(Informationen zum Weltmissionssonntag: missio München / missio Aachen)
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Mi 6,1-8 | Jer 31, 7-9 | Hebr 5, 1-6 | Mk 10, 46-52 |
Am Anfang ist das Recht
Im Micha-Text ist die Betonung des Ausübens von Recht markant. Dies ist die Grundlage für eine sozial gut funktionierende Gesellschaft, aber auch für die friedliche Verbindung der Völker. Elend und auch Krieg entstünden aus Rechtsverletzungen. Das gibt uns angesichts der Weltlage (Stand August 23) besonders zu denken. - Die Autorin legt das Gewicht auf den Micha-Text und bindet die anderen Texte kurz ein.
Micha 6,1-8: Berge und Höhen als Geschworenengericht
Der Prophet Micha aus Moreschet-Gad (740 v. Chr. – 670 v. Chr.) tritt zeitüberschneidend mit Jesaja und auch Amos und Hosea auf. Er richtet markige Worte an das untreue Volk Israel. Dazu übernimmt er die Rolle Gottes als Ankläger. Für seinen Streitdialog zwischen Gott und Volk ruft er die Höhen und Berge als unbestechliche Zeugen auf. Vor diesem Natur-Geschworenengericht entwickelt er eine sorgfältige Beweisführung: Gott habe das Volk aus Ägypten befreit („Exodus“), er habe es in der Wüstenzeit rettend begleitet mit Mose, dem Hohepriester Aaron und der Prophetin Mirjam. Und schliesslich sei die geplante Verfluchung des Volkes durch Balak und Bileam in eine Segnung umgewandelt worden. Das Volk antwortet einsichtig, aber erschütternd hilflos und unwissend. Es hat verinnerlicht, dass es mit Opfern Gottheiten beeinflussen und ihre priesterlichen Verwalter:innen bestechen kann. Sollen die Leute gar das erstgeborene Kind schlachten? Und dann die schlichte Antwort des „alten“ Gottes: Gut ist, Recht zu tun, Güte zu lieben und besonnen mit Gott zu gehen.
Rechtsverletzungen führen zu Konflikten und zum Krieg
Von diesen hehren Grundsätzen ist es hingegen weit entfernt. Eine Elite hat sich ungerecht Gut angeeignet, hat buchstäblich mit falschem Mass und falsch eingestellter Waage gewirtschaftet; Lügen, Betrug und Gewalt sind an der Tagesordnung. Im Gegensatz dazu ist „Recht tun“ in Übereinstimmung mit den geschichtlich verankerten Befreiungstaten Gottes ein gesellschaftlich loyales Handeln. Genau dies würde auch die Völker zusammenbinden. Wie fast überall in der Bibel, ist auch hier Krieg kein Schicksal, sondern eine Folge von Rechtsverletzungen, die besonders die kleinen Leute betreffen, die man um Land und Gut betrügt. Deshalb muss zuerst Recht ausgeübt werden, bevor „Schwerter zu Pflugscharen“ (Micha 4,15) geschmiedet werden können. Mit „ Recht ausüben“, „Güte zu lieben“ (Solidarität) und „besonnen mit Gott zu gehen“ (nach der Tora leben) ist die Summe aller Gebote des Judentums zusammengefasst.
Aspekte der Nachhaltigkeit und des Friedens: Fragen zum Weiterdenken
- Im Krieg, der in der Ukraine ausgetragen wird (Stand August 23), erkennen wir, in welch rasanter Geschwindigkeit Aufrüstung, Waffenlieferungen und Kriegsstrategien etabliert worden sind.
Kriegstreibende Stimmen scheinen derzeit mehr Gewicht zu haben als jene der Friedensaktivist:innen, die grundsätzlich jegliche Waffenlieferung für falsch halten, weil Waffen immer zerstören und töten und die Spirale der Angst und der Rechtsverletzungen endlos höherschrauben. Provokativ: Könnte man die Waffenlieferungen nicht auch als eine Art Opfern betrachten, mit denen sich die Regierungen verschiedener Nationen freikaufen wollen, weil sie den spätestens seit 2014 deutlich schwelenden Konflikt Nato-Ukraine-Russland ignoriert oder gar befördert haben? - In den Vorstädten Frankreichs sieht eine vom Staat vernachlässigte Jugend keinen anderen Weg mehr, als mit Gewalt zu revoltieren, so wie es immer wieder in anderen europäischen und amerikanischen Vorstädten ähnlich aufpoppt. Die Jugendlichen sehen, wie die Milliarden so locker in diesen Krieg fliessen, während sie besonders stark von sozialem Abbau betroffen sind. Wie könnte es diese Jugend anders sehen, als dass mit ungleichem Mass politisiert und ihre Zukunft von den politischen Mächtigen zugunsten anderer Interessen geopfert wird?
