18. Sonntag nach Trinitatis / 26. Sonntag im Jahreskreis
ev. Predigttext | kath. 1. Lesung | kath. 2. Lesung | kath. Evangelium |
Röm 14, 17-19 | Am 6, 1a.4-7 | 1 Tim 6, 11-16 | Lk 16, 19-31 |
Ach, ich liebe Amos, diesen Früh-Attac’ler.
Er zeigt den Zustand der menschlichen Gesellschaft, die Versuchungen, denen die Menschen immer wieder erliegen. (Am 6, 1a.4-7)
Seine „Attac-en“ gegen die Bourgeoisie seiner Zeit können ohne Abstriche für heute übernommen werden. Und das ist das Deprimierende: Nichts hat sich geändert in knapp 2800 Jahren! Auch nicht die Ausgrenzung der der Propheten. Warum sonst musste beim gerade vergangenen Kirchentag in Stuttgart ein Friedenszentrum außerhalb des offiziellen Programms angesiedelt werden?
Seine Attacken sind lästig, für das weltliche wie für das geistliche Establishment. Der König will ihn nicht hören und der Priester legt ihm nahe, dahin zurückzugehen, wo er hergekommen ist. Ich habe vor 3 Jahren rund um Amos geschrieben: (http://www.nachhaltig-predigen.de/index.php/predigtanregungen/2012-13/16-predigtanregungen-13-14/die-zeit-im-jahreskreis-trinitatis/77-17-sonntag-nach-trinitatis-25-sonntag-im-jahreskreis-22-9-13)
Für dieses Mal bin ich an Amos 6,6b hängen geblieben: „…aber (ihr) bekümmert euch nicht um den Schaden Josefs.“ – Schaden Josefs? Andere Lesart „Untergang Josefs“. „Josef“ stehe an einigen Stellen des 1. Testamentes für „Israel“, das Nordreich nach der Teilung des Salomonischen Gesamtreiches, lese ich in einem Kommentar. Also geht es hier um eine Kritik am gegenwärtigen Zustand des Nordreiches, in dem die Oberschicht prasst, ohne sich Gedanken über die Zukunft zu machen.
Was aber ist „der Schaden Josefs“? Er wurde in die Zisterne geworfen von seinen neidischen Brüdern. Er war der Lieblingssohn Jakobs, der Erstgeborene seiner Lieblingsfrau Rahel. 10 Söhne hatte Jakob bereits mit Lea, mit Rahel nur noch zwei, Josef und Benjamin.
Josef war begabt und wußte das. Außerdem war er eine „Petze“, wenn es darum ging, Verfehlungen seiner Brüder beim Vater anzuzeigen. Das ging so weit, daß er nicht nur davon träumte, der Größte unter den Brüdern zu sein, sondern das auch noch lauthals hinaus krakeelte. Die waren ihn leid, sperrten ihn bei passender Gelegenheit in eine leere Zisterne, die er dann letztlich als verkaufter Sklave wieder verlassen konnte.
Aber die Wege des Herrn sind unergründlich. Josef kann mit seinem Talent, Geschick und offenbar vom Vater grundgelegte ordentliche Portion Urvertrauen auch im Ausland Karriere machen. Als Migrant/Verschleppter kann er gleichwohl beim König Eindruck machen und wird zum Regierungschef ernannt. Gemäß seinem Regierungsplan baut er ein System der Versorgungssicherheit in Ägypten auf.
Er mußte keine Zeugnisse vorlegen, übersetzt auf ägyptisch von einem vereidigten Dolmetscher, er wurde einfach gemäß seiner Fähigkeiten integriert. Und das kam nicht nur seiner Aufnahme-Gesellschaft Ägypten zugute, sondern auch seinem Herkunftsland und ganz direkt seiner eigenen Großfamilie.
Diese Erfolgsgeschichte ist jedoch mit viel Leid erkauft: Menschenhandel, Versklavung, Rufmord, Knast. Das Sprichwort dazu lautet: Hochmut kommt vor dem Fall.
Einen solchen Hochmut der israelitischen Oligarchen geißelt Amos.
Einen solchen Hochmut der industrialisierten Welt geißeln heute viele eher säkulare Propheten. Die Kirchenoberen kuscheln ja lieber mit den herrschenden Eliten, auf Katholiken- und Kirchentagen.
Die endlichen Rohstoffe werden verprasst, dabei noch die Umwelt vergiftet, zerstört. Nur das Beste ist gut genug, jedes Jahr ein neues Handy. Wir Europäer/Nordamerikaner werden vielleicht nicht „gefangen weggeführt“, aber auch für uns wird „das Schlemmen der Übermütigen aufhören“. Wir werden teilen lernen müssen, es wird uns aufgezwungen werden. Unsere heile Welt wird ein Ende haben. Wir werden nicht weggeführt, aber andere werden „zugeführt“, wir werden Verzichten lernen müssen.
