21. Sonntag nach Trinitatis / 30. Sonntag im Jahreskreis
ev. Predigttext | kath. 1. Lesung | kath. 2. Lesung | kath. Evangelium |
1 Mose 13,1-12(13-18) | Ex 22, 20-26 | 1 Thess 1, 5c-10 | Mt 22, 34-40 |
Evangelischer Predigttext 1. Mose 13,1-12(13-18):
Abraham hatte einen großen Besitz. Es war mehr als genug zum Leben. Und als er Lot sah, verfiel Abraham nicht in Konkurrenzdenken: Er überließ ihr Aufeinandertreffen nicht dem freien Markt des Wettbewerbs, bei dem sich nur einer durchsetzen kann und der andere in sklaverische Abhängigkeitsstrukturen gerät. Die Logik unseres neoliberalen Wirtschaftens wird hier durchbrochen. Viel eher beschließt Abraham, dass es nicht zum Streit kommen soll, denn Verwandtschaft und Nächstenliebe sind wichtiger. Abraham soll leben, Lot soll leben – für alle Menschen auf dieser Erde soll ein gutes Leben möglich sein. Das geht nur, weil Abraham und Lot das Wachstumsdenken durchbrechen und Kriterien an den Tag legen, die ihr beiderseitiges Wohlergehen garantieren. Es ist wichtiger, dass beide leben können – eine solidarische Ökonomie entsteht, die beide in blühende Landschaften führt. Nachhaltigkeit hängt mit Gerechtigkeit für alle Menschen zusammen.
Was können wir tun, um den radikalen Wettbewerb und unsere bisherige Wirtschaftsweise zu transformieren, die so viele Verlierer zurücklässt?
1. katholische Lesung – 2. Mose 22,20-26
Armut ist global. Der Reichtum der wenigen baut sich auf der Armut der vielen auf. Postkoloniale Abhängigkeitsstrukturen wüten weiter. Die wichtigen Zugänge zu den Kobaltminen etwa sind schon längst an amerikanische, europäische und deutsche Interessen für die neue E-Auto-Revolution verkauft – die Minenarbeiter leiden an gesundheitlichen Schäden und bekommen ein viel zu geringes Gehalt. Doch auch Armut in Deutschland nimmt zu. Der Armutsforscher Christoph Butterwegge spricht von einer wachsenden Ungleichheit und Prekarisierung in Deutschland. Und mittendrin steht dieser Text aus dem Exodusbuch. Gottes Reich umfasst eine Gesellschaftsordnung, die auf Gleichheit und Freiheit aller Menschen aus ist. In dieser Ausrichtung bedeutet christliche Nachfolge, aufzustehen und als Mitarbeiter am Reich Gottes mitzuwirken. Witwen, Waisen, Geflüchtete, Hartz 4-Empfänger, Ausländer und Menschen am Rand der Gesellschaft – die Gerechtigkeit Gottes ist parteiisch. Es gilt, Gegenkräfte zu bekämpfen. Zinseszins, Wuchern, Auspressen von Mensch und Natur – neoliberale Eskalationen, die nur eine Deregulierung des Marktes und Privatisierung aller Lebensbereiche zulassen, sollen heilsam verändert werden.
2. katholische Lesung – 1. Thess 1,5c-10
Wir brauchen Vorbilder. Sie geben uns Orientierung. Vor allem zeigen sie uns, dass es sich lohnt, sich für „die gute Sache", für das Reich Gottes einzusetzen. Die katholische Kirche hat die zahlreichen Heiligen, einen Oscar Romero oder eine Mutter Theresa. Auch die Protestanten halten Gallionsfiguren hoch, auf die sie gerne blicken: einen Dietrich Bonhoeffer oder eine Dorothee Sölle – alles Personen, die zeigen: es geht anders, unsere Welt kann anders sein, Gottes heilsame Befreiung beginnt jetzt in unserem Zusammenleben. Und auch Paulus war so ein Vorbild für die Gemeinde der Thessalonicher. Er war ein Mann, der die frohe Botschaft verkündigte. Er sprach von einer neuen Gemeinschaft in Christus, in der alle Klassengrenzen und Ethnienunterschiede aufgehoben sind (Gal 3,28). Und er nahm Leid und Verfolgung für diese Botschaft auf sich (1. Thess 2,13-16). Die Gemeinde folgte dieser Befreiungsbewegung, die Paulus lebte. Sie wurde selbst zu einem Vorbild für andere Menschen. Sie hat sich den zahlreichen Götzen widersetzt, die diese Gemeinschaft in Christus zerstören. Auch heute gibt es diese Götzen, die gar unser Weiter- und Überleben auf der Erde gefährden. Was brauchen wir, damit wir Vorbilder werden können und so im Warten auf Christus für diese Welt leuchten?
Evangelium Mt 22,34-40:
Was ist das höchste Gebot? Was ist der Nukleus christlicher Nachfolge im Hier und Jetzt? Es sind drei Aspekte: Die Gottesliebe: Gott steht für eine umfassende Umwälzungsbewegung. Er spricht die Menschen an, er rührt ihr Herz an und verspricht ihnen ein Reich Gottes, „wie im Himmel so auf Erden." Da Gottes Liebe nicht zwingen kann, ist sie ohnmächtig und hofft auf das Einverständnis, auf die Nachfolge des Menschen (Dietrich Bonhoeffer; Marie Veit). Gott zu lieben, bedeutet sich von seiner Liebe anrühren zu lassen, sich aktivieren zu lassen für Gottes Gerechtigkeit. Damit kommen wir zum zweiten Aspekt: Gott zu lieben hat immer eine „Richtung und Linie" (Karl Barth). So wie das Reich Gottes eine Befreiung des Menschen in all seinen unterschiedlichen (auch ökologischen und ökonomischen) Dimensionen des menschlichen Lebens meint, so hat der Mensch dem zu entsprechen. Die Unterstützung des Menschen in seiner Entfaltung, die Hilfe zur Selbsthilfe, Empowerment, die Fürsorge der Armen und Geächteten, die Liebe für die gesamte Schöpfung – kurzum: die Nächstenliebe bildet die zweite Seite der Medaille der Gottesliebe. Sie darf aber nicht dazu führen, dass wir uns bei all den Herausforderungen und Aufgaben aufreiben (Klimakataststrophe, Krieg, nationaler Rechtsruck, Götzendienst an neoliberalen Ausuferungen). Dafür steht der dritte Aspekt, die Selbstliebe. Nur wenn wir gesund und frisch ans Werk gehen, können wir tatsächlich lieben. Selbstfürsorge ermöglich Solidarität mit den Kaputten in unserer Welt.
Dr. Tobias Foß, Hohenthurm bei Halle (Saale)