12. Sonntag nach Trinitatis / 21. Sonntag im Jahreskreis
ev. Predigttext | kath. 1. Lesung | kath. 2. Lesung | kath. Evangelium |
Jes 29,17-24 | Jes 22, 19-23 | Röm 11, 33-36 | Mt 16, 13-20 |
Gedanken zur katholischen Leseordnung
Im Matthäusevangelium finden sich drei Worte, die sehr nachhaltig wirken, weil sie quasi Ewigkeitscharakter haben. Erstens wird Petrus als Person als „Fels" bezeichnet, als ein steinernes Fundament, auf dem sich etwas erbauen lässt. Zweitens lässt der Evangelist Jesus erläutern, dass es die Kirche ist, die auf diesem Fundament erbaut wird und dass sie dauerhaft Bestand haben wird, da ihr alle negativen Kräfte letztlich nichts anhaben können. Und drittens überträgt Jesus dem Petrus die Binde- und Lösegewalt. Gott selbst hält sich im Himmel an das, was der Beauftragte auf Erden binden und lösen wird. Nicht zuletzt durch den Missbrauchsskandal hat das Image der christlichen Kirchen massiv gelitten und wird ihre konkrete Gestalt in Frage gestellt. Insbesondere der Aspekt der Macht wird kritisiert, da zumindest in der katholischen Kirche in ihrer hierarchischen Struktur die Machtfülle ausschließlich in den Händen geweihter Männer liegt. Im Bischofsamt findet sich keine Gewaltenteilung und es mangelt in vielen Bereichen an Kontrolle. Viele Tausende verlassen Jahr für Jahr enttäuscht sowohl die katholische als auch die protestantischen Kirchen. Die Predigt kann die Frage aufgreifen, wie eine Kirchengestalt heute aussehen sollte, um tatsächlich glaub-würdig zu sein und somit nachhaltig.
Ein praktischer Anknüpfungspunkt an die Lebenswelt der Gottesdienstbesuchenden ist der Schlüssel. Es kann die Einladung erfolgen, mein Schlüsselbund einmal zur Hand zu nehmen und zu schauen, wozu habe ich Zugang. Welche Räume kann ich öffnen und schließen? Wie sieht es im übertragenen Sinn mit der Kirche aus? Wie erschließt sie sich mir? Wo finde ich Zugang und wo nicht? Wo bleiben mir Türen / Zugänge zu Kirche und Glaube verschlossen? Wo suche ich überhaupt noch Zugang und wo habe ich bereits aufgegeben?
Es gibt lebendige Schlüssel aus Fleisch und Blut. Ein anderer Mensch kann für mich zum Schlüssel werden, eine Schlüsselrolle spielen und eine Schlüsselposition einnehmen. Welche Schlüsselerlebnisse waren für mich aufschlussreich? In der Biologie gibt es das Schlüssel-Schloss-Prinzip. Bestimmte Stoffe unseres Körpers finden zueinander, wenn ihre Oberflächenstruktur oder chemische Struktur genau aufeinander abgestimmt sind. Freundinnen und Freunde können füreinander nach dem Schlüssel-Schloss-Prinzip funktionieren. Bei Jesus und Petrus war dies der Fall, auch wenn Petrus in einer Situation der Angst bestreitet, diesen Menschen zu kennen und sich so selbst aussperrt, bis ihn Jesus als der Auferstandene erneut zusagt „Fürchte dich nicht! Ich bin der Erste und der Letzte und der Lebendige. Ich war tot, doch nun lebe ich in Ewigkeit, und ich habe die Schlüssel zum Tod und zur Unterwelt" (Offb 1,18). Durch dieses Schlüsselereignis wurde Petrus zum großen Verkünder und selbst zum Schlüssel für die entstehenden Gemeinden.
Aufgabe der Kirche auch heute muss es sein, Lebens-Räume zu erschließen, wo Menschen sein dürfen, wo ihnen ihre eigentliche Bestimmung erschlossen wird. Aufgabe der Kirche muss es ebenso sein, Schutzräume zu bieten, Schutzräume für Vergebung und Versöhnung, für Neuorientierung und Heil. Die Kirchen dürfen dem Handeln Gottes nicht entgegenstehen, dessen Wege letztlich immer unerforschlich sind (vgl. Lesung aus dem Römerbrief). Ansonsten stellt sich im Fall des Missbrauchs die Frage, ob jemand nicht seines Amtes enthoben und ihm die Schlüsselgewalt genommen werden muss (vgl. Lesung aus dem Propheten Jesaja).