Verzicht ist mehr als die Abgabe eines alten Fahrrads oder der ausrangierten Küche, ist mehr als die Kanalisierung von überflüssig Gewordenem. Verzicht wird erst dann ernsthaft, wenn wir bereit sind, zur Linderung von Not von unserer Substanz abzugeben.
Vor über dreißig Jahren wurde einmal das Ziel formuliert, daß die Staaten 0,7% ihres BIP für die Entwicklung armer Staaten bereitstellen. Das hat unsere Politik zu keiner Zeit erreicht. Dafür aber schafft sie es, wieder Milliardensummen für neue Raketensysteme ins Auge zu fassen.
„Wenn wir aber Nahrung und Kleider haben, so wollen wir uns daran genügen lassen. Denn die reich werden wollen, die fallen in Versuchung und Verstrickung und in viele törichte und schädliche Begierden, welche die Menschen versinken lassen in Verderben und Verdammnis“ (1 Tim 6, 8f). Schade, dass diese Perikope nicht zur Lesung gehört, erst die darauf folgende Zusammenfassung: „Jage aber nach der Gerechtigkeit, der Frömmigkeit, dem Glauben, der Liebe, der Geduld, der Sanftmut!“ (1 Tim 11ff).
Unsere reiche Welt ist ein Skandal, weil sie auf Kosten anderer aufgebaut ist. Der Reiche ist nicht an sich ein Problem, er wird es durch die Nichtachtung des Armen, so jedenfalls in der Lazarus-Geschichte (Lk 16, 19-31). Und wenn dann heute die Lazarusse unserer Zeit vor dem Portal unserer reichen Welt liegen bleiben, dann lecken nicht Hunde ihre Geschwüre, sondern die Wellen lecken an ihren Nussschalen auf dem Mittelmeer, und Flammen lecken an möglichen Unterkünften für sie.
Zur Ehrenrettung ist zu sagen, dass sich viele Menschen auf den Weg machen, hin zu Lazarus. Brotsamen vom Tisch von uns Reichen werden aber das Totenreich nicht verhindern, das kann nur ausgleichende Gerechtigkeit. Deshalb steckt der Reiche im Totenreich und Lazarus sitzt mit Abraham zu Tisch.
Die Wochenzeitung „Die Zeit“ titelte vor einigen Wochen: Wir wollen nicht, daß sie ertrinken – wir wollen nicht, daß sie kommen – was sollen wir tun?
Die vielen Religionen haben darauf nur eine Antwort: Behandle Deinen Mitmenschen so, wie Du selbst behandelt werden möchtest.
Der jüdische Religionsphilosoph Martin Buber stellt in seinem dialogisch-philosophischen Entwurf von „Ich und Du“ fest: Jeder Mitmensch ist ein Anfrage Gottes an mich. –
Ich möchte verschärfen: In jedem/r Hilfesuchenden tritt mir Gott gegenüber, fordert Gott mich heraus. Deshalb können religiöse Menschen nicht anders als: teilen. Deshalb müssen religiöse Menschen fordern: „Macht hoch die Tür, die Tore macht weit.“
Und was passiert, wenn wir das tun?
Werden wir überrannt von all den nach Europa „Geschleppten“?
Werden wir ausgesaugt, von all den Urlaubern in unseren „sozialen Hängematten“?
Werden wir entfremdet, von all den Religions- und Kultur-Invasoren?
Nein, wir Christinnen und Christen singen jedes Jahr: Wenn wir tatsächlich die Tür hochmachen, und die Tore weit, dann kommt der Herr der Herrlichkeit, ein König aller Königreich, ein Heiland aller Welt zugleich, der Heil und Leben mit sich bringt; - und dann werden wir aufgefordert: „Derhalben jauchzt, mit Freuden singt: Gelobet sei mein Gott, mein Schöpfer reich an Rat.“
So singen wir Christinnen und Christen oft gedankenlos und folgenlos vor uns hin - und lassen zu, daß unsere aller-christlichsten Politiker*innen die Türen runterziehen und die Tore eng machen, – weil wir selbst nicht glauben, was wir da singen.
Der Mitmensch – ein Anruf Gottes?
Der Schutzsuchende eine Herausforderung Gottes?
Der Herr der Herrlichkeit, der König aller Königreich, der Heiland der Welt kommt uns tatsächlich in den Menschen entgegen, die in unsere Tür drängen?
In den Menschen, die zu uns kommen, den Anruf Gottes sehen, eine Herausforderung Gottes erkennen – das müßte uns Christinnen und Christen flächendeckend in Bewegung setzen.
Einige stemmen sich gegen die Gedankenlosigkeit und Kleingläubigkeit – und, so Gott will, werden das immer mehr, die an den reichen Rat ihres Schöpfers glauben.
Wir haben Mose und die Propheten, an die wir uns halten können und dazu noch Jesus, unseren Christus.
Johannes Borgetto, Mainz