22.o6.25 – 1. Sonntag nach Trinitatis / 12. Sonntag im Jahreskreis

ev. Predigttext kath. 1. Lesung kath. 2. Lesung kath. Evangelium
Joh 5, 39-47 Sach 12, 10-11; 13, 1 Gal 3, 26-29 Lk 9, 18-24

Pater Lorenz betrachtet die Texte der kath. Leseordnung. Der Predigttext der ev. Perikopenordnung lässt keinen direkten Bezug zur Nachhaltigkeit erkennen.

Sach 12, 10-11

Der Abschnitt der Lesung beschreibt die Ereignisse am Ende der Zeiten, nach dem großen Völkersturm auf Jerusalem aus Kapitel 12. Jahwe selbst wird den Angriff auf seine heilige Stadt Jerusalem abwehren, über das Geschlecht Davids und die Einwohner Jerusalems seinen Geist ausgießen und für sie eine Quelle der Reinigung fließen lassen. Die Ausgießung des Geistes bewirkt eine tiefgreifende Umkehr und befähigt zu Mitleid.

Der Begriff ist heute teils negativ besetzt. Mitleid wir als wenig hilfreich erlebt. Der Geist von dem hier die Rede ist, lässt sich eher mit solidarischem Handeln für die Leidenden übersetzen. Vermutlich wäre der erste Impuls dafür Empathie. Neben diese auf die Menschen ausgerichteten Haltung des Geistes, der hier ausgegossen ist, ist noch die Rede vom Bittgebet und der Klage. Heute würde man eher von der Tiefe der Gottesbeziehung sprechen, der Verbundenheit mit ihm.

Wer mit dem „Durchbohrten“ gemeint ist, scheint vage. Es könnte der ebenso wenig bestimmbare Gottesknecht der Gottesknechtslieder des Jesaja (vgl. Jes 53) gemeint sein. In der christlichen Theologie wurde der Titel verschiedentlich auf Jesus Christus hin bezogen.
Die zweite Gabe Jahwes, die Reinigungsquelle, erinnert an den Paradiesesstrom (Gen 2,10), an die Tempelquelle (Ez 47) oder an die Reinigung der Herzen (Ez 36).

Nachhaltigkeit / Impulse

Mit der Deutung von Mitleid, als einem empathischen Blick für menschliche Not und dem Willen zu solidarischem Handeln, abgeleitet aus dem Ernst der Klage über die konkrete Not des Menschen, lassen sich die ersten beiden Ziele der Nachhaltigkeit sinnvoll stützen: Armut und Hunger betreffen viele Menschen und sind oft Grund zu Ausgrenzung und Ablehnung. Speziell die sich auftuende (Heils-)Quelle als Gabe Gottes, fordert offensives Handeln gegenüber heutiger Trinkwasserpolitik von ausbeuterischen Konzernen und Regierungen vorangetrieben, die durch ihren Kapitalismus immer mehr Ernährungsunsicherheit fördern.

Doch wie kommen wir als Menschheit an diese Ziele?
Der Geist Gottes wurde ausgegossen, die Menschen Klagen und Weinen, heißt in der Bibelstelle.
Wie fassadenhaft ist das Leben mancher geworden, dass wir uns schweren Gefühlen gegenüber oft schämen und das Angenehme suchen. Und welche Kraft liegt in der Unmittelbarkeit authentischer Emotion und dem Lauf der Tränen gegenüber anderen.

Sich Gottes Geist anvertrauen heißt auch, sich auf das Abenteuer des Lebens einzulassen, nicht unter der Käseglocke, sondern als Wegbegleiter durch Dick und Dünn (nicht durch Dick und Doof).

 

Gal 3, 26-29

Für Juden war und ist die Zugehörigkeit zum auserwählten Volk Gottes das Heilskriterium. Die Beschneidung ist der Zugang zu diesem Volk, als ein „Sohn Abrahams“. Durch diesen Idealtypus als Kernsymbol für ein Volk folgen klare Abgrenzungen: Unbeschnittene sind nicht gleichgestellt, Frauen können nicht beschnitten werden und somit sind sie nicht gleichgestellt. Beschnittene konnten nicht zu Hilfsarbeit (Skavendienst) herangezogen werden.

