21. Sonntag nach Trinitatis / 29. Sonntag im Jahreskreis (20.10.13)

21. Sonntag nach Trinitatis / 29. Sonntag im Jahreskreis

ev. Predigttext kath. 1. Lesung kath. 2. Lesung kath. Evangelium
Joh 15, 9-12 (13-17) Ex 17, 8-13 2 Tim 3, 14 - 4, 2 Lk 18, 1-8

 

Vom Geist tragfähiger Freundschaft

Der Verfasser entwirft ein Verständnis der Freundschaft, dass über die zwischenmenschliche Beziehungen auch das Verhältnis zur Umwelt einschließt. Vor allem in Joh. 15,9-17 wird der Gegensatz von Freundschaft und Herrschaft expliziert und in den katholischen Lesetexten Ex. 17,8-13; 2. Tim. 3,14-4,2 und Lk. 18,1-8 interessieren Bilder und Motive, die weitere Aspekte des Geistes der Freundschaft entfalten.

Der biblische Kontext: die Abschiedsreden Jesu

Niemand kann so recht erklären, warum bestimmte Menschen ein Leben lang befreundet und andere stets nur auf der Suche nach Freundinnen und Freunden sind. Jede Freundschaft besitzt ein Geheimnis und ist darin der Liebe vergleichbar. Oft trägt sie ein Leben lang. Freundinnen und Freunde begleiten einander, indem sie um die notwendige Nähe, aber auch um die einzuhaltende Distanz wissen. Welche Bedeutungen Freundschaften für unser Leben haben, wird oft deutlich, wenn eine Freundin oder ein Freund uns verlässt. Freundschaften sind erfahrungsgesättigt, denn sie leben von den gemeinsamen Wegen, vom gegenseitigen Tragen und Stützen, von der Offenheit und dem Vertrauen füreinander. Sie bedürfen der kontinuierlichen Pflege. Der Wert einer Freundschaft wird oft erst klar, wenn ein guter Freund oder eine gute Freundin nicht mehr da ist und Abschied von ihr oder von ihm genommen werden muss. Auch Jesus muss von seinen Freundinnen und Freunden Abschied nehmen. Nachdem sie als Bekräftigung ihrer Freundschaft ein letztes Mal am gemeinsamen Tisch miteinander gegessen und getrunken haben, machen sie sich auf den Weg zum Ölberg. Während sie zum Garten Gethsemane unterwegs sind, redet Jesus eindringlich über sein Verhältnis zu Gott, seine Beziehung zu ihnen und ihr Verhalten untereinander. Bevor er sie verlässt, will er die Bedeutung der Freundschaft ihnen ans Herz legen: der Freundschaft mit Gott, mit ihm und untereinander.

Die ökologische Dimension der Freundschaft

Rücksichtnahme und Aufmerksamkeit, Sensibilität für die Bedürfnisse des Anderen: Freundschaft ist eine Haltung, die weit über unsere zwischenmenschliche Beziehungen hinaus geht. Auch die Natur hat ihr eigenes Recht und ein freundschaftlicher Umgang mit ihr achtet darauf. Dieser Geist ökologischer Freundschaft führt zu einem schonenden achtsamen Verbrauch natürlicher Ressourcen und nimmt Rücksicht auf die regenerativen Prozesse und den erneuten Gebrauch der Güter durch Recycling. Fast beschwörend wiederholt Jesus, dass seine Freundinnen und Freunde sich in diese Haltung einüben sollen. Aber was bringt es, mit Jesus befreundet zu sein? Ist es nicht viel vorteilhafter, mit denen befreundet zu sein, die Einfluss, Macht und Ansehen besitzen? Doch solche kalkulierten Freundschaften funktionieren in der Regel nur eine gewisse Zeit. Sie sind Zweckbündnisse, bei denen der eigene Vorteil wichtiger ist als die persönliche Beziehung. Freundschaft dagegen ist Selbstzweck. Für den griechischen Philosophen Aristoteles ist die Freundschaft sogar wichtiger als Ehe und Familie, denn in ihr bildet sich das Bewusstsein für ein ideales Zusammenlebens. Bei ihm heißt es: „Freundschaft ist es auch, die die Staaten erhält und dem Gesetzgeber mehr am Herzen liegt als die – Gerechtigkeit. Denn die Eintracht ist offenbar mit ihr verwandt, und auf diese ist das hauptsächliche Augenmerk der Staatenlenker gerichtet, während sie die Zwietracht als eine Feindschaft am meisten zu verbannen bemüht sind." (Nik. Ethik, VIII,1) Zwischen Sklaven und Herren kann es keine Freundschaft geben, weil sie nur als freie Zuwendung der Einzelnen denkbar ist. Wo Freundschaft entsteht und wächst, da ist für Herrschaftsverhältnisse, die von einem Oben und einem Unten, von Befehl und Gehorsam geprägt sind, kein Platz. Freundinnen und Freunde begegnen sich auf Augenhöhe. Sie suchen das Einverständnis und den Blick des anderen. Umweltbewusst aus einem solchen Geist der Freundschaft zu leben: was könnte dies heute bedeuten? Alles zu unterlassen, was die Natur, die Pflanzen und die Tiere, die Luft und das Wasser, das Klima und den Boden irreparabel beschädigt. Ein freundschaftlich-freundliches Verhältnis zur natürlichen Umwelt will bewahren und pflegen, will bebauen, aber nicht niederreißen und ausbeuten.

