Tag der Geburt Christi / Christfest I / Weihnachten (25.12.18)

Tag der Geburt Christi / Christfest I / Weihnachten

ev. Predigttext kath. 1. Lesung kath. 2. Lesung kath. Evangelium
Joh 1, 1-5.9-14 (16-18) am Morgen: Jes 62, 11-12
am Tag: Jes 52, 7-10
am Morgen: Tit 3, 4-7
am Tag: Hebr 1, 1-6
am Mo.: Lk 2, 15-20
am Tag: Joh 1, 1-18

Der Verfasser betrachtet schwerpunktartig den Johannesprolog, der als evangelischer Predigttext und als katholisches Evangelium am Tag vorgesehen ist, und die Textpassage aus dem Weihnachtsevangelium des Lukas. In beiden Schrifttexten zeigen sich ihm zentrale Aspekte der Nachhaltigkeit. Von den katholischen Lesungennimmt er die Jesaja-Texte in den Blick. Auf eine Auslegung der neutestamentlichen Perikopen hat er verzichtet, da der nachhaltige Bezug weniger deutlich ist.

Joh 1, 1-5.9-14 (16-18) und Joh 1, 1-18: „Vergiss nicht, dass dein Wort eine Tat ist“ (Saint-Exupéry)

  1. 1. Exegetische Hinweise

Der sog. Johannes-Prolog ist eine theologische Dichtung, in die ein Christushymnus eingearbeitet ist, der seinen Ursprung wohl im hellenistischen Judenchristentum hat. Er preist den inkarnierten Logos, der in Christus zum Mittel des Heils geworden ist: Christus ist das leibhaftige, anschaubar und angreifbar (im doppelten Sinne) gewordene Schöpfungswort Gottes:„Was geworden ist, in dem war er Leben“ (Vv 3f, Übersetzung Gnilka). Die Schöpfung ist von daher auch Offenbarungsort des Logos, d.h. Jesu Christi.Der Prolog ist universalistisch ausgerichtet, das Heil der ganzen Welt und der Menschheit im Blick, er ist „die Ouvertüre des Evangeliums“ (Gnilka).

  1. 2. Theologische Impulse

Das schöpferische Wort Gottes inkarniert, verleiblicht sich, wird Materie. Das Göttliche wird nicht materiell im Sinne des Materialismus: „Wir verlangen, dass endlich das Wort Fleisch, der Geist Materie werde“ (Feuerbach). Im Gegenteilwird es in besonderer Weise Teil von Welt und Mensch, Teil der Schöpfung, der Natur, des Menschen, der menschlichen Gesellschaft. Das heißt, es will als Teil der Welt in ihr wirksam werden und weiter schöpferisch sein – und zwar in, mit und durch die Menschen. Das Wort, der Logos, ist das Leben, es durchpulst als Quelle und vorantreibende Kraft Welt und Mensch.

Und dieses Wort, Jesus Christus, in dem Gott mit seiner ganzen Fülle wohnen wollte (Kol 1, 19), erfährt die Ablehnung der Welt. „Er kam in sein Eigentum; und die Seinen nahmen in nicht auf“ (V 11). „Welt“ wird hier zum gegengöttlichen Raum aus „freier Entscheidung“ des Menschen (Gnilka). Und dieser gegengöttliche Raum entfaltet seine tödliche Macht letztendlich am Kreuz von Golgotha.

Wer sich aber dem Logos öffnet, von seiner Fülle genommen hat „Gnade umGnade“ (V 16), d.h. das Leben schlechthin, der wird Kind Gottes, Tochter und Sohn, „aus Gott geboren“ (V 13) – eine „Gottesgeburt“, und selbst zum Ort, wo Gott in diese Welt hinein geboren wird. Das ist Menschwerdung – Weihnachten.

