22. Sonntag nach Trinitatis / 30. Sonntag im Jahreskreis (23.10.16)

22. Sonntag nach Trinitatis / 30. Sonntag im Jahreskreis


ev. Predigttext kath. 1. Lesung kath. 2. Lesung kath. Evangelium
Phil 1, 3-11 Sir 35, 15b-17.20-22a 2 Tim 4, 6-8.16-18 Lk 18, 9-14

Philipper 1,3-11

Auf den ersten Blick hat dieser Text keinen Bezug zu den Themen der Nachhaltigkeit. Der Apostel schreibt aus dem GefĂ€ngnis an die Gemeinde und lobt sie. Er freut sich an ihrem puren Dasein und betet, dass „der das gute Werk in euch angefangen hat, es auch vollenden wird“.

Es geht um Beziehung und um Freude. Paulus hat zur Gemeinde in Philippi eine ganz besonders herzliche und freundschaftliche Beziehung. Das wird in den einleitenden SĂ€tzen und im sehr persönlichen Stil deutlich. Es war die Gemeinde der Lydia, der ersten Christin in Europa. Diese Frau, die PurpurhĂ€ndlerin, hat sich von der befreienden Botschaft des Evangeliums unmittelbar angesprochen gefĂŒhlt und sich und ihr ganzes Haus taufen lassen. Man kann davon ausgehen, dass die Bekehrung zum Christentum ist fĂŒr die Arbeit in ihrem Betrieb und das VerhĂ€ltnis der Arbeiterinnen und Arbeiter untereinander nicht folgenlos geblieben ist.

Mit dem Saft der Purpurschnecke gefĂ€rbte Stoffe waren sehr teuer. Die Herstellung war eine mĂŒhsame und arbeitsaufwendige Prozedur, die mit starker Geruchsentwicklung einherging. Purpurfarbene Kleidung zu tragen, war den Reichen und Schönen vorbehalten.

Die Bekehrung zum Christentum bedeutete fĂŒr Lydia und ihre Gemeinde „Befreiung zum frohen und dankbaren Dienst an allen Geschöpfen“. Paulus erlebt das persönlich in der ermutigenden SolidaritĂ€t, die die Philipper ihm in der Gefangenschaft  zuteil  werden  lassen. Und er sieht es dankbar und froh an vielen anderen Stellen. Er wĂŒnscht ihnen, dass ihre „Liebe immer noch reicher werde an Erkenntnis und Erfahrung“, damit sie „lauter und unanstĂ¶ĂŸig“ werden, erfĂŒllt mit „Frucht der Gerechtigkeit“.

Die grundsĂ€tzlichen theologischen Aussagen des Textes zu erlebter Befreiung und dankbarem Dienst an allen Geschöpfen, zur Freude in Gott und SolidaritĂ€t mit den Leidenden, zur Liebe und Frucht der Gerechtigkeit lassen sich fĂŒr die heutige Gemeinde anhand von Projektbeispielen konkretisieren.

Naheliegend ist es, sich die Arbeitsbedingungen in der Textilindustrie genauer anzuschauen und fĂŒr Kampagnen wie z.B. „change your shoes“ zu werben. Das Material dazu ist sehr vielseitig, z.B. bei SĂŒdwind, clean clothes campaign oder Brot fĂŒr die Welt.

Sirach 35,15b-17.20-22a

Gott hört die Stimmen, das Weinen und Flehen der Armen, BedrĂ€ngten, UnterdrĂŒckten, Waisen und Witwen und sieht ihre TrĂ€nen. –Die Nöte der UnterdrĂŒckten nehmen ein Ende, das Schreien der Elenden verstummt, das Flehen der Armen dringt durch die Wolken. Es ruht nicht, bis es am Ziel ist.

Das ist die Bewegung von Gottes Gerechtigkeit. Er wird den Marginalisierten Recht schaffen und ihnen den Lebensraum errichten, der ihnen zusteht.

Aber zwischen der Wahrnehmung der RealitĂ€t, wie sie ist, und der verheißenen Zukunft stehen wir. – Davon erzĂ€hlen die Verse 18 und 19. Sie sind zu Unrecht ausgeklammert. Die Verursacher des Leids finden keine Gnade vor Gottes Augen.

Wir finden kein Wohlgefallen in den Augen Gottes, solange noch eine TrĂ€ne des Leids ĂŒber eine Wange eines UnterdrĂŒckten lĂ€uft! Das sollte uns zutiefst beunruhigen.

