Erntedank: 1Tim 4,4-5; Lk 12,(13-14)15-21; Jes 58,7-12; Mk 8,1-9; 2Kor 9,6-15; 5Mose 8,7-18 [www.stichwortp.de]
18. Sonntag nach Trinitatis / Erntedank / 27. Sonntag im Jahreskreis
ev. Predigttext | kath. 1. Lesung | kath. 2. Lesung | kath. Evangelium |
Mk 12, 28-34 / Lk 12, (13-14) 15-21 od. Mt 6, 25-34 |
Gen 2, 18-24 | Hebr 2, 9-11 | Mk 10, 2-16 |
(Foto: Knapp)
Zum Erntedankfest
Religiöse Feste strukturieren die Zeit. Sie bezeichnen feste Punkte im Jahreskreislauf. So sind es die jährlichen Feste nach der Erntezeit, die in den Religionen in besonderer Weise den Menschen die Schöpfung nahe bringen, auch im Christentum. Auch wenn der Alltag der meisten Menschen in Mitteleuropa heute nicht mehr von der Landwirtschaft bestimmt wird, erinnert das Erntedankfest daran, dass wir wesentliche Grundlagen unseres Lebens nicht uns selbst verdanken. Sie sind unverfügbar. Damit das, was wir säen, auch wächst und gedeiht, sind wir auf Gottes Segen angewiesen. Auch in einer post-agrarischen Gesellschaft rückt das Erntedankfest unsere Beziehung zur Natur in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit.
In vielen Kirchen wird an diesem Tag der Altar mit Kartoffeln, Äpfeln, Kohlrabi und vielen anderen Obst- und Gemüsesorten geschmückt. Das ist ein Ausdruck des nicht abgerissenen Dankes für den Schöpfer und erinnert zugleich die GottesdienstbesucherInnen an unsere agrarischen Wurzeln. Mit den in der Kirche ausgebreiteten Erntegaben werden Fragen der Ernährung, der Lebensmittelverschwendung und des Welthungers assoziiert und damit auf die gottesdienstliche Agenda gehoben. Birnen, Gurken und Rotkohl erinnern uns daran, dass uns Gott den Auftrag gegeben hat, seine Schöpfung zu hegen und zu pflegen: damit diese Gaben den Hunger aller Menschen stillen. Und damit zukünftige Generationen sich auch noch daran freuen können.
Gerade angesichts des verschärften Welthungers und der drohenden ökologischen Katastrophen ist deshalb immer wieder neu durchzubuchstabieren, was „Bewahrung der Schöpfung“ konkret heißt. Kein vernünftiger Mensch stellt in Frage, dass das Leben auf unserem Planeten durch den Klimawandel bedroht ist. Soweit herrscht ein großer Konsens. Doch wie kann die „Große Transformation“ in Gang kommen? Wie erreichen wir eine nachhaltige Veränderung unserer Wirtschaft, so dass alle und nicht nur wenige von ihr profitieren?
Dabei muss ich mich auch mit meinen eigenen Widersprüchen auseinandersetzen. Denn wie kann ich selbst glaubwürdig für die Bewahrung der Schöpfung eintreten, wenn ich es z.B. noch nicht einmal schaffe, im Büro den Drucker meines Computers über das Wochenende auszuschalten? Wie kann ich also große Ziele in kleine Münze umsetzen? M.a.W.: Wie kann der Schritt vom Sehen und Urteilen zum Handeln gelingen? Und nicht zuletzt: Was kann Kirche zu diesen Veränderungsschritten beitragen?
Lk 12, (13-14), 15-21 Der reiche Kornbauer
In der Luther-Übersetzung ist diese Perikope überschrieben: Warnung vor Habgier. Dieser Begriff ist in der Finanz- und Wirtschaftskrise zu besonderer Prominenz gekommen. Das nachfolgende Gleichnis illustriert ihn anschaulich. Es geht um einen reichen Bauern, der auf seinen Feldern eine gute Ernte eingefahren hat. Was soll er machen? Soll er das, was er nicht unterbringt, verkaufen, wo er doch später möglicherweise einen höheren Preis dafür erzielen könnte? So entschließt er sich die bereits vorhandenen Scheunen abzureißen und größere Lagerräume zu bauen. Doch gerade dieses Denken wird ihm zum Verhängnis. „Du Narr! Diese Nacht wird man deine Seele von dir fordern; und wem wird dann gehören, was du angehäuft hast?“ (Lk 12,20). Der Bauer verfolgt eine nach Marktkriterien durchaus nachvollziehbare Strategie der Gewinnmaximierung und Zukunftssicherung. Doch dabei schießt er über das Ziel hinaus. Er ist so fixiert auf das Morgen, dass er gar nicht merkt, dass er von jetzt auf gleich sterben kann. So kann die übertriebene Sorge um die Zukunft den rechten Blick für die Gegenwart verstellen oder gar verunmöglichen.
