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Pred 7, 15-18 | Jer 17, 5-8 | 1 Kor 15, 12.16-20 | Lk 6, 17.20-26 |
Pred 7,15-18: Ideologiekritik und das rechte Maß als Voraussetzung für Nachhaltigkeit
1. Exegetische Hinweise und theologische Impulse
Das Buch Prediger oder Kohelet gehört zur Weisheitsliteratur Israels. Der Weisheitslehrer wird als Sohn Davids, des Königs von Jerusalem vorgestellt (1,1). Mit einem Donnerschlag eröffnet Kohelet sein Buch: „Es ist alles ganz eitel, sprach der Prediger, es ist alles ganz eitel. Was hat der Mensch für einen Gewinn von all seiner Mühe, die er hat unter der Sonne?“ (1,2-3). Die Einheitsübersetzung (EÜ) formuliert an dieser Stelle: „Windhauch, Windhauch, alles ist Windhauch. Welchen Vorteil hat der Mensch von all seinem Besitz, für den er sich anstrengt unter der Sonne?“ Die Bibel in gerechter Sprache übersetzt das hebräische Wort הֶבֶל = hævæl mit „nichts“: „Alles ist nichts!“ Hier stellt offenbar ein Mensch vieles, wenn nicht alles, was bisher gelehrt worden ist über Welt und Mensch, Gott und Schöpfung, über den Sinn von Existenz und Sein in Frage. Hier nimmt ein Weiser sich die Freiheit, frei zu denken und das theologische Denkgebäude seiner Zeit, wenn nicht umzustürzen, so doch massiv zu erschüttern: Ist nicht alles, was man uns beigebracht hat, eitel, ein Wind, der vergeht, ist nicht alles absurd oder nur ein Nichts? Hier übt einer Ideologiekritik.
Vor unserer Perikope setzt Prediger nochmal den kritischen Akzent: „… je mehr Worte, desto mehr Eitelkeit; was hat der Mensch davon? Denn wer weiß, was dem Menschen nützlich ist im Leben, in seinen kurzen, eitlen Tagen, die er verbringt wie ein Schatten?“ (6,11f). Wie ein Schatten verschwindet er und lässt keine Spuren zurück. Hat er existiert, gelebt? Und was ist nach ihm? Stellt Kohelet die Sinnhaftigkeit der menschlichen Existenz radikal in Frage? Gibt es ein gelingendes Leben? Oder ist Resignation die einzige Weise sich zu Welt und Mensch – und Gott? - zu verhalten?
Prediger stellt sich ohne Scheuklappen der Wirklichkeit. Gibt es eine Gerechtigkeit? Ist das Leben nicht ungerecht? Was kann man tun? Er zeigt, wie es einem Gesetzestreuen elend ergeht, demjenigen aber, der sich nicht um das Gesetz schert, ein gutes und langes Leben beschieden ist. Das widerspricht der Lehre vom Tun-Ergehen-Zusammenhang, wie ihn die Schriftgelehrten lehren: Gott vergilt schon in diesem Leben nach dem Tun des Menschen, dem Guten wird ein, auch materiell, gutes Leben zuteil, dem Bösen droht das Gericht.
Was kann ich tun? Und wozu noch Gott? Gott, der offenbar willkürlich handelt, der völlig undurchdringlich, dunkel, fern ist. Bin ich ihm nicht ohnmächtig ausgeliefert? „… denn wer kann gerade machen, was er krümmt?“ (7,13).
Hier macht Kohelet eine Wende. Resignation kann nicht die Lösung sein. Alles nichts? – Nein! Es ist nichts egal. Das Leben ist nicht Windhauch, der vergeht und verschwindet im Dunkel. Es gibt einen guten Weg zu leben. Und es ist gut, sich an Gott zu halten. Zu einem „goldenen Mittelweg“ rät Prediger: „Sei nicht allzu gerecht und nicht allzu weise, damit du dich nicht zugrunde richtest. Sei nicht allzu gottlos und sei kein Tor, damit du nicht stirbst vor deiner Zeit. Es ist gut, wenn du dich an das eine hältst und auch jenes nicht aus der Hand lässt; denn wer Gott fürchtet, der entgeht dem allen“ (7,16-18). Er propagiert ein Leben des Maßes, des menschlichen Maßes als ein gutes Leben vor Gott.
