2. Advent 2014
ev. Predigttext | kath. 1. Lesung | kath. 2. Lesung | kath. Evangelium |
Lk 21, 25-33 | Jes 40, 1-5.9-11 | 2 Petr 3, 8-14 |
Das einzig BestĂ€ndige ist der Wandel â Sicherheit in VerĂ€nderungsprozessen gewinnen
Der Autor konkretisiert die fĂŒr den 2. Adventssonntag vorgesehenen Lesungstexte vor dem Hintergrund von VerĂ€nderungen, die heutzutage öfters als je zuvor das private und berufliche Leben betreffen. âWandel gestaltenâ bedeutet fĂŒr ihn auch, ĂŒbliche AblĂ€ufe bei Prozessen des Wandels zu kennen, zu reflektieren, und sich dabei als Organisation oder System begleiten zu lassen. Nur so kann sichergestellt werden, dass Energien, die in den Prozessen freigesetzt, aber auch gebunden werden, nachhaltig funktional wirken und zielgerichtet eingesetzt werden können. Mit Blick auf die Sprachbilder in den heutigen Texten lassen sich aus diesen Impulsen ansprechende Predigten entwickeln.
Stellung im Kirchenjahr
Seit einer Woche, dem Vorabend des 1. Adventssonntages, befindet sich die evangelische und katholische Kirche im neuen Kirchenjahr. So ist das Neue und die Erwartung darauf - wenn auch durch die wiederkehrend selben Feste bestimmt - bereits implizit Thema. Gleichzeitig stehen wir inmitten der Adventszeit mit ihrem eigenen Charakter, der Vorfreude auf Weihnachten. Theologisch ist noch eine weitere Dimension bedeutsam, die bei den weihnachtlichen Feiern des âersten Kommensâ Jesu mitschwingt, die Erwartung der âzweiten Ankunftâ Christi.
VerheiĂung: mehr als ein Traum (Jes 40)
Immer wieder trifft man auf FĂŒhrungskrĂ€fte, die sich als âRealistenâ verstehen und sich das TrĂ€umen verbieten. âDas kann so nicht funktionierenâŠâ oder âDas Problem aber ist daran, dassâŠâ, kann sich eine solche Haltung ausgesprochen dann anhören â vermeintliche Erfahrung als oberstes Prinzip oder die ĂŒbliche âProblembrilleâ. Die bekannteste diesbezĂŒgliche Reaktion ist sicher die von Altkanzler Helmut Schmidt, der es so auf den Punkt brachte: âWer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen.â Als - wörtlich verstanden - Visionen kann man auch die Bilder verstehen, die der Prophet Jesaja dem jĂŒdischen Volk mitgibt, das die RĂŒckkehr ins gelobte Land ersehnt: TĂ€ler, die sich heben und Berge, die sich senken. Diese Bilder aus der Natur sind Metaphern fĂŒr die Möglichkeit eines Gottes, der als Herr der Geschichte und Gott dieses Volkes ĂŒber dem steht, was sich gesellschaftlich ereignet hat. Wer freilich lange Zeit in einer bestimmten Situation lebt, der arrangiert sich mit dieser, wird ein Teil von ihr. Das trifft im GroĂen auf existentielle Ereignisse wie Gefangenschaft und Exil zu, aber auch auf das sich Einrichten an einem Arbeitsplatz, das Aushandeln von Verbindlichkeiten und Verpflichtungen in einer Beziehung. Immer wieder ist in der Begleitung von Menschen spĂŒrbar: Erst, wenn sie - auch nur auf Dauer - diesen Ort und Zustand verlassen, weitet sich ihr Blick, nehmen sie wahr, dass es auch noch andere Möglichkeiten gĂ€be â und dass es immer mehrere Lösungen gibt. Diesen Zustand durch zusĂ€tzliche Perspektiven in eine mögliche âMusterzustandsĂ€nderungâ zu ĂŒberfĂŒhren, bedeutet als ersten Schritt, den jeweiligen Menschen - wenn anfĂ€nglich auch nur fĂŒr den aktuellen Moment - vom âTunnelblickâ zu befreien. Denn in diesem Stadium bestimmt das - menschlich berechtigte - Festhalten wollen am Bekannten. Und da dies neuronal ĂŒber Hirnareale gesteuert wird, die fĂŒr Argumente und Logik schwer bzw. gar nicht zugĂ€nglich sind, wird nicht nur in der seelsorglichen, sondern auch in der Begleitung durch Psychologen, Supervisoren und Coaches mit inneren Bildern gearbeitet und an diesen angedockt, zum Beispiel mit assoziativ wirkenden Symbolen und Methoden, wie der âinneren Landschaft, dem âBodenankerâ, dem âRessourcenradâ oder - im Blick auf anstehende konkrete VerĂ€nderungen - der âĂbergangsbrĂŒckeâ. Durch diese können - gedanklich und mehr noch emotional spĂŒrbar ĂŒber die Amygdala, dem wichtigsten Hirnareal fĂŒr GefĂŒhlsvorgĂ€nge - Situationen vorweggenommen und buchstĂ€blich âan-gespĂŒrtâ werden. In theologischer Sprache ist es der Gott des Exodus, der Gott der Befreiung aus Ă€uĂeren und inneren Gegebenheiten und ZwĂ€ngen, der diesen verĂ€nderten Blick erst möglich macht, da er als Gott des Lebens nicht nur Ziel, sondern auch Weg (Joh 14) ist.
