23. Sonntag nach Trinitatis / 31. Sonntag im Jahreskreis (4.11.18)

23. Sonntag nach Trinitatis / 31. Sonntag im Jahreskreis

ev. Predigttext kath. 1. Lesung kath. 2. Lesung kath. Evangelium
Röm 13, 1-7
Rev. 2014: Mt 22, 15-22
Dtn 6, 2-6 Hebr 7, 23-28 Mk 12, 28b-34

Nachhaltige staatliche Ordnung?

Überlegungen zu Römer 13 und dem „Höre, Israel“ (5. Mose 6,4f und Markus 12,29f)

Das Verständnis staatlicher Ordnung

Der amerikanische Präsident will das Klimaschutzabkommen, das auf dem Pariser Klimaschutzgipfel im Dezember 2015 von nahezu allen Staaten beschlossen wurde, kündigen, der türkische Präsident verletzt nach einem Putschversuch gegen seine Regierung elementare Grund- und Menschenrechte, in zahlreichen Ländern herrscht Bürgerkrieg, staatlicher Terror und Gewalt. Staatliche Ordnung wird von Despoten, wirtschaftlichen, politischen und ideologischen Gruppierungen missbraucht, um ihre eigenen besonderen Ziele zu durchzusetzen. Nicht das allgemeine Wohl, sondern die Machtinteressen Einzelner herrschen. Doch das dauerhafte friedliche Zusammenleben ist zunächst das Ziel aller Regeln und Gesetze, die in einer Gemeinschaft gelten sollen. Und um diese Regeln durchzusetzen, bedarf es der staatlichen Gewalt, damit nicht Anarchie, Willkür und das „Recht des Stärkeren“ sich ausbreiten. Vertragliche Regeln und gesetzliche Vereinbarungen sollen verhindern, dass die Menschen in einen erbitterten Überlebenskampf eintreten, dem um der eigenen Selbsterhaltung willen jedes Mittel recht sein lässt. Die Anerkennung einer öffentlich geltenden Ordnung ist eine nüchterne Voraussetzung für die Verwirklichung von Recht und Frieden. Repräsentanten dieser Ordnung sind kommunale Verwaltungen, Polizei, staatliche Institutionen wie Finanzämter, Staatsanwaltschaften und Gerichte. In Römer 13, 1-7 wird der Staat weder glorifiziert noch dämonisiert, sondern pragmatisch und nüchtern als Institution, die für die öffentliche Ordnung verantwortlich ist, wahrgenommen.Dabei war das römische Imperium sicherlich kein demokratischer Rechtsstaat im modernen Sinne, sondern eine Rechtsordnung, die Oligarchie, Sklaverei und feudale Strukturen einschloss. Dem Juden Paulus geht es um das pragmatische Verhältnis zur politischen Ordnung von Seiten der Christinnen und Christen Als Bedingung für menschliches Zusammenleben ist staatliche Ordnung auch von Gott gewollt. Der Missbrauch dieser Ordnung ist zu fürchten, einem sinnvollen Gebrauch gilt es zu entsprechen. Denn Gottes Wille ist es, dass für Recht und Frieden im öffentlichen Raum gesorgt wird und die Thora ist seine Weisung für eine solch gute Ordnung. Dass Gewaltmonopol des Staates ist zu akzeptieren und Zoll und Steuer sind zu zahlen, damit das allgemeine Wohl befördert wird. Eine ökologisch, sozial und ökonomisch gerechte Gesellschaft bedarf der pragmatischen Rechtsordnung genauso wie das römische Imperium. Auch wenn politisch über die Ziele im Einzelnen gestritten wird, so ist doch eine funktionierende öffentliche Ordnung für die Durchsetzung dieser Ziele unverzichtbar. Gerade in Zeiten des Missbrauchs staatlicher Gewalt ist an ihren von Gott gewollten Sinn zu erinnern.

