2. Sonntag nach Trinitatis / 11. Sonntag im Jahreskreis (14.06.15)

Vorschläge der Perikopenrevision (EKD/VELKD/UEK): Lk 14,(15)16-
24;
Eph 2,(11-
16)17-22;
Jes 55,1-5; Jona 3;
1Kor 14,1-
3.20-25;
Mt 11,25-30 [www.stichwortp.de]

 

2. Sonntag nach Trinitatis / 11. Sonntag im Jahreskreis

ev. Predigttext kath. 1. Lesung kath. 2. Lesung kath. Evangelium
Lk 14, (15) 16-24 Ez 17, 22-24 2 Kor 5, 6-10 Mk 4, 26-34


Ev. Reihe I (Lk 14, 16-24)

In Mt 22, 2-14 finden wir ein ganz ähnliches Gleichnis, das viele Gemeinsamkeiten mit dieser Perikope aufweist. Dies lässt viele Exegeten vermuten, dass beide Texte auf eine ursprünglich einheitliche Version aus dem Munde Jesu zurückzuführen sind. Jedoch haben diese zwei Erzählungen unterschiedliche Schwerpunkte und Anliegen. Das Gleichnis vom Festmahl gehört zum lukanischen Sondergut, das einen ganz besonderen Wert auf soziale Gerechtigkeit legt, was auch in der Fassung von Lukas zu spüren ist. Diese Passage ist der Schluss eines in Lk 14,1 angefangenen Gesprächs zum Thema Gastmahl. Doch obwohl es sich hier offensichtlich um das eschatologische Abendmahl handelt, verzichtet das Gleichnis keineswegs auf existenzielle, ethische und paränetische Hinweise. Die Analogien zwischen wirklichem Leben im Hier und Jetzt und dem erfüllten Leben im Reich Gottes scheinen Lukas selbstverständlich zu sein.

Die absolute Entschiedenheit und Beharrlichkeit, mit denen sich der Mann (V. 16) für die Ausrichtung dieses Festmahls einsetzt, kann sicherlich als Kernbotschaft dieses Textes bezeichnet werden. Doch im Mittelpunkt der Erzählung stehen wegen der Ausführlichkeit und Länge unverkennbar die Entschuldigungen der ursprünglich eingeladenen Gäste. Die Eingeladenen erkennen die Wichtigkeit und Dringlichkeit (vgl. V. 23: „nötigen“) dieses Festmahls nicht, vor allem weil sie allzu sehr mit ihren eigenen materiellen Dingen beschäftigt sind. Dieser Vorwurf galt zur Zeit Jesu in besonderer Weise jüdischen Obrigkeiten, die ähnlich handelten. Doch angesichts dieser besonderen Einladung scheint keine Ausrede mehr zu gelten. Von einer eindeutigen Verurteilung derer, die die Einladung ablehnen, ist dennoch im Text aufgrund deren Entscheidungsfreiheit nicht die Rede. Es heißt lediglich, dass sie von seinem Festmahl nicht „kosten“ (V. 24) werden.

In der Tat bleibt diesen Menschen das Kosten dieser anderen Logik des Reiches Gottes verborgen. Diese Logik beinhaltet zwei wesentliche Aspekte: auf der Erzählebene hören wir von der Großzügigkeit und Güte eines Mannes, der ohne explizite Gründe (in Mt ist nämlich das Motiv der Hochzeit da) ein Fest geben möchte (ob die Eingeladenen seine Freunde oder Bekannte waren, wird nicht gesagt). Auf der paränetischen Ebene, die im engen Zusammenhang mit den vorausgehenden Versen 12-14 steht, geht es um die Verantwortung für die Armen, Verkrüppelten, Lahmen und Blinden, die auf Hilfe und Anerkennung anderer angewiesen sind. Sowohl das Lukasevangelium als auch das lukanische Sondergut nehmen besonders diejenigen in den Blick, die die Mittel für eine solche Hilfe besitzen (die Reichen) und fordern sie auf, manchmal mit harschen Worten, diese Verantwortung zu übernehmen.