Ein anderer praktischer Zugang auf die Frage „Für wen hältst du mich?" kann ein Losungswort (Lösungswort) sein, das mir Zugang zu Jesus und zum Glauben verschafft. In der Alltagswelt brauche ich häufig ein Passwort, um mich in ein Computerprogramm o.ä. einzulocken. Es wird immer wieder auf's Neue abgefragt und ändert sich nur dann, wenn ich selbst es verändere. Ähnlich fragt uns Jesus immer wieder nach seinem Passwort, seinem Losungswort. Doch dieses Wort ist nicht mechanisch starr und fest, sondern dynamisch und lebendig. Es ist veränderlich, weil es ein Wort des Glaubens ist, gesprochen mit meiner Person, gesprochen mit meiner Glaubens- und Lebensgeschichte, gesprochen aus meiner momentanen Verfassung heraus. „Schwester, sage mir, für wen hältst du mich?" „Bruder, sage mir, wer ich für dich bin?" - was würde ich antworten? Vielleicht im Sinne von Lothar Zenetti: „Für wen ich Jesus halte? Dass er mich hält!"
Gedanken zur evangelischen Leseordnung
Der Jesajatext ist Bestandteil der Weherufe über Israel und Juda. Die Situation mag in manchem ähnlich gewesen sein wie heute. Die wirtschaftlichen Verhältnisse führen zur zunehmenden Spaltung zwischen Arm und Reich. Im juristischen Bereich wird das Recht gebeugt und Benachteiligte haben es schwer, ihr Recht zu bekommen. Im kulturellen Bereich stoßen verschiedene Traditionen aufeinander und die Menschen im Israel des 3. Jahrhunderts fragen sich, wieweit sie die griechischen Sitten und Gebräuche übernehmen sollen. Dies hat ebenso Auswirkungen auf den religiösen Bereich und die Entscheidung, auf welche Traditionen die Gläubigen zurückgreifen und auf welche nicht. Auch heute gibt es innerhalb der Kirche(n) beide Strömungen: die Bewahrer und die Neuerer, die Konservativen und die Progressiven, die Fundamentalisten und die Revoluzzer. Beide werfen sich gegenseitig vor, zerstörerisch zu wirken. Beide klagen und murren. Heute wie damals schleichen sich depressive Tendenzen ein, Zukunftsängste und Hoffnungslosigkeit. Es fehlt an Träumen und Visionen, an Ideen und Perspektiven. Die Predigt kann die aktuelle gesellschaftliche und kirchliche Situation aufgreifen, die vorhandenen Spaltungen und die unterschiedlichen Lösungsansätze. Im Sinne der Nachhaltigkeit das Wort: „Was bleiben will, muss sich wandeln!"
In diese Situation der Ungewissheit und Konflikte hinein ertönt ein Wort Gottes der Hoffnung. Die Dinge werden sich zum Guten ändern. Der Begriff der Hoffnung ist ein Nachhaltigkeitswort schlechthin. Hoffnung wirkt dauerhaft, weil sie nicht aufgibt, weil sie nicht klein beigibt, weil sie ermutigt und weil sie letztlich auf Gott vertraut. Hoffnung ist eine anthropologische Grundkonstante, die über alle Jahrhunderte und über Generationen hinweg Menschen leben lässt und in Kombination mit Glaube und Liebe Fruchtbares bewirkt. Paulus wünscht daher der Gemeinde in Rom: „Der Gott der Hoffnung aber erfülle euch mit aller Freude und Frieden im Glauben, dass ihr immer reicher werdet an Hoffnung durch die Kraft des Heiligen Geistes" (Römerbrief 15,13). Die Predigt kann den Begriff der Hoffnung aufgreifen und ihre Bedeutung für eine positive Entwicklung in Kirche und Gesellschaft.
Stefan Federbusch ofm