Wir dĂŒrfen uns nicht abfinden mit der Ungerechtigkeit auf dieser Erde. Wir dĂŒrfen keine Ruhe geben, solange noch ein Mensch heimatlos umherirrt. Wir dĂŒrfen nicht nachlassen, die immer grĂ¶ĂŸer werdende Kluft zwischen Armen und Reichen anzuprangern. Wir mĂŒssen SolidaritĂ€t mit den FlĂŒchtlingen, Verzicht auf Reichtum, alternativen Lebensstil vorleben.

Am Tag des FlĂŒchtlings 2015 haben an 230 Kirchen im Erzbistum Köln die Totenglocken je 100 Mal gelĂ€utet. Das sollte erinnern an die 23.000 FlĂŒchtlinge, die seit 2000 im Mittelmeer ertrunken sind. – Ein hörbares Zeichen, das unter die Haut geht.

Wir können mehr solcher Zeichen erfinden und immer wieder auf die Wunden von Menschen und Schöpfung hinweisen. – Und damit auch die Hoffnung wachhalten, dass die Verheissungen Gottes sich erfĂŒllen.

2.Tim.4,6-8.16-18

Aufruf zu unerschrockenem Einsatz. Der gute Kampf der Gerechtigkeit. – Der Schreiber des Timotheusbriefes ĂŒbergibt den Staffelstab an seine Nachfolger. Er hat getan, was er konnte. Nun ist es fĂŒr ihn Zeit aufzuhören.

Aber der Auftrag geht weiter.

Das Evangelium, die gute Botschaft von Gottes Gerechtigkeit fĂŒr diese Welt, braucht Boten und Botinnen. Es braucht Menschen, die ihre Stimme erheben, andere, die zupacken, und dritte, die beten.

Aber wir dĂŒrfen auch alle wissen: es liegt nicht in unserer Kraft. Und es ist nicht unsere Verantwortung allein. Wir sollen tun, was wir können. Aber wir sollen auch lassen. Nach uns kommen andere.

Wir nehmen Teil an dem Weg der Gerechtigkeit, wir sind Teil der Mission Gottes fĂŒr diese Welt. Nicht unbedeutend, aber auch nicht unverzichtbar. Teil sein heißt, sich als Mensch nicht selbst ĂŒberschĂ€tzen, nicht ĂŒberfordern, nicht hochmĂŒtig werden. Teil sein heißt, demĂŒtig mitgehen mit deinem Gott. Und das ist gut so.

Lukas 18, 9-14

Das Gleichnis vom PharisÀer und Zöllner warnt vor den Gefahren der Selbstgerechtigkeit. Das kann man in zweierlei Hinsicht auslegen. Einmal methodisch in Bezug auf Predigt und Gottesdienst an sich, einmal inhaltlich:

FĂŒr Themen der Nachhaltigkeit einzutreten und darĂŒber zu predigen, darf nicht moralisch klingen und gesetzlich rĂŒberkommen. Es muss den Hörerinnen und Hörern einen Raum eigenen Nachdenkens eröffnen. LernfĂ€higkeit setzt Lernbereitschaft voraus. Diese sinkt beim Zuhörer je belehrender eine Rede daher kommt.

Inhaltlich ist das Spiel mit den Figuren von PharisÀer und Zöllner reizvoll. Wer wird heute als pharisÀerhaft wahrgenommen und von wem? Wer als Zöllner? Einfache Zuschreibungen sind hier wenig hilfreich. Die KomplexitÀt der verschiedenen Verstrickungen in die ungerechten Strukturen und lebensbedrohenden Mechanismen eines globalen Marktes wird sichtbar.

„Gott, sei mir SĂŒnder gnĂ€dig“, wird zum Kern des Gleichnisses. Statt um Selbstgerechtigkeit geht es um Gottes Gerechtigkeit. Sie bricht vorhandene Denkmuster auf und eröffnet WandlungsspielrĂ€ume. Umkehr ist möglich. Individuell und strukturell. „Bei unserer Rechtsetzung durch Gott steht mehr auf dem Spiel, als dass ich geliebt und angenommen bin. Es geht um Gottes Vision einer Welt, in der das Elend die Gerechtigkeit Gottes nicht mehr in Frage stellt.“ (Klara Butting, in: Trost ohne Gerechtigkeit, Junge Kirche I/2015, S.2)

Der Zöllner wandelt sich und verwandelt damit die Welt.

Annette Muhr-Nelson