Tag der Geburt Christi / Christfest I / Weihnachten
ev. Predigttext | kath. 1. Lesung | kath. 2. Lesung | kath. Evangelium |
Tit 3, 4-7 | am Morgen: Jes 62, 11-12 am Tag: Jes 52, 7-10 |
am Morgen: Tit 3, 4-7 am Tag: Hebr 1, 1-6 |
am Mo.: Lk 2, 15-20 am Tag: Joh 1, 1-18 |
„Das Wort wird Fleisch" (Joh 1, 1-17)
Weihnachten – da denken wir doch zuerst alle an die Weihnachtsgeschichte, die am Heiligabend gelesen wird: Maria und Josef, das Jesuskind, die Hirten, Ochs und Esel im Stall. Diese uns allen bekannte Geschichte ist anschaulich, bildhaft und für jeden vorstellbar. Und nun dieser abstrakte Text. Das Johannesevangelium beginnt nicht mit der Geburt Jesu, die wir bei Lukas lesen, auch nicht mit dem Stammbaum Jesu wie bei Matthäus, sondern mit einer theologischen Spekulation über das Wort, über Gott, über das Licht und die Welt. Ganz schön abgehoben, oder? „Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt." Dieser Satz ist wie wohl kein anderer der Schlüsselsatz des eben gehörten Textes. – Man kann sogar sagen, der Schlüsselsatz des gesamten Johannesevangeliums.
Das Wort – eine geistige Größe, die Sinn und Bedeutung hat – ist Fleisch geworden, also etwas rein Körperliches, Leibliches, Weltliches.
Es fällt uns nicht schwer, den biblischen Gott mit dem Begriff „Wort" in Verbindung zu bringen. Schon in der Schöpfungsgeschichte heißt es: „Gott sprach: Es werde Licht – und es wurde Licht." Gott erschafft durch sein Wort. Mose offenbarte er sich im brennenden Dornbusch durch die Worte „Ich bin da." Gott zeigt uns sein Wesen durch Worte. Und er gibt uns seine Gebote durch Worte, die wir Menschen verstehen können. Gott wirkt durch Worte, er offenbart sich durch Worte, er tritt in Worten mit uns in Beziehung. Das Wort ist von göttlicher Art, es ist göttlich.
Und das Fleisch? Die Tatsache, dass in Jesus Christus das göttliche Wort menschliche Natur annimmt, eröffnet dem Menschen ganz neue Dimensionen. Wenn das göttliche Wort Mensch wird, dann finden wir die Dimension des Göttlichen nicht mehr nur in Worten, Gedanken, Theorien und Gebeten, sondern dann finden wir das Göttliche IN DIESER WELT.
Durch die Menschwerdung Jesu sagt Gott uns zu, dass sein Wesen nicht fernab der Welt, quasi über den Wolken im Himmelreich, sondern ganz nah bei uns, inmitten dieser Welt zu finden ist. Gott will Teil dieser Schöpfung sein. Dass Gottes Wesen nicht etwas rein Geistiges ist, sondern dass er genau hier in unserer Mitte wohnen will, gibt uns als Menschen, aber auch der gesamten Schöpfung, eine göttliche Dimension. Wenn wir uns das bewusst machen, verleiht das dem Menschen eine ungeheure Würde. Nicht nur dem Menschen, sondern der gesamten Schöpfung.
