12. Sonntag nach Trinitatis / 23. Sonntag im Jahreskreis
ev. Predigttext | kath. 1. Lesung | kath. 2. Lesung | kath. Evangelium |
Apg 9,1-20 | Weish 9, 13-19 | Phlm 9b-10.12-17 | Lk 14, 25-33 |
Apg 9,1-20
Exegetische Bemerkungen
Der Bekehrung des Pharisäers Saulus aus Tarsus vom Christenverfolger zum Apostel der Völker («Heiden») kommt im lukanischen Werk zweifellos eine besondere Bedeutung zu. Das wird auch darin deutlich, dass sie später gleich doppelt wieder aufgenommen wird (in Apg 22,3–21 und in 26,4–23), dannzumal aus der Sicht des Paulus erzählt. Hier in Apg 9 wird eine doppelte Christus-Erscheinung erzählt: Zuerst das sog. «Damaskuserlebnis», in dem Saulus die Stimme Jesu hört, und im Anschluss, wie der Herr dem Jünger Ananias erscheint und ihn beauftragt, Saulus aufzusuchen, da er diesen als «sein Werkzeug» ausersehen habe.
Nachhaltigkeitsbezüge
Die Erzählung über das sog. «Damaskuserlebnis» lädt vor allem dazu ein, über das Thema «Umkehr» nachzudenken. Ein Mensch ändert sein Leben von Grund, nicht aufgrund eigener Einsicht, sondern aufgrund eines Ereignisses, das man nur als traumatisch bezeichnen kann. Drei Tage lang wird der Christenverfolger Saulus mit Blindheit geschlagen. Er isst und trinkt nichts, bevor er wieder sehen kann. Dann fängt er ein komplett neues Leben an und wird zum Apostel der Völker. Die Wendung «vom Saulus zu Paulus werden» ist mittlerweile sprichwörtlich. Sie bezeichnet Menschen, die gleichsam weltanschaulich «umgedreht» wurden und nun mit der gleichen Leidenschaft für etwas eintreten, das sie eben noch bekämpft hatten.
Metanoia, Umkehr, ein radikaler Wandel unseres Lebensstils – wäre das nicht auch von uns verlangt, den Bewohner*innen der reichen Industrienationen mit ihrem viel zu grossen ökologischen Fussbadruck? Aber was kann uns zu dieser Umkehr bewegen? Der Anstoss in unserer Geschichte kommt von aussen. Christus begegnet dem Christenverfolger. Es ist nicht Einsicht, vernünftiges Nachdenken, die Zunahme an Wissen, die der Umkehr vorausgehen, sondern ein traumatisches Erlebnis. Die Corona-Pandemie – so dachten und hofften zumindest im Frühjahr 2021 einige – könnte ebenfalls ein solches Widerfahrnis sein, das eine grundlegende Umkehr unserer Gesellschaft möglich macht. Die drastische Reduktion der Anzahl Flugbewegungen etwa war fast von einem Tag auf den anderen Tatsache – etwas, das durch politische Massnahmen undenkbar gewesen wäre.
Brauchen wir Menschen traumatische Leidenserfahrungen, um unserem Leben eine neue Richtung zu geben? Oder ist das Spezifische des Damaskuserlebnisses vielmehr darin zu sehen, dass Saulus das Gute – in Gestalt von Christus – erscheint? Ist das Überwältigende hier also das Berührtwerden durch das Gute, durch Christus selbst, den Paulus bis jetzt verfolgt hatte. Ist es also nicht das Negative, das eine Umkehr befördert, sondern das in Berührung Kommen mit dem Guten und Wahren?
In jedem Fall haben wir es bei der Bekehrung des Saulus von Tarsus mit einer der nachhaltigsten Lebensänderungen der Weltgeschichte zu tun. Der Völkerapostel, der grosse Universalisierer des Christentums, bleibt «gezeichnet» von diesem überwältigenden und höchstpersönlichen Erlebnis, wird zum Zeugen einer Wahrheit, die er bezeugen kann, bezeugen muss, die er aber nicht selber beglaubigen kann. Paulus ist also der Inbegriff eines existenziell Bewegten, und gerade dieses existenzielle Getroffensein durch die Wahrheit – das eben viel mehr ist als nur ein intellektuelles Zur-Kenntnis-Nehmen von etwas Wahrem – bewegt ihn, über bestehende Grenzen hinaus zu gehen und Menschen mit der Wahrheit in Kontakt zu bringen.