Der Text provoziert zu den Fragen: Welche Großscheunen bauen wir? Worin wollen wir investieren? Wo verbauen uns die Zukunftsängste den präzisen Blick auf die Gegenwart? Der Text hat einen entlastenden und zugleich befreienden Zug. Das erschließt sich vor allem in den Versen 22 bis 34 (Luther-Übersetzung: „Vom falschen und rechten Sorgen“). Weil Gott für uns sorgt, werden wir frei das zu tun, was jetzt notwendig ist! Als gutes Beispiel werden die Raben angeführt, die weder säen, ernten noch in Keller oder Scheunen sammeln: „…und Gott ernährt sie doch. Wieviel besser seid ihr als die Vögel!“ (Lk.12, 24). Damit wird die sinnvolle Vorsorge für die Zukunft nicht generell in Frage gestellt. Aber sie rückt in ein anderes Licht. Wenn wir krampfhaft auf die Zukunft schauen und sie uns materiell zu erkaufen suchen, belehrt uns der Text eines besseren. Die falsche Sorge für die Zukunft führt weg vom Reich Gottes und seiner Gerechtigkeit (Lk12,31; vgl. auch Mt.6,33). Gott nimmt uns dafür heute schon in Anspruch!
Gen 2, 18-24
Der Mensch ist nicht für das Alleinsein gemacht! Das ist der Anlass für Gott, ihm eine Hilfe, ein Gegenüber zu machen (vgl. die Übersetzung der Bibel in gerechter Sprache, Gütersloh 2006, zur Stelle). Der Text, Teil des jahwistischen Schöpfungsberichts, beschreibt zunächst die Entstehung der Tiere, die wie der Mensch aus Erde gemacht sind. Die Herkunft aus diesem Urmaterial verbindet uns mit der belebten Natur. Über ihren Ursprung sind Mensch und Tier gewissermaßen Verwandte. Die Erde, aus der wir beide kommen, verbindet uns. Sie erinnert uns zugleich angesichts knapper werden Raumes daran, dass die Erde auch ein Lebensraum der Tiere, also unserer Mitgeschöpfe, und nicht nur des Menschen ist. So sind z.B. durch die riesigen Staudammprojekte im brasilianischen Amazonasgebiet die dort beheimateten Flussdelfine stark bedroht.
Die Tiere können das Bedürfnis des Menschen nach Gemeinschaft jedoch nicht erfüllen. Er ist ein Mängelwesen (Arnold Gehlen). Nach biblischem Verständnis ist er deshalb dringend auf Beistand angewiesen. Gott kommt diesem Bedürfnis nach, indem er ihm ein alter Ego erschafft. Nach biblischem Verständnis ist schon in der Schöpfung mit dem zu dem Ich hinzukommenden Du das dialogische Prinzip verankert. Damit ist der soziale Charakter des Lebens grundgelegt, der jedoch immer wieder neu vom Menschen realisiert werden muss: gegen jede Form der Selbstdurchsetzung.
Um leben zu können, bin ich zwangsläufig darauf angewiesen, dass mir in bestimmten Situationen ein anderer Mensch zur Seite springt. Das beginnt schon im ersten Moment meines Lebens. Genauso wichtig ist es auch, dass ich anderen zur Hilfe komme. Der Mensch ist dazu da, andere Menschen zu unterstützen, zu beraten und zu tragen. Ohne diese gegenseitige Hilfemaßnahmen kann keiner von uns überleben. Die Zuwendung zu dem oder der Anderen ist der Kitt, der eine Gesellschaft zusammenhält. Auch heute im Zeitalter der fortgeschrittenen Technisierung kommt sie ohne diesen Kitt nicht aus. Der Gedanke der menschlichen Verwiesenheit aufeinander erhält seine besondere Zuspitzung, wenn es sich bei dem oder der Anderen um einen bedürftigen Menschen, z.B. einen Flüchtling oder Obdachlosen handelt, den ich in seiner Zerbrechlichkeit und Hilfebedürftigkeit entdecke. Paulus hat diesen Gedanken aufgenommen und ihn uns als Merksatz ins Buch geschrieben: „Einer trage des andern Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen.“ (Gal 6, 2).
Dr. Gunter Volz, Frankfurt am Main