- Kinderopfer geschehen heute nicht mehr mit priesterlichem Hokuspokus, sondern sie entwickeln sich in politischen Entscheidungen. Je länger ein Krieg dauert, desto mehr Kinderopfer wird es geben, nicht nur in Form von Toten, sondern von Kindern und Jugendlichen, die auf lange Zeit zukunftslos in der Ukraine und auch in Russland sein werden und eine Quelle grossen Elends, sozialer Unruhen und auch von Terror darstellen könnten.
- Die Waffenindustrie, wieder salonfähig geworden, verdient Milliarden an einem Krieg, der Lebensgrundlagen von Dutzenden von Millionen zerstört. Wie weit sind wir – von „Recht ausüben, Güte leben, besonnen mit Gott gehen“ entfernt?
- Micha klagt an, dass die Lügen einer Elite das Volk vergiftet haben. – Mit Lügen und Halbwahrheiten werden auch wir in einem beispielslosen Propagandakrieg von mehreren Seiten täglich konfrontiert. Wem noch glauben bei all den gefälschten Bildern und Behauptungen? Hier werden die Waagen für die Wahrheit buchstäblich so falsch tariert, dass sie uns der Wahrheit entfremden und Menschen und Völker entzweien.
- Der Prophet Micha ruft die Fundamente der Erde als Zeugen auf. Wen könnten wir denn heute in dieser Situation als „Zeugen“ anrufen? Was ist stabil und unbestechlich genug?
- Welche Rechtsverletzungen sind jetzt aktuell und wie würde Recht ausüben – auch zwischen den Nationen – hier aussehen können?
Jeremia 31,7-9 Es wird einen Neuanfang geben
Anders als Micha, der die Katastrophe von der Zerstörung Jerusalems und der Deportation der Oberschicht nach Babylonien (587 v. Chr.) nicht erleben musste. erlebte dies Jeremia, der die Mächtigen unermüdlich und vergeblich vor der Katastrophe gewarnt hatte. Er fordert sogar dazu auf, die Babylonier zu akzeptieren, statt den Krieg zu riskieren. Er leidet selbst daran, solch unheilvolle Botschaften verkünden zu müssen und schenkt daher im Kap. 31 auch Hoffnung, dass es nach der Zerstörung einen Neuanfang geben wird: Aus allen Ecken der Welt kehren Vertriebene heim, freudig singend. Diese Gemeinschaft – auch Blinde und Lahme, schwangere Frauen, junge Mütter – geht den rechten Weg, gut geleitet von ihrem Gott.
Aspekte der Nachhaltigkeit:
Was bewirken solche Hoffnungsbilder bei Menschen, die gerade Zerstörung und Vertreibung erleben? – Schon früh während des Kriegs in der Ukraine wurden Aufbauhilfen versprochen und aufgegleist. Es gibt Traumatisierten eine Perspektive, dass ihr Land wieder einmal bewohnbar sein wird. Der Text Jeremias trägt aber auch die Spuren des Leids in sich: Die Blinden und Lahmen, Kriegsversehrte? Welche der jungen Mütter und Schwangeren wurden Opfer von Vergewaltigungen, die in Kriegen, Deportationen und auf der Flucht alltäglich sind? – Hoffnungsbilder haben nur Kraft, wenn das zu Überwindende und die Quellen des Unrechts genau benannt werden.
Hebräer 5,1-6: Stellenprofil für von Gott Eingesetzte
Der Hohepriester hatte im Judentum das höchste religiöse Amt inne. Das hier beschriebene Stellenprofil scheint wie von einer anderen Welt zu sein: er soll mitfühlend sein, auch wenn die Menschen unwissend sind und falsche Wege beschreiten. Zugleich ist er keinesfalls allmächtig und unangreifbar. Dies wird vor allem darin deutlich, dass hier der wahre Hohepriester Christus ist, der selbst Folter und Hinrichtung erlebt hat.
Aspekte der Nachhaltigkeit:
Eine Meditation für Einflussreiche: Deine Macht soll Mitgefühl sein. Von „Gott eingesetzt“ zu sein, würde, um mit dem Micha-Text zu sprechen, heissen: Recht tun, Güte leben und besonnen den Weg gehen.
Markus 10,46-52: Die Erlösung herbeischreien
Der blinde, bettelarme Bartimäus wartet nicht ab, bis Jesus zufällig auf ihn aufmerksam würde. Er fordert es ein, er schreit, er will Erbarmen. Dabei steht Bartimäus nicht nur für eine individuelle Person, sondern repräsentiert ein ganzes Volk, das von seiner „Blindheit“ geheilt werden und wieder sehend werden muss. Im aktiven Rufen des Blinden nach Heilung ist bereits die Rettung enthalten: „Dein Glaube hat dich gerettet!“
Aspekt der Nachhaltigkeit:
Friedensstifter:innen dürfen nicht aufhören zu rufen, um die blind gewordene „Welt“ sehend zu machen: „Selig sind, die Frieden stiften; denn sie werden Gottes Kinder heissen.“ Mt 5,9
Sara Amanda Kocher, Zürich