5. Sonntag nach Trinitatis / 16. Sonntag im Jahreskreis (21.07.19)

5. Sonntag nach Trinitatis / 16. Sonntag im Jahreskreis


ev. Predigttext kath. 1. Lesung kath. 2. Lesung kath. Evangelium
Mt 9, 35 - 10, 1 (2-4) 5-10 Gen 18, 1-10a Kol 1, 24-28 Lk 10, 38-42

Genesis 18, 1-10a: Das Mystische Gastmahl Abrahams

Die ErzĂ€hlungen zu Abraham zeichnen sich durch große RealitĂ€tsnĂ€he aus und spiegeln, wenn auch Jahrhunderte nach den von den Verfassern vorgestellten Ereignissen aufgezeichnet, die LebensverhĂ€ltnisse in Kanaan vor der israelitischen Landnahme wohl Ende des 3. Jahrtausends vor Christus wieder. Diese RealitĂ€tsnĂ€he wird aber immer wieder durchbrochen, gleichsam durchkreuzt, von der Offenbarung Gottes. So denn auch die eindrucksvolle ErzĂ€hlung von dem Besuch der drei Sendboten Gottes bei Abraham in Mamre.

So wird denn der Ort geographisch genau bezeichnet, es ist Mamre bei Hebron in Kanaan. Es ist eines der Zeltlager Abrahams und zeugt noch von dessen nomadischer Lebensform. Noch heute gibt ist in PalĂ€stina eine Ortstradition, die auf Mamre, den Sitz Abrahams, zurĂŒckverweist. Der Ort ist auch nĂ€her gekennzeichnet, sogar ganz charakteristisch: es wachsen BĂ€ume dort in der HalbwĂŒste, in der EinheitsĂŒbersetzung mit Eichen bezeichnet, in der Jerusalemer Bibel mit Terebinthen, bei Luther poetisch mit Hain. Hier sitzt Abraham vor seinem Zelt in der Hitze des Tages, einem Klimamerkmal des Vorderen Orients, das jeder Reisende und Pilger bis heute erlebt. Noch im Gleichnis Jesu von den Arbeitern im Weinberg erklingt die Klage von der Hitze des Tages (Mt 20, 12).
Und mitten in diese realistische Situation bricht die Offenbarung Gottes herein: „Jahwe erschien ihm bei der Terebinthe Mamres“ (Gen 18, 1; Jerusalemer Bibel 1966). Doch die Offenbarung nimmt sogleich menschliche Gestalt an, es sind drei MĂ€nner, derer Abraham visuell gewahr wird: Er scheint eine Offenbarung Gottes zu ahnen und lĂ€sst die MĂ€nner nicht einfach weiterziehen (Gen 18, 3); das Ineinandergreifen von Offenbarung und realer Erfahrung findet in der ErzĂ€hlung den paradoxen sprachlichen Ausdruck, indem Abraham zwar drei MĂ€nner erblickt, sie aber im Singular als „mein Herr“ anspricht (Gen 18, 3). Abraham behandelt die Besucher dann aber in sehr menschlicher Weise, indem er deren vermeintliche Befindlichkeit wahrnimmt und auf deren realistisch angenommenen BedĂŒrfnisse eingeht: Er bietet den Wanderern Wasser fĂŒr die Fußwaschung an, wohl auch als GetrĂ€nk, und ein Ruhelager (Gen 18, 4). Das Motiv der Fußwaschung als elementare Handlung wohltuender Pflege und Reinigung, aber auch des barmherzigen Dienstes kehrt im Neuen Testament wieder (Joh 13, 2-15).
Es folgt die unmittelbare Darreichung von Brot zur StĂ€rkung (Gen 18, 5), und dann lĂ€sst Abraham ein ĂŒppiges Gastmahl bereiten: Seine Frau Sarah soll feines Brot bereiten, „Brote“ in der Mehrzahl (Luther 2017), „Kuchen“ (Jerusalemer Bibel) oder „Brotfladen“ (EinheitsĂŒbersetzung 2016, Gen 18, 6), und der Knecht soll ein „zartes und krĂ€ftiges Kalb“ (Gen 18, 7, Jerusalemer Bibel) schlachten –man stelle sich konkret vor, was das bedeutet und was da geschehen muß! –, und dann vollendet sich das Gastmahl mit dem Auftragen von Butter und Milch und dem zubereiteten Kalb (Gen 18, 8a). Die drei MĂ€nner essen allein, Abraham aber wartet unter dem Baum auf sie (Gen 18, 8b). Diese Distanz bezeichnet eine fundamentale Differenz und macht deutlich: Das Mahl der drei MĂ€nner ist irdische Nahrung und zugleich himmlische Kommunion.

