10. Sonntag nach Trinitatis / 20. Sonntag im Jahreskreis (16.08.20)

10. Sonntag nach Trinitatis / 20. Sonntag im Jahreskreis


ev. Predigttext kath. 1. Lesung kath. 2. Lesung kath. Evangelium
Röm 11,25-32 oder Röm 9,1-5 Jes 56, 1.6-7 Röm 11, 13-15.29-32 Mt 15, 21-28

Einführung in den Sonntag

Der 10. Sonntag nach Trinitatis wird in der Evangelischen Kirche als Israelsonntag gefeiert. Er befasst sich im Besonderen mit dem Verhältnis von Christ*innen und Jüd*innen und erinnert somit an die Verbundenheit der Kirche mit Israel.
Die frühere Bezeichnung „Gedenktag der Zerstörung Jerusalems“ erinnert an die Verbindung mit dem jüdischen Gedenken an die Zerstörung des Tempels, welcher am 9. Av gefeiert wird.
Heute geht es mehr um eine grundsätzliche Neubesinnung des Verhältnisses der Kirche zu Israel. Die Kapitel 9 – 11 des Römerbriefes beinhalten grundlegende Texte für die Besinnung der jüdischen Wurzeln der christlichen Gemeinde.

Herausforderung

Herausfordernd ist m.E. an dieser Stelle immer wieder die aktuelle politische Situation, die es nicht immer möglich macht eindeutig und unbefangen über das Verhältnis von Kirche und Israel zu sprechen, ohne gleich in politische Überlegungen und Diskussionen zu geraten. Die verschiedenen Dimensionen müssen beim Predigen gut und achtsam auseinander gehalten werden.

Röm 11,25-32

In den Kapiteln 9 – 11 des Römerbriefes ringt Paulus um das Verhältnis zwischen der „alten“ jüdischen Tradition und dem „neuen“ christlichen Glauben. Er setzt mit der Feststellung ein, dass Israel das erwählte Gottesvolk ist und bleibt. Die Kinder, der Bund, die Tora, der Gottesdienst und die Verheißungen bleiben bestehen. Mit Israel ist Gott auf alle Zeiten verbunden. Die Menschen aus den Völkern, die sich zum Messias, der aus der Mitte des Volkes Israel stammt, bekennen, lösen dieses Bündnis Gottes nicht ab, sondern treten ihm nur bei. Damit warnt Paulus vor Hochmut über einen besseren oder schlechteren Glauben oder Zugehörigkeit. Mit dem Ölbaumgleichnis (Röm 11,17-24) macht er dies deutlich. Die Wurzel ist Abraham, als Träger der sich in Christus erfüllten Heilsverheißung. Der Stamm des Ölbaumes ist Israel. Die eingepfropften Zweige sind die Heidenchristen, die aus den anderen Völkern dazugekommen sind.

Darauf aufbauend weist Paulus in Röm 11,25 auf das endzeitliche „Geheimnis“ hin: Ganz Israel wird gerettet werden. Dieses Geschehen wird durch dasselbe Erbarmen Gottes geschehen, welches sich auch in Christus offenbart hat.

Die enge Verbindung zwischen Judentum und Christentum besteht bis heute. Die Geschichte der Judenverfolgung, in der die Kirche sich (nicht nur in den Zeiten des Nationalsozialismus) schuldig gemacht hat, wirkt bis heute nach. Judenfeindschaft bedeutet, dass die Kirche ihre jüdischen Wurzeln abschneidet und als solche den Geist verliert, in dem sie lebt. Es bedeutet sich der Grundlage des eigenen Daseins zu berauben. Tora, Gottesdienst und die Verheißungen Gottes an sein Volk Israel aber bleiben bestehen und gelten bis heute auch für die Kirche. Dies wurde erkannt und in verschiedenen Denkschriften und Schuldbekenntnissen bekannt. Dennoch ist noch nichts überwunden.
Eine Predigt an diesem Sonntag kommt also nicht umhin einen Dialog mit dem Judentum zu suchen.

Es gilt nach den Wurzeln zu fragen und diese in ihrer heilsgeschichtlichen Bedeutung im Heute gelten zu lassen. Wer Gottes Treue zu Israel und seinen Bund mit Israel nicht gelten lässt, der wird auch wenig Skrupel haben andere Bereiche zu seinem Herrschaftsgebiet zu erklären. Grenzenloses Denken, Allmachtsphantasien und die Tendenz rein binär (gut und böse, drinnen und draußen, richtig und falsch) zu denken und zu entscheiden, sind nicht nur Grundlage für Antijudaismus, sondern für Ausgrenzung und Ausbeutung in allen Lebensbereichen.

Gottes Gerechtigkeit kann nur dann in allen Bereichen Wirklichkeit werden, wenn seine Fürsorge und sein Bund zu seinem Volk anerkannt werden.
Der Aufruf zur Umkehr ist ein Aufruf zur Rückbesinnung, der nicht mit einem Rückschritt zu verwechseln ist, sondern vielmehr mit einer Achtsamkeit für Menschen und Natur, Herkunft und Religion, Achtsamkeit gegenüber alles Fremden und gleichsam Vertrauten einhergeht.


Das Evangelium nach katholischer Leseordnung aus Mt 15,21-28 nimmt dies auf, ohne allerdings die Thematik des Israelsonntags in besonderer Weise weiterzuführen.
Es ist eine Geschichte von Zugehörigkeit und Ausgrenzung. Eine Geschichte der Begegnung mit dem Fremden. Jesus lässt sich auf das Gespräch mit der kanaanäischen Frau ein und verändert am Ende sogar seine eigene Position. Es ist die einzige Geschichte in der Bibel solcher Art.Was es heißt sich für die Trias Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung in unserer Welt einzusetzen, auch über Grenzen von Volks- und Religionszugehörigkeit hinweg, wird in dieser Geschichte der Begegnung zwischen Jesus und der kanaanäischen Frau deutlich.

Stefanie Bischof, Nauheim