14. Sonntag nach Trinitatis / 22. Sonntag im Jahreskreis
ev. Predigttext | kath. 1. Lesung | kath. 2. Lesung | kath. Evangelium |
1 Thess 1, 2-10 | Dtn 4, 1-2.6-8 | Jak 1, 17-18.21b-22.27 | Mk 7, 1-8.14-15.21-23 |
Von Reinheit und Unreinheit â Jesus und das Gesetz (Mk 7)
Einleitung
Die Exegese von Mk 7, 1- 23 scheint auf die Schnelle (und traditionell) betrachtet einfach. Denn es liegt auf der Hand und ist einsichtig: Nicht durch Ă€uĂerliche Verschmutzung wie z.B. ungewaschene HĂ€nde und GefĂ€Ăe wird der Mensch unrein oder fĂ€llt gar in Ungnade, sondern durch das, was der Mensch tut bzw. wie er sich anderen Menschen gegenĂŒber verhĂ€lt. Jesus stellt sich damit auch in die Reihe der groĂen Propheten und zitiert Jesaja: âEs ist sinnlos, wie sie mich verehren; was sie lehren, sind Satzungen von Menschenâ. Jesus folgert daraus: âIhr gebt Gottes Gebot preis und haltet euch an die Ăberlieferung der Menschenâ (Mk 7, 8).
Dagegen scheinen diese Worte Jesu (wie auch der gesamte Textabschnitt) wenig bis gar nichts mit dem Thema âNachhaltigkeitâ zu tun. Abgesehen davon, dass sich fast alle groĂe Unternehmen in ihren Werbetexten als âWeltmeister in Sachen Nachhaltigkeitâ prĂ€sentieren, wĂ€hrend sie sich in der Praxis als schlimme UmweltsĂŒnder erweisen, scheint es mir sinnvoll, das Thema âNachhaltigkeitâ und auch die genannte Bibelstelle von einer anderen - theologischen - Perspektive aus zu beleuchten und zu verstehen. These: Gottes Gebot ist bestĂ€ndig (nachhaltig), menschliche Satzungen sind willkĂŒrlich.
Gottesgebot und menschliche Satzungen
Jesus unterscheidet zwischen einem âGottesgebotâ und menschlichen Satzungen. Aber eine Unterscheidung zwischen göttlichen und menschlichen Geboten ist freilich mehr als problematisch. Denn wer unterscheidet oder bestimmt, was göttlich oder menschlich ist? In der christlichenTradition sind das die von Gott ausgewĂ€hlten FĂŒhrer des Volkes Gottes, vom Hl. Geist auserwĂ€hlt, berufen und erleuchtet. Diese FĂŒhrer legen fest, was das Volk zu glauben hat und was nicht. Das individuelle, ewige Heil bzw. die eigene Erlösung hĂ€ngen davon ab, ob und wie ich mich an diese Vorgaben halte oder nicht. Dieswird so auch in anderen Religionen geglaubt, wenn auch mit verschiedenen Begrifflichkeiten. Dies ist sogar eines der Wesensmerkmale von Religion ĂŒberhaupt. Eine solcheReligion hat sich einerseits als groĂe Hilfe in schweren Zeiten erwiesen, andererseits aber auch als ein wesentliches Herrschaftsinstrument, das letztlich ein bestimmtes, von Menschen so eingerichtetes Gesellschaftssystem rechtfertigt und stabilisiert hat.
So wie schon die Propheten, so sprengt auch Jesus die bisherigen Vorstellungen von Religion. Denn das auserwĂ€hlte Volk Gottes (wie auch wir als Kirche) ist immer wieder vom Weg abgekommen. Es erschafft sich seine eigenen Götter und tötet die Propheten, weil diese den Willen Gottes verkĂŒnden. Jesus bringt nun kein neues Gesetz oder grĂŒndet gar eine neue Religion, im Gegenteil. Was bisher fĂŒr das Volk Gottes so wichtig erschien und was Schriftgelehrte und Hohe Priester als absolut notwendig fĂŒr die Erlangung des ewigen Heils verkĂŒndeten, z.B. kultische Reinheit, Gebetsvorschriften, Opfergaben, Tempelsteuern, usw., zĂ€hlt nicht. Das alles muss nicht falsch sein, ist aber fĂŒr Jesus sekundĂ€r. Wichtig ist allein Gottes- und NĂ€chstenliebe. Liebe verlangt nach SolidaritĂ€t. SolidaritĂ€t und Liebe aber verlangen, dass ich in die Situation derer eintrete, mit denen ich mich solidarisiere. Das ist der tiefere Sinn aller Gebote. Jesus zeigt dann, was konkret damit gemeint ist. Nicht nur in dem abschlieĂenden Gleichnis vom Weltgericht (Mt 25, 35ff, âDenn ich war hungrigâŠâ). In fast allen seinen Gleichnissen geht es ihm um eine radikale Umkehr â hin zum (notleidenden) NĂ€chsten und fĂŒr ein Leben in FĂŒlle fĂŒr alle, insbesondere fĂŒr diejenigen, denen man diese FĂŒlle vorenthĂ€lt oder gar raubt. Im Gleichnis vom Barmherzigen Samariter wird deutlich: Von Menschen gemachte Vorschriften fĂŒhren an dem Menschen, der unter die RĂ€uber gefallen ist, vorbei. Denn ihr Ziel ist der âTempelâ. Priester und Levit gehen vorbei, sie âspĂŒrenâ nichts. Doch der âunglĂ€ubige, unreineâ Samariter hat ein HerzâŠ!
