25.o8.24 – 13. Sonntag nach Trinitatis / 21. Sonntag im Jahreskreis

ev. Predigttext kath. 1. Lesung kath. 2. Lesung kath. Evangelium
3 Mose 19,1-3.13-18.33-34 Jos 24, 1-2a.15-17.18b Eph 5, 21-32 Joh 6, 60-69

Der Autor betrachtet alle Bibelstellen des Sonntags und stellt unter dem Aspekt des Heiligen und der Nachhaltigkeit ihren inneren Zusammenhang heraus.

Das entscheidende Wort dieses Sonntags ist „heilig“. Für die Predigt gilt es, Heiligkeit als Kategorie von Nachhaltigkeit neu zu entdecken und für den Alltag zu explizieren.

1. Textauswahl als Manifestation vermuteter »Nachhaltigkeit«

Sowohl evangelische Kirche als auch katholische Kirche schlagen für jeden Sonntag Texte vor, die in Lesung und Predigt verwendet werden sollen. Man wählt aus, was man für nachhaltig bedeutsam hält oder was bereits nachhaltig auf die Entwicklung der Kirche eingewirkt hat. Die Wahl für einen Text ist zugleich ein Urteil über jene Texte, die nicht vorgeschlagen werden. Ihnen wird Nachhaltigkeit abgesprochen und in der Regel können sie auch weder Nachhaltigkeit erzielen noch können neue Perspektiven eingenommen oder neue Ideen angestoßen werden.

Was im Hinblick auf den großen Textumfang der Bibel wohl unausweichlich sein mag, ist bezogen auf einzelne Texte nicht nachvollziehbar. Am 13. Sonntag nach Trinitatis bzw. 21. Sonntag im Jahreskreis betrifft es gleich zwei Texte: Lev 19 und Jos 24. Diese Texte werden dermaßen zerstückelt, dass Sinnzusammenhänge völlig durchbrochen werden. Leitend war wohl dabei die Vorstellung, dass bestimmte Verse entweder anstößig sind oder für die heutigen Leser*innen keine Rolle (mehr) spielen. Nach diesem Kriterium müsste eigentlich auch Eph 5,21-32 wegen seiner frauendiskriminierenden Tendenz aus der Liste der vorgeschlagenen Texte gestrichen werden. Mit Auslassungen und Streichungen verhindert man jedoch kritische Auseinandersetzungen, neue Ideen und eine Weiterentwicklung christlichen Denkens. Man beraubt diese Texte ihrer möglichen Nachhaltigkeit.

2. Nachhaltige Entscheidungen

In den Texten dieses Sonntags geht es um grundlegende und nachhaltige Entscheidungen. Lev 19 ruft zur Heiligung des Lebens auf: „Ihr sollt heilig sein, denn ich bin heilig, der EWIGE, euer Gott.“ Jos 24, das Schlusskapitel des Josuabuches greift dies auf. Josua erinnert das Volk Israel auf dem „Landtag zu Sichem“ an all die Wunder, die Gott vom Auszug aus Ägypten bis zum Einzug in das gelobte Land an Israel getan hat, und erneuert mit Bezug auf die Heiligkeit Gottes (Jos 24,19) den Imperativ von Lev 19: „So fürchtet nun den EWIGEN, und dient ihm treulich und rechtschaffen.“ (Jos 24,14). Die grundlegende Entscheidung, die das Volk Israel trifft und die nachhaltig bis heute wirkt, ist eindeutig: „Wir wollen dem EWIGEN dienen, denn er ist unser Gott.“ Wegen seiner Wichtigkeit wird diese Aussage dreimal wiederholt. Grundlegend und nachhaltig ist auch die Aussage des Petrus in Joh 6. Auf die Frage Jesu an seine zwölf engsten Jünger, ob auch sie wie andere ihn verlassen würden, antwortet Simon Petrus – auch hier wieder mit Verwendung des Adjektivs „heilig“: „Herr, wohin sollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens; und wir haben geglaubt und erkannt: Du bist der Heilige Gottes.“ (Joh 6,68f.) Was ist schon nachhaltiger als die Ewigkeit?

3. Heilig, heilig, heilig

Levitikus, das 3. Buch Mose, hat kirchlich – zumindest evangelisch – keine gute Presse. Oft wird es als reines Gesetzesbuch abgetan, als Sammelsurium kultischer Gebote, die für Christinnen und Christen belanglos geworden sind. Geblieben ist nur die Redewendung, anderen die Leviten zu lesen. Eine solche Einschätzung geht am Entscheidenden vorbei: Es geht in Levitikus und insbesondere in Lev 19, dem Kern des sogenannten Heiligkeitsgesetzes, um Entscheidendes für das täglich Leben, um soziales Miteinander in der Gesellschaft, um das Miteinander von Kult und Ethik. Kein Zufall, dass hier jene Passage ihren Sitz hat, die neben dem Gebot der Liebe Gottes den zweiten Teil des Doppelgebotes der Liebe ausmacht (Lev 19,18b): „Du sollst deinen Nächsten lieben, er ist wie Du.“ (Nebenbei: Die Liebe zum Nächsten ist kein Hinderungsgrund, ihn zurechtzuweisen, wo dies nötig ist, wie Vers 17 ausführt.)

