19. Sonntag nach Trinitatis / 28. Sonntag im Jahreskreis (11.10.15)

Vorschläge der Perikopenrevision (EKD/VELKD/UEK): Jak 5,13-16; 2Mose 34,4-10; Joh 5,1-16; Eph 4,22-32;
Jes 38,(1-8)9-
20(21-22);
Mk 2,1-12 [www.stichwortp.de]

 

19. Sonntag nach Trinitatis / 28. Sonntag im Jahreskreis

ev. Predigttext kath. 1. Lesung kath. 2. Lesung kath. Evangelium
Mk 2, 1-12 Weish 7, 7-11 Hebr 4, 12-13 Mk 10, 17-30

Gedanken zum ev. Predigttext Mk 2, 1-12

Die Geschichte ist so vertraut, aber eigentlich ist sie eine einzige Abfolge von Skandalen.

  1. Das Haus ist so überfüllt, dass nicht mal mehr vor der Tür Platz ist. Das ist ganz sicher nicht, was man sich von einem ruhigen Feierabend und in anständiger Nachbarschaft erwartet. Wie würde ich reagieren, wenn bei mir in der Straße so ein Auflauf wäre wegen einem Prediger, Heiler, charismatischen Menschen?
  2. Einige (Freunde, Helfer, Krankenpfleger, Verwandte?) bringen einen Gelähmten herbei mitten in den Trubel und decken kurzerhand das Dach ab. Haben Sie irgendjemand um Erlaubnis gefragt? Abdecken meint hier nicht schön ordentlich Schindeln zur Seite legen. Das Dach abdecken oder wörtlich aufschlagen heißt: Die Strohmatten oder ähnliches weglegen, die Lehmschicht durchbrechen und ein längliches Loch zwischen die das Dach überspannenden Hölzer zu graben. In Längsrichtung könnte man dann die Bahre durchlassen. Aber das Dach ist damit erstmal zerstört.
  3. Wie ist das eigentlich innen? Die, die einen Platz ergattert haben, um Jesus zu hören. Die zuerst da waren und die am allerschnellste waren und anscheinend auch die religiöse „high society“ – die Schriftgelehrten, mindestens einigen von ihnen bröckelt der Lehm in den Nacken. Das ist sicher nicht angenehm und stört vor allem den elitären inneren Kreis. Abgesehen davon, was geht eigentlich in denen vor, die in diesem Haus wohnen? Wie finden Sie die Menschenmenge im Haus und das Zerstören des Daches? Vielleicht freuen Sie sich, dass sie so einen Gast im haus haben, vielleicht ist Ihnen auch das bisschen Lehm egal, - aber was, wenn nicht?
  4. Jesus heilt den Gelähmten nicht, sondern vergibt ihm die Sünden. Das ist gegen die Erwartungen. Aber wer von uns weiß, was den Gelähmten am meisten belastet hat? E. Drewermann beschreibt den Ursprung dieser Starre des Leibes als tiefe Angst der Seele vor möglicher Schuld in der Zukunft bzw. als tiefe Resignation infolge bereits begangener Fehler der Vergangenheit (vgl. E. Drewermann, Markusevangelium zur Stelle).
  5. Jesus spricht den Gelähmten wörtlich als „Kind“ an, nicht als „Sohn“. Unglaublich, liebevolle Zuwendung liegt in diesen Worten. „Mein Kind, was du alles tragen musst, ist weggenommen.“ Ist das die Wurzel der Befreiung?
  6. Auf die theologischen Einwände der Schriftgelehrten reagiert Jesus mit Ironie: Was ist leichter … heilen oder Sünden vergeben? Die leibliche Heilung ist hier doch nur eine Konsequenz aus der Heilung der Seele – so würden wir das heute vielleicht ausdrücken.
  7. Der Mann geht weg, gibt kein Interview und legt auch kein Bekenntnis ab.
  8. Die „Leute“ sind entsetzt.

Eine sehr interessante Deutung macht Martin Ebner in seinem Markuskommentar: Dass einige den Gelähmten zu Jesus gebracht haben, ist für ihn ein Zeichen dafür, dass sie im in Mk 1 verkündeten Reich Gottes angekommen sind. Sie hören das Wort von Jesus und setzen es in solidarisches Handeln für andere um. So ereignet sich Sündenvergebung - immer wieder.