  1. 3. Nachhaltigkeitsaspekte

„Vergiss nicht, dass dein Wort eine Tat ist“, hat Antoine de Saint-Exupéry geschrieben. Das erinnert auch an Goethe, der Faust den Beginn des Johannesprologs mit „Im Anfang war die Tat“ (Teil I, 3. Szene) übersetzen ließ. Wort ist immer wirksames Wort. „Es kehrt nicht leer zu mir (Gott) zurück“, heißt es bei Jesaja (55, 11). Worte können, wie es im Johannesprolog heißt, Leben hervorrufen, lebendig machen, ins Leben führen.Das Leben mehren heißt, den Himmel auf die Erde holen. Wo Leben entsteht, ist „Himmel“ da, und das ist in der jüdisch-christlichen Tradition die Sphäre Gottes selbst. Beim Wort geht es um nicht mehr und nicht weniger. In der Liebe scheint diese Sphäre Gottes unter uns auf, sie ist geradezu verleiblicht, „greifbar“ da, im liebenden Blick eines Menschen, in der bergenden Umarmung, in der helfenden Tat, im tröstenden Wort. „Liebt einander“ ist Jesu neues Gebot an seine Jünger (Joh 15, 12). Es ist der Schlüssel zum gesamten Johannes-Evangelium, auch zum Prolog. Es ist das Wort, das zur Tat (der Liebe) werden will und aus der Mitte Gottes kommt.

Das Wort kann aber auch töten, Leben zerstören, Menschen vernichten oder um ihre Zukunft bringen. In Zeiten von Fake News, in denen offen, offensichtlich und hemmungslos von höchsten Autoritäten gelogen und betrogen wird, erscheint es notwendig, den Respekt vor dem Wort, das den Menschen zum Menschen macht, einzuklagen. Als Christen sind wir in besonderer Weise der Wahrheit verpflichtet: „Die Wahrheit wird euch frei machen“ (Joh 8, 32). Und das Wort, das im Anfang war, ist Wahrheit (Joh 17, 17). Wir können nur aus der Wahrheit leben. Liebe, Nächstenliebe gründet zutiefst in der Wahrheit. Liebe ist nur wahrhaftig Liebe.

Wo Leben entsteht, ist „Himmel“ da. Der Einsatz für den „Himmel“ kann heute so aussehen: Einsatz für die Menschenrechte, für eine gerechte Ökonomie, und – vielleicht vor allem anderen – für das gemeinsame Lebenshaus (Ökologie). Gerechte Ökonomie, Leben fördernde Ökologie und soziale Politikgehören zusammen. Das eine kann nicht ohne das andere gedacht und getan werden.Wir müssen dabei in weltweiten Zusammenhängen denken und jeder Form von Nationalismus widerstehen. Nationalismus ist ein Gift, das Lebensräume durch Ausgrenzen von Menschen und Ausbeuten der natürlichen Ressourcen in der Welt – Güter, die allen gehören! – zerstört. Nichts bedroht derzeit den Frieden mehr.

Wir müssen für die Wahrheit im öffentlichen Raum eintreten, den Wahrheitsgehalt des Wortes aufscheinen lassen, gegen Lügen aufstehen. In unserem Alltag, in der Begegnung mit Menschen. Bin ich wahrhaftig mit dem Wort mir selbst gegenüber? Wie gehe ich mit meiner Sprache um? Gönne ich mir die Wahrheit? Traue ich sie mir zu?Halte ich sie aus?

Johannes, der Verkündereiner göttlichen Wahrheit, war der Aufdecker von Fake News. Er hat Lügen und Unrecht ins Wort gebracht. Er fordert Umkehr, Umkehr hin zu einer wahrhaftigen Existenz. „Ihr Schlangenbrut“, ruft er. „Bringt Früchte hervor, die Eure Umkehr zeigen“ (Lk 3, 8). Er hätte sich wie Herodes wohl auch Donald entgegengestellt, seine Lügen demaskiert. Das ist aber unsere Aufgabe heute. Die Pressefreiheit ist bedroht. Die Freiheit des Wortes gilt es zu verteidigen. Wir brauchen persönlichen Mut, vielleicht auch neue (rechtliche) Instrumente, um der Verdrehung von Wahrheit, der bewussten Lüge, den menschenverachtenden shitstorms in den sozialen Medien wie Facebook, Twitter,Weblogs und Co entgegenzutreten. Das Potenzial an Hass ist enorm und zerstörerisch.

