5. Sonntag nach Trinitatis / 16. Sonntag im Jahreskreis
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Mt 9, 35 - 10, 1 (2-4) 5-10 | Gen 18, 1-10a | Kol 1, 24-28 | Lk 10, 38-42 |
Genesis 18, 1-10a: Das Mystische Gastmahl Abrahams
Die Erzählungen zu Abraham zeichnen sich durch große Realitätsnähe aus und spiegeln, wenn auch Jahrhunderte nach den von den Verfassern vorgestellten Ereignissen aufgezeichnet, die Lebensverhältnisse in Kanaan vor der israelitischen Landnahme wohl Ende des 3. Jahrtausends vor Christus wieder. Diese Realitätsnähe wird aber immer wieder durchbrochen, gleichsam durchkreuzt, von der Offenbarung Gottes. So denn auch die eindrucksvolle Erzählung von dem Besuch der drei Sendboten Gottes bei Abraham in Mamre.
So wird denn der Ort geographisch genau bezeichnet, es ist Mamre bei Hebron in Kanaan. Es ist eines der Zeltlager Abrahams und zeugt noch von dessen nomadischer Lebensform. Noch heute gibt ist in Palästina eine Ortstradition, die auf Mamre, den Sitz Abrahams, zurückverweist. Der Ort ist auch näher gekennzeichnet, sogar ganz charakteristisch: es wachsen Bäume dort in der Halbwüste, in der Einheitsübersetzung mit Eichen bezeichnet, in der Jerusalemer Bibel mit Terebinthen, bei Luther poetisch mit Hain. Hier sitzt Abraham vor seinem Zelt in der Hitze des Tages, einem Klimamerkmal des Vorderen Orients, das jeder Reisende und Pilger bis heute erlebt. Noch im Gleichnis Jesu von den Arbeitern im Weinberg erklingt die Klage von der Hitze des Tages (Mt 20, 12).
Und mitten in diese realistische Situation bricht die Offenbarung Gottes herein: „Jahwe erschien ihm bei der Terebinthe Mamres“ (Gen 18, 1; Jerusalemer Bibel 1966). Doch die Offenbarung nimmt sogleich menschliche Gestalt an, es sind drei Männer, derer Abraham visuell gewahr wird: Er scheint eine Offenbarung Gottes zu ahnen und lässt die Männer nicht einfach weiterziehen (Gen 18, 3); das Ineinandergreifen von Offenbarung und realer Erfahrung findet in der Erzählung den paradoxen sprachlichen Ausdruck, indem Abraham zwar drei Männer erblickt, sie aber im Singular als „mein Herr“ anspricht (Gen 18, 3). Abraham behandelt die Besucher dann aber in sehr menschlicher Weise, indem er deren vermeintliche Befindlichkeit wahrnimmt und auf deren realistisch angenommenen Bedürfnisse eingeht: Er bietet den Wanderern Wasser für die Fußwaschung an, wohl auch als Getränk, und ein Ruhelager (Gen 18, 4). Das Motiv der Fußwaschung als elementare Handlung wohltuender Pflege und Reinigung, aber auch des barmherzigen Dienstes kehrt im Neuen Testament wieder (Joh 13, 2-15).
Es folgt die unmittelbare Darreichung von Brot zur Stärkung (Gen 18, 5), und dann lässt Abraham ein üppiges Gastmahl bereiten: Seine Frau Sarah soll feines Brot bereiten, „Brote“ in der Mehrzahl (Luther 2017), „Kuchen“ (Jerusalemer Bibel) oder „Brotfladen“ (Einheitsübersetzung 2016, Gen 18, 6), und der Knecht soll ein „zartes und kräftiges Kalb“ (Gen 18, 7, Jerusalemer Bibel) schlachten –man stelle sich konkret vor, was das bedeutet und was da geschehen muß! –, und dann vollendet sich das Gastmahl mit dem Auftragen von Butter und Milch und dem zubereiteten Kalb (Gen 18, 8a). Die drei Männer essen allein, Abraham aber wartet unter dem Baum auf sie (Gen 18, 8b). Diese Distanz bezeichnet eine fundamentale Differenz und macht deutlich: Das Mahl der drei Männer ist irdische Nahrung und zugleich himmlische Kommunion.