2. Nachhaltigkeitsaspekte
Wer Gott fürchtet, richtet sich nicht zugrunde, der stirbt nicht vor seiner Zeit. Gott ist das Leben seiner Geschöpfe nicht egal. Das glaubt Kohelet. Er ist davon überzeugt, dass es gut ist, sich in Gott festzumachen, dass es gut ist, den Willen Gottes zu ergründen, sein Gesetz, das Gottesrecht (מִשְׁפָּט = mischpat) zu befolgen. Es ist auch gut zu lernen, sein Wissen zu vermehren, um dass Leben zu bestehen, wohl auch, um die Größe der Schöpfung, die Schönheit der geschaffenen Welt, die Würde des Lebens und der Menschen zu erkennen. Aber alles mit Maß und Ziel, damit er sich nicht zugrunde richtet, nicht ruiniert. Das Übermaß zerstört. Ihn selbst, aber auch die Welt.
Das gilt ganz wesentlich gegenüber der Schöpfung: Gen 1,28 spricht vom „untertan machen“ und „herrschen“ über die Erde und das Leben. Besonders die Europäer haben dies als Aufruf Gottes zur Ausbeutung der Welt missverstanden. Damit war und ist auch immer die Ausbeutung und Vernichtung von Menschen (Krieg, Sklaverei, „Untermenschen“ etc.) verbunden. Kohelet hat schon gewusst: Wo das rechte Maß im Denken und Handeln fehlt, geht die Achtung vor dem Leben, auch die Achtung vor dem eigenen Leben zugrunde. Die Ausbeutung unseres Planeten ist letztlich Zerstörung der eigenen Lebensgrundlagen. Das rechte Maß aber ist Voraussetzung für Nachhaltigkeit, nachhaltiges Leben und Handeln.
Recht und Wissen in einem „menschlichen Maß“ empfiehlt Prediger, das nennen wir heute Bildung, genauer Menschenbildung. Der Weg dahin ist für den Weisen die Gottesfurcht: Sie befähigt uns, Recht und Wissen zu erkennen in ihrer lebensfreundlichen, lebensförderlichen, menschlich-empathischen Dimension. In der Gottesfurcht findet der Mensch seine Mitte – Gott selbst. Aus dieser Mitte heraus kann er zu einem gelingenden Leben finden und zu einem guten Handeln für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung.
Jer 17,5-8: In Gottvertrauen das Leben mehren, entfalten und bewahren
1. Exegetische Hinweise und theologische Impulse
Der Botenformel: „So spricht der HERR“ folgen Weisheitssprüche, die den Tun-Ergehen-Zusammenhang thematisieren: So geht es Menschen, die auf Menschen vertrauen, und so Menschen, die ihre Hoffnung ganz auf Gott setzen. Das wird mit Bildern aus der Natur beschrieben. Wer auf Menschen baut, „Er ist wie ein Strauch in der Steppe, der nie Regen kommen sieht; er wohnt auf heißem Wüstenboden, im Salzland, das unbewohnbar ist“ (17,6). Wer aber auf Gott vertraut, „Er ist wie ein Baum, der am Wasser gepflanzt ist und zum Bach seine Wurzeln ausstreckt: Er hat nichts zu fürchten, wenn Hitze kommt; seine Blätter bleiben grün; auch in einem trockenen Jahr ist er ohne Sorge, er hört nicht auf, Frucht zu tragen“ (17,8).
Fluch liegt auf den Menschen, die „auf schwaches Fleisch“ sich stützen, die sich ausschließlich in ihrem Lebenskonzept auf Menschen ausrichten, in Selbstüberschätzung nur auf menschliche Macht setzen. Sie wenden ihr Herz von Jahweh, ab, der ihnen den Lebensatem eingehaucht hat (Gen 2,7), und finden sich in der Sphäre des Todes wieder: „Staub bist du und zum Staub kehrst du zurück“ (Gen 3,19). Der Strauch in der Steppe ohne Wasser, im Salzland symbolisiert das Land des Todes. Gesegnet dagegen ist der Mensch, der sich Gott zuwendet. Er weiß um die eigenen Grenzen, Schwächen, seine Schuldverfallenheit und Sterblichkeit, um seine Gottesbedürftigkeit. Er weiß, dass er Gott sein Leben verdankt und in ihm allein „eine Zukunft und eine Hoffnung“ hat (Jer 29,11). Er ist wie der Baum am Wasser, auch in trockenen Jahren bringt er Frucht. Dieser Mensch steht in der Sphäre des Lebens. Nicht Selbstüberschätzung, sondern Einsicht in die eigene Unvollkommenheit, Dankbarkeit für das Geschenk des Lebens und Wertschätzung, Achtsamkeit dem Leben gegenüber sind die Grundhaltungen des Menschen, der Gott vertraut.