Für die Zukunft des kleinen(!) Planeten Erde ist unser Eintreten für die Wahrheit überlebenswichtig. Und die heißt: „Der Klimawandel ist wie der Einschlag eines Asteroiden“. Wenn wir ihn nicht in den Griff bekommen, „brauchen wir über Einkommensverteilung, Rassismus und guten Geschmack nicht mehr nachzudenken“ (Hans Joachim Schellnhuber). Und jeder kann was dazu beitragen, durch Wort und Tat: Für die Wahrheit eintreten, privat und im politischen Engagement, in Aktionsgruppen und Parteien: Raus aus der Kohle!,den eigenen Konsum immer wieder neu überprüfen: Wieviel ist genug? Kann ich auf Fleisch verzichten, das Auto stehen lassen, vielleicht für immer … damit das Leben eine Zukunft hat? Damit es auch nach uns noch Weihnachten wird?

Lk 2, 15-20: Hirten sein, um das gemeinsame Haus zu bewahren

  1. 1. Exegetische Hinweise

Unsere Perikope ist Teil der Verkündigungsgeschichte, die in – überbietender – Parallele zur Geburtsgeschichte des Täufers Johannes steht. Sichere Rückschlüsse auf historische Gegebenheiten erlaubt sie nicht. Lukas stellt sie ganz in den Dienst der „Zuverlässigkeit der Lehre“ (Lk 1, 4): Die Wahrheit dieses Evangeliums beruht nicht auf den Nachrichten von Menschen, sondern im Wort Gottes allein, dessen Boten die Engel sind.  

  1. 2. Theologische Impulse

Die große weihnachtliche Gabe Gottes ist sein Friede oder besser sein umfassender Schalom: „Friede auf Erden den Menschen seines Wohlgefallens“ (V 14). Schalom „bedeutet zunächst Unversehrtheit, Heil; es ist damit nicht nur Befreiung von jedem Unheil und Unglück gemeint, sondern auch Gesundheit, Wohlfahrt, Sicherheit, Frieden und Ruhe“ (Wikipedia). Er meint aber auch Schabbatruhe, die Heimat und Ruhe Gottes. Er ist „der Friede, der allein versöhnt und stärkt, der uns beruhigt und unser Gesichtsbild aufhellt, uns von Unrast und von der Knechtung durch unbefriedigte Gelüste frei macht, uns das Bewusstsein des Erreichten gibt, das Bewusstsein der Dauer, inmitten unserer eigenen Vergänglichkeit und der aller Äußerlichkeiten.“ (Claude J. G. Montefiore). Friede oder Schalom steht für eine Sehnsucht nach dem, „das allen in die Kindheit scheint und worin noch niemand war“ (Ernst Bloch). Für viele Menschen auf der Flucht ist diese Sehnsucht geradezu schmerzhafte Realität. Bei Matthäus durchlebt die heilige Familie dieses Schicksal.

Dieser Schalom Gottes ist aber keine Utopie, sondern Wirklichkeit, d.i. wirkmächtige, Welt gestaltende Gegenwart Gottes. Diesen Frieden gibt der auferstandene Christus seinen Jüngern mit auf den Weg, als er sie in die Welt schickt, um allen Menschen das Evangelium zu verkünden. Am Anfang und am Ende des Evangeliums steht also der Friede Gottes. Die Jünger haben den Frieden und bringen ihn der Welt. Garant dafür ist Jesus selbst: „Seid gewiss: Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt“ (Mt 28, 20).

Die Hirten gehören zum weihnachtlichen „Festbild“. Im Alten Testament begegnen uns Hirten an entscheidender Stelle: die großen Führergestalten Abraham, Mose, David waren Hirten. Jesus wird als Sohn Davids in verwandtschaftliche und theologische Beziehung zu dem großen König Israels gesetzt: Der Messias ist der Sohn Davids. Das Bild vom guten Hirten, der für sein Volk sorgt, in der hebräischen Bibel auf JHWHbezogen (z.B. Ps 23, Ps100, 3), wird im neuen Testament auf Jesus (Joh 10, 11-16) übertragen: Er gibt sein Leben für seine Schafe.Im Auftritt der Hirten deutet sich diese Lebenshingabe des guten Hirten, deutet sich Golgotha bereits an.

Die Hirten damals sind raue, aber zuverlässige Männer, die die meiste Zeit mit ihren Tieren verbrachten, also im Freien, und direkt bei ihnen schliefen, um sie vor Raubtieren und Dieben zu schützen. „Sie hielten Nachtwache bei ihrer Herde“ (V 8), d.h. sie sind wach und wachsam, hörend in die Dunkelheit, um Gefahren rechtzeitig zu erkennen.Sie sind es, die als erste die Frohbotschaft des Engels und den Jubelgesang der himmlischen Heerscharen hören und aufnehmen. Und auch hier geht es um das Wort, das heilende und befreiende Wort Gottes, das wahrgenommen und weitergetragen werden will. Sie sind Hörende. Und sie sagen das aufgenommene Wort weiter an die Menschen. Als Hörende werden sie zu Gesandten, zu Verkündern. Mit ihnen nimmt das Wort Gottes seinen Lauf durch die Welt.

