Okuli / 3. Fastensonntag (24.03.19)

Okuli / 3. Fastensonntag


ev. Predigttext kath. 1. Lesung kath. 2. Lesung kath. Evangelium
Jer 20, 7-11a (11b-13) Ex 3, 1-8a.13-15 1 Kor 10, 1-6.10-12 Lk 13, 1-9

Die Autorin wirft angesichts der neuen Perikopenreihe I zunächst einen stärkeren, auch exegetischen, Blick auf Jeremia, gibt aber auch Impulse für Predigten zu Mose, Paulus und Lukas, d.h. den Texten des katholischen Lesejahres.

Genommene Freiheit – „Grauen ringsum“

Die Freiheit Jeremias ist nicht mehr nur bedroht, sondern sie ist ihm genommen worden. Ihm ist im 6. Jahrhundert vor Christus das passiert, was unzähligen Menschen auch heute passiert. Sie machen den Mund auf, werden verhaftet und mundtot gemacht. Wir erinnern uns an die Verhaftung von Denis Yücel in der Türkei.

Das Barometer der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen[1] nennt die Zahl von 178 Journalisten in Haft weltweit für das Jahr 2017. 52 Journalisten wurden getötet. Insofern steht die Meinungs- und Informationsfreiheit als Menschenrecht (Art 19 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte) auf dem Spiel. Darum geht es in verschiedenen Spielarten überall in der Welt, sei es, dass wir die Frage von Fake-News und „Alternativen Fakten“ seit dem Amtsantritt des US - amerikanischen Präsidenten diskutieren müssen, sei es, dass wir drastische Maßnahmen bis hin zur Ermordungen von Umweltschützern auf den Philippinen, Kolumbien und dem Kongo zur Kenntnis nehmen müssen.[2]

Das nachhaltige Entwicklungsziel 16 der Agenda 2030 „Frieden, Gerechtigkeit und stabile Institutionen“ umfasst das Unterziel „Öffentlichen Zugang zu Informationen zu gewährleisten und grundlegende Freiheiten zu schützen, in Übereinstimmung mit nationaler Gesetzgebung und internationalen Abkommen“[3].

In unseren Kirchen, Missionswerken und Entwicklungsagenturen werden der zusehends kleiner werdende Handlungsspielraum der Zivilgesellschaft diskutiert (Shrinking Space of Civil Society) und die Frage, ob die Kirche prophetisch oder pragmatisch anschlussfähig sein muss, um eigene und gesellschaftlich relevante Veränderungsprozesse anzustoßen und durchzusetzen.

Mit Blick auf Jeremia ist klar: Wir brauchen auch heute eine starke Prophetie, die für Gott ‚brennt‘ und mutig bekennt (vgl. auch Ex 3, 1-8a. 13-15).


Jer 20,7–13

Jeremia ist von seinem Kollegen und Verantwortlichen am Tempel, dem Priester Paschhur, wegen seiner Verkündigungstätigkeit in ein Foltergerät eingesperrt, gefoltert und öffentlich ausgestellt worden (Jer 20,1-3). Das bildet den Anlass für die letzte, fünfte sog. Konfession Jeremias, ein Klagegebet (Jer 20,7-18).

Es ist ein „Bekenntnis“ in dem Sinne, dass Jeremia mit seiner psychischen Verfassung angesichts der Geschehnisse an einer Grenze steht und dies ganz zwangsläufig mit Gott zu tun hat: „Du bist mir zu stark geworden“ (V7). In einer sehr stringenten Klage spricht Jeremia von der schockierenden Gewalt, die seine Gegner ihm antun. Es ist verbale und körperliche Gewalt, die er erleidet. Er leidet, weil er „Grauen ringsum“ (V 10) verkündet. So versteht ihn die Bevölkerung sicherlich zu Recht, denn er verkündet den Untergang der Stadt Jerusalems und ihrer Bevölkerung.

Unser Text fällt in die Periode der Wirksamkeit Jeremias zur Zeit der Regierungszeit Jojakims bis zur ersten Einnahme/ Übergabe Jerusalems (ca. 608/7- 597 v.Chr.).[4] Jeremia tritt mit der Tempelrede (Jer 7) öffentlich bei Regierungsantritt Jojakims auf, eines der letzten Könige des Südreichs, und gerät daher in heftige Konflikte, wie es zuvor nicht der Fall war. Jojakim hatte sich Nebukadnezar von Babylonien unterworfen, fiel ab und musste daher 597 v. Chr. Jerusalem übergeben und in die Verbannung gehen.

Jeremia leidet persönlich an der drohenden ‚Übergabe‘, und er leidet um Gottes willen, denn der gleichsam Jeremia misshandelnde Auftrag kommt von Gott. Und obwohl sein Gottesverhältnis im Grunde zerbricht, das er nahezu als Missbrauchsverhältnis beschreibt, kann er es dennoch nicht lassen, auf Gott zu vertrauen (V9 + V11). Er fühlt sich von Gott „verführt“(V7)[5]; wenn er es allerdings unterlässt zu sprechen, „brennt es“ in seinem „Herzen wie Feuer“(V9; vgl. Jer 23,29). Es ist wie ein Zwang, der auf ihm liegt, zu reden (vgl. 1.Kor 9,16 „Ich muss es tun.“) Sein Umgang mit Gott ist ungewöhnlich, „bis dahin, dass er Gott angreift“[6]. „Ich will seiner nicht mehr gedenken“(V9) ist mehr als „Ich will nicht mehr in seinem Namen reden“[7], d.h. sein Prophetenamt aufgeben. Jeremia denkt aber nur daran („Dachte ich aber“ V9). Und daher ist Gott für ihn letztlich doch wie „ein Held“, „ein starker, kraftvoller Mann (BiGS)[8]“ (V11), der ihm beisteht. Die Rache liegt definitiv bei Gott, nicht bei Jeremia. Die Schilderung seines durchgängigen Leidens und Klagens ist mit einem gewaltigen Ringen mit Gott verwoben. Jeremia „ragt darin heraus, dass er dieser ‚inneren Seite‘ des äußeren Leidensweges erhöhte Aufmerksamkeit schenkt.“[9] V13 ist als Abschluss der Gemeinde vermutlich zugesetzt.[10]

