22. Sonntag nach Trinitatis / 30. Sonntag im Jahreskreis (27.10.13)

22. Sonntag nach Trinitatis / 30. Sonntag im Jahreskreis

ev. Predigttext kath. 1. Lesung kath. 2. Lesung kath. Evangelium
Micha 6, 6-8 Jesus Sirach 35, 15b-17, 20-22a 2 Tim 4, 6-8.16-18 Lukas 18, 9-14

 

Gottes Recht praktizieren – auf seine Gnade vertrauen

Das von Gott geschenkte und gesetzte Recht steht in den biblischen Schriften als Leben erhaltende Kraft neben dem „Täglichen Brot“, das die Schöpfung und die menschliche Arbeit hervorbringen.

Die Stimmen der Propheten (Micha), der Weisheit (Jesus Sirach) und Jesu (Gleichnis vom „Pharisäer und Zöllner“) erschließen die „nachhaltige“ Kraft des Gottesrechtes, das zugleich die Schaffung von Menschenrecht -bis hin zum Völkerrecht unserer Zeit- ermöglicht. Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung bleiben unerreichbar ohne das Fundament vereinbarten und respektierten Rechtes. Für dieses Menschen-Recht zu streiten ist eine Grundforderung der Ökumene der Armen an uns als Bürger und MitchristInnen in diesem Teil der Welt. Die Stimmen aus der Ökumene des Südens und Ostens sagen nichts anderes als bereits die Stimmen, die in den Sonntagslesungen zu hören sind.

Die Bindung des persönlichen Lebens, wie des Lebens der Gemeinschaft, an Autorität und Segen des Gottesrechtes ist das Eine.

Das Andere ist die Erfahrung, dass unsere Geborgenheit in der Liebe Gottes ein unverdientes und unverdienbares Geschenk bleibt.

Micha 6,6-8

Die Stimme des Micha, eines Zeitgenossen des ersten Jesaja, ist die älteste, aus dem 8. Jh. v. Chr. Eure Beziehung zu unserem Gott, ruft er der politischen und wirtschaftlichen Elite zu, entscheidet sich am Umgang mit den Schwachen des Gottesvolkes.

Der Aufwand gewaltiger Opferrituale, Tiere und Öl, wird von Micha überboten durch die erschreckende Phantasie von der Opferung der Erstgeborenen. Übererfüllung von Kult und religiöser Übung. Immer mehr, macht uns das immer besser? Wäre das der Weg zu Gott?

Michas Megaopfer wirkt eher skurril im Klima von „Christentum light“; selbst als Ansporn für die, die sich alte Strenge zurück wünschen.

Micha winkt ab. Wer zum Gottesvolk gehört, weiß, was zählt. „...was der Herr von dir fordert: Gottes Wort halten und Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott.“

Gottes Wille findet sich nicht im Ungewissen, Rätselhaften, sondern im manifesten Gottesrecht, das seinerzeit zugleich Bürgerrecht war.

Drei Schritte sind als prophetische Weisung erkennbar: Gottes Bundesrecht respektieren, Gottes Wort halten – das Bundesrecht nach Kräften fördern, Liebe üben – die eigenen Ansprüche dem Bundesrecht unterordnen, demütig sein.

Christliche, wie alle anderen Menschenrechtsaktive fühlen sich unüberhörbar erinnert an die drei Leitworte aller nachhaltigen Menschenrechtsarbeit: „respektieren, schützen, erfüllen.“

Für Predigende bleibt jeweils vor Ort die Frage zu bedenken, wie weit die konkrete Gemeinde die heute unerlässliche förmliche Trennung zwischen Gottesrecht, in unserem Fall dem biblisch bezeugten, und dem säkularen Völker- und Menschenrecht verstanden hat und im Glauben gutheißt. Als Gemeinde Jesu im 21. Jh. müssen wir ja anerkennen, dass es zum Wohl von Nachkommen und Schöpfung eines Rechtes bedarf, das niemanden wegen eines „falschen Glaubens“ ausschließt. Wenn nicht Jesus uns diese Haltung erschließt, wer dann?

Jesus Sirach, 35, 15b-17, 20-22a

Zwischen Micha und Jesus Sirach liegt ein halbes Jahrtausend jüdischer Glaubensgeschichte. Aber die Gewissheit, dass Gott selbst die „nachhaltige“ Quelle für den Bestand Leben erhaltenden Rechtes ist, hat Bestand. Noch einmal 200 Jahre später ist auch Jesus von Nazareth dieser Glaubensschatz vertraut, den Jesus Sirach beschreibt: Tränen und Schreie der Opfer von Rechtsbruch und Ausbeutung haben eine eigene, unterschätzte und dennoch durchdringende Kraft. Urbild dieser Hoffnung sind die Hilfeschreie der hebräischen Sklaven in pharaonischer Zwangsarbeit. Aber inzwischen, bei Jesus Sirach und Jesus von Nazareth, geht es um die „inneren Angelegenheiten“ des Gottesvolkes selbst.

