4. Sonntag nach Trinitatis / 12. Sonntag im Jahreskreis
ev. Predigttext | kath. 1. Lesung | kath. 2. Lesung | kath. Evangelium |
Röm 14, 10-13 | Sach 12, 10-11; 13, 1 | Gal 3, 26-29 | Lk 9, 18-24 |
Vorbemerkungen
Sowohl der 4. Sonntag nach Trinitatis als auch der 12. Sonntag im Jahreskreis wenden sich der Gemeinde zu. Wie sollen wir als Nachfolger Jesu in der Welt auftreten? Was haben wir durch Worte – aber eben auch durch Taten und durch unser Verhalten zu verkündigen?
Es ist ein spannender Sonntag, der mich als Einzelnen in der Gemeinschaft anspricht. Wie trete ich heute in der Welt als ChristIn auf, wie verkünde ich durch mein Reden und Wirken Gottes Botschaft und wo komme ich dabei vielleicht auch an Grenzen? Der Nachhaltigkeitsbegriff wird im Folgenden unter diesen Fragestellungen behandelt. Dabei will nicht der moralische Zeigefinger erhoben werden, sondern soll vielmehr der Aspekt der beziehungsstiftenden Vorbildschaft als ChristIn im Fokus stehen.
Erich Kästner hat einmal gesagt: Bei Vorbildern ist es unwichtig, ob es sich dabei um einen großes toten Dichter, um Mahatma Gandhi oder um Onkel Fritz aus Braunschweig handelt, wenn es nur ein Mensch ist, der im gegebenen Augenblick ohne Wimpernzucken gesagt oder getan hat, wovor wir zögern.
Römer 14,10-13
Verurteilt einander nicht, richtet nicht, so ermahnt Paulus seine Gemeinde in Rom. Keine neuen Worte. Schon Jesus selbst hat gelehrt: „Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet!“
Paulus weiß darum, wie schnell wir Menschen dazu neigen, uns ein Urteil über andere zu machen. Die Streitigkeiten in der damaligen Gemeinde in Rom, spiegelten das wieder. Gemeindemitglieder stellten sich über andere, weil sie ihre eigene Meinung plausibler, richtiger, klüger fanden. Die Meinung und das Verhalten der anderen wurde als falsch, als längst überholt abgetan.
Doch das tut nicht gut. Es tut der Gemeinschaft nicht gut, dient nicht dem Leben. Solch ein Verhalten grenzt aus, tötet Beziehungen, nimmt Hoffnung und Frieden.
Paulus ruckelt uns zurecht und erinnert uns daran, dass wir einmal alle Rechenschaft abgeben müssen vor Gott – und vor ihm können wir nicht glänzen, da hilft kein aufplustern und schönreden. Vor ihm sind wir auf seine Barmherzigkeit angewiesen und barmherzig sollten auch wir einander begegnen.
„Darum lasst uns nicht mehr einer den andern richten; sondern richtet vielmehr darauf euren Sinn, dass niemand seinem Bruder einen Anstoß oder Ärgernis bereite.“
Verurteilt einander nicht, und richtet einander nicht, sondern nehmt einander an, gebt euch Raum in all eurer Verschiedenheit. Daraus kann für mich eine nachhaltige Theologie der Gastfreundschaft entstehen, wie die reformierte Theologin Letty Russell (1929 - 2007) sie entwickelte. Sie schrieb, dass Jesus eine Gemeinschaft mit den Menschen gründete, die eine ganz besondere Einheit darstellt: "keine Einheit der Uniformität, sondern eine Einheit in Diversität". Gastfreundschaft wird damit zu einer Form der solidarischen Partnerschaft mit den anderen: "Unterschied und Gastfreundschaft sind miteinander verwoben, weil gerade die Herausforderung durch Unterschiede, Fremdheit und 'Anders-Sein' uns dazu aufruft, Gastfreundschaft zu praktizieren", so Russell. (aus:Margit Ernst-Habib, Subversiv kirchlich - Letty Russells (1929 - 2007) Theologie und reformierte Identität, in: M. Hofheinz, M. Zeindler (Hg.), Reformierte Theologie weltweit. Zwölf Profile aus dem 20. Jahrhundert, TVZ 2013, 267-292, Zitat: S. 289f)
Ein derartiger Umgang miteinander eröffnet neue Räume. Räume, die das Leben gewähren, frei von Schuldzurechnungen, frei von Machtspielen, frei von Diskriminierung und Mobbing, frei von Fremdenhass. Dafür nachhaltig gefüllt mit gelebter Toleranz.
