12. Sonntag nach Trinitatis / 20. Sonntag im Jahreskreis
ev. Predigttext | kath. 1. Lesung | kath. 2. Lesung | kath. Evangelium |
Apg 3, 1-10 | Spr 9, 1-6 | Eph 5, 15-20 | Joh 6, 51-58 |
Im ersten Text (Apg) skizziert der Verfasser die „Lahmen und Blinden“ unserer Zeit und nennt die „lähmenden“ Mechanismen. Im zweiten Text (Joh) wird dem das biblische Modell von Kommensualität und Reich Gottes gegenübergestellt. Der dritte Text (Eph) spricht die not-endende Lebensführung an, deren im vierten Text (Spr) verheißene Folgen uns davon überzeugen wollen, dass die Befolgung der Weisungen des Herrn uns das bringen kann, was wir heute so dringend brauchen und sehnlich herbeiwünschen.
Apg 3,1-10
• Exegese
Der Gelähmte dieser Erzählung ist einer aus der langen Reihe von Menschen mit Behinderungen aller Art, von Lahmen und Blinden, Bettelarmen und Kranken, Krüppeln, Tauben und Stummen. Sie sind ganz selbstverständlich Teil des Volkes. Solche Menschen genießen in der gesamten Bibel einen hohen Rang und sind im AT durch eine hoch differenzierte Sozialgesetzgebung (vgl. Dtn 24,1ff) besonders geschützt.
Jesus räumt den „Lahmen und Blinden“ einen bevorzugten Platz ein. Die gesamte Reihe der Gebrechlichen wird von der Straße weg zum Festmahl eingeladen (Lk 14, 15-24). Beim Mittagsmahl eines führenden Pharisäers macht Jesus deutlich, wer die rechten Gäste sein sollen: nicht Freunde und Reiche, sondern Arme, Krüppel, Lahme und Blinde (Lk 14, 12-14).
Dass Lukas in seiner Apostelgeschichte (3, 1-10) die Heilung durch Petrus und Johannes in Jerusalem und die durch Paulus und Barnabas in Lyra (14, 8-10) in gleicher Form darstellt wie die Heilung eines Gelähmten durch Jesus in Kafarnaum (Lk 5, 17-26) soll zeigen, dass die Heilkraft Jesu auf die Apostel und die Gemeinschaft der Jünger übergegangen ist. Christliche Gemeinschaften aller Zeiten haben die Kraft und den Auftrag, heilsame Lebensräume zu sein und zu schaffen und gegen alles anzutreten, was Leben behindert und vernichtet.
• nachhaltig
Wenn wir den „Mutterleib“ (V 2) nicht als individuelles, biologisches, sondern als gesellschaftliches Gebilde verstehen, dann finden wir viele Arten von kranken und krankmachenden „Mutterleiben“ vor, dann wird das Evangelium sehr ergiebig. Denn dann sind wir in den nicht enden wollenden Elendsgürteln ohne Infrastruktur um die Megastädte, bei den Menschen, die in auf stinkenden Müllhalden errichteten Blechhütten hausen, in überfüllten Flüchtlingslagern mit miserabler Infrastruktur, bei Arbeitssklaveninnen und -sklaven in versifften Hinterhöfen oder auf vergifteten Plantagen. Kinder, die hier geboren werden, wachsen bewegungs- und wahrnehmungsbehindert auf, lahm an den Füßen, mehr noch im Kopf und im Herzen, früh beschädigt an Leib und Seele.
Diese Zustände sind Teil – wesentlicher Teil – einer Struktur, in die wir aktiv und passiv, als Täter und immer mehr auch als Opfer, durch unseren Lebensstil und unsere Wirtschaftsweise eingebunden sind.
Die zerstörerischen Mechanismen werden dadurch verschleiert, dass ihre Profiteure sie als ökonomische Naturgesetze verherrlichen, die letztendlich das Heil aller bewirken werden. Dieser Glaube hat quasireligiösen Charakter. Er lässt sich besonders in höchsten wissenschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Etagen trotz des zunehmend kritischer werdenden Zustands von Erde, Luft und Meeren nicht erschüttern, auch nicht durch das weltweit um sich greifende Massenelend und die dadurch ausgelösten Flüchtlingsströme. Die Strukturen sind hoch kompliziert, der Grundmechanismus aber simpel: Die Kleineren arbeiten für die Größeren; über viele Schritte wird von unten nach oben verteilt, so dass immer mehr Menschen immer weniger haben, während sich bei immer weniger Menschen immer mehr Reichtum und Macht aufbauen. Das ist ein maligner Mechanismus, ein System, das tötet.