Da ist ein Gegenbild zur „Advocard – des Anwalts Liebling“, die sich „Waisen und Witwen“, - zu übersetzen in die Armutstermini der Gegenwart - nicht leisten können! Gott hat ein Herz! Das bleibt ein unerschütterliches Bild der biblischen Rechtssprache. Aber dieses Herz führt nicht zu Akten bloßer Barmherzigkeit, sondern zu Urteilen, zu wirklicher Rechtssetzung, die „Waisen und Witwen“ und andere Opfer wieder in ihre Rechte einsetzen.

Gemeinden und Christenmenschen, die am guten Kampf für Gerechtigkeit, Frieden und die Bewahrung der Schöpfung praktisch teilnehmen, entdecken sofort, wovon der Weise Jesus Sirach spricht. Unsere Tage sind randvoll von den „aussichtslosen“ Kämpfen von Vertriebenen, Ausgebeuteten, Misshandelten um ihre Menschenrechte. Und jeder Tag bringt Siege des Rechtes, die es eigentlich gar nicht hätte geben dürfen – und sei es nach Jahrzehnten. Der gerechte Gott sucht sich auch heute Richterinnen und Richter, die am Ende Recht sprechen, das diesen Namen verdient. Wer darauf nicht vertraut, sollte keine Menschenrechtsarbeit anpacken.

Lukas 18, 9-14

Aber ehe eine Menschenrechts-und Nachhaltigkeits-Euphorie mit uns durchgeht, holt Jesus uns auf den Boden der tragfähigen Gottesbeziehung zurück. Pharisäer und Zöllner, engagiert Glaubender und Alltags-Egoist treten vor Gott.

Unterstellt, Gerechtigkeitsarbeit sei heute Christenpflicht, dann wäre das ein Pluspunkt von Gewicht, um mich meinem Gott zu präsentieren. Und was käme da im Sinne von Nachhaltigkeit alles noch dazu; lauter zukunftsweisende Lebensmodelle, die hier und da von Christenmenschen und Gemeinden praktiziert werden – zusätzlich zum religiösen Ritus, wenn wir an Entsprechungen zum Fasten unseres Glaubensbruders denken.

Das Richtige, das Nachhaltige ehrlich versuchen, hier und da wirklich tun, macht uns nicht unabhängig von dem Geschenk der barmherzigen Liebe Gottes. Eigentlich wissen wir das, jedenfalls im Intimbereich der Seele, wo Ehrlichkeit möglich ist.

Noch dazu: denen, die Nachhaltigkeit mit Füßen treten, unter ihnen zuhauf wirkliche Übeltäter, bleiben die Türen zur vergebenden Barmherzigkeit offen, so einfach, einfacher geht’s nicht.

Es gibt nur ein Leben – nachhaltig offen für alle. Ohne diese elementare Richtigstellung Jesu kann Leben für Nachhaltigkeit kaum gelingen.

Kleine Predigt-Zutaten

Der Gemeinde den Recht schenkenden und Recht setzenden Gott nahe zu bringen, kann man, wie selbst erprobt, mit einer Bibel versuchen. Vorder- und Rückseite beklebt mit einem möglichst großen Paragraphen-Zeichen. Ziel dieser Verfremdung muss sein, über Recht in Beziehung zum Täglichen Brot, dem kalorienhaltigen, ebenso wie den Anrechten z.B. auf Bildung, Menschenwürde, Freiheit usw. zu sprechen. Jesus liebt dieses Recht, hält es hoch, weil es nicht tötet, sondern Gerechtigkeit, Frieden und die Bewahrung der Schöpfung näher bringt.

Eine „Advocard“, oder sonst eine Rechtsschutz-Versicherungs-Karte kann man hochhalten, als Gegenbild zur Gebets-Macht derer, die völlig ohne Privilegien ihr Recht suchen müssen und doch von Gott nicht im Stich gelassen werden.

Welche der vielen praktikablen Menschenrechts-Initiativen in Kirche und Gesellschaft man im Rahmen des Sonntagsthemas der Gemeinde nahebringen will, muss vor Ort entschieden werden. Aber eine sollte es sein.

 

Harald Rohr