15. Sonntag nach Trinitatis / 25. Sonntag im Jahreskreis 2017 [III/A]
ev. Predigttext | kath. 1. Lesung | kath. 2. Lesung | kath. Evangelium |
Lk 18, 28-30 | Jes 55, 6-9 | Phil 1, 20ad-24.27a | Mt 20, 1-16a |
Existenzsichernder Lohn hier und dort - Predigtanregung
Die beiden Perikopen Lk 18,28-30 und Mt 20,1-16a verbindet das Thema Lohn: Bei Lukas geht es um den Lohn der Nachfolge, bei MatthĂ€us um die Löhne, die im Himmelreich gezahlt werden. Der Lohn ist das, womit die Existenz gesichert wird. Das Haus als materielle Grundlage gehört bei Lukas ebenso dazu wie das soziale Netz der GroĂfamilie. Wer nicht einer der wenigen reichen Gutsbesitzerfamilien angehört â also die groĂe Masse der Bevölkerung -, lebt jedoch hauptsĂ€chlich vom Verkauf der eigenen Arbeitskraft und vom Lohn, den er oder sie dafĂŒr erhĂ€lt.[1]
Arbeit und damit auch Lohnarbeit ist konstitutiv fĂŒr das Menschenbild der Bibel. Sie ist lebenslange und schweiĂtreibende MĂŒhsal (Gen 3,17 ff), durch die der Unterhalt von Familien gesichert wird. Das Recht auf existenzsichernden Lohn ist darum sowohl im Alten als auch im Neuen Testament kein Randthema, sondern ein immer wieder thematisierter PrĂŒfstein fĂŒr Gerechtigkeit. Die Grundbedeutung des hebrĂ€ischen Verbs fĂŒr entlohnen ist âGleiches mit Gleichem vergeltenâ. Im Griechischen gibt es mehrere Begriffe dafĂŒr, zwei davon finden sich nur in christlicher Literatur und unterstreichen die Bedeutung des Themas im Neuen Testament.
Durchgehend gilt in der Bibel der von Jesus in Lk 10,7 fĂŒr seine JĂŒnger formulierte Grundsatz, dass der Arbeiter oder die Arbeiterin ihres Lohnes wert ist, und zwar unabhĂ€ngig vom VerhĂ€ltnis zum Arbeitgeber und von der Art der Arbeit.[2] Lohnverweigerung ist gegen Gottes Gebote und wird unter Gerichtsandrohung gestellt.[3] Besonders drastisch in Sir 35,27: âWer dem Arbeiter seinen Lohn nicht gibt, der ist ein Bluthundâ. Klar ist dabei immer, dass Lohn der Unterhalts- bzw. Existenzsicherung dient. Darum wird ausdrĂŒcklich bestimmt, dass diejenigen, die in der Lohnpyramide ganz unten stehen und deren Lohn gerade eben das Existenzminimum sichert â nĂ€mlich Tagelöhner â ihren Lohn am selben Tag erhalten sollen, an dem die Arbeitsleistung erbracht wurde.[4]
Aufgrund der generellen anthropologischen Bedeutung der Arbeit sind Erwerbsarbeit und gerechte Entlohnung trotz des tiefgreifenden Wandels der Arbeitsgesellschaft als sozialethische Themen von dauerhafter Bedeutung. Existenzsichernde Löhne sind ein Grundpfeiler von Beteiligungsgerechtigkeit und werden z.B. in der EKD-Denkschrift âGerechte Teilhabeâ von 2006 thematisiert: âDabei besteht die besondere Notwendigkeit, die Entwicklungen im Niedriglohnsektor dauernd zu beobachten. Das PhĂ€nomen der âworking poorâ, also von ErwerbstĂ€tigen, deren Entlohnung nicht aus der Armut herauszufĂŒhren vermag, verdient angesichts zunehmenden Drucks auf die Löhne auch in kirchlichen Institutionen verstĂ€rkte Aufmerksamkeit. Ein Niedriglohnsektor darf kein Bereich werden, in dem Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer durch eine sich stets nach unten bewegende Lohnspirale ausgebeutet werdenâ.[5]
Das Recht auf existenzsichernden Lohn ist in den zentralen Dokumenten der ErklĂ€rung und Umsetzung der Menschenrechte enthalten, so in der Allgemeinen ErklĂ€rung der Menschenrechte[6] und in den ILO Konventionen Nr. 95 und 131. Nicht nur, aber speziell in der Textilindustrie ist es weltweit verbreitete Praxis, Angestellten fĂŒr eine 48 Stunden lange Arbeitswoche einen Lohn auszuzahlen, mit dem sie ihre GrundbedĂŒrfnisse nicht befriedigen können. Diese Praxis verstöĂt gegen ein Menschenrecht.
