15. Sonntag nach Trinitatis / 26. Sonntag im Jahreskreis (25.09.22)

15. Sonntag nach Trinitatis / 26. Sonntag im Jahreskreis

ev. Predigttext kath. 1. Lesung kath. 2. Lesung kath. Evangelium
Gal 5,25-6,10 Am 6, 1a.4-7 1 Tim 6, 11-16 Lk 16, 19-31

 

Am 15. Sonntag nach Trinitatis geht es um das Thema „Sorge”. Dieses hat viele Facetten. Sie reichen von Vorsorge über Fürsorge bis hin zu angstgesteuerten Sicherheitsvorkehrungen. Die Botschaft der vorgesehenen Bibeltexte umspannt sie alle. Zum einen geht es um das Vertrauen auf Gottes weiten Horizont – „Alle Eure Sorge werfet auf ihn, denn er sorgt für euch“ –, zum anderen um Solidarität und gemeinsames Schultern der Alltagssorgen – „Einer trage des anderen Last; so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen“.

Der 15. Sonntag nach Trinitatis liegt mitten in der Schöpfungszeit. Diese liturgische Zeit, die mit der Feier des Erntedankfestes endet, verbindet alle christlichen Kirchen miteinander und lebt vor allem von Impulsen aus der orthodoxen Tradition. Die ACK (Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen) in Deutschland gibt jedes Jahr zur Schöpfungszeit ein Materialheft heraus, das wertvolle Impulse enthält. Ansonsten ist die Schöpfungszeit leider noch nicht ausreichend in den Perikopenordnungen und liturgischen Kalendern der Kirchen berücksichtigt. Die vorgeschlagenen und hier bearbeiteten Texte bieten aber einige Anknüpfungspunkte dafür. Denn der Zustand der Erde bietet großen Anlass zur Sorge.

Galater 5,25 – 6,10

Im Galaterbrief geht es um die Befreiung von der Knechtschaft einer buchstäblichen Befolgung des Gesetzes zu einem eigenverantwortlich gestalteten Leben in der Freiheit und Verantwortung eines Christenmenschen. Im vorgeschlagenen Predigttext wirbt Paulus für einen Lebensstil, der sich sichtbar an den geistlichen Einsichten, also an den ethischen Maßstäben des christlichen Glaubens orientiert. „Wenn wir im Geist leben, so lasst uns auch im Geist wandeln.“ Was so selbstverständlich erscheint, ist alles andere als ein Automatismus. Von der Einsicht in fatale Zusammenhänge bis hin zur Änderung des eigenen Lebensstils ist es ein weiter Weg. Das wissen wir alle. (Die Zahl derjenigen, die meinen, man müsste weniger Fleisch essen, und derjenigen, die es tatsächlich tun, klafft enorm auseinander.)

In den Gemeinden in Galatien gab es offensichtlich viele narzisstische Persönlichkeiten. Es gab keine Einigkeit, sondern stattdessen Eitelkeiten, Neid, Selbstgerechtigkeit und Überheblichkeit. Dabei ging es um ein Wetteifern im Glauben – wer ist der Frömmste im ganzen Land? -, das nicht gedeckt war durch das Alltagshandeln.

Solch religiöser Eifer, der die Gemeinde spaltet und „Gott spottet“, mag gegenwärtig nicht unser Hauptproblem zu sein, aber die Schlussfolgerung „Lasst uns aber Gutes tun und nicht müde werden“ hat an Aktualität nichts verloren. Wenn wir uns vor Augen führen, wie dramatisch sich der Verlust an Biodiversität und die Veränderungen des Ökosystems Erde schon jetzt auf das Leben auf diesem Planeten auswirken, bietet der Schlussvers Stoff für eine ganze Predigt: „Darum, solange wir noch Zeit haben, lasst uns Gutes tun.“ Die Fortsetzung „an jedermann, allermeist aber an des Glaubens Genossen“ bedarf dabei, wenn sie nicht verschwiegen werden soll, einer ausführlichen Erklärung. Heute denken wir diverser, ökumenischer, interreligiöser, inklusiver und stärker auf die Mitgeschöpflichkeit des Menschen bezogen als es Paulus damals möglich war.

Amos 6,1a.4-7

Amos ist bekannt als ein rigoroser Moralist, der der feinen Gesellschaft Israels den Spiegel vorhält und schonungslos die Option Gottes für die Armen klarmacht. Mit „weh den Sorglosen zu Zion“ sind die gemeint, die es nicht kümmert, was ihr Lebensstil anrichtet. „Ihr eßt die Lämmer aus der Herde und die gemästeten Kälber…, aber bekümmert euch nicht um den Schaden Josefs.“ Wer das Jungvieh tötet, macht sich keine Gedanken um den Bestand der Herde. Wer die Ressourcen ausbeutet, handelt verantwortungslos gegenüber den nachwachsenden Generationen.

