1. Sonntag nach Trinitatis / 12. Sonntag im Jahreskreis (23.06.19)

1. Sonntag nach Trinitatis / 12. Sonntag im Jahreskreis


ev. Predigttext kath. 1. Lesung kath. 2. Lesung kath. Evangelium
Joh 5, 39-47 Sach 12, 10-11; 13, 1 Gal 3, 26-29 Lk 9, 18-24

Um den Predigttext unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit zu betrachten, lohnt es sich hier in besonderer Weise, den Kontext im Johannesevangelium, nämlich das fünfte Kapitel, insgesamt und als Einheit zu betrachten, anders erschließt sich der Predigttext nicht, der den gesamten Zusammenhang reflektiert und abschließt.
Weiterhin lohnt es sich hier mehr, als an anderen Sonntagen des Kirchenjahres, den Ort der Perikope innerhalb des Kirchenjahres zu betrachten. In der neuen Perikopenordnung hat Johannes 5, 38 – 47 seinen Sitz genau da be-halten, wo er auch bisher gepredigt wurde, nämlich am 1. Sonntag nach Trinitatis. Dem Sonntag des Kirchenjahres, an dem Jahr für Jahr die nachhaltige Ent-wicklung des Glaubens startet: Beginnend mit dem 1. Advent und endend mit dem Sonntag Trinitatis als dem Geburtstag des Glaubensbekenntnisses hat die Gemeinde sechs Monate lang kirchliche Hochfeste erlebt, einschließlich zweier vorbereitender Fastenzeiten. Die Küsterinnen und Küster waren ständig damit beschäftigt, die Paramente vor Kanzeln und Altären den verschiedenen Anlässen anzupassen; das farbliche Spektrum reichte von weiß über violett, rosa (Laetare) und rot bis hin zu grün.
Am 1. Sonntag nach Trinitatis werden die Paramente noch ein letztes Mal gewechselt, mit diesem Sonntag beginnend liegen – bis zum Volkstrauertag – jetzt nur noch die grünen Paramente auf den Altären. Sie sind farbliche Symbole für die aufgehende Saat und das Wachstum und zeigen der Gemeinde, dass genau das von diesem Tag an geschehen soll: Eine kirchliche Verschnaufpause von den einander jagenden Hochfesten der ersten Jahreshälfte, eine Verschnaufpause auch für die Küsterdienste: Jetzt ist Zeit des nur noch moderaten Kirchenbesuchs, jetzt, mit dem 1. Sonntag nach Trinitatis, beginnt aber auch eine Zeit des Wachstums im Glauben; die Grundlagen dafür wurden in den Botschaften der kirchlichen Hochfeste in der ersten Jahreshälfte gelegt.

Es mag weiterhin lohnend sein, mit Blick auf die Predigtperikope das Johannesevangelium (bzw. das johanneische Schrifttum insgesamt) im Gegenüber zu den anderen Schriften des neutestamentlichen Kanons zu betrachten. Dem Schreiber waren die synoptischen Evangelien allem Anschein nach bekannt, sein Evangelium steht aber den Synoptikern entgegen dadurch, dass es von einer höheren Warte die Ereignisse zur Lebens- und Wirkenszeit Jesu zu betrachten scheint, nicht als geschichtliche Darstellungen mit teils mahnend erhobenem Zeigefinger, sondern als distanzierten Rückblick, in dem Grundsätzliches zur Sprache kommt.
Deshalb wurde gerade diesem Evangelium die Gestalt des Adlers zugeordnet, der über weite Distanzen gestochen scharf sieht und von dem man sagte, dass er direkt in die Sonne blicken könne, ohne zu erblinden. So konnte auch der Autor dieses besonderen Evangeliums in spirituelle Tiefen blicken und sie benennen, die anderen verborgen blieben.

Der 1. Sonntag nach Trinitatis ist geprägt vom Evangelium des Tages über den reichen Mann und dem armen Lazarus (Lukas 16, 19 – 31). Dort, wie auch in unserer Johannesperikope finden wir den Hinweis auf die Propheten, die die Lebenden zu hören nicht bereit sind, obwohl sie sich auf gerade diese Propheten berufen. Im Predigttext gilt es hierbei hintergründig zu beachten, dass die johanneische Gemeinde die Thora als ihre eigene heilige Schrift versteht, in der Jesus Christus deutlich zu erkennen sei.
In der Rede Jesu wird Mose zum Ankläger Israels; ist nicht mehr Fürsprecher derer, die Jesus ablehnen sondern Zeuge der Gottesoffenbarung, die in Jesus Christus geschieht. Als Detail für die Predigtvorbereitung mag beachtet werden, dass die Vulgata anstatt des Indi-kativs („Ihr sucht in der Schrift“) den Imperativ verwendet (Sucht in den Schriften“), was auch der Erwartung der Gemeinde in unseren Gottesdiensten, die ja auch das Zeitgeschehen reflektieren, eher entsprechen dürfte. In seiner Rede an „die Juden“, die hier als Synonym für die Außenstehenden zu betrachten sind (man könnte ebenso von den Römern-, den Amerikanern usw. sprechen), geht Jesus auf seine Diskussionspartner ein (die er nicht sich selbst überlässt; er hätte sie ja auch stehen lassen-, sich abwenden können) und führt die beiden- sich widersprechenden Grundhaltungen an: das Bedachtsein auf Ehre und Anerkennung als einem menschlich- allzumenschlichem Bedürfnis, das in vergangenen und gegenwärtigen Gesellschaften- und auch in manchen Ideologien und Religionen eine erhebliche-, richtungweisende und lebensbestimmende Rolle spielt; Ehre und Anerkennung, die aber kurzlebig sind und sich gar so oft in ihr Gegenteil verkehren, und auf der anderen Seite dem ewigen Wert der Liebe und ihre Langmütigkeit; einer Liebe, die Bestand hat und die sich nicht enttäuschen lässt; einer Liebe, für die zeitlich begrenzte Wertvorstellungen von „Ehre“ keine Rolle spielen.
Gerade auch im Hinblick auf den neu ausgerichteten Wochenspruch, der in der neuen Perikopenordnung geändert wurde (jetzt: 1. Joh 4, 16b) wäre es angemessen, die vorliegende Johannes- Perikope in Relation zu setzen zu 1. Kor 13 und die darin angeführten Reflexionen. Auch im Predigttext zeigt Jesus sich als der langmütig- und damit nachhaltig Liebende: Er sucht das Gespräch mit den Gegnern, die ihm feindlich gesonnen sind-, wendet sich ihnen zu und will sie durch seine Ansprache überzeugen-, er wird sie nicht verklagen. Die Liebe beschenkt in unserer Predigtperikope am Ende der Handlung und der Reflexion über die vorangegangenen Verse aus Johannes 5 die, die meinen, feind sein zu müssen.

Uwe G. W. Hesse, Haina