Die VerheiĂung, die der Prophet Jesaja ins Wort bringen wollte, gilt daher insbesondere in unserer Zeit, als einer Zeit, die allerorten von VerĂ€nderungsprozessen geprĂ€gt ist. Im Blick auf groĂe Konzerne vergeht oft kein Jahr, bis ein neues Change-Projekt initiiert wird. Im Kontext Schule laufen seit vielen Jahren ReformmaĂnahmen, die VerĂ€nderungen bis hinein in Schulstrukturfragen nach sich ziehen. Dem Schulleiter ist die zusĂ€tzliche Rolle des âChange-Managersâ zugewachsen, was so klar auch gefordert wird. Und auch auf der Ebene der Kirchen besteht in den letzten Jahren an vielen Stellen und auch bei vielen grundsĂ€tzlichen Fragen VerĂ€nderungsbedarf und von Seiten engagierter Bewegungen, zum Teil auch von den Kirchenleitungen, VerĂ€nderungsbereitschaft. Damit die Unruhe, die mit solchen Dynamiken einhergeht eine produktive und - positiv gesehen - spannungsreiche sein kann, damit Erwartungen, die solche Prozesse auslösen, nicht âverpuffenâ oder sich im schlimmsten Fall in EnttĂ€uschungen oder Frustrationen entladen, ist das Wissen um typische PhasenverlĂ€ufe in VerĂ€nderungsprozessen wichtig â und mehr noch, die Beachtung und sensible BerĂŒcksichtigung dieser Phasen:
Die âChange-Kurveâ, die in der Begleitung von VerĂ€nderungsprozessen sowohl bei Personen und ihren privaten VerĂ€nderungen, wie auch bei Teams und Gruppen, Verwendung findet, geht von Mustern aus, die sich Ă€hnlich gelagert immer finden. Sie geht zurĂŒck auf ein Phasenmodell der Trauerforschung (KĂŒbler-Ross) und findet sich in verschiedenen Ausformungen. Der Verlauf gleicht einer nach unten und nach oben sich abbildenden âFieberkurveâ, was bereits anzeigt, wie sehr VerĂ€nderungen jedweder Art âAchterbahnenâ der GefĂŒhle sind. Die erste Phase drĂŒckt sich in einem GefĂŒhl der âVorahnungâ oder der âSorgeâ aus. Dies ist jener Zeitpunkt, an dem man meint, es sei âirgendwas im Buschâ. Wenn die Vorahnung nicht bloĂ ein GerĂŒcht war, sondern sich als offen kommunizierter VerĂ€nderungswunsch ausdrĂŒckt, ist die ĂŒbliche Reaktion - und die hier zweite Phase - der âSchockzustandâ, die âLĂ€hmungâ, das GefĂŒhl, dass etwas ânicht wahr sein kannâ. âĂrgerâ, âSchmerzâ, auch âZornâ folgen als direkte Emotionen, darauf âAbwehrâ gegenĂŒber dem nicht fĂŒr wahr zu haltenden VerĂ€nderungswunsch. Die Kurve der VerĂ€nderung hat ihren Tiefpunkt erreicht. Hier stagniert der Prozess â vermeintlich, wobei an diesem Punkt viele bis die meisten Energien freigesetzt werden. Ăber eine erste Phase der âEinsichtâ hebt sich die Kurve wieder - andere Modelle sehen hier noch den Zustand der âVerhandlungâ und auch der âDepressionâ -, worauf die Phase der âAkzeptanzâ folgt. Erst hier macht es zum Beispiel Sinn, Ziele miteinander anzudenken, denn erst jetzt wandelt sich EmotionalitĂ€t in Sachlichkeit, sind die Beteiligten buchstĂ€blich wieder