  1. 3. Nachhaltigkeitsaspekte

Weihnachten ist kein Idyll. Nach Matthäus flüchtet die Heilige Familie nach Ägypten. Gott auf der Flucht, in Jesus wird er zu einem der Flüchtlinge in der Welt.Die Realität kann in der Christmette nicht außen vor bleiben. Millionen Menschen sind auf der Flucht und klopfen auch an die Türen unserer weihnachtlich geschmückten Kirchen.Das weltumspannende Problem der Migration ist eine der großen Herausforderungen unserer Zeit – an die Politik, aber auch an jeden einzelnen von uns. Die Ursachen dafür sind vielfältig: Krieg, Ausbeutung, Rassismus, der Klimawandel und ein unbändiger Hass, der von verschiedenen Interessengruppen mit Fake News geschürt wird. Das Erstarken eines neuen Faschismus, der gewissenlos gewaltbereit ist gegen Menschen, die zu Sündenböcken gestempelt werden, ein Anwachsen des Antisemitismus, die Hetze gegen Flüchtlinge und Migranten, gegen Menschen mit „Migrationshintergrund“ muss mit Sorge erfüllen. Das Gift des Nationalismus, das schamlos über die Medien verbreitet wird, zeigt Wirkung. Gleichzeitig wird der Klimawandel von denselben Gruppen geleugnet. Hier sind Kirchen und wir einzelne Christen im zivilgesellschaftlichen Engagement gemeinsam mit anderen zum Widerstand aufgerufen. Das „Nie wieder!“ ist bleibende Aufgabe, heute notwendiger denn je. Ein guter Leitfaden ist dabei die Enzyklika von Papst Franziskus: „Laudatosí – Über die Sorge für das gemeinsame Haus“.

Auch die Hirten stehen dafür, dass die Geburt Jesu, die unter ärmlichen und schwierigen Umständen geschildert wird, nicht zum kitschigen Gefühlsbild verkommt.Sie sind arm und haben kein gesellschaftliches Ansehen. Aber es sind die, die sich um ihre Schafe kümmern – die nicht ihnen gehören. Sie schützen sie, hüten sie, suchen sie, wenn sie sich verirrt haben. Sie kennen ihre Schafe, ihre Schafe kennen sie. Da gibt es so etwas wie eine Vertrautheit, ein Trauen zwischen Mensch und Tier. Der Hirte ist ein Hüter, ein Bewahrer. Und wir verstehen es heute besser als früher, dass der Auftrag in Gen 1, sich die Welt untertan zu machen, nicht ein Ausbeuten, ein rücksichtsloses Ausplündern und Zerstören meinen kann, sondern ein Bewahren, Hüten, achtsam Pflegen. Die Erde bringt das Leben hervor, aus dem wir selbst leben. Wir sollen in diesem Sinne Hirten sein, um das gemeinsame Haus zu bewahren, den Klimawandel aufzuhalten – noch sei es möglich, sagen Klimaforscher, noch seien die tippingpoints nicht überschritten.

Und wir sollen füreinander Hirten sein. Im Anderen immer den Menschen und Bruder sehen. Das ist nicht leicht. Ich brauche aber auch den Anderen als Hirten für mich. Füreinander Hirte sein, könnte heißen: Zeit und ein offenes Ohr für einen Menschen haben, ihn begleiten und unterstützen, sich in ihn einfühlen und für ihn ein tröstendes Wort haben. Das kann aber auch heißen, sich für Menschen in Not im öffentlichen Raum einsetzen, eine Initiativgruppe für Menschen, die Hilfe benötigen, gründen, mit den Behörden reden, um Änderungen von Gesetzen, Verordnungen und Anordnungen kämpfen. Manchmal entfaltet ein Leserbrief eine Welle an Zustimmung und politischer Kraft …