Die drei Männer beim Gastmahl, Jünger, Engel, Sendboten, Gott selbst: Das ist das große Bild vom Mystischen Gastmahl, dem deipnon mustikon, das jahrhundertelang die Bildwelt der Ikonen bestimmt hat. Es ist immer verstanden worden als Vorahnung der Trinität, zumal der Sprachgebrauch, den die Männer sprechen und mit dem sie angesprochen werden, zwischen Singular und Plural wechselt und damit Einheit und Vielheit nicht mehr unterscheidet (Gen 18, 3; Gen 18, 4-5; Gen 18, 10).
Die Erzählung erschöpft sich nicht mit der Beschreibung eines Gastmahls, das Gastmahl ist vielmehr nur erst Ort und Voraussetzung der eigentlichen Botschaft, auf die alles hinausläuft: Die Verkündung der Geburt des Sohnes von Abraham und Sarah und damit die soteriologische Verheißung (Gen 18, 9-10a). Die Erzählung steht in der messianischen Traditionslinie des Alten Bundes und erfährt allein von hier aus ihre eigentliche Dimension.
Die Verheißung ist mitten hineinverkündet in das unmittelbare Leben. Die Verheißung lässt sich nicht trennen vom Leben der Menschen in dieser Welt. Sie setzt dieses Leben voraus und nimmt es in das Heil hinein. Damit hat das Leben in der Nomadenwelt Kanaans, in dieser Welt, in Zeit und Raum einen eigenen Wert; der Mensch kann, er darf, ja er soll hier die Fülle des Lebens erfahren, doch das Leben steht in der Verantwortung des Menschen (Gen 1, 28-30).
Die Welt ist endlich, ihre Güter und die Ressourcen des Lebens sind nicht grenzenlos; der Mensch kann, muss sie bewirtschaften, und er darf auch großzügig damit umgehen, wie es Abraham getan hat – aber die Verantwortung besteht und die Endlichkeit muss im Bewusstsein bleiben. Abraham antwortet auf die elementare Bedürftigkeit der Wanderer; diese löst Barmherzigkeit aus, Dienst und Nächstenliebe. Aber damit Barmherzigkeit, Dienst und Nächstenliebe zur Fülle des Lebens werden können, müssen zugleich die natürlichen, materiellen Bedingungen des Lebens gewahrt bleiben. Der Reichtum Abrahams gereicht ihm nicht zur Sünde: er teilt, verwaltet und bewahrt. Das heißt nachhaltig leben.
Es bleibt die unüberholbare Botschaft des Alten Bundes, die in den Gleichnissen Jesu immer vorausgesetzt und in Bilder übertragen wird: Das irdische Leben und dessen materielle Bedingungen sind Teil der Schöpfung Gottes, die gelebt werden darf, und haben zugleich Teil an der eschatologischen Vollendung der Schöpfung. Und so erfährt auch das spätere Gebot des Gesetzes „Du sollst das Böcklein nicht kochen in seiner Mutter Milch“ (Ex 23, 19b, Luther 2017), das Abraham ersichtlich nicht kannte (Gen 18, 8a) und das, ursprünglich als Abwehr heidnischer Rituale, im späteren Judentum zu einer Grundnorm der koscheren, strikt zwischen Fleisch und Milchprodukten trennenden Küche geworden ist,im Gesamtzusammenhang des Alten Bundes eine besondere Bedeutung: Die Natur, die Tierwelt steht dem Menschen und seinem erfüllten Lebensvollzug zur Verfügung, bleibt aber mit einem äußersten, sensiblen Rest einer vollständigen Verfügung durch Nutzung und Konsum entzogen. Nachhaltig leben heißt Achtung der Natur in ihrem innersten Wesen.
