Letzter Sonntag im Kirchenjahr / Christkönigssonntag (24.11.19)

Letzter Sonntag im Kirchenjahr / Christkönigssonntag


ev. Predigttext kath. 1. Lesung kath. 2. Lesung kath. Evangelium
letzter Sonntag: Mt 25, 1-13
Totensonntag: Joh 5, 24-29
2 Sam 5, 1-3 Kol 1, 12-20 Lk 23, 35-43

1. Mt 25, 1-13 (letzter Sonntag im Kirchenjahr)

Mit diesem Sonntag endet nach der kirchlichen Überlieferung das Bedenken der Wirksamkeit Jesu auf Erden. Nach Matthäus 23-25 schließt Jesus diese mit einer letzten (von 5) großen Rede ab. In Mt 23 schilt Jesus Schriftgelehrte und Pharisäer, die die Tora lehren, ihr aber nicht folgen. Und das im Horizont apokalyptischer Katastrophen und Bedrängnisse. Jesus kündigt das nahe Ende an (Mt 24, 32-34), dessen Tag und Stunde aber auch ihm nicht bekannt ist (V 36). So bleibt die wiederholte und eindringliche Mahnung zur Wachsamkeit und zu treuer Haushalterschaft (stewardship) (Mt 24, 45-51, 25, 14-30 und 25, 34-40).
Dazwischen die Allegorie von den klugen und den törichten Jungfrauen (die Übersetzung lässt auch „junge Frauen“ zu), deren Auftreten integraler Bestandteil des Empfangs des Bräutigams ist. Wie in den vorauf gegangenen Passagen sind wir mit dem Umstand konfrontiert, dass das Kommen des Bräutigams/Menschensohnes (vgl Mt 24, 23-31) unberechenbar ist. Wenn also über Nachhaltigkeit nachgedacht wird, dann gewiss nicht in den uns heute geläufigen Kategorien.
Die jungen Frauen oder Jungfrauen sind in dieser weisheitlichen Allegorie die Gemeinde der Christusgläubigen; die Fackeln (vgl Mt 5, 14-16 und Ps 119, 105) stehen für die tätige Nachfolge Christi. Der Umstand, dass sich das Kommen des Bräutigams verzögert (Parusieverzögerung?) und deshalb alle Frauen schlafen, ist nicht von Bedeutung; wohl aber, dass die fünf törichten Frauen nicht an eine solche Möglichkeit gedacht haben und beim entscheidenden Augenblick außen vor stehen. Das Öl steht wahrscheinlich für die geistliche Energie und Ausdauer zum Tun guten Werke (vgl Mt 7, 21-23), ohne die die Tora sprachlos bleibt. Wer also das Tun des Willens Gottes im Warten auf sein Kommen vernachlässigt, steht unter demselben Verdikt wie die von Jesus gescholtenen Pharisäer und Schriftgelehrten (vgl am Ende der Bergpredigt Mt 7, 21).
Uns erscheint heute die Vorstellung einer kosmischen göttlichen Wiederkunft eher fremd, wenn uns auch die „apokalyptischen Wehen“ bedrängend nahe kommen. Der christliche Glaube ist landläufig individualistisch geworden, auch bezüglich Tod und Auferweckung.
Jesu Verkündigung und auch sein Tod finden aber im öffentlichen, politischen Raum statt, betreffen programmatisch das ganze Universum. Deshalb müssen auch die Treue zu seiner Lehre und das Tun seines Willens im politischen Kontext verstanden werden. Aus einem weltgeschichtlichen Drama dürfen wir kein Kammerspiel machen. Nachhaltige Christusnachfolge bedeutet also für uns zunächst, uns erneut der Dimensionen bewusst zu werden, in denen wir als Gemeinden und Kirchen handeln sollen. Der Einsatz für die Wahrung der Menschenrechte, für Gerechtigkeit, Frieden und die Bewahrung der Schöpfung endet nicht an den Gemeindegrenzen. Die Tora, die Weisung Gottes bzw. Jesu, sagt uns eine ganze Menge z.B. zum Umgang mit der Schöpfung Gottes, zu Landwirtschaft und Viehzucht, Akkumulation von Land, Kapital und Macht, zu Sozialgesetzgebung, zu Korruption und Demagogie, zu Konfliktbewältigung und zum Verständnis von Gerechtigkeit. Letztere bewährt sich nach der biblischen Überlieferung im Engagement für die „Geringsten“. Und schließlich bedeutet nachhaltige Christusnachfolge, auch angesichts von Kritik, Diskriminierung und vielleicht sogar Verfolgung die Hoffnung auf die endgültige und befreiende göttliche Intervention nicht aufzugeben.


