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Mt 5, 38-48 | Jes 53, 10-11 | Hebr 4, 14-16 | Mk 10, 35-45 |
Stellung im Kirchenjahr: Die Thematik des Sonntags kreist um die stets latente Frage nach dem Verdienst, vor allem nach dem, was mir zusteht, was am Ende für mich rausspringt. Sie gewinnt an besonderer Brisanz, wo einzelne Christen oder die Kirche als ganze sich einsetzen gegen Unheiles, das sich noch oder wieder in Kultur, Wirtschaft und Gesellschaft, aber eben auch in Kirche und uns selbst, findet. Damit stehe ich auch vor meiner eigenen Zögerlichkeit, wenn es um Zivilcourage, den Einsatz für Gerechtigkeit, Frieden und die Bewahrung der Schöpfung geht, und letztlich vor der Gretchenfrage, ob ich moralisch überhaupt besser bin als das, wogegen ich mich stark mache.
Hinreichend Möglichkeiten, Phänomene von Unheilem bzw. gelingendem oder gescheitertem Engagement dagegen bieten die Jahres- und Aktionstage im Umfeld des Sonntages wie der Europäische Tag gegen Menschenhandel (18.10., seit 2007) oder der Welthospiztag (19.10., seit 2005) bzw. – fast als „Gegenstück“ - der Tag des Faultiers (20.10.), der auf die Initiative einer kolumbianischen Tierschutzorganisation im Jahr 2010 zurückgeht.
Als Beispiel für einen Einsatz, der das Leben kostet, könnte man auf den Henry Martyn (1781-1812) verweisen, der v.a. auf dem indischen Subkontinent sowie in Persien missionarisch tätig war und dessen die anglikanische Kirche am 19.10. gedenkt. Martyn, der u.a. das NT ins Urdu und ins Persische übersetzte, blieb 1812 bei den Menschen im türkischen Tokat, obwohl oder gerade weil dort die Pest grassierte, woran er dann auch verstarb.
Exegetische Anmerkungen
Mt 5, 38-48: Im Kontext der sieben Antithesen (5, 21-48), mit denen Jesus veranschaulicht, was er als die gegenüber der Gerechtigkeit von Schriftgelehrten und Pharisäern (V. 20) „bessere“ Gerechtigkeit versteht, thematisiert die Perikope die Aspekte von Gewaltlosigkeit und Feindesliebe. Jesus drängt dazu, der Versuchung nach Vergeltung zu widerstehen und durch Vergebung die Spirale von Gewalt und Gegengewalt zu durchbrechen sowie Zwang und Nötigung durch eine Haltung der Freigebigkeit zu meistern. Dabei wird Feindesliebe geradezu zum Erkennungszeichen der JüngerInnen Jesu, und zum entscheidenden Indikator, ob und wenn ja inwiefern sich äußerlich manifestierende Glaube mit einem Streben nach Vollkommenheit einhergeht oder es widerspiegelt.
Jes 53, 10-11: Die beiden Verse stammen aus dem vierten Lied über den Gottesknecht, in dem der zukünftige Messias gesehen werden kann, dessen Aufgaben bzw. Auftrag aber auch schon jetzt das Volk als Volksgemeinschaft und den Einzelnen in Anspruch nehmen. Auf allen Ebenen, individuell wie sozial, präsentisch und im tiefsten Sinne nachhaltig, weil eschatologisch, geht es darum, sich für die Befreiung von Schuld, praktisch für eine umfassende Entschuldung einzusetzen, einer für den anderen, um das Ansehen, das wir vor Gott ohnehin haben, neu freizulegen: das Ansehen dessen, der sich in Denken, Reden und Handeln von Gott in Anspruch nehmen lässt, und das Ansehen dessen, der entschuldet, gerechtfertigt wird, unabhängig von dem, was er selber dazu beiträgt.
Hebr 4,14-16: Die Perikope stellt den Beginn des zentralen Abschnitts von Hebr dar (4,14-10,18) und weist auf Jesus als den, der Himmel und Abgründe durchschritten hat. Er geht in die Knie, lässt sich aufs Kreuz legen und setzt sein Leben ein, ganz und gar. Er umgeht die Versuchung nicht, bleibt aufrecht und seiner Berufung treu, so dass er besteht und durch das Dunkel hindurchgelangt, damit alle das Leben haben. So wird er Wegbereiter und Wegöffnender für alle, aber es ist ein Weg, der sich nur aufgrund seiner Empathie und seines Mit-Leiden eröffnet, zunächst für ihn und dann/deswegen auch für uns.
Mk 10,35-45: Der Blick ins Griechische verdeutlicht die Anmaßung, mit der die „Donnersöhne“ Jesus gegenüber auftreten: Er möge ihnen erfüllen, „worum auch immer“ sie ihn bitten. In seiner Reaktion greift Jesus dann auf zwei Bilder zurück, die beide Leid und Tod symbolisieren. Den Becher kennt das AT als Metapher des göttlichen Gerichts (Ps 75,9) und das Trinken des Bechers als Übernahme des Martyriums (Jes 25,28).