Amos kündigt ihnen Konsequenzen an: sie sollen als erste in Gefangenschaft genommen und weggeführt werden. Das Schlemmen der Übermütigen soll aufhören. Die hier angeprangerten Sünden Leben in Sorglosigkeit und Leben in Luxus und Genuss führen unweigerlich zum Ende der Vornehmen und Reichen in Israel. Ihr Verhalten führt sie in den Abgrund – nicht nur, weil es verantwortungslos gegenüber ihren Mitmenschen ist, sondern weil es Gott beleidigt. Gott hat die Welt weise geordnet und sein Volk auserwählt zum Vorbild für die Völker.

Dem Schafzüchter Amos fällt die Aufgabe zu, diejenigen zu warnen und zur Umkehr zu rufen, die diese göttliche Ordnung missachten. Hier sind es diejenigen, die ihren Wohlstand sorglos genießen und gedankenlos verprassen. Es warten drastische Konsequenzen auf sie.

1. Tim. 6, 11-16

Das Ende des 1. Timotheusbriefes fasst zusammen, worum es dem- oder derjenigen gehen sollte, der oder die sich zu Jesus Christus bekennt: „Jage nach der Gerechtigkeit, der Frömmigkeit, dem Glauben, der Liebe, der Geduld, der Sanftmut! Kämpfe den guten Kampf des Glaubens; ergreife das ewige Leben, wozu du berufen bist.“

In den Versen davor werden Geldgier und Habgier als Wurzel allen Übels beschrieben. Nach Ansicht des Verfassers versklavt irdischer Reichtum und behindert ein auf Christus ausgerichtetes Leben im Glauben.

Lukas 16, 19-31

Die Geschichte vom reichen Mann und armen Lazarus bildet den Abschluss eines Kapitels, in dem Lukas verschiedene Reden Jesu über Reichtum und den rechten Umgang mit Besitz zusammengestellt hat. Über die Pharisäer, die ihm dabei zuhören und „über ihn spotten“ (Vers 14), sagt Lukas, sie seien geldgierig.

In Aufnahme prophetischer Traditionen malt Lukas den Reichen und Geldgierigen ein drastisches Gerichtsszenario vor Augen. Den Armen aber, hier in Gestalt des armen Lazarus, stellt er himmlischen Frieden als Ausgleich für irdische Ungerechtigkeit in Aussicht.

Diese Geschichte zielt darauf ab, Einsicht und Umkehr bei den Reichen zu erwirken und sich Gedanken über die nachhaltige Wirkung ihres Handelns zu machen. In der Wirkungsgeschichte hat sie die Vorstellung vom Schmoren im ewigen Feuer geschürt – ein heute aus der Mode gekommenes Szenario. Der Blick sollte vielmehr darauf gerichtet werden, dass diejenigen, die viel haben, auch viel Verantwortung tragen.

Angesichts des menschengemachten Klimawandels wird ein „das habe ich nicht gewusst“, „das wollte ich nicht“, „dafür bin ich nicht verantwortlich“ für unsere Generation und für uns im industrialisierten und reichen Teil der Welt nicht in Frage kommen. Spätestens seit den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts wissen wir es, und Greta Thunberg und die Fridays for future – Generation erinnern uns daran: unser Haus brennt. Jetzt und hier.

Gedanken zur Predigt

Für die Predigt am 15. So.n.Trin. / den vorletzten Sonntag der Schöpfungszeit würde ich die Geschichte vom reichen Mann und armen Lazarus als Ausgangspunkt nehmen. Wie der Amos-Text richtet er sich an die Wohlhabenden. Vorsorge für ein sorgloses Leben zu treffen, ist in Ordnung. Aber wenn das auf Kosten anderer geht, wenn dabei die Versorgung der Armen vernachlässigt wird, ist ein Status der Ungerechtigkeit und Unbarmherzigkeit erreicht, der schärfste Kritik erfährt.

Zudem – das macht Lukas 16,19-31 besonders drastisch deutlich – reicht die materielle Absicherung nie über das irdische Leben hinaus und ist vergänglich. Die Frage, die sich eigentlich stellt und die alle Texte des Sonntags aufwerfen, ist die nach einem „geistlichen Leben“, nach einem Leben, das durchdrungen ist vom Streben nach Gottes Liebe und Gerechtigkeit, einem Leben, das über das vorfindliche irdische Leben hinausweist und darum auch Verantwortung übernimmt für andere und für nachfolgende Generationen. Es geht um ein Leben, das sich orientiert an Gottes Option für die Armen.