Joh 5, 24-29 („Totensonntag“/Ewigkeitssonntag)

Für eine angemessene Predigtvorbereitung ist die Lektüre von Klaus Wengst; Bedrängte Gemeinde und verherrlichter Christus – Ein Versuch über das Johannesevangelium und von Hartwig Thyen: Das Johannesevangelium, m.E. unabdingbar.
Wengst weist nach, dass die Botschaft des Johannes-Evangeliums auf dem Hintergrund einer von Vespasian autorisierten Reorganisation eines gemäßigten und politisch weitgehend abstinenten Rabbinats (Synthese aus Pharisäern und Schriftgelehrten) nach dem jüdischen Krieg und der Zerstörung des Tempels verstanden werden muss. Dieses Rabbinat übte auch religiöse Hoheitsakte mit sozialen Konsequenzen aus, darunter den Bann und die Verstoßung aus der Synagoge. In der reorganisierten mehrheitlich jüdischen Bevölkerung bedeutete das auch das wirtschaftliche Aus. Als Ketzer waren die Christus-Gläubigen in einer prekären Lebenssituation und bedurften des argumentativen und seelsorglichen Zuspruchs des Evangelisten, um an ihrer Treue zu Christus nicht irre zu werden.
Thyen hilft mit seiner akribischen exegetischen Analyse, herkömmliche hermeneutische Raster zu überwinden (z.B. bzgl präsentische Eschatologie und Menschensohn-
Theologie) und den Text in seiner Differenziertheit zu verstehen.
Jesus verheißt denen, die seinem Wort vertrauen, schon jetzt ewiges Leben jenseits des Gerichts (V 24), will sagen: jenseits der göttlichen grundsätzlichen Infragestellung ihrer Existenz. Unter dem Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit bedeutet es für ein Gemeindeglied in der o.g. prekären gesellschaftlichen Situation, „in der Liebe Christi“ und das heißt auch in der christlichen Gemeinde zu bleiben und ein qualitativ neues, unentfremdetes (ewiges) Leben nicht um einer zeitlichen Erleichterung willen zu verspielen (Kontrastgesellschaft).
Jesus weist dann in 25 und 26 auf einen weiteren Horizont des kommenden ewigen Lebens hin: die johanneischen Wundergeschichten, die in der Auferweckung des Lazarus kulminieren, sind der Beginn einer kosmischen Transformation. Der Mensch Jesus ist der von Gott autorisierte Richter über ewiges Leben oder ewige Verdammnis. Die Transforma-tion ist eine kosmische, weil alle Lebewesen seit der Erschaffung der Schöpfung einbezogen sind (siehe auch Joh 1,1-17). Ausdrücklich heißt es: nicht Gott richtet, sondern der von Gott autorisierte Mensch, der alle Versuchungen und Gefährdungen und Schwierigkeiten des Lebens am eigenen Leibe erfahren hat (vgl dazu Hebr 2, 17f und 4,15) und deshalb angemessen zu richten weiß. Als guter Hirte, Brot des Lebens, Licht der Welt, als ewiges Leben in Person wird Jesus im Johannesevangelium der bedrängten Gemeinde vor Augen gemalt. Er motiviert die Glaubenden, schon jetzt ein Leben in kreativer Liebe zu führen, selbst wenn es mit Anfechtung und Leiden verbunden ist. Wie auch im Hebräerbrief wird eindringlich darauf hingewiesen, dass dies nur in der Gemeinschaft der Gemeinde möglich ist (vgl auch R 14, 7f).
Auf den Philippinen entstand im Kampf gegen den Diktator Marcos der Ausdruck „productive suffering“. Es geht um bewusst angenommenes Leiden im Dienste eines neuen, besseren (ewigen) Lebens. Zeugnisse Inhaftierter im Widerstand weisen uns auf die Realität des ewigen Lebens selbst – oder gerade - angesichts von Folter und Tod hin. Genuine mystische Erfahrungen, so auch Dorothee Sölle, sind eine Schwester des Kampfes um ein gutes Leben für Andere. Esoterik und Selbstfindungs-Wochenenden haben mit der johanneischen Rede vom ewigen Leben nichts zu tun. Der Totensonntag oder Ewigkeitssonntag ist dazu da, uns eingedenk der göttlichen Vollendung zur Mitte des Lebens zu leiten: zur Nachfolge des leidenden und verherrlichten Menschen Gottes. Nachhaltigkeit bedeutet in solcher Situation, mit einer Perspektive zu leben. In einer Metapher: wie immer es in den kommenden Jahren um den Zustand unserer Erde beschaffen sein mag, Christus treue Gemeinden sind wie die Zellen in der Raupe, aus denen der Schmetterling entsteht. Die Raupe stößt zunächst die Zellen ab, die zur Meta-morphose führen, bis sie ihre Immunreaktion aufgibt und die sich ständig vermehrenden Zellen des neuen Wesens ein intelligentes Konglomerat bilden, aus dem das farbenfrohe Leben des Schmetterlings entsteht.