Die „Gebote" der Freundschaft

Nur an dieser Stelle spricht Jesus seine Jüngerinnen und Jünger als Freundinnen und Freunde an. Jetzt ist er nicht mehr der Lehrer seiner Schülerinnen und Schüler, sondern der Freund, der auf ihre Freundschaft angewiesen ist. Alles, was ihn mit Gott verbindet, hat er ihnen mitgeteilt: die Nächsten- und die Feindesliebe, der Wille Gottes zur Gerechtigkeit und zum Frieden, Gottes Menschenfreundlichkeit und Barmherzigkeit. Alles ist gesagt, nun müssen sie aus dem Geist seiner Botschaft leben. Mündig und frei können sie nur seine Freundinnen und Freunde sein. Freundschaft verträgt sich schlecht mit Abhängigkeit oder gar Sklaverei. Das Geheimnis und der Zauber der Freundschaft liegt darin, dass sie sowenig geplant und erzwungen werden kann wie die Liebe. Wer dem anderen als Freund oder Freundin begegnet, der fragt genau nach seinen Bedürfnissen und Interessen, er sucht das Gespräch, er spricht mit ihm, nicht über ihn. Er macht sich gerade kein Bild vom anderen, vermeidet Klischees und versucht, jedes falsche Zeugnis zu vermeiden. Ohne diese Ansprüche – ich könnte jetzt auch sagen „Gebote" – gibt es keine Freundschaft. Die Predigt könnte diesen Geboten nachgehen, weil ohne sie Tragfähigkeit und Nachhaltigkeit und d.h. Treue zueinander und zur Umwelt nicht möglich sind.

Die katholischen Lesetexte

Der Krieg zwischen Israel und Amalek (Ex. 17,8-13) lässt sich kaum mit dem Geist der Freundschaft verbinden. Aber wie Aaron und Hur die Hände des Mose mit dem Gottesstab stützen, damit das Volk Israel siegt, ist ein eindrückliches Bild freundschaftlichen Verhaltens. Wie stützen Freunde sich gegenseitig die Hände, damit ihre Bemühungen um Frieden und zukunftsfähige Verhältnisse erfolgreich sind?
Es ist die Treue zur Schrift, zum Wort Gottes, aus dem der Geist der Freundschaft erwächst (2. Tim. 3,14 – 4,2). Heil und Schalom für die Schöpfung ergibt sich aus ihrer Lektüre. Auf sie gilt es zu hören wie auf einen guten Freund, der nur das Beste für einen will.
Die Hartnäckigkeit der bittenden Witwe (Lk 18,1-8), die ihr Recht vom Richter einfordert, ist den Freundschaftsbeziehungen keineswegs unbekannt. Freunde oder Freundinnen können nerven und auch viel Mühe machen. Gerade dann sind sie ernst zu nehmen und die Freundschaft bewährt sich.

 

W. Schneider-Quindeau