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Jos 3, 5-11.17 | Jes 42, 5a.1-4.6-7 oder Jes 40, 1-5.9-11 |
Apg 10, 34-38 oder Tit 2, 11-14; 3, 4-7 |
Lk 3, 15-16.21-22 |
Kann man einen Text der sogenannten „Landnahme“ angesichts des Nahostkonflikts überhaupt predigen? Die Autorin ordnet den Text aus dem Buch Josua historisch und theologisch ein und skizziert ein Vorgehen für den Umgang in der Predigt. Die anderen Texte zeigen Ansätze von Friedens- und Befreiungsvisionen und lassen sich dem Text aus dem Buch Josua gegenüberstellen.
Jos 3, 5-11.17
Eine kritische Einordnung
Der Josuatext gehört zu den Erzählungen der sogen. „Landnahme“ und erinnert an die Legende von der Überquerung des Schilfmeers durch die Israeliten. Als Nachfolger von Mose soll nun Josua die Gruppe über den Jordan nach Palästina führen. Damit einher soll die Vertreibung vieler ansässiger Völker gehen. Wie gnadenlos das vorstellbar ist, zeigt Jos 6, 21 bei der Eroberung Jerichos: „Mit scharfem Schwert weihten sie alles, was in der Stadt war, dem Untergang, Männer und Frauen, Kinder und Greise, Rinder, Schafe und Esel.“ Doch ist in unserem Text noch ein geordnetes Innehalten zu sehen, mitten im Jordan. Ist es ein Hören auf einen Gott des Friedens, der Land gibt, ohne Gewalt an anderen? – Die Kriegsgeschichten der Landnahme muss man aber dazu denken, weil sie so präsent sind. Sie erinnern an heutige Kriege in der Ukraine, in Gaza, im Sudan. Der Trost, dass nach heutiger Forschung eine solche Landnahme historisch so nicht stattgefunden haben kann, ist jedoch ambivalent. Was geschrieben ist, hat Wirkung – bis heute. Es ist in negativem Sinn nachhaltig. Solche Texte dienten gerade auch in der Geschichte der Christenheit als Legitimation ihrer Kriegszüge. Kann und darf man also einen solchen Text predigen?
Geschichtliche und theologische Einordnung der „Landnahme“
Um das 13./12. Jhd. v. Chr. leiten verschiedene Faktoren (Dürre, Unterbrüche in den Handelswegen, soziale Spannungen, Piraterie etc.) einen Prozess der Zeitenwende ein. Er führt zum Niedergang der einst florierenden kananäischen Stadtstaaten. Eric H. Cline spricht hier gar von dem ersten Untergang der Zivilisation, ja einer bereits globalisierten Welt.[1] Das bislang dünn besiedelte Bergland wird besiedelt. Vor allem Alteingesessene Kanaans und Zugewanderte – Gruppen wie unter Mose/Josua – bilden bäuerliche Gesellschaften. Es ist ein Prozess, der mehrheitlich friedlich, aber nicht immer konfliktlos vonstattenging; daraus formt sich Israel.
Die kriegerische „Landnahme“ hingegen ist ein Narrativ aus späterer Zeit. Die endgültige Erzählung formt sich unter der Erfahrung des babylonischen Exils (597-539 v.Chr.). Als die verschleppte judäischen Oberschicht durch einen Machtwechsel wieder nach Palästina zurückkehren kann, weckt das auch Ängste. Ist Gott überhaupt noch mit uns? Was werden wir in unserer alten Heimat antreffen? Wem gehört nun Land und Boden? Das entspricht bis heute Fragen von Verschleppten, zwanghaft Ausgesiedelten und Vertriebenen. Unser Text knüpft deshalb an die Exodustradition an, um den Leuten Sicherheit zu geben. Der Übergang über den Jordan geschieht mit der Bundeslade. Es soll ermutigen, dass sie es sind, die den „Herrn der ganzen Erde“ (Jos 3,11) nach Hause bringen.
Krieg im Gaza: Wie predigt man eine „Landnahme“-Erzählung?
Angesichts der aktuellen Krise im Gazastreifen und der langen komplizierten Geschichte des Nahostkonfliktes kann man solche Texte der „Landnahme“ keinesfalls unbedarft verkündigen. Der Überfall der Hamastruppen am 7. Okt 2023 mit einem Massaker an der Zivilbevölkerung Israels hat eine verheerende Spirale in Bewegung gebracht. Der Rachefeldzug des israelischen Präsidenten Benjamin Netanjahu gegen die Hamas (Stand Mai 2024) bringt grosses Leid über die palästinensische Zivilbevölkerung im Gazastreifen. All das hat weltweit ungeheuerliche Gräben, auch des Antisemitismus, aufgerissen und sich vielerorts in einem unversöhnlichen Pro oder Kontra Israel manifestiert. Das macht den Josuatext zu einem Text, an dem man sich leicht die Finger verbrennen kann, da darin auch die Fragen stecken, wem das Land Palästina gehört und wann und ob und welche Gewalt legitimiert werden kann. Dennoch plädiere ich dafür, diesen Text nicht fallen zu lassen, weil er helfen kann, diese brennenden Themen aufzugreifen.