Lk 23, (27-31) 35-43 (Festsonntag in der röm.kath. Kirche, in den anglikanischen Kirchen und in vielen englischsprachigen lutherischen Kirchen: „Hochfest unseres Herrn Jesus Christus, des Königs des Weltalls“)

Das Christkönigsfest entwickelte sich nach den Gräueln des 1. Weltkriegs und dem Ende einer monarchisch-imperialen Epoche, in der Kaiser und Könige oft als Stellvertreter Christi auf Erden auftraten, als demonstrative Feier der Königsherrschaft Gottes bzw. des erhöhten – kosmischen – Christus. Dabei wird die Passion Christi nicht unterschlagen, sondern, wie der Evangelientext zeigt, ausdrücklich als Merkmal des Königtums Christi thematisiert. Kirchliche Christusdarstellungen seiner Auferstehung und seiner himmlischen Herrschaft haben die Wundmale des leidenden und für die Sünden der Welt sterbenden Jesus nie verdrängt. So wird ikonografisch sinnenfällig, dass Leiden an der Welt und Sterben für die Welt unauslöschliche Merkmale göttlicher Majestät sind.
Vorbemerkung zu Vv 27-31 zum besseren Verständnis von Vv 35-43: der Lukastext, der hinsichtlich des römischen Imperiums apologetische Züge hat (vgl. in Lk 23 die Darstellung des Pilatus), stellt, anders als Mt und Mk, im Prozess und bei der Kreuzigung Christi auch das jüdische Volk positiv dar: betroffen und empathisch. Wichtig: die Frauen werden eigens genannt. Ob die Worte in den Versen 28-31 von Jesus selbst gesprochen wurden, ist sehr fraglich. Sie sind eher eine theologische Verortung des Evangelisten. Der katastrophale jüdische Krieg 66-73 n.Chr. und die Zerstörung des Tempels, des religiösen und finanziellen Zentrums der Judenheit in Palästina und in der Diaspora, werden als Konsequenz des Versagens der jüdischen Elite ins Kreuzesgeschehen hinein gezeichnet. Sie hat mit allen zu Verfügung stehenden Mitteln Jesus, ihren König, ans Kreuz gebracht und Barrabas dafür auslösen lassen. An die Stelle der Option für gewaltfreien Widerstand tritt 66 n.Chr. in der Tat die Option für einen politischen Aufstand mit militärischen Mitteln. Das ist die Katastrophe, die Jesus den Frauen auf die Seele legt. Die Bergpredigt, die messianische Regierungserklärung Jesu, proklamiert zentral Gewaltverzicht und Feindesliebe, und sie  wurde vom Sohn Gottes selbst praktiziert, bis hin zum Aushalten des Todes am Kreuz. Die jüdischen Oberen meinten einstweilen taktieren und mit korrupter Kollaboration dem Volk die Unterdrückung durch Rom irgendwie erträglich machen zu können.