Die drei MĂ€nner beim Gastmahl, JĂŒnger, Engel, Sendboten, Gott selbst: Das ist das große Bild vom Mystischen Gastmahl, dem deipnon mustikon, das jahrhundertelang die Bildwelt der Ikonen bestimmt hat. Es ist immer verstanden worden als Vorahnung der TrinitĂ€t, zumal der Sprachgebrauch, den die MĂ€nner sprechen und mit dem sie angesprochen werden, zwischen Singular und Plural wechselt und damit Einheit und Vielheit nicht mehr unterscheidet (Gen 18, 3; Gen 18, 4-5; Gen 18, 10).

Die ErzĂ€hlung erschöpft sich nicht mit der Beschreibung eines Gastmahls, das Gastmahl ist vielmehr nur erst Ort und Voraussetzung der eigentlichen Botschaft, auf die alles hinauslĂ€uft: Die VerkĂŒndung der Geburt des Sohnes von Abraham und Sarah und damit die soteriologische Verheißung (Gen 18, 9-10a). Die ErzĂ€hlung steht in der messianischen Traditionslinie des Alten Bundes und erfĂ€hrt allein von hier aus ihre eigentliche Dimension.

Die Verheißung ist mitten hineinverkĂŒndet in das unmittelbare Leben. Die Verheißung lĂ€sst sich nicht trennen vom Leben der Menschen in dieser Welt. Sie setzt dieses Leben voraus und nimmt es in das Heil hinein. Damit hat das Leben in der Nomadenwelt Kanaans, in dieser Welt, in Zeit und Raum einen eigenen Wert; der Mensch kann, er darf, ja er soll hier die FĂŒlle des Lebens erfahren, doch das Leben steht in der Verantwortung des Menschen (Gen 1, 28-30).
Die Welt ist endlich, ihre GĂŒter und die Ressourcen des Lebens sind nicht grenzenlos; der Mensch kann, muss sie bewirtschaften, und er darf auch großzĂŒgig damit umgehen, wie es Abraham getan hat – aber die Verantwortung besteht und die Endlichkeit muss im Bewusstsein bleiben. Abraham antwortet auf die elementare BedĂŒrftigkeit der Wanderer; diese löst Barmherzigkeit aus, Dienst und NĂ€chstenliebe. Aber damit Barmherzigkeit, Dienst und NĂ€chstenliebe zur FĂŒlle des Lebens werden können, mĂŒssen zugleich die natĂŒrlichen, materiellen Bedingungen des Lebens gewahrt bleiben. Der Reichtum Abrahams gereicht ihm nicht zur SĂŒnde: er teilt, verwaltet und bewahrt. Das heißt nachhaltig leben.

Es bleibt die unĂŒberholbare Botschaft des Alten Bundes, die in den Gleichnissen Jesu immer vorausgesetzt und in Bilder ĂŒbertragen wird: Das irdische Leben und dessen materielle Bedingungen sind Teil der Schöpfung Gottes, die gelebt werden darf, und haben zugleich Teil an der eschatologischen Vollendung der Schöpfung. Und so erfĂ€hrt auch das spĂ€tere Gebot des Gesetzes „Du sollst das Böcklein nicht kochen in seiner Mutter Milch“ (Ex 23, 19b, Luther 2017), das Abraham ersichtlich nicht kannte (Gen 18, 8a) und das, ursprĂŒnglich als Abwehr heidnischer Rituale, im spĂ€teren Judentum zu einer Grundnorm der koscheren, strikt zwischen Fleisch und Milchprodukten trennenden KĂŒche geworden ist,im Gesamtzusammenhang des Alten Bundes eine besondere Bedeutung: Die Natur, die Tierwelt steht dem Menschen und seinem erfĂŒllten Lebensvollzug zur VerfĂŒgung, bleibt aber mit einem Ă€ußersten, sensiblen Rest einer vollstĂ€ndigen VerfĂŒgung durch Nutzung und Konsum entzogen. Nachhaltig leben heißt Achtung der Natur in ihrem innersten Wesen.