Auch Jakobus, der Bruder des Herrn, spricht von der Reinheit und dem wahren Dienst, den Gott von uns verlangt: âFĂŒr Waisen und Witwen zu sorgen, wenn sie in Not sindâ (Jak 1, 27). In der 1. Lesung (Dtn 4,1-2.6-8) wird das Gesetz, dem der Mensch nichts hinzufĂŒgen darf, noch als âGarant des Heilsâ fĂŒr das Volk Gottes bezeichnet. Aber erst Jesus legt das Gesetz aus, wie es sein Vater gemeint hat.
Heute liegt nicht nur ein Einzelner ausgeraubt im StraĂengraben, im Dreck, sondern ganze Völker sind unter die RĂ€uber und Mörder gefallen - und wir schauen zu oder gehen vorbei. Aber wir beten vielleicht fĂŒr die Opfer. Ein derartiges Gebet aber wĂ€re eine Beleidigung Gottes. Dies gilt umso mehr, wenn wir selbst Menschen in den Hungertod treiben, weil wir immer mehr und alles billiger haben wollen. Bischof Fragoso aus Brasilien sagt dazu: âUnsere Gottesdienste und Gebete können Atheismus sein, wenn wir sozialen Ungerechtigkeiten gegenĂŒber gleichgĂŒltig bleiben. Wir können mit der Messe, mit den Sakramenten und der Liturgie Atheismus verkĂŒnden, wenn wir nicht fĂŒr mehr soziale Gerechtigkeit einstehen. Die uns im Gotteshaus versammelt sehen, sehen sie uns auch Hand anlegen im Kampf um mehr Gerechtigkeit, damit alle unsere BrĂŒder und Schwestern frei werden und in WĂŒrde leben können?â
In der Sackgasse â innerkirchlich und global?
Das, wogegen sich Jesus auflehnte, das er gar verwarf und das ihm folgerichtig den Tod brachte, ist wieder auferstanden und wurde ĂŒber Jahrhunderte hinweg gelehrt. Ist es auch noch heute aktuell und der âNormalfallâ? Das âGesetzâ und seine Einhaltung werden immer noch allzu oft als Heilsgarantie verstanden. So wurde es, auch heute in modernerer Form, lange gepredigt. Das ist auch verstĂ€ndlich. Es ist verlĂ€sslich, man weiĂ, an was man sich zu halten hat, gibt Orientierung und Sicherheit. Seit fast 2.000 (oder 3.000) Jahren weist es sichere Wege zu Gott, Erlösung und ewigem Heil. Und noch mehr: Kommen wir als Christen nicht schon als âUmgekehrteâ auf die Welt? Warum und wohin denn noch umkehren? Sind wir nicht schon lĂ€ngst erlöst, schon vor unserer Zeit? Wir sind zwar âin SĂŒnde geborenâ aber durch den Opfertod Jesu erlöst - ohne unser Zutun (Luther). Egal, was uns geschieht, wir sind schon lĂ€ngst in Gotteshand. Und diesen Glauben sollen wir aufgeben? Unmöglich!
Und immer wieder und noch ist die Versuchung da, menschliches Machwerk als göttliches Gebot zu erklĂ€ren und Gottes Gebot (siehe oben) preis zu geben. Historisch bedingte Gegebenheiten werden wie z.B. die griechische Philosophie (Josef Ratzinger: Ohne diese kein Zugang zur Botschaft Jesu), bestimmte Strukturen und Organisationsformen zu unverĂ€nderbaren weil göttlichen Ordnungen erklĂ€rt (Johannes Paul II.: Diskussionsverbot zu Frauenordination und Zölibat, oder Kardinal Wetter: âWir wĂŒrden ja gerne die Zulassungsbedingen fĂŒr das Priestertum Ă€ndern, aber selbst wir haben nicht die Macht, diese göttlichen Gebote aufzuhebenâ). Auch die seit ĂŒber 40 Jahren andauernden und ergebnislosen Diskussionen um Gemeinde- und Strukturreformen, dienen eher dazu, das Ende des bisher so vertrauten Systems von Heilsgewissheit und Herrschaft kĂŒnstlich hinaus zu schieben. Es gilt weiterhin der Vorrang des Gesetzes vor dem (leidenden) Menschen â so hat es zumindest den Anschein, und manche gutwillige Menschen innerhalb des Systems möchten andersâŠDiese Kirche, so wie sie sich jetzt prĂ€sentiert â ob katholisch oder evangelisch â scheint gefangen zu sein in ihrem selbst geschaffenen âGoldenen KĂ€figâ. Dies ist alles andere als ânachhaltigâ, es macht unfrei.