Zum Predigttext (35-43): mit der Kreuzigung zwischen zwei Verbrechern erfüllt sich nach Lk die „Gottesknechts-Tradition“, hier Jes 53,12. Unterstrichen wird die Schande, als rechtskräftig verurteilter Verbrecher das Leben beenden zu müssen, aber m.E. auch die
die Solidarität, die Jesus selbst in der allergrößten Ohnmacht (40-43) dem reuigen Verbrecher zur Rechten erweist. Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Zwei im bewaff-neten Partisanenkampf aufgegriffen und als Staatsfeinde zur Kreuzigung verurteilt wurden. Der reuige zeigt Respekt vor dem gekreuzigten Christus und scheint zu erahnen, dass hier ein besonderer Mensch neben ihm leidet. Wie der Hauptmann in 23, 47 wird er, im Abgrund, Zeuge für die Validität des Weges Jesu. Und er erhält von Jesus mehr, als er erbeten hat: die Zusage der Gemeinschaft im Paradies.
Der Verstockte, die Vornehmen des Volkes und die Soldaten zeigen in dieser einzigartigen Situation ihre Ignoranz bzw. ihre Verhärtung. Dass Soldaten so handeln, ist Teil ihres Selbstschutzes, also eine beruflich bedingter Defekt. Die spöttische Aufforderung, seine Autorität durch eine demonstrative Befreiung aus der Situation zu legitimieren, ist in der Geschichte Jesu (so schon angedeutet in der Versuchungs-Erzählung) indessen der entscheidende „Test“. Will Gott eine militärische Intervention gegen das Gewaltregime des Imperium Romanum, oder will er die qualitative Transformation des Menschen und der Gesellschaft durch zivilen Ungehorsam? Wir erfahren in der Menschheitsgeschichte, dass Veränderungen mit militärischen Mitteln in den meisten Fällen keine Verbesserung der Lebensqualität für die Völker brachten. Die Schattenseite vieler bewaffneter Befreiungsbewegungen war und ist, dass die Logik der Gewalt korrumpiert (z.B. Nicaragua, Chile, Philippinen, Namibia).
So wird dieser Spott von Jesus nicht beantwortet, weil von den Spottenden keine ernsthafte Kommunikation wie die zwischen Jesus und dem Schächer zur Rechten erwartet wird.
Was von Jesus in 43 überliefert wird, lässt sich nicht so leicht interpretieren. Wir wissen nicht, ob das Paradies identisch mit dem Reich Gottes oder eine „Vorstufe“ ist. Für uns entscheidend ist die Botschaft, dass auch in letzter Minute Reue möglich ist und von Gott ernst genommen wird. Und dass Gott in Christus dem Reuigen ein Glück verheißt, welches die kränkende Verletzlichkeit der conditio humana“ transzendiert. Das wäre unter „Nachhaltigkeit des göttlichen Erbarmens“ zu verorten.
Entscheidend ist auch in diesem Text: nur gewaltfreie Veränderungen und Bekehrungen zur Gewaltfreiheit haben eine System transzendierende Perspektive.

Da die alttestamentliche Lesung aus 2 Sam 5, die Vv 1-3, und die Epistel-Lesung Kol 1, 12-20, in aller Regel im Gottesdienst nicht ausgelegt werden, habe ich auch auf Gedanken zu diesen Texten verzichtet.

Dr. Wilfried Neusel, Bonn