an-sprech-bar. Gelegentlich wird von einer zwischengelagerten Phase der âHeilungâ gesprochen, in der auf das geschaut werden kann, was zuvor, am Tiefpunkt, emotional offengelegt worden ist. Ăber Rituale kann es nun gelingen, dieses âloszulassenâ und âabzuschlieĂenâ. Im Idealfall stellt sich hier der Zustand ein, dass die Sinnhaftigkeit der VerĂ€nderung einsichtig und die Wirksamkeit des Prozesses erfahrbar wird, das Neue kann und darf experimentell ausprobiert werden, die Energien flieĂen hinein in das nun akzeptierte Ziel und den VerĂ€nderungszustand. Der Blick auf den Gruppenprozess und die einzelnen Rollen ist hier wichtig. Indem dabei möglichst alle mit einbezogen werden, entsteht neues Selbstvertrauen und Zutrauen in die Machbarkeit des abzuschlieĂenden VerĂ€nderungsprozesses.
BedenkentrÀger: wichtige Funktion in VerÀnderungen (Mk 1)
Der alternative Lebensstil, mit dem der TĂ€ufer Johannes im Evangelium gezeichnet wird, kann vor dem Hintergrund von VerĂ€nderungsablĂ€ufen als diejenige - wichtige - Rolle gedeutet werden, die zum zielgerichteten Nachdenken ermahnt. âSie sagen immer nur, was Ihnen nicht passtâ, hört sich das dann zuweilen an, oder auch: âDer ist ein ErbsenzĂ€hler, so kommt man hier nicht weiterâ. Mit Blick auf den Gruppenprozess einer VerĂ€nderung ist diese Rolle und Funktion des BedenkentrĂ€gers aber eine sehr wichtige, wenn auch undankbare. Die entsprechenden Personen geben sie sich in der Regel nicht selbst, sondern sie wĂ€chst ihnen aufgrund ihrer analytischen Kompetenz - und ihrer Rolle in der Gruppe - zu. âUmkehrâ und âTaufeâ bezeichnen dabei - ohne diesen Kategorien ihre theologische Perspektive zu nehmen - wichtige Impulse, sich auf das zu beschrĂ€nken, worum es âeigentlichâ geht. In VerĂ€nderungen sind Themen oft vermengt. Eine Hauptaufgabe der Begleitung besteht im Freilegen und Priorisieren dieser einzelnen Inhalte. Von der Vision, Strategie und den Zielen her zu denken, können diejenigen leisten, die sich im Gegensatz zu anderen - die wiederum andere Aufgaben und Rollen im Prozess ĂŒbernehmen, weshalb sie nicht weniger wichtig sind - auf das Wesentliche beschrĂ€nken können. Die Askese und Katharsis, die dazu gehört, sind auch Johannes dem TĂ€ufer eigen: âJohannes trug ein Gewand aus Kamelhaaren ⊠und er lebte von Heuschrecken und wildem Honigâ (V. 6). Dieses Bild veranschaulicht, dass bei VerĂ€nderungen auch klar zu trennen ist zwischen dem, was weiterhin trĂ€gt und dem, was mit Blick auf das Ziel eine zweite, dritte - oder eben auch gar keine - PrioritĂ€t mehr besitzt. âWer etwas will, sucht nach Wegen, wer etwas nicht will, der sucht nach GrĂŒndenâ, gilt hier als Beratungsgrundsatz. Durch diese neuen Erfahrungen verĂ€ndert sich Haltung â im Idealfall nachhaltig, fĂŒr das Team und das je eigene âinnere Teamâ (Schulz von Thun) eines jeden der Beteiligten.