Diese Hinweise gelten heute immer noch. Eine Gesellschaft, die auf Solidarität gegenüber den Geringsten setzen würde und dadurch imstande wäre, Ausgeschlossene zu (re-)integrieren oder auf eine monetaristische Vergeltungsmentalität zu verzichten, würde den Menschen in den Mittelpunkt stellen und die frohe Botschaft des Reiches Gottes zumindest zeichenhaft durchblicken lassen. Die Fülle, welche im V. 23 (vgl. „damit mein Haus voll wird“) vermittelt wird, ist ein weiterer Aspekt, von dem das gegenwärtige wirtschaftliche Denken schon lange nichts mehr weiß. Alles wird in diesem System genau geplant, berechnet, begrenzt. Alles muss sich lohnen. Alle Plätze am reichen Tisch einer reichen Minderheit sind schon vergeben; alle Stellen am Arbeitsmarkt sind schon besetzt; im Krankenhaus ist kein Bett mehr frei. Diese Erfahrung von Mangel und Angst ist Alltag an vielen Orten unserer Welt und zeigt auf, wie sehr der Mensch in Vergeltung und Eigeninteresse verwickelt ist, in allem, was er tut und wie schwerlich es ist, über den eigenen Tellerrand hinaus zu blicken. Ein Leben in Fülle für alle scheint weiterhin in unserer Gesellschaft kaum denkbar. Im V. 15 wird als Folge der vorherigen Verse gesagt: „Selig (μακάριος), wer im Reich Gottes am Mahl teilnehmen darf.“ Der Jünger Jesu darf es sich erhoffen, wenn er diese Verantwortung gegenüber den Verachteten übernimmt und sich für die Gestaltung dieser neuen Wirklichkeit einsetzt. Dann wird er/sie ebenso die Fülle, Großzügigkeit und Unermesslichkeit dieser Einladung und die Einmaligkeit dieses Fests kosten dürfen.

 

Kath. Lesejahr B (Ez 17, 22-24; 2 Kor 5, 6-10; Mk 4, 26-34)

In der ersten Lesung (Ez 17, 22-24) kommt das Bild des Pflanzens vor, das in den Gleichnissen dieses Sonntags wieder aufgenommen wird. Das Volk Israel ist mit diesen Bildern aus der Natur vertraut, doch der Prophet Ezechiel gebraucht sie in seinem Kontext auf eine besondere Weise, denn in dieser Perikope liegt eine Verheißung Gottes zugrunde. Gott verspricht die Wiederherstellung seines Volkes. Diese Zusage gilt sowohl den Juden, die im verheißenen Land mitten in den Scherben einer materiellen sowie existentiellen Zerstörung leben, als auch den Deportierten im Exil, die unter der Herrschaft der Babylonier leiden. Gottes Verheißung klang wahrscheinlich unrealistisch in den Ohren der damaligen Israeliten. Doch sie bringt deren unerschütterlichen Glauben zum Ausdruck, wonach selbst eine Macht, wie die der Babylonier, der Macht des Herrn nicht widerstehen kann. Die Mächtigen, die auf Beherrschung, Versklavung und Ausbeutung bauen, werden vom Herrn erniedrigt und dem erwählten Volk wird seine Würde wiederhergestellt.

In der zweiten Lesung (2 Kor 5, 6-10) spricht Paulus von einer Zuversicht, die aus dem Glauben hervorgeht und uns wie ein Licht inmitten von Schatten vorkommen mag. Denn „wir gehen unseren Weg als Glaubende, nicht als Schauende“. Das, was im Evangelium mit dem gesäten Korn in der Erde geschieht, können wir auch nicht „schauen“, wir können nur „glauben“ und darauf vertrauen, dass es wachsen und gedeihen wird.

Während unserer Zeit hier auf Erden versuchen wir im Glauben Jesus nachzufolgen und seine Botschaft immer mehr zu verstehen und zu leben. Allerdings werden wir erst am Ende unseres Laufes sehen oder schauen, ob wir so gelebt haben, wie wir es hätten tun sollen. Bis dahin gestalten wir diese neue Wirklichkeit auf der Erde im Glauben, was nicht immer ganz einfach ist, denn die Logik dieser Botschaft Jesu bzw. des Glaubens scheint den Weisen dieser Welt äußerst unlogisch (vgl. 1Kor 1-2).

