3. Adventsonntag (16.12.18)

3. Advent 2018

ev. Predigttext kath. 1. Lesung kath. 2. Lesung kath. Evangelium
Röm 15, 4-13 Zef 3, 14-17 (14-18a) Phil 4, 4-7 Lk 3, 10-18

Ungeachtet des Vertrauensverlustes der Kirchen ist das Interesse an Jesus von Nazareth auch im 3. Jahrtausend unvermindert gross. Davon zeugt nicht zuletzt die Vielzahl der in jüngster Zeit erschienenen Jesusbücher. Was ist es, weshalb Jesus auch heute noch aufzurütteln, zu verstören, zu provozieren, zu verärgern und zu bewegen vermag?

In der letztjährigen Mitternachtsmesse, mitten in die feierlichen Gesänge hinein, überfiel mich - wie ein Wegelagerer - plötzlich der Gedanke: Was wäre, wenn der Jude von Nazareth plötzlich leibhaftig dastünde, inmitten der Gemeinde, der Schar von Andächtigen und Neugierigen? Wüsste er wohl gleich, um wen sich das alles dreht? Oder müsste man ihm erklären, was es auf sich hat mit der festlichen Liturgie, dem Bischofssitz, dem Altarraum, der Prozession der Priester? Und wie käme sich vor der barocken Kulisse der wohl vor, von dem es im Evangelium heisst, dass er mit heiligem Geist und Feuer taufen (Lk 3,16f.) und die Spreu vom Weizen trennen würde?

Unruhe und Aufruhr

Eines geht aus den Evangelien eindeutig hervor: Jesus hat Unruhe gebracht, Aufruhr, nicht Ruhe und Ordnung.Er hat seinen Nachfolgerinnen und Nachfolgern den Stachel ins Bewusstsein gesetzt, dass Gott nicht auf dem Weg der Mittelmässigkeit und der Gewohnheit zu erreichen ist. Wo Jesus auftauchte, liess er niemanden gleichgültig zurück. Seine Worte und sein Verhalten brachten Bewegung, wühlten, ja schreckten auf, so dass es mit der inneren Ruhe und Sicherheit aus und vorbei war.

Anstoß und Ärgernis 

In den Schriften des Neuen Testaments finden sich genügend Hinweise dafür, dass Jesus von der Krippe bis zum Kreuz Anstoss erregt hat. Die Einwohner Nazareths nehmen ebenso Anstoss an ihm (Mt 13,57) wie die Pharisäer (Mt 15,12) und die eigenen Jünger (Mk 14,27.29). Alle Erfahrungen, die es bisher in der Geschichte mit Jesus gegeben hat, zeigen, dass Jesus keine Gestalt ist, die auf Harmonie zielt und überall Zustimmung auslöst, sondern dass von ihm vielmehr Anstoss, Verärgerung, Widerstand und Streit ausgingen. An Jesus scheiden sich bis heute die Geister von Christen, Sympathisanten und Religionskritikern. Er scheint ganz und gar nicht in die Koordinaten unserer Vorstellungen und Bedürfnisse zu passen.

Durchkreuzung des Anforderungsprofils eines Messias

So wenig Jesus als Ordnungshüter oder Beschwichtiger taugt, so wenig erfüllt er das „Anforderungsprofil“ des erhofften Messias: Anstatt allmächtig zeigte sich Jesus ohnmächtig gegenüber den Mächtigen, was besonders deutlich am brutalen Ende seines Lebens wurde. Die Versuchung, dem Götzen der Macht nachzugeben, blieb ihm ebenso wenig erspart wie die bodenlose Angst vor dem nahen Tod. Anstatt allwissend hatte auch Jesus wie alle anderen Menschen zu lernen. Auch er war den Schranken endlichen Erkennens unterworfen, wie es ausdrücklich im Markusevangelium (Mk 13,32) heisst. Anstatt allerfahren ging Jesus der moderne Erlebnishunger gänzlich ab. Nichts deutet in den Evangelien drauf hin, dass er Angst gehabt hätte, die Erfahrungsmöglichkeiten nicht ausschöpfen zu können. Jesu Erfahrungsraum war auf die Welt des palästinensischen Judentums beschränkt, so dass man von ihm gewiss nicht sagen konnte, er sei besonders welterfahren gewesen.

Kein Top Ten der Menschheit

Die Versuchung, Jesus in die Nähe der Übermenschen zu rücken und ihn als einen der Top Ten der Menschheit zu betrachten, besteht nicht erst heute: Zu allen Zeiten ergänzten theologische Konstrukteure spekulativ die Begabungen und Ausstattungen, über die ihrer Ansicht nach Jesus verfügt haben musste. In theologischen Handbüchern erscheint der Mann aus Nazareth bisweilen als Summe von Platon, Augustinus, Goethe, Che Guevara, Jeanne d’ Arc und Ghandi.

Die Evangelien sprechen eine ganz andere Sprache: Die Menschen, die mit Jesus zusammengelebt haben, zeichnen ihn in keiner Weise als genialen Übermenschen, der durch eine Überfülle an Wissen, Begabung, Erfahrung und Exzellenz von sich reden gemacht hätte. Die Beziehung der Jüngerinnen und Jünger zu Jesus - wie sie in den Evangelien aufleuchtet - ist nicht die eines Personenkults, wo jemand bewundert und auf einen Sockel gehoben wird. Das, was die Jüngerschaft dazu bewog, Herkömmliches aufzugeben und sich ganz auf Jesus einzulassen, bestand offensichtlich nicht in dessen Genialität, sondern musste woanders herrühren: Es musste mit der Beziehung Jesu zu Gott zusammenhängen und damit, dass Jesus mit seiner Art ins Innerste des Herzens traf.

Dr. Béatrice Acklin Zimmermann, Zürich