12. Sonntag nach Trinitatis / 23. Sonntag im Jahreskreis (04.09.22)

12. Sonntag nach Trinitatis / 23. Sonntag im Jahreskreis

ev. Predigttext kath. 1. Lesung kath. 2. Lesung kath. Evangelium
Apg 9,1-20 Weish 9, 13-19 Phlm 9b-10.12-17 Lk 14, 25-33

 

Apg 9,1-20

Exegetische Bemerkungen

Der Bekehrung des PharisĂ€ers Saulus aus Tarsus vom Christenverfolger zum Apostel der Völker («Heiden») kommt im lukanischen Werk zweifellos eine besondere Bedeutung zu. Das wird auch darin deutlich, dass sie spĂ€ter gleich doppelt wieder aufgenommen wird (in Apg 22,3–21 und in 26,4–23), dannzumal aus der Sicht des Paulus erzĂ€hlt. Hier in Apg 9 wird eine doppelte Christus-Erscheinung erzĂ€hlt: Zuerst das sog. «Damaskuserlebnis», in dem Saulus die Stimme Jesu hört, und im Anschluss, wie der Herr dem JĂŒnger Ananias erscheint und ihn beauftragt, Saulus aufzusuchen, da er diesen als «sein Werkzeug» ausersehen habe.

NachhaltigkeitsbezĂŒge

Die ErzĂ€hlung ĂŒber das sog. «Damaskuserlebnis» lĂ€dt vor allem dazu ein, ĂŒber das Thema «Umkehr» nachzudenken. Ein Mensch Ă€ndert sein Leben von Grund, nicht aufgrund eigener Einsicht, sondern aufgrund eines Ereignisses, das man nur als traumatisch bezeichnen kann. Drei Tage lang wird der Christenverfolger Saulus mit Blindheit geschlagen. Er isst und trinkt nichts, bevor er wieder sehen kann. Dann fĂ€ngt er ein komplett neues Leben an und wird zum Apostel der Völker. Die Wendung «vom Saulus zu Paulus werden» ist mittlerweile sprichwörtlich. Sie bezeichnet Menschen, die gleichsam weltanschaulich «umgedreht» wurden und nun mit der gleichen Leidenschaft fĂŒr etwas eintreten, das sie eben noch bekĂ€mpft hatten.

Metanoia, Umkehr, ein radikaler Wandel unseres Lebensstils – wĂ€re das nicht auch von uns verlangt, den Bewohner*innen der reichen Industrienationen mit ihrem viel zu grossen ökologischen Fussbadruck? Aber was kann uns zu dieser Umkehr bewegen? Der Anstoss in unserer Geschichte kommt von aussen. Christus begegnet dem Christenverfolger. Es ist nicht Einsicht, vernĂŒnftiges Nachdenken, die Zunahme an Wissen, die der Umkehr vorausgehen, sondern ein traumatisches Erlebnis. Die Corona-Pandemie – so dachten und hofften zumindest im FrĂŒhjahr 2021 einige – könnte ebenfalls ein solches Widerfahrnis sein, das eine grundlegende Umkehr unserer Gesellschaft möglich macht. Die drastische Reduktion der Anzahl Flugbewegungen etwa war fast von einem Tag auf den anderen Tatsache – etwas, das durch politische Massnahmen undenkbar gewesen wĂ€re.

Brauchen wir Menschen traumatische Leidenserfahrungen, um unserem Leben eine neue Richtung zu geben? Oder ist das Spezifische des Damaskuserlebnisses vielmehr darin zu sehen, dass Saulus das Gute – in Gestalt von Christus – erscheint? Ist das ÜberwĂ€ltigende hier also das BerĂŒhrtwerden durch das Gute, durch Christus selbst, den Paulus bis jetzt verfolgt hatte. Ist es also nicht das Negative, das eine Umkehr befördert, sondern das in BerĂŒhrung Kommen mit dem Guten und Wahren?

In jedem Fall haben wir es bei der Bekehrung des Saulus von Tarsus mit einer der nachhaltigsten LebensĂ€nderungen der Weltgeschichte zu tun. Der Völkerapostel, der grosse Universalisierer des Christentums, bleibt «gezeichnet» von diesem ĂŒberwĂ€ltigenden und höchstpersönlichen Erlebnis, wird zum Zeugen einer Wahrheit, die er bezeugen kann, bezeugen muss, die er aber nicht selber beglaubigen kann. Paulus ist also der Inbegriff eines existenziell Bewegten, und gerade dieses existenzielle Getroffensein durch die Wahrheit – das eben viel mehr ist als nur ein intellektuelles Zur-Kenntnis-Nehmen von etwas Wahrem – bewegt ihn, ĂŒber bestehende Grenzen hinaus zu gehen und Menschen mit der Wahrheit in Kontakt zu bringen.