Die Hirten waren arm. Unter den Armen geschah und geschieht Menschwerdung. Die evangelische Option für die Armen gehört zur Weihnachtsbotschaft.Armut gibt es hier und anderswo. Sie hat eine menschlich-persönliche und eine politische Dimension. Unsere Kirchengemeinden bieten ein breites Feld an Möglichkeiten zum Engagement für arme Menschen. Die wachsende Altersarmut wird immer mehr sichtbar. In der Diözese Speyer hat sich eine Aktionsgemeinschaft gegen Altersarmut gebildet, die den politischen Kampf für ein gerechtes Rentensystem aufgenommen hat. Partnerschaften der Entwicklungszusammenarbeit weiten den Blick über den Kirchturm hinaus „weltwärts“. Und politisch hat sich jüngst Europa aufgemacht: Ein Europa ohne soziale Gerechtigkeit (dazu gehört auch der menschenwürdige Umgang mit Flüchtlingen und Migranten) kann keine Zukunft haben. Zweck der europäischen Säule sozialer Rechte ist die Bereitstellung neuer und wirksamerer Rechte für die Menschen in der Union. Sie baut auf 20 Grundsätzen auf, welche in drei Kategorien eingeordnet sind: Chancengleichheit und Arbeitsmarktzugang, faire Arbeitsbedingungen, Sozialschutz und soziale Inklusion. Eine Änderung der Blickrichtung in kapitalistischen Zeiten.

Jes 52, 7-10: Der Advent Gottes - Befreiung und Erlösung

  1. 1. Exegetische Hinweise

Hintergrund unseres Schrifttextes, der Deutero-Jesaja zugeordnet wird, ist das Babylonische Drama, die Zerstörung Jerusalems 587 v. Chr., die Deportation von Teilen der Bevölkerung nach Babylon und die nun unter Kyros möglich gewordene oder bereits erfolgte Rückkehr nach Jerusalem. Folie für die Rückkehr, die wie eine Prozession zum Tempel auf dem Zion vorgestellt ist (52, 11f), ist der Exodus des Volkes Israel aus Ägypten (52, 4). Hier wie dort bekennt sich JHWH als der Gott, der da ist, der mit seinem Volk geht (52, 6).

  1. 2. Theologische Impulse

JHWH befreit seine Stadt Jerusalem, die in Staub und Trümmern liegt, deren Bevölkerung in Fesseln geschlagen ist (52, 2.9). Er kehrt nach Zion zurück. Der Freudenbote kündigt Frieden, frohe Botschaft und Heil an, er ruft der Stadt zu: „Dein Gott ist König!“ Ein König, der sein Volk in Freiheit setzt, der seine Stadt Jerusalem vor Feinden schützen wird (52, 1). Die Leidensgeschichte seines Volkes ist zu Ende: „Ich bin da!“ (52, 6). Er selbst tröstet sein Volk und schenkt ihm Erlösung (V 9). Und JHWHbekennt dies wie ein unwiderrufliches Manifest vor allen Völkern (V 10). Er ist der Garant für die Zukunft seines Volkes, die neues Leben verheißt in Freiheit, Würde, Sicherheit und Wohlstand (62, 9). Zentraler Bezugsort ist der Tempel, der, aufgebaut, neu zum Wohnort Gottes mitten in seinem Volk wird. Der Advent Gottes auf dem Zion ist aber ein universal bedeutsames Heilsgeschehen, das alle Menschen betrifft: „alle Ende der Erde werden das Heil unseres Gottes sehen“ (V 10).

„Göttliche Befreiung ist eine Wirklichkeit, die irdische Gegebenheiten völlig übersteigt“ (Höffken). Sie erfolgt auch nicht nach menschlichen Vorstellungen und Prämissen. Der Befreiungsweg Gottes ist anders als eine machtvolle, kriegerische Geschichte. Was auch der historischen Wirklichkeit durchaus entsprach. Er ist vielmehr ein innerer Weg, ein Weg persönlicher Umkehr, Veränderung, Neuwerdung, d.i. Menschwerdung (Weihnachten). Das wird deutlich am vierten Lied vom Gottesknecht, das unmittelbar unserer Perikope folgt. Durch Schwachheit, Leiden und Schmerzen setzt sich der Befreiungsweg Gottes durch, für uns Menschen schwer nachvollziehbar, geschweige denn verständlich. Und doch:„der Herr fand Gefallen an seinem zerschlagenen (Knecht), er rettete den, der sein Leben als Sühnopfer hingab. Er wird Nachkommen sehen und lange leben. Der Plan des Herrn wird durch ihn gelingen“ (Jes 53, 10 Einheitsübersetzung 1980). Wir sehen hier schon das Kreuz von Golgotha voraus.

