15. Sonntag nach Trinitatis / 23. Sonntag im Jahreskreis (9.9.18)

15. Sonntag nach Trinitatis / 23. Sonntag im Jahreskreis

ev. Predigttext kath. 1. Lesung kath. 2. Lesung kath. Evangelium
Gal 5, 25-26; 6, 1-3.7-10 Jes 35, 4-7a Jak 2, 1-5 Mk 7, 31-37

Jesaja 35, 4-7

Was für eine Utopie! Im Kapitel 34 desselben Buches Jesaja wird das Weltgericht über Edom prophezeit, das auch das Volk Israel schrecken soll, mit apokalyptischen Bilden, mit Zerstörung der Natur und des Landes, und im kommenden Kapitel 36 rückt Sanherib, der König von Assur heran, um Juda und Jerusalem zu zerstören. Und da hebt der Prophet in Jes. 35, 1 an mit „Jubeln werden die Wüste und das trockene Land, jauchzen wird die Steppe und blühen die Lilie.“

Da wird der Spannungsbogen aufgezogen, in dem die Perikope Jesaja 35, 4-7 steht. Man rechnet den Text dem „ersten“ Propheten Jesaja zu, der im 8. Jahrhundert die politische Bedrohung des Südreiches Juda durch die assyrische Großmacht zur Zeit des Königs Hiskija mit prophetischen Worten begleitete, mit Rat, Kritik und Zuspruch. In den überlieferten Text mögen Teile des späteren Deuterojesaja oder auch Tritojesaja redaktionell eingeflossen sein, da nach der Zerstörung Jerusalems durch die Babylonier im Jahre 597 und nach dem babylonischen Exildie Worte des Trostes in überreichem Maße gesagt worden waren und rückwirkend in die Vergangenheit hineinreichen konnten (Otto Kaiser: Der Prophet Jesaja, Göttingen 1983, S. 286/287). Wie auch immer: der Text besteht aus Bildern Visionen, die immer wieder bei Jesaja, bei den Propheten vorkommen und die in die menschliche Situation der historischen Stunde, aber eben auch in die konkrete Lebenswelt der Menschen hineingesprochen sind. Die Worte der Perikope von Jesaja 4-7 laufen sogar auf einen Hoffnungsweg zu, der dann in V. 8 benannt wird: „Dort wird es eine Straße, den Weg geben; man nennt ihn den Heiligen Weg.“Und dieser Weg weist dann auf die großen Visionen von Zion als dem Berg Gottes für Israel und alle Völker in den Kapiteln 60, 65 und 66 des Jesaja-Buches.

Die Worte in Jesaja 35, 4-7 sind in die Situation des Menschen hineingesagt, in seine unmittelbare Not: in Blindheit, Taubheit, Lahmheit. Das sind die Geiseln der Menschen. Daher ergeht die Zusage Gottes immer wieder auf die Heilung dieser Gebrechen. Es sind diese Gebrechen, die Jesus im Neuen Testament durch Wundertaten heilt. Dass diese Wunder geschehen, gilt als Erfüllung der Schrift und der Propheten (Matth. 11, 4-5; Lk. 18, 20-23).). Aber als real sind die Heilungen in V. 5 und 6 weder ausgesagt noch konkret vorgestellt; ob demgegenüber die neutestamentlichen Heilungen als real oder als Wunderlegenden zu verstehen sind, mag hier dahinstehen. Die Aussage ist eine andere, übergreifende: Wenn der Herr kommt (V. 4), werden auch alle Gebrechen vergehen, das Heil ist umfassend und wird den ganzen Menschen ergreifen – aber das bleibt Glaube und Hoffnung. In die reale Bedrohungssituation hineingesagt, sind die Worte Utopie. Aber die Utopie ist die Hoffnung Israels.

Die Worte sind aber auch hineingesagt in die lebensweltliche Situation der Menschen: Das ist die naturräumliche Welt Vorderasiens. Das ist die Welt der Wüste, der Steppe, der Trockenheit, des Mangels an Wasser: Wie sehr muss der Vorstellung der Menschen eine Welt als Paradies vorkommen, in der das Wasser in Fülle sprudelt (V. 7), die Steppe von lebendigen Flüssen durchströmt wird (V. 6), der glühende Sand zu lebenspendendem Teich (V. 7) wird, eine „Aue“ Lebensraum für Tiere und Pflanzen bildet (V. 7): eine Welt ohne Mangel! Und auch hier: Wenn der Herr kommt (V. 4) werden Mensch und Natur Erlösung finden von Mangel und Not. Doch auch das ist in der historischen Stunde nicht Realität, es ist Glaube und Hoffnung, Utopie.

