Osternacht / Ostersonntag (27.03.16)

Osternacht / Ostersonntag


ev. Predigttext kath. 1. Lesung kath. 2. Lesung kath. Evangelium
Nacht: Kol 3, 1-4
Tag: 1 Kor 15, 1-11
Nacht (1. Les.): Gen 1, 1 - 2, 2
N. (2. Lesung): Gen 22, 1-18
N. (3. Lesung): Ex 14, 15 - 15, 1
N. (4. Lesung): Jes 54, 5-14
Tag: Apg 10, 34a.37-43
N. (5. Les.): Jes 55, 1-11
(6.): Bar 3, 9-15.32 - 4, 4
(7.): Ez 36, 16-17a.18-28
(Epistel): Röm 6, 3-11
T.: Kol 3, 1-4 od. 1 Kor 5, 6b-8
Osternacht: Lk 24,1-12
am Tag: Joh 20, 1-9

Ostersonntag

Zu Ostern feiern wir das Leben. Was das bedeutet, ist im Gottesdienst beispielhaft aufzuzeigen: es geht um das neu geschenkte Leben. Genauer gesagt geht es um das Leben, das dem Tod entrissen worden ist. Ostern ist insofern also kein Spaß, auch wenn es durchaus spaßig zugehen kann und die früher einmal herrschende Tradition des Osterlachens keinesfalls unbegründet ist. Nicht aber geht es darum, den Tod zu verharmlosen, sondern die todbringenden Strukturen dieser Welt beim Namen zu nennen, die aber nun vom Leben "verschlungen" (EG 101,4) sind und als entmachtet und abgesetzt betrachtet werden können. Insofern kann man über den Tod spotten (EG 101,4), nicht aber, weil er nicht da wäre.

Etwas anderes provoziert an Ostern heute ebenfalls: wir leben in einer Welt, die die "Ganzheitlichkeit" auf ihre Fahnen geschrieben hat, sei es in der Medizin, der Pädagogik, bei verschiedenen Produkten und der Betrachtung aller möglichen Probleme. Damit ist die umfassende Betrachtung des Menschen, in seiner Körperlichkeit, seinem geistigen Leben und auch seinen sozialen Umständen, unter denen er lebt, gemeint. Fitness-Clubs und Bio-Boom, meditative Übungen und auch betriebliches Gesundheitsmanagement, das die Mitarbeitenden endlich nicht nur als Funktion, sondern auch als körperliche Wesen wahrnimmt, sind deutliche Anzeichen für eine zumeist gute Entwicklung. Und doch gab es kaum ein Zeitalter, das so viel Natur vernichtet, Arten aussterben lässt, natürliche Ressourcen reduziert und verdirbt wie das gegenwärtige. Noch nie ist mit derart maschinöser Zuverlässigkeit so viel Leben missachtet und vernichtet worden. In solche Situation platzt die Botschaft von Ostern, die körperliches Leben in den Mittelpunkt rückt. Das kann man an diesem Tag nicht unkommentiert lassen.

Etwas Drittes kann an diesem Ostern ein guter Ansatzpunkt sein: mindestens die evangelische Tradition steht in einer gewissen Gefahr, das Heil zu individualisieren und das Zum-Glauben-kommen vor allem anhand des Einzelnen zu beschreiben, mit dem das Handeln Gottes etwas macht und der darauf antwortend etwas anfängt. Pfingsten, also die Vergesellschaftung des Glaubens, folgt im ehrfurchtsvollen Abstand von 50 Tagen. Die Texte des heutigen Tages geben dagegen die Möglichkeit zu zeigen, dass Ostern auch die Keimzelle der Kirche ist, darüber hinaus allen Menschen gilt, ja sogar aller Welt. Daher kann man an diesem Tag von der Kanzel herausposaunen, dass wir es hier mit einem die Mauern zum wackeln bringenden Ereignis zu tun haben, das sich nicht beschränken lässt auf eine leichte Steigerung des bürgerlichen Wohlbefindens. Vielmehr kommt an ihm alle Welt ins Laufen (und wenn es zum leeren Grab ist), an ihm wird neu gesehen, an ihm wird gegessen und getrunken in neuer Gesellschaft, dass man sich wirklich umgucken muss. Rücksichtnahme, Demut, Umsicht, zukunftsfähiges Denken können sich einstellen, wenn man seinen Nächsten trifft, sei er ein Mensch oder welches Geschöpf auch immer.

