Septuagesimae / 6. Sonntag im Jahreskreis (17.02.19)

Septuagesimae / 6. Sonntag im Jahreskreis (17.02.19)


ev. Predigttext kath. 1. Lesung kath. 2. Lesung kath. Evangelium
Pred 7, 15-18 Jer 17, 5-8 1 Kor 15, 12.16-20 Lk 6, 17.20-26

Prediger 7, 15-18

Gerechtigkeit ist kein Garant für gutes und langes Leben, alles bleibt Windhauch.
Warnung vor Einseitigkeit, nicht zu weise und nicht zu gerecht sein zu wollen. Empfehlung, Gott zu achten als der einzige Rettungsweg

Jeremia 17,5-8

Vertrauen in Gott, Bild vom Baum, der am Wasser gepflanzt ist

1 Korinther 15, 12.16-20

Vertrauen in das Wunder der Auferstehung Christi als Wahrheit, die die Auferstehung aller Toten garantiert

Lukas 6, 17.20-26

Seligpreisungen als Feldrede (vgl. Matthäus 5,3-12 – Bergpredigt)


Impulse unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit

Zur Lukasperikope

Dieser Stelle geht mit Lk 6,12 der Moment voraus, als Jesus sich ins Gebirge zurückziehtund allein die ganze Nacht hindurch im Gebet verweilt. Erst danach erwählt er aus der Schar seiner Jünger*innen die zwölf Apostel. Gemeinsam mit ihnen steigt er hinab in die Ebene zu den Menschen, die aus den phönizischen Städten Sidon und Tyrus aus dem Westen und aus Judäa von Süden her gekommen sind mit hohen Erwartungen und Hoffnungen auf Jesus. Die versammelte Menge setzt sich aus Menschen zusammen, die von ihren Herkunftsorten her kaum Kontakt untereinander pflegten, sich oft kritisch bis feindlich gegenüber standen – ein bunter „Haufen“.
Diese Beschreibung des Rückzugs Jesu und sein Hinabsteigen vom Berg nimmt Anleihe an Moses im Sinai auf dem Berg Horeb, an den Empfang des Dekalogs, des göttlichen Kodex, der den Menschen menschenwürdiges Leben in echter Freiheit verheißt mit Gott an ihrer
Seite.
Jesus wird hier als der neue Moses beschrieben, der „sein Volk“ zusammenführt, indem die unsichtbaren Grenzen innerhalb Israels zwischen Galiläa und Judäa, und die sichtbaren Grenzen zu Tyrus und Sidon überwunden werden.
Diese sogenannte Feldpredigt, die viele Parallelen zur Bergpredigt bei Mt 5,1ff aufweist, ist wie eine Erdung der göttlichen Zusage eines Lebens in Fülle, sie kommt direkt bei den Menschen an, was sich in der heilenden Wirkung zeigt, die von Jesus ausgeht (vgl. Lk 6,18 –
auch wenn die Perikope diesen Vers ausspart, empfiehlt es sich, ihn mit einzubeziehen).
Die BigS (Bibel in gerechter Sprache) verwendet statt der Einheitsübersetzung für „selig“ die Übersetzung „glücklich“.
Glücklich sein beschreibt ein unmittelbares und umfassendes Gefühl, das die ganze Dimension des Menschseins durchdringt.
Jesus positioniert sich in dieser Rede und damit auch Gott als den, der auf der Seite der Armen, der Hungernden, der Weinenden und Ausgegrenzten ist. Seine Liebe gehört ihnen als ein parteiischer Gott, der Partei ergreift für die, die nicht zu den Gewinnern gehören gemäß den Kategorien der Marktwirtschaft.
Jesus redet Klartext und lädt ein, seine Blickrichtung, seine Perspektive einzunehmen, die sogar die Feindesliebe einschließt, vgl. Lk 6, 27.
Wenn wir uns an seinem Beispiel orientieren, dann kann das „Parteiprogramm Jesu“ aufgehen. Die kurz zuvor erwählte Zwölfergruppe wird Zeuge dieser Rede und des vorausgegangenen Heilungsgeschehens, vgl. Lk 6,19.
Anders als viele Politiker unserer Zeit handelt Jesus zuerst und verkündet danach sein Programm, das keine Vertröstung auf das Reich Gottes im Jenseits darstellt.
Im Sinne der Nachhaltigkeit kann die Ausrichtung auf die von Jesus benannten Zielgruppen programmatisch sein für alle Initiativen zur Bekämpfung von ungerechten Wirtschaftsstrukturen und Regierungsformen, die Armut hervorrufen, die Menschen zur Flucht aus ihren Heimatländern zwingen, die Kriege um Rohstoffe auslösen oder Menschenhandel Tür und Tor öffnen.
Die klare Ansage Jesu an die Reichen mit seiner Prognose, dass dieses „Immer-Mehr“ und „Immer-weiter-So“ ein Ende haben wird, finden wir heute auf vielen Ebenen bestätigt.
Statt Wirtschaftswachstum ist Nachhaltigkeit zu einem einflussreichen Faktor geworden, Recycling ist angesagt, Langlebigkeit von technischen Geräten muss Priorität haben, regionale und saisonale Produkte sind zu bevorzugen. All dies ist in Teilen unserer
Gesellschaft bereits angekommen.
Wenn es jetzt auch noch gelänge, die Marketingstrategien mit einer neuen Glücks-Formel im Sinne der Feldpredigt Jesu auszustatten, könnten die Verbraucher*innen sich getröstet zurücklehnen, denn sie müssen in dem Hamsterrad des „Immer-Schöner-Immer reicher“ nicht mehr mitlaufen.
Stattdessen wäre Entschleunigung und eine neue Form der Genügsamkeit als Lebenswert zu entdecken und aktiv zu bewerben. Hierzu lohnt es sich, den Weltglücksbericht mit der Brille dieser Perikope zu lesen.