âEin neuer Himmel und eine neue Erdeâ: Die Erlösung ist nahe (2 Petr und Lk 21)
Statistisch werden die meisten Change-Projekte in der Phase der âAblehnungâ abgebrochen. Dieses âTal der TrĂ€nenâ nicht - miteinander! - durchwandern zu können, bringt dann tiefe EnttĂ€uschungen hervor. Organisationen reagieren darauf nicht selten damit, dass sie zeitnah eine neue VerĂ€nderung einfĂŒhren â und die âFieberkurveâ beginnt von Neuem. Vielleicht erklĂ€rt sich die kurze Verweildauer in FĂŒhrungspositionen der Wirtschaft auch aus diesem Grund heraus. Doch auch fĂŒr die Mitarbeiter wie fĂŒr die Kultur einer Organisation hat eine solche Entscheidung nachhaltige - negative - Auswirkungen. Anders verhĂ€lt es sich dort, wo es möglich war, aus diesem âTalâ das GefĂŒhl eines âHĂŒgelsâ werden zu lassen â hier kann an Jesajas Bilder angeknĂŒpft werden. FĂŒr FĂŒhrungskrĂ€fte bedeutet dies, in dieser Phase soziale und emotionale BedĂŒrfnisse zu erfĂŒllen, die stabilisierend wirksam sind. Ărger, Zorn und Schmerz, die der Ablehnung vorausgegangen sind, gehören zu den elementaren GefĂŒhlen des Menschen. ErklĂ€rungen ĂŒber die Bedeutsamkeit dieses begonnenen VerĂ€nderungsprozesses fĂŒhren zu dieser Zeit nicht weiter. Wer âvor Angst vergeht in der Erwartung der Dinge, die kommen werdenâ, dessen âKrĂ€fte erschĂŒttertâ (V. 26) werden, der braucht keine belehrende Unterweisung, sondern das GefĂŒhl, dass die âErlösung nahe istâ (V. 28). Konkrete VerĂ€nderungsablĂ€ufe können dann von der FĂŒhrungskraft und von den extern Begleitenden in der Haltung positiv unterstĂŒtzt werden, von der im ersten Petrusbrief zu lesen ist: âKrĂ€nkung nicht mit KrĂ€nkungâ zu beantworten, sondern âstattdessen zu segnenâ (1 Petr 3). Ăber die theologische Bedeutung - die Machbarkeit abgeben und sich im Letzten frei machen zu dĂŒrfen - hinaus, bedeutet dies organisationspsychologisch, dem Ablauf einen Sinn und Erfolg zu geben, bzw. von diesem auszugehen, und Vorhaltungen, die ihn im Blick auf das, was auch immer gruppendynamisch war, begleiten, als ânormaleâ Erscheinungen und wichtigen Teil der Auseinandersetzung zu verstehen. Diese Aufgabe, die mehr ist als FĂŒhrungsauftrag, sondern eine glaubwĂŒrdige Haltung voraussetzt, kann dann auch durch Verzögerungen hindurch tragen, wozu wiederum der zweite Petrusbrief (als heute zu Grunde liegender Text) passende Bilder liefert. Wichtig kann dabei sein, an âaltenâ Erfahrungen des Teams, des Paares oder des Einzelnen anzuknĂŒpfen, in denen genĂŒgend Kraft fĂŒr den Neuanfang spĂŒrbar war. Auch eine solche Erinnerung ist nie rational und kognitiv, sondern sie legt die damaligen GefĂŒhle frei und stĂ€rkt emotional - aus den eigenen Kraftressourcen - von innen heraus fĂŒr das aktuell neu Anzugehende. Die biblische âzweite Ankunftâ kann vor dem Hintergrund der âKurve der VerĂ€nderungâ ebenfalls als dieser âNeuanfangâ verstanden werden, wie die biblischen Bilder und VerheiĂungen als Zutrauen in die VerĂ€nderungskompetenz des Menschen: Dass immer wieder etwas Neues kommt, das nicht aufzuhalten ist, ganz egal, wo man im Einzelnen konkret steht. Denn: âDas einzig BestĂ€ndige ist der Wandelâ (Heraklit)
Dr. Thomas Hanstein, Ulm
Literatur:
Dollinger, A.: Change-Trainings erfolgreich leiten, Bonn 2014
Kindl-BeilfuĂ, C.: Fragen können wie KĂŒsse schmecken, Heidelberg 2013
Roth, G.: FĂŒhlen, Denken, Handeln. Wie das Gehirn unser Verhalten steuert, Frankfurt/M. 2003
Roth, G.: Die Hirnblockade â oder warum sich Menschen nur schwer Ă€ndern, in: Wirtschaftspsychologie aktuell, 2/2012, 12-15.