2. Nachhaltigkeitsaspekte
Die Natur als Bild für unsere menschliche Verfasstheit und Gottbezogenheit ist wertvoll. Wir müssen uns aber wirklich um den Baum kümmern, der vielleicht noch am Wasser gepflanzt ist, und uns fragen: Wie lange noch? Rund um meine Heimatstadt sind alle Fischweiher, die Wooge, bis auf einen ausgetrocknet. Der Karpfen im Stadtwappen wirkt wie eine Mahnung. Zwar regnet es augenblicklich über die Maßen, aber die Wahrscheinlichkeit, dass in Zukunft immer weniger Regen fallen wird, ist groß. Wenn der Baum verdorrt ist, fehlt uns nicht nur das Bild für fruchtbares, pralles, gesegnetes Leben, sondern ganz real der Baum, der selbst Leben schafft und bewahrt, es stirbt die Hoffnung, dass er Frucht bringt. Es stirbt mit ihm das Leben selbst. Unser Einsatz für die Natur, für ihr Wachstum und Überleben, gegen die weitere Erwärmung unseres Planeten und einen Klimawandel, dessen Folgen wir allmählich zu begreifen beginnen (die beiden Flutkatastrophen im Saarland und in Bayern liegen gerade hinter uns), ist Handeln von Menschen, die nicht resignieren, die den Mut haben von Gesegneten, die auf Gott vertrauen: „Er hat nichts zu fürchten, wenn Hitze kommt; seine Blätter bleiben grün; auch in einem trockenen Jahr ist er ohne Sorge, er hört nicht auf, Frucht zu tragen“ (17,8).
Wenn die Welt, dieser Planet, den wir Erde nennen, Gottes Schöpfung ist – und ich zweifle nicht daran –, dann zerstören wir gerade diese Gabe der Liebe Gottes, denn die Schöpfung Gottes ist ein Liebesakt. Sie ist seine Mitgift an uns und alles, was lebt, sie ist der Lebensraum, in dem wir uns und unsere Liebe entfalten sollen. Das ist der Auftrag, den wir haben: das Leben mehren, entfalten und bewahren, nicht untertan machen und beherrschen. Gott existiert in geheimnisvoller Weise in den Dingen, besonders in allem, was lebendig ist. In der Zerstörung der Natur zerstören wir einen Teil der göttlichen Realität, einen Teil der Existenz Gottes in der Welt. Damit zerstört der Mensch auch ein Stück seiner Selbst.
1 Kor 15,12.16-20: Auferstehung im Hier und Heute
1. Exegetische Hinweise und theologische Impulse
1 Kor ist gehört zu den echten Paulus-Briefen. Er wurde wohl um das Jahr 53 / 54 n. Chr. geschrieben. Hier spricht Paulus im O-Ton. Das 15. Kapitel ist das wohl älteste Zeugnis über Tod und Auferstehung Jesu Christi. Hier spricht in leidenschaftlicher Weise ein Mensch, der selbst Christus als den Lebendigen erfahren (1 Kor 15,8) und nie mehr an der Wirklichkeit dieser Erfahrung gezweifelt hat. Die Bedeutung dieser Passagen für die Wirkungsgeschichte des Christentums kann nicht überschätzt werden. Paulus spricht von „Auferweckung“: Gott ist der Handelnde, der seinen Sohn aus dem Tod ins Leben ruft, ihn auferweckt. Auch wenn Paulus bei der Aufzählung der Zeugen für die Auferstehung Jesu nur von Männern spricht, darf dies nicht gegen die Evangelien ausgespielt werden, die Maria Magdalena als Apostelin der Apostel zeigen, die den Auferstandenen zuerst als den Lebendigen gesehen und ihn den Aposteln – auch Petrus – und den Jüngerinnen und Jüngern verkündet hat.
Vehement verteidigt Paulus die Wirklichkeit der Auferstehung Jesu. Wenn Christus nicht auferstanden ist, dann ist der Glaube nutzlos. „Wenn wir allein für dieses Leben unsere Hoffnung auf Christus gesetzt haben, sind wir erbärmlicher daran als alle anderen Menschen“ (15,19). Kommt es Paulus hier nur auf das Leben nach dem Tod an? Ist die Hoffnung auf Christus für dieses Leben nutzlos oder zumindest nicht wichtig? Steht hier am Horizont womöglich eine Jenseitsvertröstung?