„Das Wort inkarniert in der Schöpfung"
Das hat Konsequenzen auf unseren Umgang mit uns selbst, aber auch auf unseren Umgang mit allen Geschöpfen, mit unserer Umwelt. Wer Gott die Ehre geben will, der tut dies gerne im Gebet, in der Anbetung, in einem gottgerechten, aufrichtigen und moralischen Leben. Vergessen wir aber dabei nicht, dass Gott auch ganz konkret in dieser Welt zu finden ist. Viele erleben dies bei einem Spaziergang im Wald, bei einem überwältigenden Sonnenuntergang oder wenn man durch die Schönheit der Schöpfung Gott näher kommt oder ihm dafür Danke sagt. Vergessen wir aber auch nicht die andere Seite: dass Gott auch Teil der hässlichen Seiten dieser Welt wurde und somit teilhat an den Schmerzen, die wir Menschen unserer Umwelt zufügen. Dass er Anteil hat an den Wunden, die wir der Natur zufügen – auch durch unser tägliches Konsumverhalten. Wenn Gott Teil der Schöpfung und Mensch geworden ist, dann hat er auch Anteil an den Entwürdigungen, die Tag für Tag Menschen erleiden müssen, sei es durch Rassismus oder Verfolgung, aber auch durch ganz alltägliche wirtschaftliche Tatsachen wie Ausbeutung von Arbeitern hier in Deutschland oder in Billiglohnländern in Osteuropa oder in Asien. Wie können wir an die Menschwerdung Gottes glauben, wenn wir den göttlichen Wert dieser Welt und jedes Menschen vergessen?
Die Menschwerdung Gottes ist ein Geschenk seiner Liebe an uns. Er will uns Menschen nahe sein. Darüber dürfen wir uns in erster Linie freuen. Wir dürfen aber auch die Verantwortung nicht übersehen, die uns dieses Geschenk übergibt: Dass wir Gott auch in dieser Welt, in jedem Menschen, in der gesamten Schöpfung erkennen und lieben dürfen.
„Das Wort inkarniert in uns" (Tit 3, 4-7)
Im Titusbrief schreibt Paulus von der Güte und Menschenfreundlichkeit unseres Gottes, der sich in Jesus Christus offenbart hat. Die Aufforderung auch der vorangehenden Verse ist in ihrer Absolutheit ganz deutlich: Auch wir sollen freundlich und gütig zu ALLEN Menschen sein und IMMER bereit sein, Gutes zu tun. Da wird niemand ausgeschlossen und keine Situation ausgeklammert. Auch diese Radikalität der Güte findet ihre Begründung in der Menschwerdung Gottes: Gott hat nichts zurückgehalten, nichts Menschliches ausgelassen: Er wurde Teil seiner Schöpfung mit ihrer schmerzhaften, hässlichen, sündhaften Seite. Jesus Christus hat auch die Tiefpunkte, Schattenseiten und Randerscheinungen der Welt nicht ausgeklammert, sondern sich absolut für diese Welt hingegeben. Für jeden Menschen – ohne Ausnahme. Paulus fordert daher auf, dieser Radikalität zu folgen und die Güte und Menschenfreundlichkeit, die in Jesus Christus erschienen ist, auch ALLEN Menschen gegenüber zu leben. Auch den Menschen am Straßenrand, auch den vermeintlich Hässlichen und Ungepflegten, den Heimatlosen und Flüchtlingen, den Illegalen und Rechtlosen. Unsere Menschenfreundlichkeit zeigt sich auch denen gegenüber, die außerhalb unseres Blickfeldes liegen, die weit weg leben und doch durch unsere globalisierte Wirtschaft ganz nah von unserem Kaufverhalten oder Wegwerfverhalten betroffen sind. Alle, auch diese, sind unsere „Nächsten".
Das wirkt zunächst wie eine Überforderung. „Ich kann doch nicht zu ALLEN, IMMER und überall auf der Welt gut sein", regt es sich womöglich in uns. Das betont auch Paulus: Es geht dabei nicht um unsere eigene Güte, die sich in Werken der Nächstenliebe zeigt. Da wären wir wirklich alle überfordert. Aufgrund des Erbarmens Gottes sind wir gerettet und zur Menschenfreundlichkeit befreit. Durch den Beistand des Heiligen Geistes sind wir erneuert, sind wir neu geschaffen zu einem Leben in Güte und Nächstenliebe. Durch Gottes Menschwerdung ist der Mensch befähigt zum Glauben an seine eigene Rettung, durch die Gott in jedem von uns wirken kann. Lassen wir Gottes Güte und Freundlichkeit in uns wirken. Versuchen wir es – bei ALLEN Menschen in ALLEN Situationen.
Stefanie Völkl, Mainz