Sacharja 12,10-11; 13,1
Sacharja – Gott gedenkt. Der Name des Propheten weist bereits in eine deutliche Richtung: Gott gedenkt seines Volkes und erweist sich als treu.
In unserem Abschnitt sagt Gott zu, dass er dem Volk und auch Jerusalem beistehen wird. Über die Einwohner und das Geschlecht Davids wird er seinen Geist ausgießen und für sie eine Quelle der Reinigung fließen lassen. Sie werden befähigt zu Mitleid und zum Gebet.
Bei diesem Bild bleibe ich hängen. Was heißt das, wenn wir zu Mitleid und zum Gebet befähigt werden? Was heißt es, wenn wir auf den, den sie durchbohrt haben, blicken, wenn wir hinschauen, uns berühren lassen?
Dorothee Sölle beschrieb in Ihrer Biographie „Gegenwind“, wie sie in einer Suppenküche in Manhattan Dorothy Day kennen lernte: „Dorothy Day, die eine ausgezeichnete, witzige und klar denkende Journalistin war, lebte in Besitzlosigkeit und im Dienst für die, die von der Gesellschaft aufgegeben sind und in den allermeisten Fällen auch sich selber aufgegeben hatten. Der andere Schwerpunkt ihres Lebens war der radikale Pazifismus.“
Tief beeindruckt von Day erklärt Sölle, wie wichtig es ist, dass wir nicht müde werden, um die Gabe der Tränen zu beten: „Wie jeder Mensch, der nach Gerechtigkeit und Frieden Hunger und Durst hat, so geriet auch Dorothy Day in Phasen der absoluten Erschöpfung, der Trauer und des Schmerzes. (...) In diesen Zeiten, so wurde mir berichtet, habe sie sich zurückgezogen und geweint. Stundenlang, tagelang geweint. Ohne Gespräch, ohne Nahrung einfach dagesessen und geweint. Sie hat sich nicht aus ihrem aktiven und kämpferischen Leben für die Ärmsten zurückgezogen, und sie hat nie aufgehört, den Krieg und die Kriegsvorbereitung als ein Verbrechen an den Ärmsten anzusehen. Aber zu Zeiten hat sie bitterlich und lange geweint. Als ich das erfuhr, verstand ich etwas besser, was Pazifismus ist; was Gott in der Mitte der Niederlage bedeutet, wie der Geist uns tröstet und uns zur Wahrheit führt, wobei eines nicht auf Kosten des anderen geht und Trost nicht mit dem Verzicht auf Wahrheit gekauft werden kann. (...) Wenn wir lernen, den Schmerz und die Freude mit andern zu teilen, dann wird unser Alltag geheiligt: Die Wünsche und die Ängste leuchten in ihm auf." (aus: Dorothee Sölle, Gegenwind - Erinnerungen, München 2003, S. 164-166)
Mitleiden, mit Tränen zu beten, sich berühren zu lassen von der Not der Schöpfung – dies kann bereits ein reinigender Akt sein. Ein wichtiger Schritt, um sich selbst zu ändern, unseren eigenen Umgang mit der Natur, mit den Tieren und Menschen. Wenn wir berührt sind, dann wächst in uns der Entschluss, das Leiden der Schöpfung nicht länger hin zu nehmen. Wir bekommen Kraft geschenkt, für die Stummen zu schreien und an Gottes Reich zu bauen.
Impulsfragen für die Predigt können lauten: Was treibt mir heute die Tränen in die Augen? Wo will ich mit der Gemeinde bewusst hinsehen - auch oder gerade weil der Anblick schmerzt? Vorbildhaft sind wir hier als ChristIn gefragt. Wenn Gottes Schöpfung leidet, dann dürfen wir nicht wegschauen. Um nachhaltig Gottes Schöpfung zu bewahren brauchen wir Gottes Gabe des Mitleids und des Gebets ebenso, wie Mut, Kraft und Entschlossenheit.