Zu beachten ist daneben, dass der Sklave in der Antike einen entscheidenden Teil des Wirtschafts- und Sozialsystems bildet. Er ist damit weniger der am unteren Rand der Gesellschaft stehende, sondern der, dessen Dienst diese trägt und damit letztlich allen zu Gute kommt.
Schließlich greift Jesus mit seiner Selbstbestimmung als Menschensohn, der sein Leben als Lösegeld hingibt, die Metapher des Gottesknechts aus Jes auf. Im Hintergrund steht Gottes Wille, in der unheilvollen Welt Heil zu schaffen, und davon abgeleitet das Recht, nach dem in Ausnahmefällen an sich verwirktes Leben „ausgelöst“ werden kann (Ex 21,28-30).
Predigtskizze:
Eine Predigt könnte ansetzen beim Streben der Zebedäus-Söhne nach Anerkennung, Ansehen und Geltung als dem, was sie sich aufgrund der Nachfolge verdient haben bzw. worauf ihnen nach ihrer eigenen Meinung legitimer Anspruch zusteht. Streben nach Ansehen, Geltungssucht sind aber nicht nur falsch im Kontext der Jüngerschaft Jesu bzw. angesichts der bevorstehenden Krise, wo es um Leben und Tod gehen wird. Sie sind auch schädlich, weil sie letztlich ein Ausdruck einer Haltung sind, in der der Mensch nur um sich selbst kreist. Und es geht hier nicht nur um die viel zitierte Nabelschau.
Es geht hier auch darum, dass der nach Ansehen, Geltung usw. strebende Mensch gar nicht (mehr) berücksichtigt, dass wir vor Gott ohnehin ein Ansehen haben und wertvoll sind, unabhängig davon, was wir leisten oder leisten können. An dieser Stelle scheint es mir wichtig, auf Menschen oder auch Tiere zu blicken, die aufgrund ihrer Konstitution nur eingeschränkte oder vielleicht auch gar keine Möglichkeiten haben, etwas „zustande“ zu bringen, d.h. eine bestimmte Leistung zu erbringen, die Gott zu irgendeiner Anerkennung nötigen könnte. Somit birgt die Mk 10 veranschaulichte Anspruchshaltung auch die Gefahr der Entfremdung in sich und dies in zweierlei Hinsicht, nämlich der Entfremdung von Gott und der Entfremdung von sich selbst.
Hilfreiches Gegenbild ist an dieser Stelle der in Jes 53 skizzierte Gottesknecht und natürlich Jesus selbst, wie ihn Mk 10 und Hebr 4 beschreiben. Berufen, uns zu Gott zurückzuholen, besteht sein Auftrag darin, Versöhnung mit dem Schöpfer zu vermitteln, aber auch Versöhnung unter den Menschen, letztlich des Menschen mit der Schöpfung zu ermöglichen.
Dieser Punkt steht im Widerstreit zu einer zweiten Gefahr, die aus dem falschen Streben nach Ansehen etc. erwächst, nämlich der Versuchung, sich mit anderen zu vergleichen, dem Streben danach, mehr zu gelten, beliebter, einflussreicher oder schlicht überlegener zu sein, was in der Folge ebenfalls Entfremdung bewirkt, eben die Entfremdung vom Anderen und die Trennung untereinander.
Dem Gottesknecht zu folgen heißt, dem Ausruhen, der Passivität zu widerstehen. Hier wäre vielleicht das Faultier ein geeignetes Bild zur Veranschaulichung, das seinen Baum nur verlässt, wenn es unbedingt sein muss, die eigene Lage ansonsten unerträglich wird. Dem Gottesknecht zu folgen heißt, individuell oder auch kollektiv diakonisch tätig zu werden und sich im Denken, Reden und Handeln für das Leben stark zu machen, besonders das Leben jener Menschen und anderer Mitgeschöpfe, die sich nicht selber helfen können. Dem Gottesknecht, Jesus zu folgen heißt, ein Engagement zu ergreifen, das sich um den ganzen Lebensbereich kümmert, den Lebensraum, den die ganze Gemeinschaft braucht, ein Engagement, das keinen und keine zurücklässt.
Bezüge zur Nachhaltigkeit und weitere Kontexte
1. Im gewaltlosen, freigebigen Einsatz für das Leben (Mt 5)
Luis Lintner (geb. 1940) geht 1980 als Missionar nach Brasilien, wo er zwei Pfarreien übernimmt, die sich über mehr als 4000 km2 erstrecken. Zusehends kommt er mit den Problemen des Landraubs in Berührung, so dass der Einsatz für die Rechte der Kleinbauern gegen die Übermacht der Großgrundbesitzer zu einer seiner Haupttätigkeiten wird und er sogar Todesdrohungen erhält. Auch in seinem Heimatbistum Bozen-Brixen prangert er die Ungerechtigkeit und Ausbeutung gegenüber den Ländern der Dritten Welt an. Am 16. Mai 2002 wird er erschossen, doch die Hintergründe des Mordes sind bis heute nicht aufgeklärt. Man vermutet, dass Lintners Einsatz für die Ärmsten der Armen und für die Entrechteten der Grund für seine Ermordung war.