  1. 3. Nachhaltigkeitsaspekte

Das ThemaMigration kann mit unserem Bibeltext assoziiert werden. Gott ist mit den Menschen, die auf der Flucht sind nach einem Ort, an dem sie als Menschen leben und ihr Menschsein entfalten können. Der Zion wird zum Bild eines Ortes, wo dies möglich ist. Wenn wir Flüchtlingen einen Zufluchtsort gewähren, stehen wir ganz in der Mitte der biblischen Tradition: „Wenn bei dir ein Fremder in eurem Land lebt, sollt ihr ihn nicht unterdrücken.Der Fremde, der sich bei euch aufhält, soll euch wie ein Einheimischer gelten und du sollst ihn lieben wie dich selbst; denn ihr seid selbst Fremde in Ägypten gewesen. Ich bin der Herr, euer Gott“ (Lev 19, 33f).

Die Realität Jerusalems heute mit seinen Spannungen und Konflikten, aber auch seiner geradezu universellen Sehnsucht nach Frieden ist hier ein Kontrastbild, das aber den Auftrag an Christen, Juden und Muslimen beschreibt, in der „Stadt des Friedens“, wie Jerusalem volksetymologisch gedeutet wird, Räume des Friedens zu schaffen.

Wir begingen am 4. April d.J. den 50. Jahrestag der Ermordung Martin Luther Kings. Sein Weg, den Kampf für die Bürgerrechte der schwarzen Bevölkerung Amerikas bewusst als Weg der Gewaltlosigkeit und des Leidens zu gehen, beeindruckt noch heute. Durch Martin Luther King habe ich erstmals verstanden, was Jesus mit der Feindesliebe gemeint haben könnte. Sinngemäß sagte King einmal: Und wenn ihr uns verfolgt, verprügelt, einsperrt und foltert, selbst wenn ihr uns tötet, ihr werdet uns nicht daran hindern, euch zu lieben (vgl. Ijob 13, 15: „Auch wenn ER mich tötet, will ich auf IHN hoffen.“). Damals ist die Gewaltan der Gewaltlosigkeit zerbrochen. Trotz Ermordung Dr. Kings. Die Bürgerrechtsgesetze wurden verabschiedet. Martin Luther King steht in der Tradition des jesajanischen Gottesknechts, in dem wir Jesus vorausgebildet sehen.

Jes 62, 11-12: „Nicht länger nennt man dich Verlassene und dein Land nicht mehr Verwüstung.“ (V 4)

  1. 1. Exegetische Hinweise

Der Trito-Jesaja zugeordnete Text hat enge Verbindungen zu Jes40, 1-11 („Tröstet, tröstet, mein Volk“) und zu Jes 52, 1-10 (s.o.) „und ist ohne deren Kenntnisse nicht voll verständlich“ (Höffken). Im Textzusammenhang mit 62, 1-10 wird das Verhältnis JHWH – Israel als Liebesverhältnis im Hochzeitsbild von Bräutigam und Braut beschrieben.

  1. 2. Theologische Impulse

In kurzen Sätzen fassen die zwei Verse ein ganzes Evangelium zusammen: Der Herr kommt, um seine „Tochter Zion“ zu retten. Sein „Lohn ist mit ihm und sein Ertrag geht vor ihm her“ (V 11), damit sind die ehemals Deportierten aus Babylon gemeint. Er bringt die Befreiten mit auf den Straßen, die für ihn gebahnt werden sollten: „Bahnt für den Herrn einen Weg durch die Wüste! Baut in der Steppe eine ebene Straße für unseren Gott!“(40, 3). Volk und Stadt werden einen neuen Namen erhalten: „Heiliges Volk, Erlöste des Herrn“ und „Begehrte, nicht mehr verlassene Stadt.“ (V 12). In diesen Heilsbildern – dies wird im Kontext mit den Versen 1-10 deutlich – sprechen sich Lebensfülle, Freude, Überfluss an Gütern, Freiheit,Geborgenheit, Frieden und Schutz, also ein umfassender Schalom, als „Hochzeitsgeschenk“ aus. Güter eines göttlichen Liebhabers an seine Geliebte. Alles lebt und blüht auf.