Versuche, den Text versöhnend und friedensfördernd predigen zu können – Aspekte der Nachhaltigkeit
- den Text historisch einordnen, ihn als Narrativ der Exilzeit erklären, das Innehalten Josuas mitten im Jordan beleuchten
- andere Narrative aus Opfersicht beleuchten, gerade Gründungsgeschichten des eigenen Landes, der eigenen Stadt (Bsp. Der Gründungsmythos der Schweiz mit dem Freiheitskämpfer Wilhelm Tell glorifiziert den Widerstand der Unterjochten gegen die habsburgischen Besatzer). Welche Funktion haben/hatten diese Erzählungen?
- das biblische „Wording“ (Herr der ganzen Erde, lebendiger Gott, Jordan überqueren, Exodus etc.) mit demjenigen vergleichen, das heute in Konflikten und Kriegen benutzt wird (Wer spricht wann von Terror, Erwählung, Genozid, Angriffs - oder Verteidigungskrieg, Postkolonialismus, Apartheitsstaat etc.?), was lösen die unterschiedlichen Bezeichnungen aus?
- die tiefen Wurzeln des Nahostkonflikts historisch benennen (Palästina als britisches Mandatsgebiet, jüdische Einwanderung aus europäischen Ländern, in den Juden verfolgt wurden, UN-Teilungsbeschluss 1947 etc.)
- Ermutigende heutige Projekte anführen. Beispiel: Das Restaurant „Kanaan“ in Berlin, geführt von Oz Ben David, einem jüdischen Israeli und Jalil Dabit, einem arabischen Palästinenser.
Nach dem 7. Okt schlossen sie das Restaurant und eröffneten es dann vier Tage danach bewusst wieder. In ihrem Restaurant wollen sie zeigen, wie Toleranz und Verständigung ganz praktisch funktionieren.[2] - Herausforderung unserer Gesellschaft thematisieren, eine Widerspruchskultur zu pflegen, anstatt alle Widersprüche zugunsten einer Scheineindeutigkeit auszulöschen.
- Anknüpfen an biblische Traditionen, die alternative Wege zu Hass und Gewalt aufzeigen
Jes 42, 5a.1-4.6-7 oder Jes 40, 1-5.9-11
Berge und Hügel machen den Weg frei für das Volk mit dem guten Hirten
Die beiden Texte des zweiten Jesaja, ebenfalls an die Exilierten Babylons gerichtet, enthalten offenere und friedlichere Hoffnungsbilder. Der „Gottesknecht“ in Jes 42 bringt wohltuend und befreiend den Nationen (!) das Recht, ohne Gebeutelte zu beugen oder Schwache zu knicken.
Ein Neubeginn ist nicht nur für Israel, sondern für die ganze Menschheit skizziert. Das leidgeplagte rückkehrende Volk soll gerade deswegen ein Licht für die Nationen werden (Jes 42,6). Diese Rückkehr ist eine Demonstration, in der Berge und Hügel freie Fahrt ermöglichen, indem sie eben werden (vgl. Jes 55,12). Was Freund und Feind verbindet, ist ihre Vergänglichkeit (Jes 40,6 „Alles Fleisch ist Gras“). Vom Ort der Zerstörung herab, dort wo einst der Tempel gestanden ist, soll voller Freude in die Welt gerufen werden: Freiheit statt Unterdrückung („ihr Frondienst vollendet, ihre Schuld abgetragen“). Darin enthalten: Auch als Opfer die Irrtümer und Fehler (eigene oder der politischen Führenden) zu erkennen. Mit V.11 schliesst die Demonstration mit einem tragfähigen Bild ab: Dieser Gott erweist sich hier nicht als Kriegsherr, sondern als guter Hirte, der zärtlich die Lämmer trägt und die Mutterschafe beschützt.
Apg 10, 34-38
Aus jedem Volk willkommen
Dieser Text fügt sich gut an die Jesaja-Texte an. Die Offenheit bezüglich der Nationen spitzt sich in der Apostelgeschichte in einem Wort von Petrus zu: „Jetzt erkenne ich wirklich, dass bei Gott kein Ansehen der Person ist, sondern dass ihm aus jedem Volk willkommen ist, wer ihn fürchtet und Gerechtigkeit übt.“ Die Volkszugehörigkeit, im Text in Bezug auf den heidnischen Kornelius, Repräsentant der römischen Militärmacht, spielt keine Rolle. Was eine Person ist, aus welchem Volk sie kommt, ist egal. Es zählt, wer Gott fürchtet und die Weisungen zum guten Leben achtet.