Als klassisches Beispiel sei die Verschuldung von Entwicklungsländern genannt. Das als „Zinshilfe“ erhaltene „frische Geld“ wird direkt an die Kreditgeber weitergereicht. Diese werden reicher, die Schuldner ärmer, weil ihr Schuldenberg noch höher geworden ist – und das ist gewollt. Zum Schluss werden sie gar gezwungen, ihren Hafen zu verkaufen und ihre Ölquellen und fruchtbarsten Ackerböden „Investoren“ unterm Preis zu überlassen. Sie selbst kommen nicht auf eigene Beine, sie bleiben lahm. Das Aufdecken und Anprangern solcher mit dem Etikett „Hilfe“ versehener Praktiken sind unabdingbare Beiträge zur Nachhaltigkeit.
Joh 6, 51-58
• Exegese
Zum damals üblichen Opferritus
„Wer mein Fleisch isst …“? Ein Teil des Opferfleisches – der beste – wurde auf dem Altar verbrannt. Einen weiteren Teil erhielt der Opferpriester und den Rest derjenige, der das Opfer-Tier dargebracht hatte, um im Bereich des Tempels für sich und Freunde ein Festmahl abzuhalten. Die Menschen im Orient glaubten, bei diesem Mahl sei Gott selbst zu Gast. Er sei in das dargebrachte Fleisch eingegangen, so dass sie bei diesem Mahl ihn aßen und dadurch seine dynamische Lebenskraft in ihnen wohne. Mit diesem Hintergrund hatten die Leser des Johannesevangeliums ein tiefes Verständnis vom christlichen Herrenmahl als Vereinigung mit Gott und den Brüdern und Schwestern. „Das „Fleisch“ Jesu ist die „absolute, vollständige Menschennatur (!) Jesu“, „der Mensch gewordene Gedanke Gottes“ (Barclay).
Das Blut ist in jüdischem Denken ein Sinnbild des Lebens und gehört Gott.
Wahrheitsverständnis im Joh-Ev
Johannes „übersetzt“ das vom Juden Jesus verkündete Evangelium in den vom Dualismus geprägten hellenistischen Sprach- und Denkraum. Das griechische Wort „a-letheia“ bedeutet wörtlich übersetzt: Un-verborgenheit, positiv ausgedrückt Aufgedecktheit, Erschlossenheit. Aufgedeckt, geoffenbart wird das Jenseitige, das Göttliche als die echte, die eigentliche Wirklichkeit (Wikenhäuser).
V 55 im Urtext lautet „Denn mein Fleisch ist die wahre Speise“ (nicht: „ist wirklich eine …“). D.h. wer diese Speise isst, verleibt sich Göttliches ein und bekommt dadurch über Jesus real Anteil an der Lebenskraft Gottes.
Altorientalischer Opferritus und hellenistische Philosophie kommen hier zum gleichen Ergebnis.
• nachhaltig
Bei der Interpretation dieser Perikope geht es um die innere Dimension von Nachhaltigkeit, um ihre Tiefe und ihr spezifisch christliches Fundament. Es geht um maßgebende Orientierung und ein letztgültiges Entscheidungskriterium – und um unerschöpfliche Energie im Engagement für die Erhaltung unseres Lebenshauses Erde.
Das Brot zur Ernährung aller Völker, zur Befriedung der ganzen Welt ist die Menschlichkeit (!) Jesu, sein „Fleisch“, d.h. seine Art zu leben, seine Worte und Taten, die wir als Antwort auf den Zustand der Welt seiner Zeit verstehen müssen, um daraus in allseitig offenen Gesprächen mit Zeitgenossen Lösungen für heute zu erarbeiten. Es gilt, seiner Utopie, seiner Vision vom Reich Gottes, die erst einen anfänglichen oder (noch) keinen Platz (ou-topos) gefunden hat, Platz zu schaffen – auf allen Ebenen und in den vielfältigsten Koalitionen im Bereich der Religionen und mit allen Interessierten.
Offene Tischgemeinschaft war ein Kennzeichen Jesu, wirklich offen zu sein für Freunde und Feinde, Arme und Reiche, Kranke und Gesunde, vornehmlich aber für die Behinderten und Bedrückten aller Art. Je mehr sie in die Mitte gestellt werden, desto besser das Leben der Welt. Das Wachstum dieser Mitte, nicht das des Bruttosozialprodukts ist Kriterium der Nachhaltigkeit.
