Karfreitag
ev. Predigttext | kath. 1. Lesung | kath. 2. Lesung | kath. Evangelium |
Joh 19, 16-30 | Jes 52, 13 - 53, 12 | Hebr 4, 14-16; 5, 7-9 |
Ein Vorteil der ökumenischen Predigtanregungen zu Nachhaltigkeit ist es, sowohl die evangelischen Perikopen als auch die katholischen Lesungen vor Augen zu haben. Das erleichtert es nicht nur, auch die Bibeltexte bewusst wahrzunehmen, die bei den Glaubensgeschwistern im Mittelpunkt der gleichzeitig stattfindenden Gottesdienste stehen und auf diese Weise die Gemeinschaft untereinander zu vertiefen. Manchmal legen sich diese Texte darüber hinausauch gegenseitig so aus, dass neue Perspektiven eröffnet werden. Das ist an Feiertagen, die durch ein dominierendes Thema geprägt sind, stärker zu erwarten als an den Sonntagen in der Trinitatiszeit.
Kommt jedoch zusätzlich noch der Fokus auf Nachhaltigkeit hinzu, so rücktdiese gegenseitige Textauslegung gelegentlich Überraschendes ins Licht. Das kann dann so anregend sein, dass sich die katholische Lesung als Schriftlesung im evangelischen Gottesdienst nahelegt oder die evangelische Perikope (zum Beispiel auszugsweise oder zusammengefasst) auch in einer katholischen Predigt Verwendung findet. Beideswärebei den Texten Joh 19,16-30 und Jes 52,13–53,12 für den diesjährigen Karfreitag gut möglich.
Im Mittelpunkt stehen Jesu Kreuzigung und Tod, die ohne das Alte Testament nichteinmal ansatzweise verstanden werden können und schon gar keinen Sinn ergeben. Jesus stirbt als der König der Juden, der Gottesknecht und Messias Israels. In diesem Ereignis erfüllt sich bis in die Einzelheiten hinein die Schrift, also die hebräische Bibel. Die Psalmen (22,19: Teilung der Kleider, 51,9: Reinigung durch Ysop, 69,22: Essig zu trinken)liefern (nicht nur) einzelne Motive, die Gottesknechtslieder aus Deuterojesaja erhellen den Heilsplan des Geschehens, nämlich das was von Jesus in seinem Leiden und Sterben „vollbracht“ wird. Insbesondere das vierte Lied in Jes 52/53 deutet das, was im Johannesevangelium berichtet wird.
Der Knecht, der die Sünden der Vielen trägt (Jes 53,11), ist der König (Joh 19,19-22), er wird erhöht und sehr hoch erhaben sein (Jes 52,13). Der schmähliche Kreuzestod des Allerverachtetsten(Jes 53,3) ist – speziell bei Johannes – Erhöhung und Inthronisierung (Joh 19,30).Weil er um unsrer Missetat willen verwundet und um unsrer Sünde willen zerschlagen ist, weil die Strafe auf ihm liegt auf dass wir Frieden hätten (Jes53,5), darum ist Jesus von Nazarethder Juden König, wie Pilatusfür alle Zeiten und den ganzen Erdkreis bezeugen und festhalten muss(Jes 52,15àJoh 19,19-22), ohne dass er weiß, was er tut.Und weil im jüdischen Erzvater Abraham von Beginn an alle Geschlechter auf Erden gesegnet sind (Gen 12,3), ist er auch König aller Menschen, darum wird er viele Völker in Staunen versetzen, dass auch Könige ihren Mund vor ihm zuhalten (Jes 52,15).So weit, so hinlänglich bekannt, auch wenn es jedes Jahr wieder aufs Neue frappierend zu hören und herausfordernd genug ist, das zu predigen.
Überraschendes ergibt sich, wenn nun die Motive im vierten Gottesknechtslied ins Licht gerückt werden, die einen Nachhaltigkeitsbezug haben:
- das aufschießende Reis und die Wurzel aus dürrem Erdreich (53,2)
- die Schafe, die in die Irre gehen und die willig und stumm leiden, wenn sie geschoren und geschlachtet werden (53,6f.)
- die Verheißung von Nachkommenschaft, langem Leben und Fülle (53,10f.).
Der Bogen, der hier geschlagen wird, erinnert an den Ablauf des ersten Schöpfungsberichts: Pflanzen und Erdreich – Landtiere, darunter die damals wirtschaftlich kaum an Bedeutung zu übertreffenden Schafe – Menschen, die gesegnet werden mit der Aufforderung, Nachkommen in die Welt zu setzen und über die Tierezu herrschen, indem sie sich an ihrer Artenvielfalt erfreuen und die Fülle ihres vielfältigen Nutzens genießen.
Der Gottesknecht steht also auch für die ganze Schöpfung, v.a. für die fragile und verwundbare Schöpfung:
- für das von Dürre bedrohte Erdreich, das durch Klimawandel und Bodendegradation gefährdet und in seiner Nutzung für die Welternährung zunehmend eingeschränkt ist,
- für das aufschießende Reis und die Nahrung suchende Wurzel, die in den abnehmenden Humusschichten und von Erosion und Versalzung bedrohten Böden keinen Halt und keine Lebensgrundlage mehr finden und darum auch nicht mehr bieten können,
- für die Wildtiere, die in die Irre gehen auf der vergeblichen Suche nach geeignetem Lebensraum, der durch Rodung von Urwäldern und die Ausweitung von Monokulturen und Agrarwüsten ständig reduziert wird,
- für die Nutztiere, die ein elendes Dasein in der Massentierhaltung fristen, mit Hormonen und Antibiotika abgefüllt werden sowie unter Mangel an Licht, Luft und Bewegung leiden, um die Nachfrage nach billigem Fleisch zu befriedigen,
- für die Natur, wo sie ihre Schönheit, Gestalt und Hoheit verloren hat, z. B. ehemalige Traumstrände, die durch Plastikvermüllung und Ölpest keine Gestalt mehr haben, die uns gefallen hätte, sondern übersät ist mitkranken, schmerzgeplagten und sterbenden Seevögeln und Meerstieren, so dass man nur noch vor Scham das Angesicht verbergen kann.
Um unserer Missetat willen verwundet und um unsrer Sünde willen zerschlagen – das kann uns schon gelegentlich in den Sinn kommen, wenn wir Fotos von zerstörten Ökosystemen und Dokumentationen über die Folgen der menschengemachten Klimaerwärmung sehen. Zu unseren Sünden, um derentwillen der Gottesknecht zerschlagen und Jesus gekreuzigt wird, gehören auch unsere Umweltsünden und die Leiden aller Kreatur. Auch sie trägt Jesus,zusammen mit seinem Kreuz und hinauf ans Kreuz, als der König der Juden und aller Menschen, aber ebenso auch als Herr der ganzen Schöpfung. Und was er dort vollbringt, ist das Werk der Entsühnungund Versöhnung, durch das er einen neuen Anfang setzt – einen neuen Anfang zwischen Gott und uns, aber auch einen Neuanfang zwischen uns und der Schöpfung.
Wir müssen nicht resigniert zusehen, wie die Welt vor die Hunde geht. Vielmehr sind wir frei gemacht zur Umkehr, befreit dazu, unser Konsumverhalten zu ändern, und uns politisch zu engagieren, um die Klimaerwärmung zu stoppen, gesunde Böden zu erhalten und die Artenvielfalt zu bewahren. So werden wir lange leben und die Fülle haben – und die Weichen dafür stellen, dass auch unsere Mitgeschöpfe und unsere Nachkommen sich über diese Segensgaben freuen können.
Dr. Karin Bassler, Darmstadt