Die Taufe zur Vergebung der Sünden ist damit nicht nur eine individuelle Erfahrung, sondern breitet sich aus wie der Baum, der aus dem Senfkorn wächst.
Das würde den Zweig in der Exegese unterstützen, die den Menschensohntitel hier nicht als exklusiven Hoheitstitel deuten, sondern davon ausgehen, dass der Ausdruck Menschensohn inklusiv auf prinzipiell jeden Menschen anwendbar ist. Jede/r kann oder soll anderen so begegnen, dass der/die sich von Sünde befreit fühlen kann. Gleichzeitig kann der Menschensohntitel auch exklusiv auf Jesus im Sinne eines Hoheitstitels exklusiv bezogen sein.

Gedanken zur 1. Lesung: Weish 7, 7-11

Der kleine Abschnitt aus Weisheit 7 nennt das Gebet als Quelle von Weisheit. Von hier entwickelt sich alles.

Beten verändert nicht die Welt.
Aber beten verändert die Menschen,
und Menschen verändern die Welt.
Albert Schweitzer

Gedanken zur 2. Lesung: Hebr 4, 12-13

Die bildliche und symbolische Welt des Hebräerbriefes ist nicht immer so einfach zu verstehen. Ein Hohepriester der die Himmel durchschritten hat und gleichzeitig in aller Menschlichkeit zu Hause war. Das ist eine unglaubliche Herausforderung, damals wie heute. Da gibt es einen, der alle Welten in sich vereint. Der Himmel und Erde in sich verbindet. Das macht ihn zum Sohn Gottes und Erlöser.

Welten, die in uns und um uns auseinanderdriften – darin und dafür suchen wir Erlösung. Ob es sich um innere seelische Zerrissenheiten, Trennungen in Familie und Freundeskreis, Hürden zwischen verschiedenen sozialen Lebenswelten, Kulturen oder Weltteilen handelt –in dieser Zertrennung brauchen wir Ver-bindung.

Gedanken zum Evangelium: Mk 10, 17-30

Hier lohnt sich ein Blick auf die gesamte Struktur der Perikope. Da kommt ein reicher Mann zu Jesus. Die Jünger sind anscheinend auch irgendwie da. Jesus engagiert sich intensiv im Gespräch mit dem reichen Mann. Schließlich geht dieser.
Nun gibt es so eine Art Vertiefung der Erfahrung für die Jünger. Oder man könnte es auch „die Lehre für euch und für andere“ nennen.

Das, was sich zufällig ereignet hat (-der reiche Mann kommt), wird zum Ansatzpunkt über das Leben in der Nachfolge zu sprechen.

Interessanterweise macht Jesus hier niemand auch nur den kleinsten Vorwurf. So sind die Realitäten des Lebens. Es ist sehr schwer, im eigenen eine andere, neue Position zu finden und nicht für alle möglich. Und doch heißt es, Jesus liebte diesen Reichen. Er sagt nicht, es ist unmöglich, dass er in den Himmel kommt.
Was der Reiche noch alles überlegte und in welchen Prozess ihn diese Erfahrung mit Jesus gebracht hat und wozu er sich letztendlich entschieden hat, bleibt in der Erzählung offen.
Als Petrus das Unbehagen der Jünger über dieses Ereignis ausspricht und hinzufügt, „wir haben alles verlassen!“, da antwortet Jesus sehr einfühlsam und doch den Blick weitend: „Jeder (!), der …verlässt, wird das ewige Leben empfangen.“
Vom speziellen Fall Reichtum, wird nun die Reihe dessen, was man verlassen könnte um Jesu oder des Evangeliums willen, ausgeweitet. Neben Reichtum zählt zu dem, was man verlassen könnte nun auch: Haus, Acker, Brüder, Schwestern, Mutter, Vater, Kinder, …

Richtig spannend wird es, wenn man anfängt, darüber nachzudenken, was es heißt, um des Evangeliums willen, andere Menschen zu verlassen! Schließt das auch ein, einen Partner oder Eltern zu verlassen, die verhindern, dass man das eigene Leben entfaltet? All das zu verlassen, was einengt, bedrängt, zerstört, hindert am Leben als Tochter und Sohn Gottes?

Dr. Katrin Brockmöller, Mainz