In der Textilindustrie ist das Problem der niedrigen Löhne in allen LĂ€ndern, von China, Indien, Kambodscha, den mittelamerikanischen LĂ€ndern bis in die ProduktionslĂ€nder Osteuropas wie RumĂ€nien, Bulgarien und der TĂŒrkei, in etwa gleichem AusmaĂ vorhanden. Die Entlohnungssituation ist ĂŒber den Vergleich von Lebenshaltungskosten mit der Lohnhöhe gut beschreibbar. Vor allem aber sind die niedrigen Löhne das wohl drĂ€ngendste Problem der Millionen von Textilarbeiterinnen in Asien, Lateinamerika und Osteuropa, deren Leben oft von Arbeitszeiten weit ĂŒber das zulĂ€ssige MaĂ und der stĂ€ndigen Sorge um die Versorgung ihrer Familien geprĂ€gt ist. Sozialpolitisch gesehen fĂŒhren Löhne unterhalb des Existenzminimums dazu, dass sich weite Teile der Bevölkerung aus diesen LĂ€ndern nicht aus der Armut befreien können, obwohl sie ein formelles BeschĂ€ftigungsverhĂ€ltnis haben.[7]
Die Zahlung existenzsichernde Löhne in der Lieferkette ist darum ein zentrales Nachhaltigkeitsanliegen, das sowohl von einer christlich-ethisch motivierten Kundschaft als auch von kirchlichen Investoren gegenĂŒber Textilunternehmen eingefordert wird. Können sie sicherstellen, dass die NĂ€herinnen in ihren Subunternehmen in Indonesien und Myanmar fĂŒr ihre Arbeit einen Lohn erhalten, mit dem sie eine Familie ernĂ€hren, Schulgeld und -uniformen fĂŒr ihre Kinder sowie Arztrechnungen bezahlen können und auĂerdem noch etwas Geld zurĂŒcklegen können fĂŒr unerwartete NotfĂ€lle? Diese Frage stellt sich beim Kauf von Kleidung und Turnschuhen ebenso wie beim Kauf von Aktien, etwa von adidas, Puma, Gerry Weber oder Hugo Boss. Und wer Antworten darauf sucht, wird zum Beispiel fĂŒndig beim SĂDWIND Institut fĂŒr Ăkonomie und Ăkumene[8] oder bei Misereor[9].
Vom Lohn, der die Existenz sichert, redet Jesus sowohl in der Lukas- als auch in der MatthĂ€usperikope. Seine Antwort auf die besorgte Frage der JĂŒnger bei Lukas ist ebenso wenig wie das Gleichnis von den Tagelöhnern im Weinberg verstĂ€ndlich, ohne zu wissen, was es mit existenzsicherndem Lohn damals und heute auf sich hat. Aber es geht Jesus um mehr als das: Die ökonomischen und sozialen ZusammenhĂ€nge sind durchaus als solche bedeutsam â die irdische Gerechtigkeit ist nicht belanglos -, aber sie sind im Mund Jesu immer auch Zeichen und Hinweis darauf, wie Gott mit den Menschen umgeht.
Gott ist es nĂ€mlich, der ihre Existenz sichert, hier und dort, auf Erden wie im Himmelreich. Im Unterschied zum Verhalten irdischer Arbeitgeber, die ihre Macht, Bedingungen zu diktieren, zu Ungunsten der LohnempfĂ€ngerinnen und -empfĂ€nger ausĂŒben, zahlt Gott auch denen ganz unten, den Allerletzten einen unverdient hohen Lohn, einen Lohn, der das Vielfache dessen ist, womit wir rechnen. âDenn meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und eure Wege sind nicht meine Wege, spricht der HERR, sondern so viel der Himmel höher ist als die Erde, so sind auch meine Wege höher als eure Wege und meine Gedanken als eure Gedankenâ, heiĂt es in Jes 55.
Karin Bassler in Verbindung mit Antje SchneeweiĂ
[1] Vgl. zum Folgenden: JĂŒrgen Kegler/Ute E. Eisen: Art. âLohnâ in CrĂŒsemann, Frank et al. (Hg.): Sozialgeschichtliches Wörterbuch zur Bibel, S. 357-359, GĂŒtersloh 2009.
[2] Gen 29,15: Zwar bist du mein Verwandter, aber solltest du mir darum umsonst dienen; Ex 2,9: Nimm das Kindlein mit und stille es mir; ich will es dir lohnen; Num 18,31: Es ist euer Lohn fĂŒr euer Amt an der StiftshĂŒtte; Dtn 25,4: Du sollst dem Ochsen, der da drischt, nicht das Maul verbinden; 1Kor 3,8: Jeder aber wird seinen Lohn empfangen nach seiner Arbeit.
[3] Jer 22,13; Weh dem, ... der seinen NÀchsten umsonst arbeiten lÀsst und gibt ihm seinen Lohn nicht; Jak 5,4: Siehe, der Lohn der Arbeiter, die euer Land abgeerntet haben, den ihr ihnen vorenthalten habt, der schreit, und das Rufen der Schnitter ist gekommen vor die Ohren des Herrn Zebaoth.
[4] Lev 19,3: Du sollst deinen NĂ€chsten nicht bedrĂŒcken noch berauben. Es soll des Tagelöhners Lohn nicht bei dir bleiben bis zum Morgen; Dtn 24,15: Dem Tagelöhner, der bedĂŒrftig und arm ist, sollst du seinen Lohn nicht vorenthalten, er sei von deinen BrĂŒdern oder den Fremdlingen, die in deinem Land und in deinen StĂ€dten sind, sondern du sollst ihm seinen Lohn am selben Tage geben, dass die Sonne nicht darĂŒber untergehe â denn er ist bedĂŒrftig und verlangt danach -, damit er nicht wider dich den Herrn anrufe und es dir zur SĂŒnde werde.
[6] Artikel 23, 3: Jeder, der arbeitet, hat das Recht auf gerechte und befriedigende Entlohnung, die ihm und seiner Familie eine der menschlichen WĂŒrde entsprechende Existenz sichert, gegebenenfalls
ergĂ€nzt durch andere soziale SchutzmaĂnahmen. http://www.un.org/depts/german/menschenrechte/aemr.pdf
[7] Siehe: In Work but Trapped in Poverty, Oxfam 2015, http://policy-practice.oxfam.org.uk/publications/in-work-but-trapped-in-poverty-a-summary-of-five-studies-conducted-by-oxfam-wit-578815 .