13. Sonntag nach Trinitatis / 23. Sonntag im Jahreskreis (06.09.20)

13. Sonntag nach Trinitatis / 23. Sonntag im Jahreskreis

ev. Predigttext kath. 1. Lesung kath. 2. Lesung kath. Evangelium
Apg 6,1-7 Ez 33, 7-9 Röm 13, 8-10 Mt 18, 15-20

Der 13. Sonntag nach Trinitatis bzw. der 23. Sonntag im Jahreskreis ist der erste Sonntag innerhalb der diesjĂ€hrigen Schöpfungszeit, die am 1. September beginnt und bis zum 4. Oktober reicht (www.nachhaltig-predigen.de/index.php/dokumente-links/schoepfungszeit-schoepfungstag). Mancherorts wird ein Schöpfungstag innerhalb dieses Zeitraums mit besonderen, oft ökumenischen Gottesdiensten gefeiert. Nicht nur ein solcher Schöpfungstag, sondern auch „normale Gottesdienste“ mit den vorgeschlagenen Predigttexten bieten einen Anlass, Fragen der Schöpfungsverantwortung und der Nachhaltigkeit im Gottesdienst zu thematisieren.

Apg 6, 1-7

Die Perikope zeigt, wie sich im frĂŒhen Christentum neben der Gruppe der Apostel ein eigenstĂ€ndiges Siebenergremium mit klar definierter Aufgabe herausbildet. Anlass dafĂŒr war die Nichtversorgung der griechisch sprechenden Witwen der Judenchristen. Die Lösung liegt in einem namentlich genau benannten Siebenerkreis, der mit dem Dienst der Witwenversorgung betraut wird. Lukas stellt die LegitimitĂ€t ihrer Aufgabe dadurch heraus, dass die Einsetzung der Sieben durch die Handauflegung der Apostel erfolgt. Die Lutherbibel ĂŒberschreibt diesen Abschnitt mit „die Wahl der sieben Diakone“. Doch der heute gĂ€ngige Begriff des Diakons taucht hier gar nicht auf. Vielmehr ist von einer „doppelten Diakonie“ (Klaus Berger) die Rede, nĂ€mlich einer der WortverkĂŒndigung und des Gebets und einer der sozialen christlichen Arbeit.

Die christliche Gemeinschaft nahm damals die soziale Notlage der Witwen sehr ernst und suchte eine praktikable Lösung. Der Text schĂ€rft die Frage danach, wie aktuelle soziale NotstĂ€nde bearbeitet werden können. Wer ist zustĂ€ndig? Schon damals zeichnete sich ab, dass nicht alle alles machen können. Somit ist der Text ein wichtiger Hinweis auf die Ausdifferenzierung der sozialen Arbeit innerhalb der Kirche, die wir heute als Diakonie bezeichnen und die sich nicht als zweitrangig hinter der VerkĂŒndigung verstecken muss. Denn manchmal sind Caritas und Diakonie nĂ€her an der Lebenssituation der Menschen dran und können adĂ€quater reagieren. Mit der Wahl der Sieben legten die Apostel den Grundstein dafĂŒr, dass Diakonie und WortverkĂŒndigung gleichrangig und d.h. keine hierarchisch abgestuften Dienste sind, sondern zwei Seiten der einen Medaille!

Ez. 33, 7-9

Die drei Verse werfen einen bezeichnenden Blick auf das Amt des Propheten Ezechiel als „WĂ€chter ĂŒber das Haus Israel“. Der Prophet wird von Gott dazu beauftragt, sein Volk vor ihm zu warnen (so auch 2, 17). Das mutet merkwĂŒrdig an, insofern Gott damit als Feind seines Volkes erscheint, das er doch eigentlich retten will. Dieser Widerspruch erschließt sich erst aus den nachfolgenden Versen. Offensichtlich kommt es bei diesem „Warnamt“ auf eine kritische Ansage an, zu der sich das Volk verhalten kann, indem es von dem falschen und gottlosen Weg umkehrt oder nicht. Nimmt der Prophet diese Funktion nicht wahr, fĂ€llt dieses VersĂ€umnis auf ihn selbst zurĂŒck, und er muss sterben (33,8). Die Perikope schĂ€rft also dem Propheten die hohe Bedeutung des „Warnamts“ ein, zumal Gott kein Interesse an dem Tod des Gottlosen, sondern an seiner Umkehr hat (33, 11).

Aus dem „Warnamt“ hat sich im Christentum das WĂ€chteramt der Kirchen im Kontext des prophetischen Amts Jesu Christi entwickelt. Heute verstehen wir dies im Sinne der „öffentlichen Verantwortung“ der Kirchen. Damit ist der kritische Blick der Kirchen auf Staat und Gesellschaft gemeint. Mit einem Konsultationsprozess sowie der ErklĂ€rung „FĂŒr eine Zukunft in SolidaritĂ€t und Zukunft“ haben sich die beiden großen deutschen Kirchen schon 1997 zur Erosion des deutschen Sozialstaats geĂ€ußert. Weitere ErklĂ€rungen, Denkschriften (EKD) und pastoralen Schreiben dazu folgten. Die politische Verantwortung der deutschen Kirchen gewinnt auch dort Kontur, wo sie sich öffentlich wahrnehmbar zu staatlichen VerhĂ€ltnissen in LĂ€ndern aussprechen, in denen z.B. elementare Menschenrechte mit FĂŒĂŸen getreten werden. Papst Franziskus hat sich in seiner Enzyklika Laudato si prononciert zur ökologischen Verantwortung der Kirchen geĂ€ußert.