Geschenkte Freiheit - Ex 3, 1-8a.13-15

Mose sieht den brennenden Dornbusch, der nicht verbrennt, und will die Erscheinung erforschen (Ex 3,4). Gott greift ein, um zu verhindern, dass Mose sich dadurch schadet. Hier begrenzt Gott Freiheit. Die Selbstvorstellung Gottes wird mit der Geschichte Abrahams, Isaaks und Jakobs und ihrer Familien (Gottheit eurer Vorfahren V 13) sowie der künftigen Befreiung des Volkes aus Ägypten verwoben (V8a). Interessant auch der Vers 10 „Jetzt ist Schluss“. Hier ermöglicht Gott Freiheit. Und hier könnte der ‚prophetische Mose‘ stark gemacht werden, den die Leseordnung durch die Auswahl der Verse leider nicht so vorgesehen hat („Wer bin ich denn, dass ich so einfach zum Pharao gehen könnte?“ V11). Mit dem Symbol Feuer kann die Predigt aber auch die lebensschaffende Wirkung Gottes im Ausloten der Begrenzung und Ermöglichung von Freiheit ausmalen. Mutige Predigerinnen und Prediger könnten sich des Themas Israel und Palästina annehmen. Mit den Stichworten „Gaza als Freiluftgefängnis“ und „neuer Antijudaismus und Antisemitismus in Deutschland“ liegen brennende Konfliktthemen auf der Hand.

Die Grenzen der Freiheit 1.Kor 10,1-6.10-12

Paulus erinnert an den Weg, der der Befreiung aus Ägypten folgte, und mahnt die selbstgewählte Begrenzung der Freiheit an, die Gott gefällt. Der eschatologisch ausgerichtete Text kritisiert Macht aus dem Blickwinkel des kommenden Endes der Welt. Die messianische Gemeinde („Der Fels aber war der Messias“ V5) hat andere Prioritäten als „nach den bösen Dingen gieren“ V6 und „zu murren“ V10. Es geht hingegen um das Gedächtnis der Freiheit und eine Erinnerungskultur, die Lernprozesse ermöglicht („damit wir uns erinnern und davon lernen“ V11). Das ließe sich anhand einer Predigt zum 90.Geburtstag von Dr. Martin Luther King jr, des 50.Todestags von Dominique Pire oder des 840.Todestags von Hildegard von Bingen darstellen.

Eine Chance für die Freiheit - Lk 13,1-9

Jesus erzählt das Gleichnis vom unfruchtbaren Feigenbaum, um Menschen eine Chance auf Veränderung zu geben. Theologisch geht es um das Motiv der Umkehr. Es handelt sich um lukanisches Sondergut. Pilatus hatte ein Massaker an galiläischen Festpilgern im Tempel angerichtet, und Jesus reagiert, unter anderem, indem er das bekannte Gleichnis erzählt. Ein Feigenbaum hat schon drei Jahre keine Früchte getragen. Da Feigenbaume oft gemeinsam mit Weinstöcken angebaut und zu einer Laube hochgebunden wurden, kommt der Winzer ins Spiel. Er will zunächst noch einmal düngen und das Ende des Feigenbaums so noch einmal vertagen.

Chancen eröffnen für das Überleben - Was heißt das für unser Zeitalter, dem Leben im Anthropozän, mit der Aussicht darauf, dass 50% aller Arten bis zum Jahr 2030 ausgestorben sein können und damit langfristig über einige Generationen hinweg auch das Überleben der Menschheit in Zweifel gezogen werden kann. Hat die Menschheit noch die Chance zur Umkehr? Lässt ihr das System noch die Freiheit zur Umkehr? Hat sie genug politischen und persönlichen Willen zur Transformation des ökologischen Desasters, das Menschen, insbesondere in den Industrienationen, jeden Tag anrichten und damit die Generationenfolge abzuschneiden drohen? Die Predigt könnte vom Verzicht reden, um nicht „zugrunde zu gehen“ (V 5), und sie könnte überlegen, wie die Menschheit künftig in der Schöpfung Gottes „den Boden ringsum graben und Dünger“ (V 8) geben sollte, um sich nicht in naher Zukunft jeglicher Früchte zu berauben.

Anja Vollendorf, Düsseldorf

[4] Zur historischen Einordnung: Schmidt, Werner H, Das Buch Jeremia. Kapitel 1-20, ATD20, Göttingen, 2008, 5

[5] Werner H. Schmidt übersetzt „betören“: Schmidt, Werner H, Das Buch Jeremia. Kapitel 1-20, ATD20, Göttingen, 2008, 333

[6] Fischer, Georg, Jeremia. Prophet über Völker und Königreiche, Leipzig 2015, 248

[7] Werner H. Schmidt setzt dies gleich, s.o.

[8] Bibel in gerechter Sprache

[9] D.h. im Vergleich zu anderen Propheten, in Fischer, Georg, Jeremia. Prophet über Völker und Königeiche, Leipzig, 150

[10] Schmidt, Werner H, Das Buch Jeremia. Kapitel 1-20, ATD20, Göttingen, 2008, 337 „Fordert er die Gemeinde, der die prophetische Überlieferung – wohl im Gottesdienst – verlesen wird zum Dank auf, dass Jeremia aus der Not errettet wurde?“