  1. 3. Nachhaltigkeitsaspekte

Wir dürfen bei diesen Bildern der Lebensfreude und Hoffnung auf eine gute Zukunft aus der Hand Gottes auch an die Schöpfung denken (Vv 9f), deren Teil Gottes Volk ist, dessen Leben vom Blühen und Gedeihen der Natur, von Flora und Fauna abhängt. In V 4 ist eine Reminiszenz an die Zerstörungen von 587 erhalten: „Nicht länger nennt man dich Verlassene und dein Land nicht mehr Verwüstung, sondern du wirst heißen: Ich habe Gefallen an dir und dein Land wird Vermählte genannt. Denn der Herr hat an dir Gefallen und dein Land wird vermählt.“

Weite Teile unseres Planeten Erde sind der Verwüstung anheim gegeben. Selbst die Weltmeere „ertrinken“ im Plastikmüll. Von der ISS im Weltall sind die riesigen Flächen des Regenwaldes im Amazonasgebiet, die unwiederbringlich aus Profitgier vernichtet worden sind, deutlich zu erkennen. Können wir das Hoffnungsbild des Jesaja heute noch anschauen und daraus selbst Hoffnung gewinnen? Ist es nicht vielmehr so, dass der Zug in Richtung Bewahrung der Schöpfung immer schneller rückwärtsfährt? Betreibe ich nicht auch für mich Vogel-Strauß-Politik, weil es manchmal nicht mehr zum Aushalten ist? Im Blick auf die Bedrohung der Natur ist mir nicht nach Hochzeitsliedern zumute.

„Dass Menschen die biologische Vielfalt in der göttlichen Schöpfung zerstören; dass Menschen die Unversehrtheit der Erde zerstören, indem sie Klimawandel verursachen, indem sie die Erde von ihren natürlichen Wäldern entblößen oder ihre Feuchtgebiete zerstören, dass Menschen anderen Menschen Schaden zufügen und sie krank machen, indem sie die Gewässer der Erde, ihren Boden und ihre Luft mit giftigen Substanzen verschmutzen – all das sind Sünden.“Denn „ein Verbrechen gegen die Natur zu begehen, ist eine Sünde gegen uns selbst und eine Sünde gegen Gott“, sagt Patriarch Bartholomäus. Wir dürfen nicht resignieren. Vielleicht kann Papst Franziskus mit seiner Grundhaltung uns zu neuem Engagement ermutigen: „Die Welt ist mehr als ein zu lösendes Problem, sie ist ein freudiges Geheimnis, das wir mit frohem Lob betrachten“. Etwas in seiner Schönheit und in seinem Geheimnis zu betrachten, das macht Mut - und ist eine weihnachtliche Grundhaltung.

Thomas Bettinger, Speyer

 

Quellen:

Jacob Kremer: Lukasevangelium, Reihe: Die Neue Echter Bibel, Kommentar zum Neuen Testament mit der Einheitsübersetzung, Würzburg, 1988

Joachim Gnilka: Johannesevangelium, Reihe: Die Neue Echter Bibel, Kommentar zum Neuen Testament mit der Einheitsübersetzung, Würzburg, 3. Auflage 1989

Peter Höffken: Das Buch Jesaja, Kapitel 40-66, Reihe: Neuer Stuttgarter Kommentar Altes Testament, 18 / 2, Stuttgart 1998

Papst Franziskus: Enzyklika „Laudatosí – Über die Sorge für das gemeinsame Haus“, Rom, Vatikanstadt, 24. Mai 2015

Hans Joachim Schellnhuber: Der Klimawandel ist wie der Einschlag eines Asteroiden, Interview mit Axel Rühle in: sueddeutsche.de, 14. Mai 2018

Artikel Schalom in Wikipedia (08.04.2018):https://de.wikipedia.org/wiki/Schalom_%28Hebr%C3%A4isch%29

Die europäische Säule sozialer Rechte in 20 Grundsätzen dargestellt (Dezember 2017), siehe unter: https://ec.europa.eu/commission/priorities/deeper-and-fairer-economic-and-monetary-union/european-pillar-social-rights/european-pillar-social-rights-20-principles_de