 

Lukas 10, 38-42: Maria und Martha

Das ist ein Text, der schon immer Unbehagen ausgelöst hat, gar Unwillen (Lk 10, 38-42). Da mĂŒht man sich ab, will alles richtig machen, und dann wird man vor den Kopf gestoßen: Es war nichts damit, und man soll bereuen. NatĂŒrlich will die Geschichte, will Jesus in der Geschichte provozieren, wie er es auch sonst tut. Aber diese Provokation will immer etwas bewusst machen, will aufrĂŒtteln, will zurechtrĂŒcken. Jesus gilt andernorts als „Fresser“ und „SĂ€ufer“ (Mt 11, 19; Lk 7,34; vgl. auch Joh 2, 1-11: „Die Hochzeit von Kana“), er ist den irdischen, leiblichen Dingen nicht abhold, lebt und verlangt keine Askese; um Höflichkeit freilich hat er sich nicht gekĂŒmmert (Lk 7, 44-47). Genau das aber scheint Martha missverstanden zu haben: Sie bedient die Ă€ußeren, leiblichen BedĂŒrfnisse, geht ganz in den Aufgaben der Gastfreundschaft auf, meint, das sei es, worauf es Jesus ankomme, erhebt sogar gegen Maria den moralischen Vorwurf, ihr in den fĂŒr sie vorrangigen Arbeiten nicht zu helfen (Lk 10, 40). Aber es ist Jesus, dem ihre Gastfreundschaft dient.
Ihn selbst, der so viel mehr ist als ein gewöhnlicher Gast, dem man sonst natĂŒrlich die Gastfreundschaft nicht versagen darf, nimmt sie nicht wahr. Und so spitzt sich die Sache auf den Konflikt zu: Maria hört die Worte Jesu, Martha verliert sich in alltĂ€glichem GeschĂ€ft. Nicht, dass Jesus die Gastfreundschaft als solche verachtete– wie oft wird berichtet, dass er zu Gast war, gar bei Zöllnern und PharisĂ€ern (vgl. Lk 5,29; Lk 7,36; Lk 19, 6)–, vielmehr rĂŒckt Jesus die PrioritĂ€ten zurecht: Die Geschichte will exemplarisch verstanden sein oder idealtypisch. Worauf es im Leben vorrangig ankommt, was im Mittelpunkt stehen muss, wem unsere BemĂŒhungen zuallererst gelten sollen, ist nach Lk 10, 39 das Hören des Wortes und das ist das „Trachten nach dem Himmelreich“: „Macht euch keine Sorgen und fragt nicht, was sollen wir essen? Was sollen wir trinken? ... Euer himmlischer Vater weiß, dass ihr das alles braucht.
Sucht aber zuerst sein Reich und seine Gerechtigkeit; dann wird euch alles andere dazugegeben.“ (Mt 6, 31-33, EinheitsĂŒbersetzung 2016). Die realen Dinge bleiben an ihrem Ort, aber sie haben ihren Sinn nicht in sich selbst, sondern erfahren ErfĂŒllung erst vom „Himmelreich“ her. So wird denn Maria nicht genommen, was sie als „guten Teil gewĂ€hlt“ hat (Lk 10, 42), und das materielle Gastmahl mag dahinstehen.

So rĂŒckt denn die ErzĂ€hlung insgesamt zurecht, wie wir unser Leben gestalten sollen. Es gilt, die richtigen PrioritĂ€ten zu setzen, und das heißt, die verfĂŒgbaren Ressourcen des Lebens in ein richtiges VerhĂ€ltnis zueinander zu bringen. Die verfĂŒgbaren Ressourcen sind die materiellen GĂŒter und ist die Zeit, die Lebenszeit. Alle sind endlich. Einseitige Gewichtung verfehlt das Leben, verfehlt das Himmelreich. Nachhaltiger Umgang mit den materiellenGĂŒtern begrenzt den Verzehr, bewahrt die Substanz, gibt Raum fĂŒr das Nachwachsen. Nachhaltiges Leben verhindert, was im Gleichnis steht: „Unter die Dornen ist der Samen bei denen gefallen, die das Wort hören, dann aber hingehen und in Sorgen, Reichtum und GenĂŒssen des Lebens ersticken und keine Frucht bringen.“ (Lk 8, 14, EinheitsĂŒbersetzung 2016).
Nachhaltiges Leben ist sorgsamer Umgang mit dem unverfĂŒgbarsten und flĂŒchtigsten aller GĂŒter: der Zeit. Nachhaltiges Leben ist Einteilen der Zeit nach dem rechten Maß. Nachhaltiges Leben schöpft Kraft aus der Verheißung. Nachhaltiges Leben gibt vor und in aller Arbeit Raum und Zeit fĂŒr den wahren Sabbath, fĂŒr Besinnung und Gebet, fĂŒr Hören des Wortes, fĂŒrGlaube, Hoffnung und Liebe.

Dr. Frank Hennecke, Ludwigshafen