13. Sonntag nach Trinitatis / 22. Sonntag im Jahreskreis (29.08.21)

13. Sonntag nach Trinitatis / 22. Sonntag im Jahreskreis

ev. Predigttext kath. 1. Lesung kath. 2. Lesung kath. Evangelium
1. Mose 4,1-16a Dtn 4, 1-2.6-8 Jak 1, 17-18.21b-22.27 Mk 7, 1-8.14-15.21-23

Impulse im Blick auf Nachhaltigkeit können aus allen der vorgebenen Tagestexten gezogen werden, allerdings eigenen sich nicht alle Perikopen gleichermaßen.

Predigtimpulse

Gen 4, 1-16a

  • Die gängige Opferpraxis, die viele archaischen Kulturen verbindet, ist das Brandop­fer. In agrarischen Kulturen war dies das kultisch ritualisierte Verbrennen der ersten reifen Feldfrüchte. Wo die Nahrung der Menschen überwiegend aus Fleisch be­stand, wurde ein Teil der (erlegten oder geschlachteten) Tiere geopfert. Im Verbren­nen wertvoller Nahrung zeigten Menschen sich dankbar gegenüber einer Gottheit, die die Macht hat, Nahrung zu gewähren oder zu verweigern. Die Ernte zeigt das göttliche Wohlwollen, Menschen einen weiteren Vegetationszyklus (in der Regel ein Jahr) lang zu nähren, zu erhalten, zu schützen. Opferrituale sind zugleich Dank für gewährtes und Bitte um künftiges Wohlwollen.
  • Offenbar entwickelten Menschen schon sehr früh ein Bewusstsein bzw. Gespür da­für, dass die Schöpfung einen höheren Sinn hat als zu pragmatischem menschli­chen Ge- bzw. Verbrauch da zu sein.
  • Das „Verbrennen“ entzieht die irdischen Güter ihrer irdischen Bestimmung (Nah­rung zu sein) und menschlichen Verfügung (gegessen zu werden) und bildet damit eine Brücke zwischen immanenter und transzendenter Wirklichkeit. (In entspre­chender Weise wird das Feuer des brennenden Dornbuschs zum Symbol der Tran­szendenz in der Immanenz.)
  • Das „Opfer“, das die Brüder Kain und Abel ihrem Gott darbringen, ist mutmaßlich ebenfalls ein solches Brandopfer. Als Indiz dafür, ob Gott das jeweilige Opfer „gnä­dig“ oder aber „ungnädig“ ansieht, galt wahrscheinlich der Rauch, der beim Ver­brennen aufstieg und der (wie etwa in der römischen Vogelschau) entsprechend ge­deutet wurde.
  • Gänzlich unbeantwortet bleibt die Frage, die sich bis heute aufdrängt: Warum wird das eine Opfer (stellvertretend für die opfernde Person) gnädig angenommen und das andere nicht? Der menschliche Gerechtigkeitssinn schreit geradezu nach einer Begründung, die den göttlichen Willen bzw. Unwillen verstehbar macht. Aber es bleib schicksalhaft verborgen, und die angemessene Reaktion scheint die fraglose Unterordnung unter die göttliche (Ver-)Fügung.
  • Die Warum-Frage ist bei der Frage nach Gott nie Ziel führend, nie die richtige Per­spektive.
  • Eher als das Wirken Gottes ist das Verhalten Kains nachzuvollziehen. Der Gewalt­exzess ist gespeist aus diffusen Gefühlen von Kränkung, Demütigung, Eifersucht. Als Erstgeborener beansprucht Kain fraglos (und völlig kulturkonform) die bevor­zugte Position gegenüber dem jüngeren Bruder. So wird wohl auch sein Opfer re­präsentativer gewesen sein als das Abels. Umso weniger versteht Kain die Nicht­beachtung, und umso aggressiver reagiert er.
  • Das grundlegende Missverständnis: Segen wird gekoppelt an die Güte und Größe des Opfers statt an die Güte und Größe des Schöpfers. Wir Menschenärgern uns über die vermeintliche Ungerechtigkeit Gottes, weil wir mit dem Opfer immer einen Zweck verbinden, einen „deal“ mit Gott, wie zwischen Geschäftspartnern üblich.
  • Die Geschichte ist nicht als erster Brudermord der Geschichte zu verstehen, son­dern in ihrer archetypischen Bedeutung. Das Urübel der Menschheitsgeschichte ist der Vergleich.
  • Der Affektmord an seinem Bruder macht Kain „unstet und flüchtig“, er ist fortan ein Getriebener, der keine Ruhe findet, weder in sich selbst noch an irgendeinem Ort in der Welt. Er ist ausgebrannt, depressiv, innerlich leer, ohne jede Zukunftsperspekti­ve. In heutiger Diktion erleidet er ein Burnout.
  • Das ‚Zeichen‘, das Gott ‚an Kain macht‘, ist Inbegriff einer Güte ohne Vorleistung, im Gegenteil: Kain ist moralisch quasi insolvent, hat jeden Kredit verspielt. Hätte Gott nicht eingegriffen, so wäre Kain keinerlei Lebenschance geblieben.
  • Das Kainszeichen kann ein Brandmal sein (wohl an der Stirn). So wird aus dem äußerlich gebrandmarkten Mörder Kain ein Mensch, der unter dem besonderen Schutz Gottes steht. Die negativ besetzte Brandmarkung wird zum Zeichen des Lebens, des Leben-Dürfens. Eine ganz ähnliche Umdeutung wie beim Kreuz, das vom Marterinstrument zum Zeichen der Erlösung wurde.