2. Nachhaltigkeitsaspekte
Paulus steht noch ganz in der Perspektive der Naherwartung, „dieses Leben“ ist für ihn wirklich nicht mehr so wichtig. Ich deute heute, 2000 Jahre später, das „allein für dieses Leben“ anders: Ich deute es so, dass der Auferstehungsglaube sich zwar auf die neue Daseinsweise, das neue Leben aus und nach dem Tod bezieht, dieses neue Leben aber schon jetzt auf geheimnisvolle Weise erfahrbar ist und im Hier und Heute seine Auswirkungen, seine Konsequenzen hat: Auferstehung beginnt bereits in diesem Leben. Wer an die Auferstehung (oder Auferweckung) Jesu Christi glaubt, orientiert sich nicht nur auf das Jenseits, er lebt bereits österliche Zuversicht aus der österlichen Hoffnung. Die Hoffnung auf die eigene Auferstehung verändert uns, wir sind vom Leben des Auferstandenen Ergriffene, die dieses Leben teilen, anderen mit-teilen und dadurch die Welt verändern. Wer die Hoffnung des Auferstandenen in sich hat, lebt anders. Er lebt, liebt das Leben, wertschätzt es, achtet es, kümmert sich um es – er ist ein Freund des Lebens, steht in der Spur Gottes, des Schöpfers allen Lebens. Er macht die Welt zu einem besseren Ort, zu einem österlichen Ort, in dem das Leben des Auferstandenen aufstrahlt, der Auferstandene selbst als präsent, gegenwärtig erfahren werden kann.
Wo Frieden, Gerechtigkeit, Bewahrung der Schöpfung sich entfalten, erstrahlt dieses österliche Licht. Wo Menschen sich für Freiheit und Menschenrechte engagieren, wo Politiker miteinander um Frieden zwischen den Völkern, um die Akzeptanz der Menschenrechte und ihre allgemeine Anerkennung und Wirksamkeit ringen, wo Einzelne und Nationen nach Wegen suchen, die Erderwärmung und den Klimawandel zu begrenzen, wo sie um menschenwürdige Lösungen für die Migration suchen, da ist der Geist Gottes, der ein Freund des Lebens ist, am Werk, steht Jesus Christus täglich neu auf - aus den Toten ins Leben.
Lk 6,17.20-26: Gott, mitten unter den Armen
1. Exegetische Hinweise und theologische Impulse
Die lukanische Feldrede findet nicht auf einem Berg statt, sondern in der Ebene: Jesus steigt vom Gipfel der Gottesbegegnung (Lk 6,12; vgl. Lk 9,28-36: Verklärung auf dem Tabor) hinab in den profanen Alltag der Menschen. Es ist eine große Schar von Jüngern und Jüngerinnen, die mit ihm ziehen, zu der „Menschen aus ganz Judäa und Jerusalem und dem Küstengebiet von Tyrus und Sidon“ (6,17) kommen. Die Hörerschaft besteht aus Juden und (!) Nichtjuden. Jesu Ruf wirkt bereits über Israel hinaus. Sie „waren gekommen, um ihn zu hören und von ihren Krankheiten geheilt zu werden“ (6,18). Jesus tritt auf als Lehrer und Heiland, als einer der ein Wort mit Vollmacht spricht, dessen Botschaft vom Heil gedeckt ist durch Taten des Heils. Sein Wort ist glaubwürdig, sein Tun rechtfertigt es als wahr, „denn es ging eine Kraft von ihm aus, die alle heilte“ (6,19).
Die lukanische Feldrede unterscheidet sich von der Bergpredigt des Matthäus. Lukas spricht von dem bedingungslosen Erbarmen Gottes mit den – auch materiell – Armen, Matthäus geht es vor allem um ethische Grundhaltung: „Selig, die arm sind vor Gott, …“ (Mt, 5,3). Lukas hat nur vier Seligpreisungen, Matthäus acht, dafür bietet Lukas mit den vier Wehrufen ein Kontrastbild: „… weh euch, ihr Reichen, … (6,24). Dem Evangelisten geht es um den Gegensatz von Arm und Reich, von materiell Arm und materiell Reich. Jesus spricht die Menschen direkt an: „Selig, Ihr Armen, denn euch gehört das Reich Gottes“ (6,20). Mit den Seligpreisungen wendet er sich zunächst an seine Jüngerinnen und Jünger, die alles verlassen haben, um ihm zu folgen. Sie sind mit der vierten Seligpreisung gemeint: „Selig seid Ihr, wenn euch die Menschen hassen und wenn sie euch ausstoßen und schmähen und euren Namen in Verruf bringen um des Menschensohnes willen. Freut euch und jauchzt an jenem Tag; denn siehe, euer Lohn im Himmel wird groß sein“ (6,22f). Wir dürfen hinter den Angesprochenen die lukanischen Gemeinden erkennen, die die Erfahrung von Hass und Verfolgung schon erlebt haben. Lukas spricht aber über den Jüngerkreis hinaus alle Hörenden an, Juden wie Nichtjuden (s.o.). Dies wird auch durch die Wehrufe deutlich, mit denen sich Jesus an den größeren Kreis von Menschen wendet. Er fordert Gerechtigkeit für die Armen. Damals wie heute. Seine Drohungen wenden sich gegen die Reichen, die Selbstsicheren, die meinen, ihr Leben und das ihrer Umwelt mit Reichtum und Macht im Griff zu haben. Lukas zeigt Gottes Solidarität mit den Bettelarmen. Gott steht mitten unter ihnen. Er formuliert die christliche Option für die Armen.