Gib mir die gabe der tränen gott
gib mir die gabe der sprache
Führ mich aus dem lügenhaus
wasch meine erziehung ab
befreie mich von meiner mutter tochter
nimm meinen schutzwall ein
schleif meine intelligente burg
Gib mir die gabe der tränen gott
gib mir die gabe der sprache
Reinige mich vom verschweigen
gib mir die wörter den neben mir zu erreichen
erinnere mich an die tränen der kleinen studentin in göttingen
wie kann ich reden wenn ich vergessen habe wie man weint
mach mich naß
versteck mich nicht mehr
Gib mir die gabe der tränen gott
Gib mir die gabe der sprache
Zerschlage den hochmut mach mich einfach
laß mich wasser sein das man trinken kann
wie kann ich reden wenn meine tränen nur für mich sind
nimm mir das private eigentum und den wunsch danach
gib und ich lerne geben
Gib mir die gabe der tränen gott
gib mir die gabe der sprache
gib mir das wasser des lebens
(Gedicht von Dorothee Sölle, aus: fliegen lernen, S. 35)Der Abschnitt unserer Sonntagslesung beschreibt vorausblickend die Ereignisse am Ende der Zeiten, nach dem großen Völkersturm auf Jerusalem (Sach 12,2-8). Jahwe selbst wird den Angriff auf seine heilige Stadt Jerusalem abwehren, über das Geschlecht Davids und die Einwohner Jerusalems seinen Geist ausgießen und für sie eine Quelle der Reinigung fließen lassen. Die Ausgießung des Geistes bewirkt eine tiefgreifende Umkehr und befähigt zu Mitleid - heute könnte man dabei eher an Humanität und Solidarität mit den Leidenden denken - und zu Gebet, d. h. Gottverbundenheit.
Die Befähigung zum Mitleid wird konkretisiert im Blick auf denjenigen, "den sie durchbohrt haben". Wer mit dem Durchbohrten gemeint ist, läßt sich nicht exakt bestimmen. Es könnte ein zeitgenössischer Märtyrer des Judentums, eine historische Persönlichkeit oder der ebenso wenig bestimmbare Gottesknecht der Gottesknechtslieder des Jesaja (vgl. Jes 53) gemeint sein. In der weiteren Theologiegeschichte wurde der Durchbohrte meist auf Jesus Christus hin gedeutet. Die zweite Gabe Jahwes, die Reinigungsquelle, läßt an eine Reihe von biblischen Wassermotiven denken: Sie erinnert an den Paradiesesstrom (Gen 2,10), an die Tempelquelle (Ez 47) oder an die Reinigung der Herzen (Ez 36).Der Abschnitt unserer Sonntagslesung beschreibt vorausblickend die Ereignisse am Ende der Zeiten, nach dem großen Völkersturm auf Jerusalem (Sach 12,2-8). Jahwe selbst wird den Angriff auf seine heilige Stadt Jerusalem abwehren, über das Geschlecht Davids und die Einwohner Jerusalems seinen Geist ausgießen und für sie eine Quelle der Reinigung fließen lassen. Die Ausgießung des Geistes bewirkt eine tiefgreifende Umkehr und befähigt zu Mitleid - heute könnte man dabei eher an Humanität und Solidarität mit den Leidenden denken - und zu Gebet, d. h. Gottverbundenheit.
Die Befähigung zum Mitleid wird konkretisiert im Blick auf denjenigen, "den sie durchbohrt haben". Wer mit dem Durchbohrten gemeint ist, läßt sich nicht exakt bestimmen. Es könnte ein zeitgenössischer Märtyrer des Judentums, eine historische Persönlichkeit oder der ebenso wenig bestimmbare Gottesknecht der Gottesknechtslieder des Jesaja (vgl. Jes 53) gemeint sein. In der weiteren Theologiegeschichte wurde der Durchbohrte meist auf Jesus Christus hin gedeutet. Die zweite Gabe Jahwes, die Reinigungsquelle, läßt an eine Reihe von biblischen Wassermotiven denken: Sie erinnert an den Paradiesesstrom (Gen 2,10), an die Tempelquelle (Ez 47) oder an die Reinigung der Herzen (Ez 36).
Galater 3,26-29
Die Magna Charta der christlichen Freiheit – so wird der Galaterbrief häufig bezeichnet. In seinem Brief setzt sich Paulus voller Leidenschaft für ein offensives Missionskonzept ein. Durch die Taufe wird die Gemeinschaft geöffnet für Heiden. In unserem Textabschnitt wird es sogar noch zugespitzt: Durch die Taufe haben wir Christus angezogen und damit bilden wir alle eine Einheit.
Die Christinnen und Christen damals versuchten das zu leben. Es sollten alle die gleichen Rechte erhalten, alle konnten sich am Gemeindeleben beteiligen, egal ob Sklavin oder Herr, ob Jüdin oder Grieche, ob reich oder arm, Mann oder Frau.
Diese Konzept der gelebten Geschwisterlichkeit wirkte anziehend und die Gemeinde konnten sich regem Zulauf erfreuen. Die Gemeinden wurden zu einem Ort der Freiheit und standen meist im starken Gegensatz, zu dem was, man sonst in der Gesellschaft erlebte: große Unterschiede zwischen Menschen unterschiedlicher Herkunft, Nation, Religion und Geschlecht.
