10. Sonntag nach Trinitatis / 18. Sonntag im Jahreskreis
ev. Predigttext | kath. 1. Lesung | kath. 2. Lesung | kath. Evangelium |
Jes 62, 6-12 oder Sir 36, 13-19 |
Ex 16, 2-4.12-15 | Eph 4, 17.20-24 | Joh 6, 24-35 |
Neben mehreren bekannten Texten der katholischen Leseordnung (Speisung mit Wachteln und Manna, Der alte und der neue Mensch, Jesus das Brot des Lebens, s. unten) steht ein wenig bekannter Text der evangelischen Perikopenordnung: Die zukünftige Herrlichkeit Zions in Jesaja 62: Angesichts der zerstörten Stadt Jerusalem stellt sich für die aus Babylon Heimgekehrten die Frage nach Gerechtigkeit. Wagen wir einen Blick auf die Trümmer unserer Zeit? Was können wir tun? Wo bleiben wir auf Gottes Hilfe angewiesen? Der Prophet hält fest an der Hoffnung auf die „gesuchte und nicht mehr verlassene Stadt“, die lebenswert ist und bleibt. Aufgrund der klaren Aussagen zum Thema Gerechtigkeit und der Unbekanntheit dieses Textes soll er im Mittelpunkt der Betrachtungen stehen.
Jes 62, 6-12: Hoffnung inmitten von Trümmern
Historische Situation
520 bis 510 v. Chr.: Die Menschen stehen vor den Trümmern ihrer Stadt Jerusalem. Was war passiert? Jerusalem war in Schutt und Asche gelegt und der Tempel war zerstört worden. Jahrelang musste das Volk im Exil in Babylon leben und träumte von der Rückkehr, die alles zum Guten wendet. Endlich erhielten sie die Erlaubnis zur Rückkehr und ein Teil des Volkes hatte sich auf den Weg gemacht. Doch nun ist die Enttäuschung groß: die Stadt ist zerstört, die wirtschaftliche Not groß, die politische Situation unsicher. Und ein Teil des Volkes ist noch immer im Exil.
Bezug zum Israelsonntag
Der 10. Sonntag nach Trinitatis wird im evangelischen Bereich auch als „Israelsonntag“ gefeiert. In zeitlicher Nähe, am Tischa beAw (9. Tag des Monats Aw, 21.-22. Juli 2018) gedenkt das Volk Israel der Zerstörung des Tempels. Seit dem Babylonischen Exil lebt das Volk Israel getrennt, ein Teil lebt im Land Israel, ein anderer Teil über die Welt verstreut. Es hat fast 2000 Jahre gedauert, bis es wieder einen Staat Israel gab. Am Ende der Trauerfeier am Tischa beAw wird dann unser Predigttext gelesen. Er soll auch heute, wo in vielen Teilen der Welt Frieden weit weg scheint, die Hoffnung auf Gerechtigkeit und Frieden wachhalten.
Welt voller Trümmer
Der Predigttext möchte Hoffnung geben. Der Prophet will den Menschen zeigen, dass Jerusalem weiterhin Gottes auserwählte Stadt ist, dass sie weiterhin auf Gott vertrauen können, auch wenn sie zwischen Trümmern stehen.
Auch heute stehen wir inmitten einer Welt voller Trümmer, in der Städte zerstört werden, in der über 65 Mio Menschen auf der Flucht sind - so viele wie nie zuvor - und die Weltwirtschaftsordnung dazu beiträgt, die Ungerechtigkeit zu vergrößern und zu stabilisieren. Die im September 2015 von den UN beschlossenen Entwicklungsziele machen deutlich, wie umfassend der Entwicklungsbedarf weltweit ist. Wenn bei uns in Deutschland die Armut trotz steigender Konjunktur weiter zunimmt - durchschnittlich sind 15,7% der Bevölkerung von Armut bedroht, bei Alleinerziehenden liegt das Risiko sogar bei 44%! - und das Vermögen der Reichen weiter steigt, dann ist das für eine reiche Gesellschaft wie unsere ein Armutszeugnis. Wenn in Deutschland Kleidung zu einem Dumping-Preis angeboten wird und die Näherinnen in Asien zu unmenschlichen Bedingungen arbeiten, von ihrem Lohn kaum überleben können und die Kinder fernab bei den Großeltern leben, dann ist das ein Armutszeugnis für die globale Wirtschaft.
Hoffnung: Gottes neue Welt
Trotzdem, ja gegen alle Realität möchte der Text Hoffnung machen: denn Gott hat geschworen: „Ich will dein Getreide nicht mehr deinen Feinden zu essen geben noch deinen Wein, mit dem du so viel Arbeit hattet, die Fremden trinken lassen, sondern die es einsammeln, sollen’s auch essen und den HERRN rühmen und die ihn einbringen, sollen ihn trinken in den Vorhöfen meines Heiligtums.“ (Vers 9)
Bereits vor 2000 Jahren gibt Gott eine Weisung für die Welt, die bis heute hochaktuell ist. Armut und Reichtum, eine unfaire Verteilung des Kapitals, das gab es schon immer! Aber Gottes neue Welt soll anders aussehen: Dort herrscht „Schalom“, umfassendes Heil, Gerechtigkeit, Friede.