Die reale Erlösung bleibt Gegenstand des Glaubens. Der Glaube wird Israel, wird den Christen nicht erspart. Und erspart wird Juden und Christen auch nicht die Not der Welt. Der Glaube aber hat die Gewissheit, dass die gesamte, auch materielle Schöpfung in das Heil hineingenommen ist: „Seht, ich mache alles neu.“ (Offb. 21, 5). Aus diesem Glauben darf dann auch die Hoffnung entspringen, dass in der jetzigen, realen Weltzeit die Chance besteht, zur Bewahrung der Schöpfung Gottes beizutragen, die gar nicht so sehr durch glühenden Wüstensand bedroht ist als vielmehr durch Übernutzung der natürlichen Ressourcen des Wassers, des Bodens, der Tier- und Pflanzenwelt und durch Vermüllung der Lebensräume. Hier darf die theologische Reflexion sehr konkret werden: Der Plastikabfall in den Weltmeeren weitet sich, nach jüngsten Erkenntnissen, zur globalen Katastrophe aus. Die Chance führt zum Handeln, wird zur Pflicht. Für ein nachhaltiges Wirtschaften, für einen sparsamen Umgang mit knappen Naturgütern, für Renaturierungsmaßnahmen ist allemal Raum. Gerade weil in der Wüste Wassermangel herrscht, ist mit dem Wasser sorgfältig, nach Maßen umzugehen; das Symbol für Maß und Knappheit ist der Krug, der in der alttestamentlichen Geschichte von der Brautwerbung Isaaks die entscheidende Rolle spielt (Gen. 24, 16-21). Der praktischen Beispiele, der realistischen Konzepte gibt es viele. Und was wir tun, wird eingehen in die Ewigkeit, nicht in die gestaltlose Leere der Transzendenz eines Nirwana, sondern in die ewige schöpferische Realität Gottes. Obendrein noch: die Natur macht mit.

Aus der Verheißung folgt die Verantwortung. Die Hoffnung bleibt.-

Es mag in diesem Zusammenhang auch ein Blick auf die andere Perikope desselben Tages geworfen werden, auf den Galaterbrief, und hier insbesondere auf Galater 5, 13-25. Der Text scheint zunächst mit Jesaja 35, 4-7 nichts zu tun zu haben, aber vielleicht kann ein Gedankensprung hinüberführen: Eröffnet doch Jesaja 35, 4-7 auch Perspektiven für ein verantwortliches Handeln in dieser Welt, für einen nachhaltigen Umgang mit den Gütern der Schöpfung, so kommt dieser Sicht der Dinge der geradezu drastische Tugend- und Lasterkatalog in Galater 5, 13-25 deutlich entgegen. Die Freiheit, zu der die „Brüder und Schwestern“ berufen sind (Gal. 5, 13), ist eben doch die „Freiheit eines Christenmenschen“, der den vermeintlichen, gar ökonomischen Sachzwängen der Welt nicht willenlos unterworfen ist, der vielmehr sein Leben und sein Handeln in der Welt frei gestalten kann und der daher Verantwortung übernehmen kann. Leitbilder freien, verantwortlichen Handelns sind die klassischen Tugenden, die in Gal. 5, 22-23 als „Frucht des Geistes“ bezeichnet und als „Liebe, Freude, Friede, Langmut, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut, Enthaltsamkeit“ benannt werden. Diese Tugenden sind keine „himmlischen“, sondern sind sehr konkret auf das irdische Leben ausgerichtet. Mit solchen Tugenden kann man in der Tat auch ein „nachhaltiges“ Leben im Sinne einer Bewahrung der Schöpfung begründen, für gegenwärtige und für zukünftige Generationen, und so kehrt denn die alte Tugendlehre in einer modernen Umweltethik zurück. Und dass zum Lasterkatalog nichtnachhaltigen Lebens auch „maßloses Trinken und Essen“ (Gal. 5, 21) gehören, versteht sich dann von selbst.

Dr. Frank Hennecke, Ludwigshafen