Eph 5,15-20
• Exegese
Der Epheserbrief ist eine Art Rundbrief, den ein Paulusschüler Ende des 1. Jahrhunderts für einen großen Adressatenkreis geschrieben hat. Er thematisiert innere Einheit und Fragen der Lebensführung. Der Verfasser sieht die Christen in Gefahr, in ihrem christlichen Ethos lau zu werden und zu erlahmen. Er geht, modern gesprochen, gegen eine „Verbürgerlichung“ der Gemeinde an, wo Christsein nur noch ein Sahnehäubchen auf dem erworbenen Wohlstand ist.
„Und Jesus? Oft kommt es mir so vor, als sei der Befreier ein Gefangener seiner Kirche, von seinen Gläubigen aus der Welt, aus dem Jetzt und Hier herausgenommen, als habe die Stiftung den Stifter, die Stellvertretung den Vertretenen verschluckt …“ (Friedolin Stier)
• Impulse zu nachhaltig
V 16: „Die Tage sind böse“: aktueller Zustand
- der Meere (Anstieg des Meeresspiegels, Veränderung der Tiefenströme, Plastikmüll, Schadstoffeinträge, Überfischung … …),
- von Luft und Atmosphäre (Smog, Ozon, rapide Klimaveränderung, vermehrte Extremereignisse, …),
- von Land und Boden (Verlust an Artenvielfalt, Überschwemmungen, gesteigerte Wüstenbildung, Abholzung von Regenwäldern, Ausbeutung und Verseuchung von Böden, …,
- weltweit Krieg, Terror, Flucht, Hungersnöte, Massenelend … Die Opfer verfehlter Entwicklungs- und Handelspolitik klopfen heftig an unsere Tür.
Konsequenzen in der Lebensführung:
V 15. 17: „Seid nicht töricht und unverständig“: Devise: Ich zuerst und ich auf Kosten anderer.
• Flugreisen ins ferne Ausland, nur weil`s billig ist;
• frische Erdbeeren im Winter, Mangos in der Erdbeerzeit,
• billig statt haltbar,
• Gutes und Schönes wegwerfen, nur weil es psychologisch schrottreif ist,
• ich muss immer das Neueste haben …
V 18: „berauscht euch nicht“, „seid nicht zügellos“:
• Verführungskünste der Werbung, Gestaltung von Verpackungen, Präsentation und Ambiente.
• „Hast du was, dann bist du was“, „Immer nur das Beste und Neuste“, …
V 15. 17: „Seid klug und verständig“: Devise: „Ich mit allen im Lebenshaus Erde“
• Reparieren statt wegwerfen,
• Fahrrad und öffentliche Verkehrsmittel statt allein im Auto,
• wenig und gut statt viel und billig,
• Nutzungsdauer, Recycelbarkeit, Produktionsbedingungen und Handelswege?
• Erkennen (wollen) der Zusammenhänge (Ursächlichkeiten und Wechselwirkungen) zwischen individuellem Verhalten und globalen Auswirkungen.
Die Liste möglicher konkreter kluger Verhaltensweisen ist unendlich, und zahlreiche Bücher, Zeitschriften und Sendungen können diesbezüglich informieren, inspirieren und animieren. Entscheidend ist die Praxis, und davor liegt eine ernsthafte Grundentscheidung, eine Metanoia am besten mit anderen zusammen.
Spr 3, 1-10
Bei uns ist die gestaltende Macht zunehmend von der Politik auf die Wirtschaft verschoben worden, die ihrerseits vom sich auf wenige konzentrierenden Kapital gesteuert wird, weg von einer demokratischen Basis zu einer diktatorischen Spitze. Die biblischen Texte sprechen von einem gegenteiligen Modell.
V 1: Die Sozialgesetzgebung AT und, so können wir heute hinzufügen, die Lehre und Praxis des Reiches Gottes im NT müssen der heute alles beherrschenden Ideologie des kapitalistischen Ökonomismus entgegengestellt werden und sie ablösen.
Als Folgen werden verheißen: verlängerte Lebensdauer und Wohlergehen (V 2), dauerhafte Liebe und Treue (V 3), Gesundheit (V 8).
Die Bedingungen sind: Die Tora und das Evangelium Jesu „im Herzen zu bewahren“, sie zu kennen, von ihnen überzeugt zu sein, nicht als Glaubenssätze, sondern als persönliche und politische Grundsätze, Orientierungs- und Kraftquelle.
Damit sie das sein können, ist es erforderlich, eigene Klugheit und Intelligenz mit Vertrauen auf den Herrn zu verbinden, Gott und Welt zusammen zu bringen, „den Himmel zu erden“, die Erde zu heiligen, d.h. nach Gottes Willen zu gestalten (V 5. 6).
Nachhaltiger geht`s nicht.
Hans Kirsch, Landau