Glaubens im alltäglichen Leben. An dieser Stelle mag man der Berufung folgen, die dem Einzelnen gilt. Dabei leben wir während der Abfassung dieser Auslegung in der Karwoche 2024 in einer Zeit, in der die Antworten auf die Ereignisse, die uns umgeben, denken wir etwa an die Kriege in Nahost und in der Ukraine auf der Grundlage des Doppelgebotes der Liebe nicht einfach sein können. Auch Christen kommen in der komplexen Situation zu verschiedenen, ja, zu entgegengesetzten und teils zu unversöhnlichen Aussagen, was etwa Waffenlieferungen oder den Aufruf zu Friedensverhandlungen betrifft, in Fragen, auf die die Antworten und Reaktionen nicht einfach sein können. Da mag und da soll die Predigtperikope im Markusevangelium die Grundlage bilden für die Aussagen, zu denen wir als Christen kommen. Auf die hier ebenfalls abgehandelte Auslegung der evangelischen Predigtperikope für denselben Sonntag, dem Text aus dem Buch des Propheten Micha (Schwerter zu Pflugscharen), gleichsam demselben Anlass des zu Ende gehenden Kirchenjahres, sei hingewiesen.
Uwe G. W. Hesse, Haina