Phlm 9b-10.12-17
Exegetische Bemerkungen
Der Sklave Onesimus ist seinem Herrn Philemon entlaufen und hält sich nun bei Paulus auf. Im Philemon-Brief bittet Paulus den Angeschriebenen darum, Onesimus, der ihm selbst zum Sohn geworden ist, wieder bei sich aufzunehmen, aber nun «nicht mehr als Sklaven, sondern […] als geliebten Bruder» (V.16). Paulus bittet Philemon, Onesimus «so aufzunehmen, wie du mich aufnehmen würdest» (V.17).
Nachhaltigkeitsbezüge
Für die Nachhaltigkeitsthematik ist dieser Abschnitt aus dem Philemon-Brief nicht sonderlich ergiebig. Ein indirekter Bezug könnte in der Wahrnehmungsthematik gesehen werden: Paulus bittet Philemon darum, Onesimus im Licht der Liebe anzuschauen, und in diesem Licht wird aus dem Sklaven, der in erster Linie nützlich zu sein hat, ein «geliebter Bruder». Für eine christliche Ethik ist diese Transformation des Blicks von zentraler Bedeutung: In Bezug auf andere Menschen, die erst so im eigentlichen Sinne als Menschen wie du und ich, als Mitmenschen, gesehen werden; aber auch in Bezug auf unsere tierischen Mitgeschöpfe, deren Situation oft tatsächlich jener von Sklavinnen und Sklaven ähnelt: Sie sind menschliches Eigentum; sie werden auf ihren instrumentellen Wert reduziert; ihnen wird verwehrt, ein eigenes Leben, in dem sie ihre Natur verwirklichen können, zu leben. Ist die christliche Verheissung der Freiheit, der Befreiung aus versklavenden Strukturen, nur auf Menschen beschränkt? Ist es für eine christliche Ethik akzeptabel, dass Tiere (nicht nur rechtlich) als Eigentum des Menschen betrachtet werden? Müsste nicht stärker ins Bewusstsein gerückt werden, dass sie sich selbst und (im Letzten) Gott, ihrem Schöpfer, gehören?
Lk 14, 25-33
Exegetische Bemerkungen
Die Perikope ist bis auf V.26f (vgl. Mt 10,37f.) lukanisches Sondergut. Der Ruf in die Nachfolge ist gegenüber der Matthäusparallele verschärft. Wer Jesus nachfolgen will, muss seine Familienangehörigen und dazu sein eigenes Leben ‘hassen’.
Nachhaltigkeitsbezüge
In geradezu schockierender Schroffheit ruft Jesus in die Nachfolge. Jesus nachzufolgen, bedingt einen radikalen Bruch mit der bisherigen Lebensweise. Jesu Forderungen sind eine Zumutung. Zumutbarkeit interessiert ihn nicht. Was verlangt der Ruf in die Nachfolge heute von uns? Wie gehen wir mit der Radikalität und Härte von Jesu Forderung um? Wir stehen als Gesellschaft vor der Aufgabe, unseren ressourcenintensiven Lebensstil, an dem wir hängen, radikal zu ändern (vgl. die Ausführungen oben zu Apg 9). Die Zeit drängt, und es wird immer klarer, dass eine Politik der kleinen Schritte nicht reichen wird, um die Folgen des Klimawandels wirksam einzudämmen. Gefragt wären also genau jene «harten Schnitte», die Jesus den Menschen einschärft. Gefragt wäre der schmerzhafte Verzicht auf Liebgewonnenes und die Bereitschaft, die eigenen Bedürfnisse nicht mehr in den Mittelpunkt zu stellen. Ist nicht das der provokative Kern von Jesu Ruf in die Nachfolge, der in der Verkündigung heute zur Sprache kommen sollte: Nicht von den eigenen Bedürfnissen und damit von der Vergangenheit her zu denken, sondern sich vom Neuen, der kommenden Gottesherrschaft, in Anspruch nehmen zu lassen?
Dr. Christoph Ammann, Zürich