In ähnlicher Weise kann heute das Evangelium (Mk 4, 26-34) Widerstand, Unruhe und Ungeduld hervorrufen, denn wenn etwas, so wie im Gleichnis vom Wachsen der Saat, nicht verfügbar oder nicht machbar ist, lässt sich das oft nur schwer aushalten. Zu groß ist unser Traum von Allmacht und Beherrschbarkeit geworden. Dafür gibt es viele Beispiele: Dem Boden werden chemische Zusätze und Dünger beigegeben, damit er eine noch bessere Produktionsgrundlage bietet; Regen wird durch künstliche Bewässerungsanlagen ersetzt, damit unabhängig vom Wetter zukünftig auf allen Flächen, ob klimatisch geeignet oder ungeeignet, in Masse produziert werden kann; um keine Verluste in Kauf zu nehmen, ist ein enormer Einsatz von Pestiziden erforderlich; Saatgut wird genetisch verändert, um immer resistenter gegenüber Schädlingen zu werden. Durch diese und andere Maßnahmen wollen wir alles im Griff haben, nichts dem Zufall überlassen. Wir greifen in die natürlichen Prozesse ein, manipulieren sie, um ein Maximum an Profit zu erwirtschaften. Welche Konsequenzen das für die Pflanzenwelt, Tiere und Menschen hat, scheint sekundär zu sein.

Wie sind diese Entwicklungen zu bewerten im Angesicht des Gleichnisses vom Wachsen der Saat? Das Bild, das Jesus benutzt, will etwas grundlegend anderes klar machen: alles was auf der Erde lebt, ist ein Geschenk. Wir können kein Getreide „machen“. Wir können nur dankbar annehmen, dass aus den ausgesäten Körnern immer wieder Neues entsteht.

Die Untätigkeit des Menschen im Sinne von Vertrauen, dass nicht alles von uns abhängt, stellt eine enorme Herausforderung dar. Es scheint viel einfacher, aktiv zu sein, auszusäen und zu ernten, als diesen verborgenen Prozess des Wachsens passiv mit Geduld abzuwarten und der Natur seinen Lauf zu lassen. In Jesu Gleichnis wächst und gedeiht das Reich Gottes „von selbst“, „αὐτομάτη“, da die Erde von sich selbst aus, also automatisch, Frucht bringt. Unser Tun ist einzig die Ermöglichung des Wachsens der Saat, das dann allerdings ohne uns abläuft. Uns kommt einzig die Aufgabe zu, das Geschehen in Gang zu setzen und uns im besten Fall am Ende über das, was entstanden ist, zu freuen und zu feiern (εὐχαριστέω).

Jesus wollte seinen Jüngern vielleicht auch mit auf den Weg geben, dass sie sich nicht wie der „Produzent“, also wie Gott selbst, aufspielen sollen, sondern dass es darum geht, einfach nur seine Botschaft authentisch zu leben und weiterzutragen im Vertrauen auf die selbst wirkende Kraft des Evangeliums, die sich schon ganz von selbst, automatisch, einstellen wird. Der Anstoßgeber ist immer Gott selbst und das Ergebnis ist die Frucht aus dieser Dynamik, diesem Zusammenspiel, zwischen Gott und Mensch. Wir dürfen dabei nicht erwarten, dass dies auf einen Schlag und mit großem Getöse geschieht, sondern dass es vielmehr ganz bescheiden und unscheinbar anfängt, so wie ein Senfkorn zunächst auch kaum mit bloßem Auge zu erkennen ist, aber dann zu einer Senfstaude heranwachsen kann, die, wie beispielsweise am See Gennesaret, eine Höhe von bis zu drei Metern erreicht und damit alle anderen Gemüsekräuter bei weitem übertrifft.

So wie das gesäte Korn, das einmal in die Erde eingebracht, zu wachsen beginnt, sind auch wir Mittler, bzw. das Mittel, das einen Prozess der Veränderung ins Laufen bringen kann. Und wir können nur wirken, wenn wir wirklich in der Welt, in der Gesellschaft, mitten unter den Menschen, sind. Senfkörner, die im Saatgutregal liegen und lieber unter sich bleiben, sind unbrauchbar für die Verwirklichung von Jesu Vision einer anderen Welt, die er Reich Gottes nennt. Es liegt also an uns, ob wir die Samenkörner aufs Feld streuen oder sie lieber ängstlich bunkern. Was danach passiert, ist dann wieder Geschenk: Die ganze Welt verändert sich, wenn wir darauf vertrauen, dass nicht alles von uns abhängig ist, aber dass es auf jeden einzelnen von uns ankommt!

Claudia und Leandro Fontana, Mainz