Der Text aus Ez. provoziert zum Nachdenken darĂŒber, wo heute die kritische Zeitansage der Kirchen nötig ist. Beispiele zur wirtschaftlichen und sozialen Lage unter den Bedingungen der Globalisierung (Armuts-Reichtums-Problematik, lebensdienliche Wirtschaft) sowie der Schöpfungsverantwortung (Nachhaltig leben und wirtschaften) legen sich fĂŒr die Predigt nahe.

Röm 13, 8-10

Paulus stellt in diesem Abschnitt klar, dass das Christentum das jĂŒdische Gesetz nicht ĂŒber Bord geworfen hat. Dazu nimmt er hier eine VerhĂ€ltnisbestimmung zwischen Liebe und Tora vor. Die Liebe steht nicht im Gegensatz zum Gesetz, sondern sie ist ganz im Gegenteil „Essenz und Summe der ganzen Tora“ (Peter Stuhlmacher). Insofern als er aus den Geboten der Tora zitiert, konkretisiert er, was unter Liebe zu verstehen sei. Damit rĂŒckt er die Liebe in den Kontext einer sozialen Ordnung. Das ist fĂŒr uns zunĂ€chst fremd, wo wir Liebe zuallererst als romantischen Begriff und damit als GefĂŒhl verstehen. Doch bei Paulus ist das anders. FĂŒr ihn ist die Liebe „Proklamation einer Ordnung auf der Grundlage sozialen Gleichgewichts“ (Klaus Berger). Dadurch stellt er die NĂ€chstenliebe auch in den Kontext der Gerechtigkeit.

Die NĂ€chstenliebe, die immer mit der Selbstliebe vermittelt bleibt, wird uns von Paulus ins Stammbuch geschrieben. Wenn sie mehr sein will als ein flĂŒchtiges GefĂŒhl, braucht sie die Begleitung durch Gerechtigkeit, so wie es uns die jĂŒdische Tora schon nahelegt. Ohne soziale Gerechtigkeit kann die Liebe nach christlichem VerstĂ€ndnis nie authentisch und „ganz“ sein. Damit setzt Paulus MaßstĂ€be, z.B. auch im Umgang mit GeflĂŒchteten oder Ausgegrenzten bei uns. Denn NĂ€chstenliebe und der Respekt vor den Anderen ist fĂŒr ein Gemeinwesen und seinen Zusammenhalt unabdingbar.

Mt.18, 15-20

Der Abschnitt ĂŒber „Zurechtweisung und Gebet in der Gemeinde“ (so die Überschrift in der Lutherbibel) trĂ€gt bei erster LektĂŒre zunĂ€chst deutlich autoritĂ€re ZĂŒge und verstĂ€rkt fĂŒr meine Wahrnehmung die Distanz zum Text. Geht es doch darum, wie mit abweichendem, d.h. konkret „sĂŒndigem“ Verhalten in der Gemeinde umzugehen sei. Doch der Kontext rĂŒckt die Perikope in ein anderes Licht. Unmittelbar davor wird von Mt. das anschauliche Beispiel vom verlorenen Schaf erzĂ€hlt: als Illustration dafĂŒr, was ein/-e gut/-e Hirt/-in sei und wie er/sie mit Verlorenem umgeht. Das setzt das Vorzeichen fĂŒr den nun folgenden Abschnitt: Die „Zurechtweisung“ der SĂŒnder*innen dient nicht der Bestrafung, sondern zielt darauf, die Gemeinschaft intakt zu halten. Es geht folglich nicht um die Exklusion, sondern um die Inklusion von Menschen. Mit dem Vorschlag einer Verfahrensform „auf dem gestreckten Weg der Instanzen“ (Klaus Berger) kann die Gemeinschaft einen Menschen wieder in ihre Mitte zurĂŒckholen und ihn vor dem Ausschluss bewahren. Es handelt sich also um einen auf Integration und Re-sozialisierung zielenden Umgang mit denen, die sich durch ihr Verhalten außerhalb der Gemeinschaft gestellt haben.

Damit verweist Mt. auf konstruktive Konfliktlösungen, die in jeder Art von Gesellschaft notwendig sind. Dazu zĂ€hlen auch Verfahren, wie Konflikte bearbeitet und zu einer guten Lösung kommen können, ohne dass eine/-r der Konfliktbeteiligten auf der Strecke bleibt. Damit schließt sich Mt. der „sozialvertrĂ€glichen Tora-Auslegung des Judentums“ (Klaus Berger) an. Diese weist in Richtung auf Verfahren (vgl. V.19a), die jenseits von – heute autoritĂ€r und undemokratisch empfundenen – „Zurechtweisung“ auf Konsens hinfĂŒhren. Hier ist z.B. die Mediation zu nennen, die auf eine nachhaltige Konfliktlösung und letztlich auf Versöhnung zielt: nicht nur bei religiösen Konflikte in der Gemeinde, sondern auch bei Partnerschafts- Familien und Nachbarschaftskonflikten in der Gesellschaft, bis hin zu kriegerischen Auseinandersetzungen innerhalb und zwischen Staaten.

Dr. Gunter Volz, Frankfurt am Main