Gottes Mitarbeiter/innen
Um für eine neue Welt zu arbeiten braucht es Mitarbeiter/innen. Und der Predigttext zeigt auf, dass wir Menschen verschiedenes beitragen können:
Zum einen braucht es Wächter (Vers 6) für Gerechtigkeit, und diese sollen den ganzen Tag und die ganze Nacht nicht schweigen! Sie sollen den HERRN erinnern, und das ohne Pause, sie sollen beten und nicht aufhören zu beten für eine gerechtere Welt, im Großen wie im Kleinen, bis Jeru-Salem - die Stadt des Friedens - wieder aufgerichtet ist und sie dem Lob Gottes dient. Dieses Erinnern und Beten ist anstrengend und oft auch entmutigend. Aber wachsame Menschen und ihre Gebete sind wichtig!
Zum anderen braucht es Menschen, die voran gehen, die „den Weg bereiten“ (Vers 10). Es braucht Engagierte, Aktive, die Bahnen bereiten und Steine wegräumen, die Zeichen setzen. Es sind Menschen nötig, die voranschreiten und andere Gruppen oder auch Völker mitziehen auf dem Weg: Menschen, die sich für den fairen Handel einsetzen, die Kampagnen initiieren und sich für eine gerechte Weltwirtschaft einsetzen.
Gott spricht: „Dein Heil kommt!“
Gott ruft, und zwar global, „bis an die Enden der Erde“, damit ALLE es hören: „Siehe, dein Heil kommt!“ Gott selbst schafft Heil, es kommt gewiß. Wir unsererseits können und sollen rufen, Bahnen ebnen, Zeichen setzen, aber wir können Gottes Heil nicht aufrichten. Das wird Gott selbst tun.
Dann werden wir ein „Heiliges Volk“ und „Erlöste des HERRN“ (Vers 12) sein und Jerusalem wird sein: die „gesuchte und nicht mehr verlassene Stadt“ (Vers 12), da, wo Leben lebenswert ist und auf Dauer bleibt.
Exodus 16, 2-4.12-15: Speisung mit Manna und Wachteln - Gottes Heil kommt
Das Volk Israel leidet auf seinem Weg durch die Wüste Hunger. In ihrer Not sehnen sich die Menschen zurück zu den Fleischtöpfen Ägyptens und rufen Gott um Hilfe an. Und Gott schickt ihnen Manna und Wachteln. Gott selbst schafft Heil. In Situationen, in denen menschliches Handeln an Grenzen stößt, da schreitet Gott ein: Er erhört Gebete und schenkt Zeichen der neuen Welt. Nachhaltiges Leben heißt - neben allem notwendigen Handeln und sinnvoller Aktion - auch, darauf zu vertrauen, dass Gott genug zum Leben schenkt. Dieses Gottvertrauen steht dem „immer mehr“, dem unbegrenzten Wachstum entgegen und hilft, angstfrei mit anderen zu teilen.
Epheser 4, 17.20-24: Der alte und der neue Mensch - Gottes Mitarbeiter/innen
Glauben heißt, den alten Menschen abzulegen und den neuen Menschen anzuziehen „in wahrer Gerechtigkeit und Heiligkeit“. Darum gehört zum christlichen Leben nicht nur das Wort, sondern in gleicher Weise die Tat. Einfacher, leichter ist Christsein nicht zu haben. Nachhaltiges Leben, der Einsatz für Gerechtigkeit und Frieden beginnt da, wo wir als Christen „den neuen Menschen anziehen“ und beginnen, unseren Glauben in die Tat umzusetzen.
Johannes 6, 24-35: Brot des Lebens - in zweifacher Hinsicht
„Ich bin das Brot des Lebens“ (Vers 35) spricht Jesus zu dem Volk. Mit diesem Bildwort zur „Speise, die nicht vergänglich ist“ (Vers 27) schafft dieser Text eine Klammer zwischen dem „täglichen Brot“ (vgl. Verse 1-15: Speisung der 5000) und dem „Brot vom Himmel“ (Vers 32). Beides ist nötig und lebensnotwendig! Wir als Gemeinschaft der Christen, wir als Kirche stehen für beides ein: das Gestärkt-Werden im Glauben und den Einsatz für weltweite Gerechtigkeit, die Feier des Abendmahls/der Eucharistie und Unterstützung von Brot für die Welt/ Misereor. Wir bekommen geschenkt vom „Brot des Lebens“ und sind von Gott gerufen, es mit anderen zu teilen.
Martje Mechels, Moers