Lk 3, 15-16.21-22
Umkehr am Jordan
Im Jordan stehen: Das bezeichnet wie in Jos 3 eine theologisch-politische Landschaft (siehe auch Lk 1,1f. mit der Nennung der politischen Autoritäten!). Doch Jesus ist ein Josua anderer Art (Jesus: griech. Form des hebr. Jehoschua/Josua). Jesus wird in der Taufe zum „Sohn“ und repräsentiert „ganz Israel“, an dem Gott Wohlgefallen hat. Damit wird der Jordan zum Ort der Kontinuität der Geschichte Israels. Vorausgesetzt ist eine bewusste Umkehr. Im Hintergrund des Textes steht auch hier eine Katastrophe: der Untergang Jerusalems im Jahr 70 n. Chr. Nach der Zerstörung (erneut auch des Tempels) ist nicht mehr klar, was Israel ausmacht. Es ist gespalten, zerstreut und verwundet (nicht unähnlich dem heutigen politischen Israel).
Lukas hält damit der messianischen Ekklesia vor Augen, dass sie Teil dieser Geschichte Israels bleibt. Jedoch ist der Gott des Befreiens für alle da, auch für die Gojim, die entsprechend handeln. Die Taube, einst Begleittier der altorientalischen Liebesgöttin, wird zum Bild der Solidarität Gottes für all jene, die diesen durchaus risikoreichen Schritt wagen, da Bosheit sehr nützlich und mächtig sein kann (wie Lk, 3,19f. zeigt!). Johannes, der wie ein Prophet auftritt, zeigt wie konkret Umkehr zu verstehen ist: Statt Besitz anzuhäufen, abzugeben („Mantel“), als Kollaborateur der Besatzungsmacht Roms nicht zu betrügen („Zöllner“) und als Soldaten, die Gewalt wenigstens einzudämmen, wo es in ihrer Macht steht (V.10-14).
Aspekte der Nachhaltigkeit: Es ist, im Detail gelesen, ein völkerverbindender Text, versöhnend, aber den Preis einer Umkehr klar fordernd. Was bedeutet Umkehr heute als Einzelne, aber auch als Kollektiv, als Volk? (z.B. bez. Hasskultur, Schöpfung, Tiere etc.). – Für die Kirchen gehört es zur wichtigen Aufgabe, die gemeinsame Wurzel mit Israel zu reflektieren und zu kommunizieren.
Titus 2,11-14; 3,4-7
Wie nachhaltig friedlich sind Unterordnung und Anpassung?
„Den Begierden der Welt abzuschwören“: Der Schreiber dieses späten Textes aus dem 2. Jhd. hat sein eigenes Nachhaltigkeitskonzept für das Evangelium: Ordnung und Hierarchie nach dem Muster eines römischen pater familias. Durch „gute Werke“, Freundlichkeit und Anpassung soll die christliche Gemeinde nirgendwo anecken. Doch auch dieses Streben nach Reinheit und Ordnung ist letztlich eine Begierde der Welt! Geopfert wird ein freiheitliches Leitungskonzept, in dem Gott selbst durch die Charismen der Einzelnen die Leitung inne hat (siehe 1 Kor 12,4f.). Die Frau ist hier mehrfach in der Rolle der Unterworfenen (als Bürgerin, als Ehefrau, als Sklavin) oder trägt mit, diese Hierarchie aktiv aufrecht zu erhalten. Problematisch ist zudem, dass jene, die an alter jüdischer Tradition festhalten, als Bedrohung für die messianische Gemeinde betitelt werden. Der zunehmende Riss zwischen Judentum und messianischer Ekklesia erhält Kontur. Kommen hier die guten Werke bereits an ihre Grenzen?
Diese Themen sind heikel, aber in der entsprechenden Fragestellung und m.E. mit der nötigen kritischen Distanz, hochaktuell einzubringen. Der Brief enthält zudem eine überraschende Öffnung zum Universalen: Die Christ:innen sollen sich allen Menschen mit „guten Werken“ zuwenden. (Tit 2,11). //
Sara Kocher, Ev.-ref. Landeskirche Kanton Zürich
[1] Eric H. Cline, 1177 v. Chr. Der erste Untergang der Zivilisation, Konrad Theiss Verlag, Stuttgart 2015
[2] Ein Interview ist zu finden unter https://www.dw.com/de/make-hummus-not-war-das-berliner-restaurant-kanaan/video-67286601