Hören auf Gottes Weisung

Im Hören auf Gottes Weisung zum Leben wird offenbar, dass die Menschen solche Ordnungen brauchen. Im „Höre, Israel“, das in jedem jüdischen Gottesdienst zitiert wird, geht es um die Liebe zu Gott und die Liebe untereinander, die der Geist allen Zusammenlebens sind. Um im Blick auf die staatliche Ordnung angemessen zwischen dem Guten und dem Bösen unterscheiden zu können, braucht es das Hören auf Gottes Wort. Höre, Israel: als Bundespartner Gottes ist Israel die erste Adresse seines Wortes. Auf ihn, seine Stimme und seine Gegenwart hat dieses Volk sich zu konzentrieren. Es kennt auch die vielen Stimmen, Götterstimmen von Baal und Astarte, von Isis und Osiris, von Dionyssos und Zeus. Es weiß um die Verführbarkeit durch Macht und Stärke, durch Anpassung und Abwendung: die stummen goldenen Stiere, die an Fruchtbarkeit, an Reichtum und Erfolg erinnern und die Gottes Stimme leicht überhören, weil sie im lauten Getriebe von Konsum, Wettbewerb und Marktgeschrei kaum noch zu hören ist. Wer auf Gott hören will, der muss schon die Ohren spitzen, denn die vielen Stimmen, die uns umgeben und die alle etwas von uns wollen, lassen ihn oft kaum zu Wort kommen. Der schnelle Profit ist oft genug wichtiger als langfristige Lösungen, die dem Schutz der Umwelt dienen und auch den kommenden Generationen ein Leben unter menschenwürdigen Bedingungen ermöglichen. Andere Stimmen, die Macht und Aufmerksamkeit versprechen, lenken uns sehr leicht ab vom Hören auf Gottes Wort. Um die Macht der Ablenkung und der Zerstreuung wusste auch Israel von Anfang an. Daher sollte mindestens zweimal jeden Tag die Mahnung zum Hören auf Gott laut und für alle vernehmbar zu hören sein. Aber damit nicht genug: auch an den Händen und zwischen den Augen sollte das „Höre, Israel“ angebracht werden, indem Gebetsriemen und eine Kapsel zwischen den Augen angelegt werden, die Tefillin. Beim Tun und beim Sehen soll das „Höre, Israel“ nicht vergessen werden. Und auch an die Türpfosten wird ein Behältnis befestigt, in dem der Text dieses Bekenntnisses eingewickelt ist, die sogenannte Mesusa. In Herz und Kopf, an Hand und Fuß, beim Schlafen und beim Gehen, beim Tun und beim Ruhen soll dieses „Höre, Israel“ Jüdinnen und Juden ein Leben lang begleiten.

Nachhaltige Ordnung kommt aus dem Hören

Dieses Hören auf Gott ist das beste Gegenmittel zur andauernden Gefahr des Missbrauchs einer guten Ordnung des Zusammenlebens. Hören will immer wieder neu gelernt werden, jeden Tag ist dieses Hören einzuüben, weil wir eine notorische Tendenz zur Schwerhörigkeit haben. Der Frankfurter Rabbiner Samson Raphael Hirsch, der im 19 Jahrhundert die sogenannte Neoorthodoxie begründet hat, die modernes Denken und orthodoxe jüdische Lebensweise miteinander verbinden will, deutet die Mesusa an den Türpfosten jüdischer Wohnungen so: Damit geben Jüdinnen und Juden der Tora, der Weisung Gottes, ein „Haus“, eine Stätte der Verwirklichung in ihrem Leben. „Dieses Haus soll seine ‚Basis‘ auf Erden haben; nicht im Gegensatz zum Irdischen, auf der Erde und an der Erde und mit allem Irdischen erwartet die Tora ihre Verwirklichung.“ Im „Sche‘ma“ vergewissert sich Israel seines Glaubens. Es ist väterliche Unterweisung als Muttermilch, nachhaltige geistige Nahrung für das ganze Leben. Diejenigen, die dem Gehörten folgen, werden gezeichnet durch Tefillin und Mesusa. Als Merkzeichen zwischen den Augen wird der Blick vom Hören des Wortes Gottes gelenkt, ohne dass damit das Sehen eingeschränkt würde. Im Gegenteil: der geübte und gebildete Blick, der geduldig darauf wartet, dass die Anderen sich zu erkennen geben, reicht tiefer und weiter als der oberflächliche Blick, der statt Geboten und Weisungen nur eigene Ansprüche und misstrauisches Beäugen kennt. Dieses Hören auf Gottes Weisung war für Paulus selbstverständlich, so dass er mit nüchtern-pragmatischen Blick die Ordnung des Staates nur als nachhaltige Friedens- und Rechtsordnung begreifen konnte. Untertanengeist und Obrigkeitshörigkeit lassen sich daraus nicht ableiten. Auch Martin Luthers „Zwei-Reiche-Lehre“, die sich auf Römer 13 beruft, speist sich aus einer Funktion des Staates, der als „politischer Gebrauch“ des Gesetzes verstanden wird. Gesetz ist hier auch eher negativ konnotiert: es soll nur das Böse eindämmen. Doch dies ist nicht der gute positive Wille Gottes, von dem Paulus spricht, der eine Gestalt der „frohen Botschaft“, des Evangeliums, für uns Menschen ist. Wer Gutes tut, der wird auf die Dauer die staatliche Ordnung nachhaltig zum Guten verändern. Römer 13 ist also eher als Aufruf zur Mitarbeit an der staatlichen Ordnung zu verstehen, indem die Menschen ihre zivilgesellschaftliche Verantwortung für eine im Hören des Willens Gottes ökologisch und sozial gerechte und friedliche Welt wahrnehmen.

Werner Schneider-Quindeau, Frankfurt am Main