1 Kor 15, 1-11

"Weitergeben, was auch ich empfangen habe" - diese eindrucksvolle Zusammenstellung der ersten Begegnungen mit dem auferstandenen Christus scheint Paulus in einer für ihn konfliktträchtigen Situation zur Sprache zu bringen. In dieser Situation scheint so etwas wie ein Traditionsabbruch oder mindestens eine Korrumpierung des Selbstverständnisses des Glaubens zu drohen.
Paulus weist hier hin auf eine schon in seiner frühen Zeit bestehende "Eimerkette" des Lebens: wir geben weiter, was wir empfangen haben. Einer zum anderen. Nun mag es ein wenig platt erscheinen, von diesem Gedanken sogleich auf das bäuerliche Ethos hinüber zu schwenken, dass man nämlich die eigenen Produktionsmittel wie Wasser, Boden und Luft intakt halten muss, um sie an die nächste Generation weitergeben zu können. Trotzdem ist der Gedanke nicht abzuweisen: mit Dankbarkeit empfangen, umsichtig bearbeiten, hoffnungsfroh weitergeben. So laufen die Dinge.
Paulus sieht sich – auch wenn er an anderer Stelle (1. Kor 9,1) individualistisch-knapp davon reden kann – in seinem österlichen Ergriffensein in einer Gemeinschaft: von der Auferstehung her weitet sich der Kreis der "Sehenden" immer weiter, bis er selbst mit eingeschlossen ist, was ihm ein wenig unverständlich erscheint. Sollte nun ausgerechnet ihm, der sich bislang als einer erwiesen hatte, der penetrant aufs eigene Tor spielt, der Ball vor die Füße serviert werden? Und obwohl es um sein eigenes, bislang als verpfuscht empfundenes Leben geht, kann er sich doch in einer Reihe sehen. Es ist die Reihe der "Sehenden", sagen wir einmal: der Visionäre. Sie fangen da neu an, wo andere sich in ihr Schicksal gefügt haben.
So gesehen sind die anderen "Zeugen" eben nicht nur Zeugen, die einfach dafür einstehen können, was Paulus über die Auferstehung zu sagen weiß, sondern sie stehen auch dafür, wie er es zu leben weiß. Es geht um den Kreis der "Visionäre": manches Gemeindeglied wird einen solchen Namen für sich nicht hören wollen, und doch geht es um die, die sehen. Sie sehen hin, sie sehen anders, sie sehen zurück (was habe ich empfangen?), sie sehen nach vorn (was kann ich weitergeben?). Bei aller fachlichen Debatte darum, was denn nun Nachhaltigkeit eigentlich bedeute, scheinen wir hier nah an ihrem inneren Mechanismus zu sein.

Apg 10, 34a.37-43

Wie in 1. Kor 15 beschreibt der Autor, wenn auch mit eigenen Nuancierungen, den Gemeinschaftsbezug von Ostern. Wir erfahren, wie sich nun dieses Leben auswirkt und womit wir zu rechnen haben: Jesus zog umher, er tat Gutes und er heilte, die in der Gewalt des Teufels waren. Entgegen den teilweise entsagungsvollen Debatten darüber, wie denn nun Werke und Glaube in Beziehung zu setzen seien, muss man hier feststellen: der Glaube drängt ins Praktische, er ist kein luftiger Hokuspokus, sondern will wirken und verändern. Wer das nicht zu realisieren bereit ist, "weiß" eben noch nicht, was "im ganzen Land der Juden geschehen ist".
Eine zweite interessante Beobachtung: Die vorherbestimmten Zeugen werden eingeführt als solche, "die ... mit ihm nach seiner Auferstehung von den Toten gegessen und getrunken haben". Nun dürfen wir, müssen aber nicht zwanghaft an dieser Stelle auf Abendmahl und Kommunion zu sprechen kommen. Wohl aber auf das, was diesem zugrunde liegt: die leibliche Erfahrung des Glaubens. Auch hier kein Hokuspokus, kein bloßer Habitus oder ein hübsch runderneuertes Selbstwertgefühl in religiös gefälligem Ambiente, sondern die leibliche Erfahrung – übrigens wieder als ein soziales Ereignis.
Damit ist nicht nur unsere Leiblichkeit geadelt, sondern mit Brot und Wein (und was es sonst noch gab) alles, was wir dafür brauchen. Das Bewusstsein für die Ansprüche des Leiblichen ist nicht nur ein Indiz für die Auferstehung, sondern auch ihre Feier. Ostern dürfen wir dies nicht anthropozentrisch verstehen, sondern universell und alle Geschöpfe Gottes betreffend.

Kol 3, 1-4

Im Reigen dieser Texte gibt der Kolosserbrief uns den Antipoden: er will nun gerade nicht, so scheint es, dass wir im allzu Irdischen aufgehen, sondern uns an unsere Heimat, unsere wahre Bestimmung erinnern.
In der Tat handeln wir von dort aus und stehen schon mit einem Bein im Himmel. Paulus hatte genau darauf bereits in 1. Kor 15,10 hingewiesen, als er schrieb, nicht er habe gearbeitet, sondern "Gottes Gnade, die mit mir ist". Ostern können wir uns auch der großen Gelassenheit öffnen, dass wir nicht nur aus den Gesetzen dieser Welt leben und es nur darum geht, ihre Abläufe und Ansprüche möglichst behände umzusetzen, sondern gerade dagegen Einspruch zu erheben, die Liebe und dem Leben Platz zu machen und österlich seltsam zu sein. Denn was wir zu sagen und zu tun haben, ist nicht von dieser Welt.

Joh 20, 1-9

Was für ein Text! Johannes, sowieso der Virtuose des Missverständnisses, schreibt hier eine Ostergeschichte allgemeiner Desorientierung: keiner weiß was, alle bemühen sich durchaus, mit kriminalistischem Gespür werden Indizien gesammelt (wo welche Leinenbinden wie zusammengebunden sind ...), aber den Durchblick hat keiner. Der schnelle Jünger prescht vor, hat aber Berührungsängste, was das Grab angeht. Petrus dagegen, sowieso eher als der forsche Typ bekannt, geht in das Grab, was ihm aber nichts bringt.
Erst der zögernde Jünger bricht die Mauer der Erkenntnislosigkeit: er sieht (was nicht so leicht ist, wie man denken könnte) und er glaubt. Er wagt es, sich im Sinne des Kolosserbriefs ins Himmlische zu vertrauen. Immerhin einer, der nicht seinen Frieden mit der Geschichte vom Tod machen kann!
Vielleicht eine gute Ostergeschichte gegen all die allzu Umsetzungsstarken, Hemdsärmeligen, schnell Entscheidenden und Erfolgsorientierten: das nachhaltige Handeln benötigt zuweilen den Abstand, die Muße, den Respekt vor dem Problem und den Menschen oder "einfach nur" das leichte zurücktreten vor dem Heiligen, mit dem man es unversehens zu tun bekommen kann.

Dr. Thomas Schaack, Breklum