Es geht hier nicht um eine rein theoretische Abhandlung. Immer wieder spricht der Text vielmehr den Einzelnen und die Gemeinschaft direkt an, was er und sie zu tun und zu lassen habe. Dabei greift Lev 19 die Gebote des Dekalogs auf, erweitert sie aber um weitere Gebote, zum Teil solche, über deren Sinn wir heute getrost streiten dürfen (z.B. Lev 19,27, was das Scheren des Haares angeht). Über allem steht die Hauptforderung: „Ihr sollt heilig sein, denn ich bin heilig, der EWIGE, euer Gott.“ Die Heiligkeit Gottes ist so wichtig, dass diese Aussage (mit oder ohne „euer Gott“) in diesem Kapitel fünfzehn Mal vorkommt. Gott ist heilig, deshalb soll auch sein Volk heilig sein – und doch besteht ein Unterschied zwischen der Heiligkeit Gottes und der Heiligkeit von Menschen. Dies ist sprachlich schon darin ausgedrückt, dass das Wort kadosch (heilig) bei Gott mit Verwendung des Buchstabens Waw (waw plene) geschrieben wird, bei den Menschen prinzipiell ohne Waw. Das kann bedeuten: Die Heiligkeit der Glaubenden soll die Heiligkeit Gottes widerspiegeln, kann diese aber nicht erreichen.

4. Heiligkeit als ethische Forderung

Das Heiligkeitsgesetz ist kein Gesetzeskodex für Priester oder für einen wie auch immer näher bestimmten göttlichen Bezirk. Es zielt auf das ganze Leben und damit auch auf die Ethik im Alltag. Es meint alle und alles. Es geht um Beziehungen – zu Gott, zum Mitmenschen, zu Tieren und Pflanzen. All dies ist relevant für unsere Debatten um Nachhaltigkeit, die nur global gedacht werden kann. In seiner Auslegung greift der jüdische Theologe Daniel Krochmalnik diesen Aspekt in überraschender Perspektive auf: „Heiligkeit heißt hier wie gewöhnlich auch Absonderung. Aber es geht nicht um meine Absonderung von den Personen und Dingen, sondern um die Absonderung der Personen und Dinge von mir, dem sie sonst wehr- und schutzlos ausgeliefert wären – der Reihe nach: die Eltern und die Alten, die Feiertage, Gott selber und seine Opfer, die Armen, die Betrogenen, die Tagelöhner, die Versehrten, die Armen, die Verleumdeten, die Verhassten, die Fremden, die Tiere, die Pflanzen und Früchte und nicht zuletzt – mein eigener Körper. Das erklärt, weshalb die Gesetzesreihe so uneinheitlich wirkt: die Gegenstände sind verschieden, die Rücksicht aber ist stets die gleiche, das Ausgeliefertsein, die Schutzbedürftigkeit, die Unantastbarkeit.“ (Daniel Krochmalnik: Kadosch. Das Heilig im Buch Levitikus und in der jüdischen Tradition, Bibel und Kirche 69, 2/2014, S. 85) Es wäre interessant, die Gebote von Lev 19 auf der Folie der SDGs zu untersuchen. Viele Themen finden hier ihren Widerhall. Die Grundforderung nach einem gerechten und nachhaltigen Lebensstil ist m.E. die gleiche in Lev 19 wie bei den SDGs.

5. Nicht nur Worte, sondern Taten

Die Forderung von Lev 19, seinen Nächsten zu lieben und Verantwortung für Mensch, Tier und Pflanzen sowie für seinen eigenen Körper zu übernehmen, strahlt aus auf die anderen Texte des Sonntags. Das Bekenntnis, dem EWIGEN dienen zu wollen (Jos 24), wird nur erfüllt, wenn die Gebote der Mitgeschöpflichkeit in die Tat umgesetzt werden. Auch liegt es in der Logik des Johannesevangeliums, wenn nicht nur die Worte Jesu explizit herausgehoben werden (Joh 6,68), sondern auch seine „Taten des ewigen Lebens“. In Jesus Christus werden die Heiligkeit Gottes und die Heiligkeit des Menschen deckungsgleich: Das Reich Gottes ist angebrochen.

Selbst die krude Logik der „christlichen Haustafel“ aus Eph 5,21-33 wird aktuell, wenn wir fragen, was es heute heißen kann, die Beziehung von Mann und Frau, von Frau und Frau, von Mann und Mann zu heiligen. Eine einfache Übernahme von Vorstellungen, die vor 2000 Jahren gesellschaftlich gelebt wurden, kann es hier nicht geben. Diskriminierung ist kein Aspekt von Heiligkeit und war es nie. Vielmehr ist es heute – wie auch in Zukunft – angesagt, uns wortwörtlich die Leviten zu lesen.

Ralf Lange-Sonntag, Dortmund

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