2. Nachhaltigkeitsaspekte
Selig, die Armen, selig die Hungernden, selig, die gehasst, ausgestoßen und diffamiert werden. Auf mich wirken die Seligpreisungen des Lukas wie ein Statement, für heute geschrieben. Die politische Dimension der Feldrede, wir können sagen: die politische Dimension des Christentums, ist unmissverständlich: Hier geht es um Befreiung, um Befreiung der Armen von Arroganz und Gleichgültigkeit, von Verachtung und Demütigung, von Unterdrückung und Ausbeutung der Reichen. Es geht um soziale Gerechtigkeit. Um Wertschätzung und Achtung der Menschen, die täglich ums Überleben kämpfen, denen man die Ressourcen raubt oder vorenthält, um selbst als Menschen menschenwürdig zu leben. Es sind die Armen, die den Konsumrausch der Reichen, die tödliche Ausbeutung der Lebensressourcen durch die Länder des Westens mit ihrer kapitalistischen Ökonomie ausbaden müssen: Der Klimawandel trifft vor allem sie. Die Migrationsbewegungen sind jetzt schon eine Folge davon. Was machen wir mit den Menschen, die nicht mehr in ihren Ländern leben können, weil der Klimawandel sie unbewohnbar gemacht hat? Was ist mit ihren Menschenrechten? Es ist ein Skandal, wenn Politiker – und auch Politikerinnen! – sich darin überbieten wollen, wie man am schnellsten „illegale Menschen“ aus Deutschland abschiebt. Und das in Länder, in denen die Menschenrechte „kein überzeugendes Konzept“ sind. Auch die Wehrufe scheinen mir von Lukas für heute geschrieben zu sein: „Doch weh euch, ihr Reichen; denn ihr habt euren Trost schon empfangen. Weh euch, die ihr jetzt satt seid; denn ihr werdet hungern. Wehe, die ihr jetzt lacht; denn ihr werdet klagen und weinen. Wehe, wenn euch alle Menschen loben. Denn ebenso haben es ihre Väter mit den falschen Propheten gemacht“ (6,24-26).
Nach den Wehrufen folgt „folgerichtig“ das Gebot der Feindesliebe: „Euch aber, die ihr zuhört, sage ich: Liebt eure Feinde; tut denen Gutes, die euch hassen! Segnet die, die euch verfluchen; betet für die, die euch beschimpfen! Dem, der dich auf die eine Wange schlägt, halt auch die andere hin und dem, der dir den Mantel wegnimmt, lass auch das Hemd!“ (6,27-29). Ohne die Feindesliebe kann es keine Gerechtigkeit geben. „Liebe deine Feinde“ heißt: Vergiss nie, auch dein Feind ist ein Mensch, „Er ist wie Du“ (Martin Buber).
Thomas Bettinger, Bistum Speyer
Quellen:
- Texte der Lutherbibel 2017: https://www.bibleserver.com/
- Stuttgarter Altes und Neues Testament, Kommentierte Studienausgabe der Einheitsübersetzung 2016, Kath. Bibelwerk, Stuttgart 2017
- Neue Jerusalemer Bibel. Neu bearbeitete und erweiterte Ausgabe, hrsg. von Alfons Deissler und Anton Vögtle in Verbindung mit Johannes Nützel, Freiburg 1985
- J. Klauck: 1. Korintherbrief, in: Die neue Echter Bibel. Kommentar zum neuen Testament mit der Einheitsübersetzung, Würzburg, 3. Auflage 1992