Dtn 4, 1-2.6-8

  • Das „Höre, Israel“ (aus Dtn 6,4–9) klingt immer wieder an, wenn es darum geht, die Menschen an die Schöpfungsordnung zu erinnern, die in der Thora, im „Gesetz“, niedergelegt ist und für alle Bereiche des Lebens konkret entfaltet wird.
  • Immer wieder wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die „Gesetze und Rechtsvorschriften“ nicht etwa einengen sollen, sondern im Gegenteil Leben erst ermöglichen und freisetzen.
  • Die Weisungen der Thora werden als „gerecht“ gerühmt. Es geht um eine umfassende Ordnung, die allem Geschaffenen und allen Geschöpfen gerecht wird. Wird diese Ordnung eingehalten, so ist sichergestellt, dass Menschen, Tiere, Pflanzen, ja die Erde insgesamt all das erhält, was Leben bewahrt, und vor all dem geschützt wird, was Leben (zer-)stört.
  • Auf gesellschaftlich-politischer Ebene fördern die Grundsätze der biblischen Schöpfungsordnung Gerechtigkeit und Frieden, auf ökologischer ermöglichen sie einen schonenden Umgang mit der Schöpfung, der heute „nachhaltig“ genannt wird – das Gegenteil von einer rücksichtslosen Nutzung nach dem Prinzip der verbrannten Erde.

Jak 1, 17-18.21b-22.27

  • Die Weisung Gottes dringt gleichsam stufenweise in den Menschen ein: Erst wird sie gehört, dann wird sie „eingepflanzt“ und geht „zu Herzen“, und schließlich wird sie wirksam im Handeln.
  • Dabei ist das Handeln das eigentliche Ziel, das Gott mit seiner Weisung verbindet. Die innere Haltung muss zum äußeren Verhalten werden.
  • Das Handeln entsprechend der Weisung ist Gottesdienst, „Dienst vor Gott“.
  • Die Konkretion gottgefälligen Handelns als Sorge für „Waisen und Witwen…, wenn sie in Not sind“ zeigt wiederum die Absicht des Gesetzes: Allem und allen gerecht zu werden, zu geben, was zum Leben gebraucht wird. Also wiederum Gerechtigkeit zu schaffen durch empathisches und solidarisches Verhalten.
  • Auf den Umgang mit der Schöpfung bezogen führt diese Haltung wiederum zu schonendem, behutsamen, respektvollem, eben ‚nachhaltigem‘ Handeln.

Mk 7,1-8.14-15.21-23

  • Auch in der Evangelienperikope geht es um die Logik des Gesetzes, um den inneren Zusammenhang von Wissen und Tun, Haltung und Verhalten.
  • Wenn das „Gebot“ zwar verbal bekannt, aber faktisch nicht erfüllt wird, verfehlt es seinen Sinn. Menschen, die sich so verhalten, sind „Heuchler“, die von den Propheten ebenso wie von Jesus scharf gerügt werden.
  • Eine Möglichkeit, die göttliche Weisung zu erfüllen, zugleich aber ihren Sinn zu verfehlen, ist die Konzentration aufs Formale. So kann die akribische Einhaltung der Gebote rund um die alltäglichen Vollzüge (wie das Waschen und Essen) davon ablenken, dass andere Gebote, die mehr Einsatz verlangen, vernachlässigt werden.
  • Verhalten ohne entsprechende Haltung wird sinnentleert, formalistisch, pedantisch.
  • Wesentlich ist auch die Unterscheidung in der Rangfolge der biblischen Gebote. So ist das Liebesgebot (Lev 19,18) die Grundlage, die Zusammenfassung und zugleich die Richtlinie für die Interpretation aller anderen Einzelgebote. Daran erinnert Jesus in seiner Kritik an der gängigen Praxis.
  • Auch bei den Bemühungen um nachhaltiges Handeln sind die hier kritisierten Vermeidungsstrategien sehr häufig zu finden: So geht es bei gesetzlichen Regelungen oft eher darum, formal den Vorgaben zu genügen als tatsächlich bestehende Missstände wirksam zu beheben.
  • Der Vorwurf Jesu, heuchlerisch zu handeln, um Eigeninteressen nicht aufgeben zu müssen, kann auch auf die politischen Strategien, Verhandlungen, Regelungen, Winkelzüge… rund um die Themen Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung übertragen werden.

Elisabeth Schmitter, Rottenburg