Befreiende Alternative
Was meint also Jesus mit âGottes Gebotâ? : Seine Botschaft und feste Ăberzeugung, dass mit ihm eine neue Zeit beginnen wird. Diese neue Zeit, die mit ihm beginnt und die er seinen JĂŒngerinnen und JĂŒngern aufgetragen hat, wird eine völlig andere soziale und gesellschaftspolitische Werteordnung haben mĂŒssen. Oder umgekehrt gesagt: Die herrschenden VerhĂ€ltnisse â Gewalt, UnterdrĂŒckung, Verelendung â sind unvereinbar mit dem Kommen des Reiches Gottes. Zeichen der neuen Zeit sind u.a.: Brotteilen, Barmherzigkeit, Vergebung, Austreiben unserer âDĂ€monenâ, Tischgemeinschaften mit Ausgeschlossenen, die Seligpreisungen, die sieben Bitten des Vater Unser, âBlinde werden sehen und Taube werden hörenâ. Das bedeutet: Jesus betrachtet und deutet die reale Welt aus der Perspektive der Hungernden, der Ausgegrenzten, der unter die RĂ€uber GefallenenâŠ
Was bedeutet dies alles heute - zumal in Zeiten eines zunehmenden Fundamentalismus, wachsender Kluft zwischen arm und reich, Zerstörung des Planeten, eines Wachstums- und Machbarkeitswahns? Eigentlich wissen wir, aber verdrĂ€ngen es oft: So kann es nicht weitergehen! Denn lĂ€ngst sind die planetarischen Grenzen erreicht. Auf einer begrenzten Erde ist unbegrenztes Wachstum nicht möglich â eine Binsenwahrheit. Dennoch wird weiterhin auf Wachstum gesetzt. Selbst eingefleischte Kapitalisten bekennen, dass Kapitalismus ohne stetiges Wachstum (Produktion, Konsum) nicht funktionieren kann. Die Klimakatastrophe ist bereits voll im Gange, dennoch gibt es â gerade auch in Deutschland â kein wirkliches Umdenken, nur Kosmetik. Die Kluft zwischen arm und reich wird gröĂer. Auch die innigsten Verfechter dieser âalternativlosenâ Weltordnung ahnen vielleicht, dass dies ein schlimmes Ende haben kann. Und bevor die Party zu Ende geht, stĂŒrzt man sich umso heftiger auf die âletzten Ressourcenâ. Wie Geier fallen Konzerne in die letzten Winkel der Erde ein, um noch zu holen, solange es noch etwas zu holen gibt: âAprĂšsnous le dĂ©luge!â
Wir haben aber eine Wahl: Eine Umkehr hin zu einer neuen âSitzordnungâ, einer Tischgemeinschaft im Geiste Jesu, in der die bisher Ausgegrenzten einen Ehrenplatz haben werden und in der die GĂŒter von âMutter Erdeâ allen ihren Kindern in ausreichendem MaĂe zugutekommt. Unsere Aufgabe ist es, immer menschlicher bzw. immer göttlicher zu werden. Und weil Gott Mensch geworden ist, begegnen wir ihm in der Geschichte der Menschen. Konkret: Wir erfahren ihn in der Gemeinschaft mit den Opfern der Geschichte, den in Armut und Elend gehaltenen Menschen, den UnterdrĂŒckten, den Verlassenen und AusgestoĂenen â nicht aber in Gemeinschaft mit den PharisĂ€ern und Hohen Priestern, den so genannten AnstĂ€ndigen, den Gesetzeslehrern und SprĂŒcheklopfern und den gesellschaftlichen Oberklassen.Denn all diese haben noch nicht einmal gemerkt, dass Gott in ihrer NĂ€he Mensch geworden ist, genauso wie sie auch nicht gesehen haben, dass Jesus inmitten der âHirten von Bethlehemâ zur Welt kam. Sie sehen und sie hören nichts, weil sie sich selbst zum MaĂstab machen. Und daher sehen sie auch nicht den Menschen im StraĂengraben. Gott ist Mensch geworden und wie die brasilianischen Bischöfe bereits 1972 in einem gemeinsamen Hirtenwort sagten: âIndem Gott Mensch geworden ist, ist in Christus der Mensch, vorrangig der arm gemachte Mensch, zum MaĂstab aller Dinge gewordenâ.
Dr. Willi Knecht, Ulm