Die UNO veröffentlichte 2012 zum ersten Mal einen Weltglücksbericht im Zusammenhang mit der Diskussion über die Bedeutung von Glück im Kontext von Klimawandel und Nachhaltigkeit. Dieser Bericht basiert auf den Ergebnissen einer vergleichenden Glücksumfrage, die die Glücksforscher John Helliwell und Richard Layard sowie der UN Sonderberater für die Millenniumsentwicklungsziele bis zum Jahr 2011 ausgewertet hatten.

Zentrales Ergebnis der Studie ist, dass Wirtschaftswachstum Menschen nur dann glücklichermacht, wenn sie zuvor arm waren.
Des Weiteren bietet das Bruttonationalglück (BNG), das im südasiatischen Königreich Bhutan erhoben wird, wertvolle Anregungen im Sinne der Nachhaltigkeit.
Auch bekannt als Gross National Happiness umfasst das BNG den Versuch, den Lebensstandard in breit gestreuter, humanistischer und psychologischer Weise zu definieren. Ergänzend zu dem Bruttonationaleinkommen bedient das BNG einen ganzheitlicheren Bezugsrahmen.

In den beiden Bibelstellen, Prediger 7, 15 – 18 und Jeremia 17, 5-8, möchte ich auf Grundhaltungen hinweisen, die ich als „Rüstzeug“ verstehe, um nachhaltig sehen und handeln zu können:

Prediger 7,15-18

Die Empfehlung, sich ausschließlich an Gott auszurichten, kann zur Entlastung werden. Hier sehe ich einen direkten Bezug zu Theresa von Avila mit ihrem Bekenntnis „solo dios basta“ (Gott allein genügt) Als eine Mystikerin, die mit beiden Beinen auf der Erde stand und Gott sogar zwischen den Kochtöpfen ausmachen konnte, ist sie heute noch aktuell. Nicht abgehoben, sondern mitten im Leben, im Alltag ereignet sich die Begegnung mit Gott wie mit einem guten Freund.
Wenn Gott es zulässt, dass sowohl der Gerechte, als auch der Ungerechte unter dem Himmel ihre Existenzberechtigung haben, dann dürfen auch die, die sich als besonders gerecht empfinden, aufatmen. In diesen Versen warnt der Prediger/Kohelet vor jeder Form von Extremismus, vor einer Orthodoxie, die nur schwarz-weiß sieht. Eine sowohl-als-auch-Haltung kann helfen, die eigenen blinden Flecken zu erkennen. Damit wird der Raum eröffnet für echte Begegnungen, für einen Dialog, der Veränderung ohne Zwang und Unterwerfungsgesten möglich macht. Wenn es keine Gewinner mehr gibt, verschwinden auch die Verlierer.

Jeremia 17, 5 – 8

Jeremia spricht diese Sätze in einem historischen Moment der existentiellen Bedrohung und Verwüstung Israels durch die Großmacht der Babylonier. Nebukadnezar macht Jerusalem dem Erdboden gleich, hinterlässt eine Steinwüste. Wenn alles verloren ist, was kann da noch helfen. Woher Kraft schöpfen?
Wie ein Baum am Wasser gepflanzt ….einen solchen Ort fand ich beim Pilgern auf dem Franziskusweg 2017 nach Rom. Am Ufer des Flusses Nera entdeckte ich eine Freiluftkathedrale aus Bäumen und Wasser gebaut. Es wurde für mich zu einem Ort des Gebets, des Auftankens, des Einswerdens mit der Schöpfung, zur Kraftquelle auf meinem persönlichen Trauerweg.
In einer solchen geistlichen Haltung, in der sich der Mensch anschließt an den Strom des Lebens, Gott als lebendiges Wasser anzapft mit Hilfe seiner Seelenwurzeln, kann Kraft erwachsen, nach jedem Scheitern aufzustehen und weiter zu gehen.

Karin Müller-Bauer, Trier