In Bezug auf die Verteilung der Reichtümer unserer Erde herrscht große Ungerechtigkeit. Das Ungleichgewicht zwischen Reich und Arm ist gewaltig. Die Strukturen, die dieses Ungleichgewicht zementieren, sind stark. Die Idee der Gerechtigkeit für alle auf dieser Erde war schon zu biblischen Zeiten schwer zu denken. So geht die Geschichte vom reichen Mann und dem armen Lazarus der Frage nach: Wie sieht Gottes Gerechtigkeit für einen Menschen aus, dem zu Lebzeiten nur Ungerechtigkeit widerfährt? Lukas erzählt: „Einst lebte ein reicher Mann. Er trug einen Purpurmantel und Kleider aus feinstem Leinen. Aber vor dem Tor seines Hauses lag ein armer Mann, der Lazarus hieß. Er wollte seinen Hunger mit den Resten vom Tisch des Reichen stillen. Aber es kamen nur die Hunde und leckten an seinen Geschwüren. Dann starb der arme Mann, und die Engel trugen ihn in Abrahams Schoß. Auch der Reiche starb und wurde begraben. Im Totenreich litt er große Qualen. Als er aufblickte, sah er in weiter Ferne Abraham und Lazarus an seiner Seite. Da schrie er: ›Vater Abraham, hab Erbarmen mit mir! Bitte schick Lazarus, damit er seine Fingerspitze ins Wasser taucht und meine Zunge kühlt.‹ Doch Abraham antwortete: ›Kind, erinnere dich: Du hast deinen Anteil an Gutem schon im Leben bekommen –genauso wie Lazarus seinen Anteil an Schlimmem. Dafür findet er jetzt hier Trost, du aber leidest.‹ (Lukas 16,19-25 i.A.)“

Diese Geschichte ist ziemlich befremdlich. Eigentlich ist sie eine Zumutung. So wird die Gottesdienstgemeinde das empfinden. – Ich fände es spannend, an dieser Stelle – nach einer Einführung und der Lesung der Geschichte – in ein Gespräch darüber einzutreten, welche Emotionen und Assoziationen diese Geschichte auslöst.

Dieses Gespräch kann spontan mit der vorhandenen Gottesdienstgemeinde geführt werden, es kann aber auch vorbereitet präsentiert werden. Z.B. könnte ich mir ein Gespräch zwischen Konfirmandinnen und Konfirmanden und Vertreterinnen und Vertretern der älteren Generation, z.B. Gemeindeälteste o.ä. gut vorstellen. Für junge Leute ist die Schlußfolgerung, die die Geschichte zieht, vielleicht gar nicht so befremdlich und aus der Zeit gefallen, wie für ältere. Für sie ist m.E. das, was manche „moralischen Rigorismus“ nennen schlicht eine realitätsbasierte Schlussforlgerung - Das im Gespräch zu ergründen, wäre spannend.

Im weiteren Verlauf der Predigt müsste dann, anknüpfend an die Richtung, die das Gespräch genommen hat, die Frage vertieft werden, was das mit „geistlichem Leben“ (Gal.5,25-6,10), mit der Verantwortung der Wohlhabenden und Mächtigen (Amos 6,4-7) oder mit Gerechtigkeit (1.Tim.6,11-16) zu tun hat.

Gerade anhand des Textes aus dem 1. Timotheusbrief kann man gut deutlich machen, dass ein Leben aus dem Glauben heraus nicht der einfachste und bequemste Weg ist, sondern durch aus bis heute „Kampf“. Die Suche nach Gerechtigkeit tut regelrecht weh – so wie Hunger und Durst wehtun. Denn wer mit wachen Augen und klarem Blick durch die Welt geht, stößt allerorten auf ungerechte Strukturen, auf ausbeuterische Systeme, auf an Eigennutz und Profit basierten Schemata, die es sehr schwer, wenn nicht schier unmöglich machen – jedenfalls dem und der einzelnen -, nach den Maßstäben von Gerechtigkeit und Solidarität nachhaltig, sozial und ökologisch achtsam zu leben.

Die Geschichte vom reichen Mann und armen Lazarus macht darauf aufmerksam, dass auch unser Leben im Zusammenhang steht mit dem Leben der Armen vor unserer Tür. Unser Lebensstil bedingt Lebensbedingungen anderer, die wir eigentlich nicht wollen. Rücksichtslosigkeit, Egoismus und Eigennutz sind keine Option. Sie prägen aber unser Wirtschaftssystem.

Wir gehören zweifellos zu den Privilegierten, zu den Mächtigen und Wohlhabenden dieser Welt. Quält uns die Frage nach der Gerechtigkeit, brennt sie uns unter den Nägeln – so wie die Propheten, die Evangelien und die Briefe an die ersten Gemeinden es fordern? Was muss geschehen, um uns wachzurütteln und unseren Anteil der Sorge für Mitmensch und Mitschöpfung tatkräftig zu übernehmen? – Das sind die Fragen, die die Texte des Sonntags aufwerfen. Im Gottesdienst könnte mit interaktiven Formaten, z.B. bei den Fürbitten, die Thematik veranschaulicht und vertieft werden.

Annette Muhr-Nelson, Dortmund