In Brixen wird 2022 das Haus „Luis Lintner“ eingeweiht, ein Sozialprojekt für Menschen, die in schwierigen Lebenssituationen beherbergt werden (www.hds.bz.it). Das Buch seines Neffen Martin M. Lintner „Weil das Leben siegen wird! – Luis Lintner: Mystiker, Kämpfer, Märtyrer“ von 2004 enthält die Rundbriefe, die sein Onkel während seines 22jährigen Wirkens in Brasilien an seinen Familien- und Freundeskreis geschrieben hatte. Daneben erinnern zwei Filme an sein Lebenszeugnis, „Padre Luis – Ein Mensch unter Menschen“ (2003) und „In Memoriam Luis Lintner – Missionar aus Leidenschaft“ (2017).
2. Frei sein zur Befreiung anderer (Jes 53, Hebr 4, Mk 10)
Berühmt zu sein ist nicht das Wahre.
Das ist es nicht, was uns erhebt,
Es lohnt nicht, dass man bange Jahre
An alten Manuskripten klebt.
Des Schaffens Ziel ist Selbsthingabe,
Und nicht Erfolg und lautes Schrei’n.
Und Schmach ist’s, ohne Wert zu haben,
Ein Spruch in aller Mund zu sein.
Nein – leben, nicht vom Stolz getrieben,
So leben, dass zuguter letzt
Man auf sich zieht des Raumes Liebe,
Der Zukunft Ruf vernimmt im Jetzt.
Boris Pasternak, Berühmt zu sein ist nicht das Wahre, aus: ders., Wenn es aufklärt. Gedichte 1956-59. Frankfurt/Main, 1960.
3. Sich lösen vom entfremdenden Streben nach Anerkennung zu Gunsten von Wahrhaftigkeit und Respekt (Hebr 4, Mk 10)
Das Verlangen nach Menschenlob muss ertötet werden; die Gerechten suchen all ihren Ruhm in Gott. Besser ist es also ohne Zweifel, dieser Begier zu widerstehen als ihr nachzugeben. Denn in dem Maße ist man Gott ähnlicher als man von dieser Unreinheit rein ist. Wird sie auch in diesem Leben nicht mit der Wurzel aus dem Herzen ausgerottet, wie sich darin zeigt, dass sie unablässig auch die tapfer voranschreitenden Seelen versucht, so soll doch die Begierde nach Ruhm hinter die Liebe zur Gerechtigkeit zurücktreten, so dass, wenn es irgendwo das Gute und Rechte ist, was »daniederliegt, weil es allgemein missbilligt wird«, das Verlangen nach Menschenlob weiche und der Liebe zur Wahrheit Platz mache.
(Aurelius Augustinus, De Civitate Dei 5,14)
4. Im Dienst aller (Jes 53, Hebr 4, Mk 10)
Eine alte schwarze Frau fährt müde von ihrer Arbeit als Schneiderin nach Hause, hat keine Lust im Bus ihren Sitzplatz für einen Weißen frei zu machen und löst mit dieser Aktion die schwarze Bürgerrechtsbewegung aus. Soweit die Mär. In Wirklichkeit war Rosa Parks an jenem denkwürdigen 1. Dezember 1955 weder müde noch alt, sie war es nur leid, immer nachzugeben.
Schwarze mussten damals in Alabama alle Sitzplätze im mittleren Teil eines Busses frei machen, wenn nur ein Weißer dort sitzen wollte. Es herrschte strikte Rassentrennung im öffentlichen Leben der Südstaaten. Rosa Parks, die am 24. Oktober 2005 im hohen Alter von 92 Jahren starb, weigerte sich, ihren Platz frei zu machen, wurde daraufhin aus dem Bus heraus verhaftet und später zu einer Geldstrafe verurteilt. Damit löste sie, gemeinsam mit der neu gegründeten Montgomery Improvement Association, unter der Führung eines bis dahin unbekannten Martin Luther King Jr., den Montgomery Bus Boykott aus. Dieser Boykott führte zu erheblichen finanziellen Verlusten für die Verkehrsbetriebe und nach mehr als einem Jahr zu einem Urteil des Obersten Gerichtshofs der USA, das die Rassendiskriminierung im öffentlichen Verkehr aufhob.
http://www.fembio.org/biographie.php/frau/biographie/rosa-parks
Dr. Joachim Feldes, Dannstadt-Schauernheim