Im 21. Jahrhundert leben wir in einer globalisierten Welt und wir erfahren vielerorts immer größere Spannungen. Es wird unterschieden zwischen denen, die in Frieden leben, Arbeit haben und am Gesundheitswesen und Konsum teilhaben, und denen, die arbeits- und mittellos sind und vielerorts in Kriegs-und Krisengebieten leben müssen.
Wir erleben Gewalt zwischen Einheimischen und Fremden, an Kindern und Frauen, wir erleben Rassismus und Antisemitismus, wir erleben ungleiche Chancenverteilung und Diskriminierung aufgrund von Hautfarbe, Geschlecht, Religion, Nationalität.
Die paulinische Magna Charta der christlichen Freiheit gilt es auch heute lebendig werden zu lassen, um nachhaltig Frieden und Gerechtigkeit zwischen den Menschen zu schaffen.
Was verbindet, sagt Paulus, ist die Taufe. Sie ist wie ein Gewand, das alle miteinander darunter vereint. Wenn Gottes Geisteskraft wirksam wird, dann spielen die Unterschiede keine Rolle mehr.
Damit haben wir sicherlich auch die Kraft über den eigenen Tellerrand zu schauen, die Not unserer Geschwister weltweit wahrzunehmen und zu helfen.
Schaffen wir es, dass die Magna Charta der christlichen Freiheit nicht nur ein Schriftstück bleibt, sondern zum gelebten Glauben wird?
Lukas 9,18-24
Wer bin ich? – so fragt Jesus. Wie würden wir heute auf diese Frage antworten? Er war ein ungewöhnlicher Mensch? Der Gesalbte Gottes? In der ersten These der Barmer theologischen Erklärung heißt es: „Jesus Christus, wie er uns in der Heiligen Schrift bezeugt wird, ist das eine Wort Gottes, das wir zu hören, dem wir im Leben und im Sterben zu vertrauen und zu gehorchen haben.“ - oder mit anderen Worten – er war und ist das eine Vorbild - als der Erlöser, als Gottes Sohn, als das lebendige Wort. Keine leichte Aufgabe, diesem Vorbild zu folgen. Können wir unser Kreuz auf uns nehmen? Oft fällt es uns ja schon schwer in die Fußstapfen anderer Menschen zu treten, wie etwa in die Fußstapfen der Eltern. Von den Fußstapfen Mutter Teresas oder Dietrich Bonhoeffer mal ganz zu schweigen. Aber in die Fußstapfen Jesu Christi? Sind die nicht einige Nummern zu groß für uns?
Vielleicht müssen wir anders fragen: Wozu sind Vorbilder da? Grob gesagt: Sie helfen uns, an ihnen unser eigenes Handeln und Denken zu orientieren. Vor allem für junge Menschen, prägende Gestalten. Gute Vorbilder repräsentieren Werte wie Nächstenliebe, Toleranz und Zivilcourage, die für ein selbstbestimmtes Leben und den sozialen Zusammenhalt einer Gesellschaft unverzichtbar sind. Sie vermittelten Orientierungen, die Moden, Zeitgeistströmungen und manche Zeitenwende überleben – so wie Eltern und Großeltern auch, die ein Leben lang Vorbilder bleiben können. Solche Vorbilder helfen uns den Weg zu finden. Sie helfen uns, wir selbst zu werden und unser Tun und Denken immer wieder abzuwägen. Sie leben uns vor, wie wir gemeinsam mit unseren Mitmenschen zum Ziel kommen. Der Gesalbte Gottes, unser Erlöser hat das in aller Konsequenz gemacht und traut es seinen NachfolgerInnen zu, es ihm nachzutun. Orientierung und Werte zu vermitteln, miteinander die Welt zu verbessern.
Was wollen wir den nachfolgenden Generationen hinterlassen? Wie können wir vorbildlich die Welt gestalten? Kann ohne vorbildhaftes Handeln überhaupt nachhaltig Leben möglich sein? Muss ich nicht in der Nachfolge Christi auch immer einen Blick auf die Konsequenzen meines Lebensstils werfen? Wenn uns jemand fragt: Wer bist du? Wie antworten wir dann? Fahrradfahrer, Autoliebhaberin, Veganer oder Fleischesser? Jemand, der Erdbeeren auch im Dezember liebt oder bewusst beim Biobauern kauft? Wegwerfer oder Upcycler?
Was werden die nachfolgenden Generation mal über uns sagen?
Carolin Springer