Paulus fokussiert auf Abrahams Glauben und erhebt diesen zum Prototyp. Das Unterscheidungs-merkmal ist nun nicht mehr die Beschneidung, der Ungerechtigkeiten folgen (s.o.) sondern die Gerechtigkeit aus dem Glauben an Christus. Alle zuvor entstandenen Unterschiede (Abgrenzungen) zwischen Menschen:

Sklaven und Freie, Juden und Griechen, Beschnittene und Unbeschnittene, Frauen und Männer usw. sind subsumiert im universalen Christus: ein Herr, eine Taufe, ein Glaube usw.
Folglich werden Mann-sein und Frau-sein, der gesellschaftliche Stand, die Kaste bis hin zur Beschneidung ausdruckslos.

Nachhaltigkeit / Impulse

Manch einer wähnt sich als fortschrittlich, weil „wir“ die Sklaverei abgeschafft haben. Doch es war ein langer Weg damit verbunden und bis heute finden sich Nischen, in denen die Arbeitskraft von Kindern und Erwachsenen missbraucht - eine neue Art der Sklaverei darstellt.

Bis heute ist hochwertige Bildung vielerorts ein Privileg der Reichen geblieben. Gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern ist weit weg von der Lebenswirklichkeit vieler. Dies zeigt sich beispielsweise in der Röm.-kath. Kirche, da hier bis hinein in den Zugang zu Weiheämtern, Gleichberechtigung der Geschlechter, ein humaner Wunsch geblieben ist, oder sogar als Traditionsbruch tabuisiert wird.

Der Impuls zum Thema Nachhaltigkeit liegt deshalb in der Prophetie. Man darf zu diesen Themen nicht schweigen! Zugleich liegt hierin auch die Aufforderung, ehrlich auf eigene „Kellerleichen“ zu schauen, wenn man bedenkt, dass selbst Paulus den Frauen ein Redeverbot in der Gemeinde auferlegt hatte.

 

Lk 9, 18-24

Das Messias-Bekenntnis des Petrus nach Lukas, ein Text zum Dahinschmelzen. Doch welchen Sitz im Leben der Gemeinde hatte es beim Evangelisten? Die Leute haben Jesus in der Reihe der Propheten gesehen. Die Auffassung der Jünger geht einen Schritt weiter: Er ist der von Gott Gesandte, der Messias. Doch auch sie waren Kinder ihrer Zeit, geprägt von gängigen politischen Erwartungshaltungen im Judentum. Jesus musste sie erst auf seinen Weg „einnorden“, der eben anders als erwartet verlaufen sollte: Wie genau dieser sich entwickelt, dass sollten sie erst nach Ostern, Himmelfahrt und Pfingsten begreifen.

Lukas ändert die Vorlage für das Messias-Bekenntnis des Petrus ab: Nicht mehr der Leidensweg Jesu als solcher, auch nicht die Leidensnachfolge sind im Vordergrund. War es bei Markus noch das Ringen um die Annahme eines zu erwartenden Blutzeugnisses, so ging es in der Lukas-Gemeinde eher um Annahme des Kreuzes im Alltag, durch Verzicht auf Besitz und überhobene Selbstansprüche.

Nachhaltigkeit / Impulse

Der Fortschrittsoptimismus ist ein längst abgelöstes Paradigma der sogenannten westlichen Welt. Dennoch brauch es ein gewisses Wirtschaftswachstum, wenngleich unter anderen Voraussetzungen als vor 30 Jahren: Nicht mehr höher, weiter, besser, sondern im Anschluss an Nachhaltigkeit eher dauerhaft, inklusiv und unter menschenwürdigen Arbeitsbedingungen.

Alltägliches Kreuztragen findet vor diesem Hintergrund als Herausforderung neue Ansätze: den Blick von sich selbst auf gesellschaftsrelevante Themen hin zu verändern und neben berechtigten eigenen Zielen der Absicherung, auch kommunitäre Ziele zu fördern. Die liberale „Hintertreppe“ könnte hier gedeutet werden, als etwas, das dem „Leidenweg“ oder Willen Jesu zum Zeugnis, entgegen steht.

Pater Lorenz van Rickelen O. Carm., Bistum Mainz