Lukas 10, 38-42: Maria und Martha
Das ist ein Text, der schon immer Unbehagen ausgelöst hat, gar Unwillen (Lk 10, 38-42). Da müht man sich ab, will alles richtig machen, und dann wird man vor den Kopf gestoßen: Es war nichts damit, und man soll bereuen. Natürlich will die Geschichte, will Jesus in der Geschichte provozieren, wie er es auch sonst tut. Aber diese Provokation will immer etwas bewusst machen, will aufrütteln, will zurechtrücken. Jesus gilt andernorts als „Fresser“ und „Säufer“ (Mt 11, 19; Lk 7,34; vgl. auch Joh 2, 1-11: „Die Hochzeit von Kana“), er ist den irdischen, leiblichen Dingen nicht abhold, lebt und verlangt keine Askese; um Höflichkeit freilich hat er sich nicht gekümmert (Lk 7, 44-47). Genau das aber scheint Martha missverstanden zu haben: Sie bedient die äußeren, leiblichen Bedürfnisse, geht ganz in den Aufgaben der Gastfreundschaft auf, meint, das sei es, worauf es Jesus ankomme, erhebt sogar gegen Maria den moralischen Vorwurf, ihr in den für sie vorrangigen Arbeiten nicht zu helfen (Lk 10, 40). Aber es ist Jesus, dem ihre Gastfreundschaft dient.
Ihn selbst, der so viel mehr ist als ein gewöhnlicher Gast, dem man sonst natürlich die Gastfreundschaft nicht versagen darf, nimmt sie nicht wahr. Und so spitzt sich die Sache auf den Konflikt zu: Maria hört die Worte Jesu, Martha verliert sich in alltäglichem Geschäft. Nicht, dass Jesus die Gastfreundschaft als solche verachtete– wie oft wird berichtet, dass er zu Gast war, gar bei Zöllnern und Pharisäern (vgl. Lk 5,29; Lk 7,36; Lk 19, 6)–, vielmehr rückt Jesus die Prioritäten zurecht: Die Geschichte will exemplarisch verstanden sein oder idealtypisch. Worauf es im Leben vorrangig ankommt, was im Mittelpunkt stehen muss, wem unsere Bemühungen zuallererst gelten sollen, ist nach Lk 10, 39 das Hören des Wortes und das ist das „Trachten nach dem Himmelreich“: „Macht euch keine Sorgen und fragt nicht, was sollen wir essen? Was sollen wir trinken? ... Euer himmlischer Vater weiß, dass ihr das alles braucht.
Sucht aber zuerst sein Reich und seine Gerechtigkeit; dann wird euch alles andere dazugegeben.“ (Mt 6, 31-33, Einheitsübersetzung 2016). Die realen Dinge bleiben an ihrem Ort, aber sie haben ihren Sinn nicht in sich selbst, sondern erfahren Erfüllung erst vom „Himmelreich“ her. So wird denn Maria nicht genommen, was sie als „guten Teil gewählt“ hat (Lk 10, 42), und das materielle Gastmahl mag dahinstehen.
So rückt denn die Erzählung insgesamt zurecht, wie wir unser Leben gestalten sollen. Es gilt, die richtigen Prioritäten zu setzen, und das heißt, die verfügbaren Ressourcen des Lebens in ein richtiges Verhältnis zueinander zu bringen. Die verfügbaren Ressourcen sind die materiellen Güter und ist die Zeit, die Lebenszeit. Alle sind endlich. Einseitige Gewichtung verfehlt das Leben, verfehlt das Himmelreich. Nachhaltiger Umgang mit den materiellenGütern begrenzt den Verzehr, bewahrt die Substanz, gibt Raum für das Nachwachsen. Nachhaltiges Leben verhindert, was im Gleichnis steht: „Unter die Dornen ist der Samen bei denen gefallen, die das Wort hören, dann aber hingehen und in Sorgen, Reichtum und Genüssen des Lebens ersticken und keine Frucht bringen.“ (Lk 8, 14, Einheitsübersetzung 2016).
Nachhaltiges Leben ist sorgsamer Umgang mit dem unverfügbarsten und flüchtigsten aller Güter: der Zeit. Nachhaltiges Leben ist Einteilen der Zeit nach dem rechten Maß. Nachhaltiges Leben schöpft Kraft aus der Verheißung. Nachhaltiges Leben gibt vor und in aller Arbeit Raum und Zeit für den wahren Sabbath, für Besinnung und Gebet, für Hören des Wortes, fürGlaube, Hoffnung und Liebe.
Dr. Frank Hennecke, Ludwigshafen