Phlm 9b-10.12-17

Exegetische Bemerkungen

Der Sklave Onesimus ist seinem Herrn Philemon entlaufen und hĂ€lt sich nun bei Paulus auf. Im Philemon-Brief bittet Paulus den Angeschriebenen darum, Onesimus, der ihm selbst zum Sohn geworden ist, wieder bei sich aufzunehmen, aber nun «nicht mehr als Sklaven, sondern [
] als geliebten Bruder» (V.16). Paulus bittet Philemon, Onesimus «so aufzunehmen, wie du mich aufnehmen wĂŒrdest» (V.17).

NachhaltigkeitsbezĂŒge

FĂŒr die Nachhaltigkeitsthematik ist dieser Abschnitt aus dem Philemon-Brief nicht sonderlich ergiebig. Ein indirekter Bezug könnte in der Wahrnehmungsthematik gesehen werden: Paulus bittet Philemon darum, Onesimus im Licht der Liebe anzuschauen, und in diesem Licht wird aus dem Sklaven, der in erster Linie nĂŒtzlich zu sein hat, ein «geliebter Bruder». FĂŒr eine christliche Ethik ist diese Transformation des Blicks von zentraler Bedeutung: In Bezug auf andere Menschen, die erst so im eigentlichen Sinne als Menschen wie du und ich, als Mitmenschen, gesehen werden; aber auch in Bezug auf unsere tierischen Mitgeschöpfe, deren Situation oft tatsĂ€chlich jener von Sklavinnen und Sklaven Ă€hnelt: Sie sind menschliches Eigentum; sie werden auf ihren instrumentellen Wert reduziert; ihnen wird verwehrt, ein eigenes Leben, in dem sie ihre Natur verwirklichen können, zu leben. Ist die christliche Verheissung der Freiheit, der Befreiung aus versklavenden Strukturen, nur auf Menschen beschrĂ€nkt? Ist es fĂŒr eine christliche Ethik akzeptabel, dass Tiere (nicht nur rechtlich) als Eigentum des Menschen betrachtet werden? MĂŒsste nicht stĂ€rker ins Bewusstsein gerĂŒckt werden, dass sie sich selbst und (im Letzten) Gott, ihrem Schöpfer, gehören?

Lk 14, 25-33

Exegetische Bemerkungen

Die Perikope ist bis auf V.26f (vgl. Mt 10,37f.) lukanisches Sondergut. Der Ruf in die Nachfolge ist gegenĂŒber der MatthĂ€usparallele verschĂ€rft. Wer Jesus nachfolgen will, muss seine Familienangehörigen und dazu sein eigenes Leben ‘hassen’.

NachhaltigkeitsbezĂŒge

In geradezu schockierender Schroffheit ruft Jesus in die Nachfolge. Jesus nachzufolgen, bedingt einen radikalen Bruch mit der bisherigen Lebensweise. Jesu Forderungen sind eine Zumutung. Zumutbarkeit interessiert ihn nicht. Was verlangt der Ruf in die Nachfolge heute von uns? Wie gehen wir mit der RadikalitĂ€t und HĂ€rte von Jesu Forderung um? Wir stehen als Gesellschaft vor der Aufgabe, unseren ressourcenintensiven Lebensstil, an dem wir hĂ€ngen, radikal zu Ă€ndern (vgl. die AusfĂŒhrungen oben zu Apg 9). Die Zeit drĂ€ngt, und es wird immer klarer, dass eine Politik der kleinen Schritte nicht reichen wird, um die Folgen des Klimawandels wirksam einzudĂ€mmen. Gefragt wĂ€ren also genau jene «harten Schnitte», die Jesus den Menschen einschĂ€rft. Gefragt wĂ€re der schmerzhafte Verzicht auf Liebgewonnenes und die Bereitschaft, die eigenen BedĂŒrfnisse nicht mehr in den Mittelpunkt zu stellen. Ist nicht das der provokative Kern von Jesu Ruf in die Nachfolge, der in der VerkĂŒndigung heute zur Sprache kommen sollte: Nicht von den eigenen BedĂŒrfnissen und damit von der Vergangenheit her zu denken, sondern sich vom Neuen, der kommenden Gottesherrschaft, in Anspruch nehmen zu lassen?

Dr. Christoph Ammann, ZĂŒrich